Читать книгу Italiener-Wochenende - Kathi Albrecht - Страница 8

Оглавление

3

Während der Autofahrt haderte Enzo aber noch einmal mit seinem Schicksal: Nachbarn nicht da, Auto nicht da, überall Blumen gießen bei diesem heißen Wetter und dann noch der Neffe mit Blaulicht im Krankenwagen. Unmittelbar vor der Abfahrt hatte er noch einen vierten Obstler gekippt, Aber immerhin war es Jule gelungen, ihn davon zu überzeugen, sich ein Hemd überzuziehen, sodass sie doch noch mit einiger Würde im Krankenhaus ankamen.

„Wo lotst du mich hin, Vero? Das Krankenhaus ist da!“ Jule zeigte auf die andere Straßenseite.

„Ja. Aber da ist der Parkplatz!“

„Ach, und ich dachte wir fahren vor und sind gleich wieder weg. Wir hatten doch noch was vor…“ Jule hatte gehofft, Enzo einfach vor dem Krankenhausportal aussetzen zu können.

„Nein Enzo, keine Sorge, wir begleiten dich hinein. Ich will ja auch wissen, ob ich mit meiner Diagnose richtig gelegen habe.“ Auf Jules Einwand ging Vero überhaupt nicht ein. Vielen Dank auch.

Enzo packte Vero, küsste sie schmatzend auf die Stirn und schob ab.

„Das wäre jetzt nun nicht nötig gewesen …“ Vero wischte sich über die Stirn und zog die Mundwinkel nach unten. „Bäh, der Kerl hat eine Fahne!“ Sie grinste Jule an. „So und jetzt will ich wissen, was Lorenzo gefressen hat!“ Und stürmte los.

Jule ergab sich in ihr Schicksal und trabte hinterher. Ob Lorenzo sie wirklich erkannt hatte? Ob er sich noch erinnerte? Unwahrscheinlich. Hoffentlich.

Enzo war bereits am Tresen der Notaufnahme angekommen und redete auf eine Krankenschwester ein. Die runzelte die Stirn und fragte: „Sind Sie der Vater? Können Sie sich ausweisen?“

„Nein, Onkel.“ Enzo kramte umständlich seinen Ausweis aus der Tasche und verkündete laut und voller Stolz. „Sogar Patenonkel.“ Die Information war offenbar nur mäßig wichtig. Nach einem Blick auf Enzos Namen ratterte die Krankenschwester auf Italienisch los.

Man schien sich tatsächlich auf das Italiener-Wochenende eingerichtet zu haben. Jule riss erstaunt die Augen auf, zuckte resigniert mit den Schultern und suchte sich seufzend einen Sitzplatz im wunderbar ungemütlichen Wartebereich der Notaufnahme, durch den gerade eine Reinigungskraft mit einer Mischung aus Golfauto und Kehrmaschine tuckerte und eine nasse Spur sowie einen Geruchsschweif aus Desinfektionsmittel hinter sich her zog. Ein leichter Grundton aus abgestandenem Alkohol und Schweiß ließ sich damit aber nicht vertreiben, sondern behauptete sich hartnäckig, kaum dass die Maschine zehn Meter entfernt war.

Vero aber wollte die Krankenschwester aber nicht einfach so davonkommen lassen. Hinsetzen und Abwarten war nicht ihr Stil. Sie stellte ein paar Fragen, die in Jules Ohren wirklich kompetent klangen, von Anaphylaxie war die Rede, von halluzinatorischem Irgendwas, dann von Dosierungen und Diagnosen. Doch die Krankenschwester bellte nur. „Habe ich Ihrem Vater schon gesagt!“

„Das ist nicht mein Vater und ich spreche, Entschuldigung, kein Italienisch. Können Sie das bitte für mich noch einmal wiederholen?“

„Wer sind Sie überhaupt, wenn Sie nicht dazugehören?“

„Ich bin die Nachbarin, ich habe die Sanitäter gerufen und über den Schock in Kenntnis gesetzt. Und dann habe ich den Onkel des Patienten mit den Ausweisen hierhergebracht.“ Vero holte mit gehobener Augenbraue tief Luft. „Und jetzt sagen Sie mir bitte, was los ist.“

Ihre Ruhe war nur äußerlich, soviel war Jule klar.

„Warten Sie. Arzt kommt.“

„Wann etwa???“

„Warten!“

Vero schloss die Augen, dreht auf dem Absatz um und setzte sich zu Jule. Ja, es gab sicherlich schönere Arbeitsplätze als die Notaufnahme zur Oktoberfestzeit, aber in Sachen Dienstleistung und Kundenfreundlichkeit konnte dieses Krankenhaus wohl noch eine Menge dazulernen.

Enzo zuckte erschrocken zusammen, als das Handy, das Jule vom Gartentisch genommen und ihm die Hand gedrückt hatte, aufleuchtete, vibrierte und klingelte. Noch ein Klingeln. Enzo hielt es von sich weg. „Iste nichte meine telefonino! Gehörte Lorenzo.“ Und wieder klingelte es.

„Wer ist Stefano?“

Enzo sah Veronika verwirrt an. „Lorenzos Freund, iste hier mit ihm. Wieso?“

Auch Jule deutete jetzt auf das Display des aufgeregten Handys. „Der will was. Vielleicht gehst du mal ran … “

Die Krankenschwester sah bereits wenig erfreut zu ihnen hinüber.

„Pronto.“

Vom Gespräch verstanden Vero und Jule kaum ein Wort. Hin und wieder fielen Namen, dann das Wort Ospedale, ansonsten redete Enzo ebenso gestenreich als ob er diesem Stefano gegenüberstehen würde. Dann beendete er das Gespräch und ließ das Handy sinken. „Die habe gewartet auf Lorenzo, jetzt sie gehe ins Bierzelt ohne ihn.“ Das war ganz sinnvoll, denn so bald würde Lorenzo wohl nicht dazu stoßen können. „Sagte, eh, Stefano, keine Netz für telefonino auf die Wiesn. Iste gegange in pizzeria jetzt. Kann telefoniere da.“

„Da fällt mir ein: Enzo, ist der Lorenzo eigentlich verheiratet?“

„Wie kommst du denn jetzt darauf? – Und wieso willst du das wissen …?“ Jule hob die Augenbrauen und sah ihre Cousine streng an.

„Herrgott, Jule! Ich meine, ob wir irgendwen anrufen müssen! Um seine Familie zu benachrichtigen, dass er im Krankenhaus ist.“

„No, nicht verheiratet iste. Alle dachte, dann nichte, große Streit. Ah, povero! Iste gekomme wieder nach Bolzano zu mámma, zu nonna, nach Unfall mit Bruder und jetzte immer so viele Arbeite mit neue Job, dann daheim alleine.“ Er seufzte tief. „Aber Schwester hat trattoria bei Bahnhof, kann er essen da.“ Enzo nickte still. „Iste gut, das.“

Trattoria am Bahnhof klang zwar nicht sehr nahrhaft, aber tröstlich. In jeder Hinsicht, fand Jule.

„Oddio! Meine Bruder, meine Schwägerin! Oh, sie werde sein erschrocke, werde verfluche Enzo. Ah!“ Er war ein einziger Seufzer und versank augenblicklich in stiller Melancholie.

„Haben sie in dieser Familie so ein schlechtes Verhältnis zueinander?“, flüsterte Jule.

„Also eigentlich nicht – soviel ich weiß. Aber ich weiß, dass Enzo ein bisschen zur Dramatik neigt …“

Enzo blickte treuherzig zu ihnen hinüber. „Rufe an, später. Von daheim … “

Vero grinste. „Enzo, du willst dich drücken.“

„Nein! Habe Nummer nichte auswendig.“ Er deutete auf das Kartentelefon am Ende des Gangs. Er lächelte ein wenig stolz auf seinen Einfall, mit dem er sich drücken konnte.

„Enzo, du hast ein Handy in der Hand. Und das gehört Lorenzo. Da ist die Nummer von seinen Eltern gespeichert. Hundertprozentig.“

„Oddio! No! Wenn ich rufe an mit, eh, telefonino von Lorenzo – und iste nicht er, nur bin ich – was soll ich sage? Sie denke, iste schrecklich wieder!“

„Ja, ja“, meinte Veronika. „Meine Mutter würde auch einen Nervenzusammenbruch kriegen, wenn irgendwer mit meinem Handy aus dem Krankenhaus anrufen würde …“

„Hat er vielleicht eine Freundin? Dann können wir die anrufen.“

„Sara.“

„Sollen wir die anrufen? Ich schau mal nach der Nummer.“ Veronika griff sich das Handy. „Geburtstag?“

Enzo sah sie verwirrt an.

„Enzo, wir müssen das Handy entsperren. Die meisten Leute nehmen ihren Geburtstag als Pin. Also, Enzo: Wann hat Lorenzo Geburtstag?“

„Siebte Dezember.“

Stimmt, das hätte Jule auch noch gewusst. Seltsam, an was man sich erinnerte nach so vielen Jahren.

„Hmmm, nullsiebenzwölf oder zwölfnullsieben?“, murmelte Veronika und tippte. Und strahlte.

Jule sah ihr über die Schulter. „Oh, in den Kontakten sind drei Saras!“ rief sie. „Enzo, weißt du, wie die mit Nachnamen heißt?“

Er schüttelte bedauernd den Kopf, war sich offenbar immer noch nicht sicher, ob das so richtig war, was sie da machten.

„Wir gucken uns diese Saras jetzt mal an, dann kannst du uns sagen, wer es ist.“

Sara Vascotto war der klassische Italo-Vamp mit langen schwarzen Haaren, wissendem Blick und Ferrariroten Lippen. Ein echter Hingucker. So aus männlicher Perspektive … Absolut möglich, dass das die Freundin war.

Aber erstmal weiter. Sara Taschler hatte als Profilbild einen Buddha-Kopf mit qualmenden Räucherstäbchen. Nun ja. Aber andererseits: Keine Ahnung worauf Lorenzo so stand.

Die dritte Sara hatte keinen Nachnamen. Und sie war sehr, sehr süß. Sah zwar nicht viel älter aus als zwanzig, aber sie hielt einen Kussmund in die Kamera und sah ziemlich glücklich aus. Also sehr wahrscheinlich Lorenzos Freundin.

„Enzo, ist das die hier?“

„No!“ Er saß plötzlich wieder ganz gerade. „Non e la ragazza! No!“

Ach Gott, warum war er jetzt so aufgeregt?

„Nein, Giulia! Iste kleine Tochter von meine Bruder Piero!“

Jule überlegte kurz. „Also Lorenzos Cousine. Deswegen kein Nachname.“

„Certo!“

Na gut, die schied schon mal aus. „Welche von den anderen beiden?“

Achselzucken. „Habe nie gesehe …“

Jule rollte mit den Augen und Vero schlug vor: „Vielleicht rufst du dann mal besser doch mal Lorenzos Eltern an und die kann dann ja der Freundin Bescheid geben.“

„Weißt du was, Enzo“, beschloss Vero. „Nimm einfach mein Handy. Und die Nummer holen wir aus Lorenzos Telefonbuch.“ Sie schaltete es an und reichte es ihm hinüber.

„Dürfe das?“

„Enzo, das ist ein Notfall! Sieh nach unter M wie Mámma.“

Enzo tippte. „Fantástico! Da iste Nummer …“

„Wählen!“

Enzo erzählte einem gewissen Sergio, vermutlich seinem Bruder, wortreich, was passiert war, zuckte immer wieder mit den Achseln.

Vero ging vor lauter Langeweile und Bewegungsdrang ein paar Mal hin und her, blieb dann aber plötzlich wie angewurzelt stehen und blickte auf. Es öffnete sich wie von Zauberhand die Tür zu den Untersuchungsräumen. Heraus trat ein Arzt. Nicht etwa ganz in weiß, sondern in OP-blau. Er hielt in der linken Hand die OP-Mütze, die rechte hatte er lässig in die Hosentasche gesteckt, der Dreitagebart nur unwesentlich kürzer als die Haare. Plötzlich grinste der Arzt amüsiert und schlenderte auf Enzo zu. Ein Lichtblick: Dieses Krankenhaus beschäftigte nicht nur schlechtgelaunte Menschen!

Enzo steckte das Handy in die Tasche und fiel dem Arzt um den Hals, wurde aber sehr bald ein wenig auf Abstand gehalten, prüfend angesehen und dann zugetextet. Natürlich Italienisch. War ja auch nicht anders zu erwarten gewesen, dachte Jule. Hatte sie bis vorhin noch daran gezweifelt, ob sie vor lauter Lederhosen hier an diesem sagenumwobenen Italiener-Wochenende überhaupt irgendeinen Italiener zu Gesicht bekommen würden, so hatte sie nun mehr davon um sich herum als ihr im Moment lieb war.

Als der Arzt nun herüberschaute, nachdem Enzo mehrmals achselzuckend Unwissen gestikuliert und dann zu ihnen gezeigt hatte, besann sich auch Vero ihrer guten Erziehung und streckte die Hand zur Begrüßung aus.

„Buona sera.“ Soweit reichte ihr Pizzeria-Italienisch noch.

„Grüß Gott. Ich bin Dr. Russo. Mit mir müssen Sie nicht Italienisch sprechen, ich bin Münchner.“ Eine überflüssige Information. Schon nach wenigen Worten konnte man hören, wo er aufgewachsen war, die bayrische Herkunft konnte er nicht verleugnen. „Mein Vater und Herr Bertolini waren Arbeitskollegen, daher kennen wir uns“ erklärte er. „Und Lorenzo kenne ich auch schon lange. Gut, dass Sie ihn sofort hergebracht haben. Ich glaube, ein bisschen mehr von dem, das er gegessen hat, und der wär’ jetzt nicht mehr!“

„Oh! Der Arme, mein Gott, wie schrecklich!“ Jule war beeindruckt. Sie schlug die Hände vor den Mund und starrte den Arzt mit großen blauen Augen an. „Ach so, ich bin Juliane Baumann, guten Tag.“

Vero war schon wieder einen Schritt weiter. „Was also hm, was hat äh … Lorenzo denn hm … Giftiges gegessen? “

„Ja, das! Wenn wir’s genau wüssten! Obwohl: Es war wohl doch keine Lebensmittelvergiftung.“

„Ach nein?“, unterbrach Veronika. Auf seinen irritierten Blick hin ergänzte sie: „Ich kenne mich ein bisschen aus. Wissen Sie, ich habe mal ehrenamtlich als Tripsitter beim Roten Kreuz gearbeitet.“

Russo lächelte. „Ah, sehr gut.“ Schon waren sie Kollegen. „Also, wir haben ein Drogenscreening gemacht. Ja, und das war positiv. Das entspricht auch dem, was Sie beide den Sanitätern an Symptomen berichtet haben, also erweiterte Pupillen, erhöhte Herzfrequenz, Speichelbildung, Übelkeit und Erbrechen. Aber was er genau konsumiert hat, wissen wir noch nicht. Also nichts, was man so alle Tage findet. Deswegen soll er auch über Nacht hierbleiben.“

„Nimmt der regelmäßig was? Hat der früher mal Drogen genommen?“

Der Arzt hob unwissend die Schultern. „Soweit ich weiß nicht, aber … Enzo: Tu sai?“

„Madonna! No!“ Enzo war verzweifelt, rang die Hände, ging auf und ab.

„Äh, ja und jetzt?“, wollte Jule wissen. Im Grunde wollte sie, dass der Arzt sie wegschickte, denn der Krankenhausbesuch war ja nicht das Freitagabendprogramm, das sie sich vorgestellt hatte.

„Wir haben ihn zum Ausnüchtern in ein leeres Zimmer gebracht. Ist ja nicht lebensbedrohlich bei ihm. Gut, dass die Dosis nicht höher war und dass er ansonsten fit und gesund ist.“

„Wie nur irgendwo abgelegt? Mehr nicht?“ Jule war jetzt doch ein bisschen entrüstet. Gut, dass sie hier waren. Musste man denen eigentlich auch noch sagen, was zu tun war? „Ich meine, vielleicht hätten sie ihm mal den Magen auspumpen sollen oder sowas!“

„Nein, der hat doch schon …“ Dr. Russo sah auf das Krankenblatt.

„…gekotzt“ ergänzte Vero. „Da ist nichts mehr zu holen.“

Der Arzt lachte laut und nickte dann aber. „Also ich hätt’ das vielleicht a bisserl anders formuliert, aber in der Sache stimmt das.“

Jule blieb skeptisch, aber Dr. Russo war weiterhin sehr gelassen.

„Ich bin Internist und hier in der Klinik Ansprechpartner für das Drogendezernat der Münchner Polizei. Sie können mir da schon vertrauen.“

„Oh. Tschuldigung …“, murmelte Jule.

„Können wir zu ihm?“ fragte Vero eifrig.

„Vero!!! Du wirst doch wohl nicht …“ Jule funkelte ihre Cousine an. Das durfte doch wohl nicht wahr sein.

„Ach, keine Sorge, Juli. Ich würde nur mal gerne ganz kurz … “

Dr. Russo amüsierte sich köstlich. „Ja, ja, ich führe sie da kurz hin, dann können Sie alle sehen, dass es ihm ganz gut geht. Der hat ja keinen Horrortrip. Und eine Krankenschwester ist auch in der Nähe.“

„Andiamo sopra.“ Dr. Russo legte Enzo eine Hand auf die Schulter und ging mit ihm voran.

Vero sah Jule an, riss die Augen auf und flüsterte: „Oooh, der ist aber süß, der Onkel Doktor!“

„Unsere Omi in Wuppertal würde jetzt sagen: Määdsche, wat enne Plüschauge!“

„Na und? Plüsch kann etwas sehr schön Kuscheliges sein … “

Nun, er sah nicht schlecht aus, aber Jules Typ war er definitiv nicht. Offenbar allerdings Veros.

Während Enzo schon hineinlugte, blieb Dr. Russo vor einem Krankenzimmer stehen. „Egal, wie das jetzt da aussieht, es ist okay. Ich habe ihm meinen iPod gegeben und eine entspannte Playlist aufgerufen. Der hört Musik und randaliert hoffentlich nicht herum. Die Polizei wird später noch von ihm wissen wollen, wo er das Zeug gekauft hat. Morgen darf er nach Hause und dann kann er auch schon wieder fast alles essen. Mit dem Autofahren wäre ich bis Sonntag ein bisschen vorsichtig, weil: solange wir die Substanz nicht genau kennen, wissen wir auch nicht wie lange das Zeug wirkt. Aber Enzo kann ihn ja abholen.“

„Mit der S-Bahn, ja.“

Dr. Russo guckte skeptisch. „Wieso?“

„Enzos Auto ist in der Werkstatt.“

„Seine Kinder?“

„Alle nicht in München im Moment.“

Kaum hatte Vero geantwortet, schwante Jule Übles. Nein, nein, nein. Nicht auch noch morgen früh hierher!

„Also ich habe Dienst bis sechs, aber ich weiß nicht, was an diesem Wochenende alles auf uns zukommt. Wenn da eine Not-OP ist, dann dauert das länger. Könnten Sie wohl …“

Ja, wir könnten wohl. Ein Taxi rufen, nämlich!

Aber ein intensiver Blick aus dunklen Augen und Vero nickte willenlos. Und Jule köchelte.

„Gut, dann wollen wir mal sehen.“ Er öffnete die Tür weiter und ließ sie eintreten.

Enzo saß auf einem Stuhl direkt neben der Tür, mit Tränen in den Augen. „Arme Junge! Was ich habe gemachte! Ich musste aufpasse besser! Ah!“ Und dann ein Schwall auf Italienisch, vermutlich das gleiche noch mal mit anderen Worten. Jule folgte seinem Blick.

„Ach du Scheiße!“, entfuhr es ihr.

Dr. Russo rollte die Augen und kommentierte trocken: „Ja super, Lorenzo. Ganze Arbeit …“

Lorenzo lag nämlich nicht brav im Bett wie Jule angenommen hatte, sondern er hatte sich bis auf Boxershorts und Kopfhörer ausgezogen, seine Kleider im Raum verteilt wie ein Teenager, dazu Kissen und Decke vom Bett geräumt. Er saß nun im Schneidersitz auf dem am Boden ausgebreiteten Bettlaken und wippte im Takt irgendeiner Musik wild mit dem Kopf.

„Sieht aus wie ein Yogi in Trance“, befand Veronika.

„Oder wie auf einem fliegenden Teppich …“, schlug Jule kopfschüttelnd vor.

„Kommt dem wohl auch ziemlich nahe, wenn es das ist, was ich denke“, orakelte Dr. Russo.

„Magic-mushroom-Symptom, oder?“, fragte Vero.

Der Arzt wiegte den Kopf hin und her. Er schien mehr zu wissen als er sagen wollte. „Möglich. Sowas in der Art jedenfalls … Wir haben Blut abgenommen und die Kollegin im Labor schaut sich das gerade genauer an.“

„Mal ganz ehrlich“, murmelte Jule. „Dieses hyperaktive Gehampel und das Gerenne vorhin, das ist doch typisch Lorenzo. Dafür braucht der doch keine Drogen …“

Sie bemerkte ein amüsiertes Zucken um Dr. Russos Mund. Er war sichtlich bemüht, sich nichts anmerken zu lassen und studierte eingehend das Krankenblatt, das er selbst mitgebracht hatte. Dann richtete er sich auf, legte Jule die Hand auf den Arm und sagte lächelnd: „Keine Sorge, er wird ja wieder! Morgen in der Früh, wenn Sie ihn abholen, ist er wieder ganz der Alte und“, er grinste, „dann sind die Pupillen immer noch so schön groß und schwarz …“

Jule war verwirrt. Was sollte das jetzt?

„Juli, das ist die Wirkung von dem Zeugs, das der geschluckt hat. Pupillenerweiterung, das hält sich ein bisschen. Kann übrigens ziemlich attraktiv aussehen!“

Immer noch lächelnd wandte sie sich wieder Dr. Plüschauge zu: „So ein Wochenenddienst zur Wiesn-Zeit ist ja nicht besonders lustig. Hat man da noch Lust, selbst hinzugehen und ein Bier zu trinken?“.

„Ach, das macht mir nichts aus, ich war schon auf der Wiesn dieses Jahr und wenn ich jetzt noch zwei Nächte Dienst mache, muss ich an Weihnachten nicht ran.“

„Oh, morgen auch noch mal! Sie Ärmster!“ Vero zerfloss ja förmlich!

Und Jule ergänzte im Geiste: Ich Ärmste, ich arme Veronika kann Sie morgen früh gar nicht wiedersehen … Was machen wir denn da?

Italiener-Wochenende

Подняться наверх