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Verlässliche Wörter

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Eisenbahn, Ginster, Milch, Holz, Kohle, Suppe, Marmelade, Pfote – einige Worte, die ich persönlich als sehr verlässlich empfinde. Leider erweisen sie sich bei längerem Betrachten oder Anhören schon als wesentlich unzuverlässiger. »Milch« zum Beispiel, ein geradezu unheimlich bläuliches Schimmern. Nur »Marmelade« hält etwas länger stand, wird dann aber vollends unbegreiflich.

Mit einem kurzen Satz hat Alexander Kluge viel zu diesem Phänomen gesagt: »Je näher man ein Wort ansieht, desto ferner schaut es zurück.« Er bezog es, in seinem Film und Buch »Die Patriotin« von 1979, zeitgemäß auf das Wort »Deutschland«. In politischen und historischen Zusammenhängen ist ohnehin Skepsis geboten, was den Unterschied zwischen einem Wort und seiner Bedeutung angeht. Je weniger Demokratie, desto verschleierter sind die Begriffe. Bei uns haben sich allerhand Euphemismen für eher unangenehme Tatsachen eingebürgert. »Freisetzen« oder »entsorgen«, zum Beispiel, hießen früher noch »entlassen« und »wegwerfen«.

Wie ist das aber in der Literatur? In der Literatur ist es das Schöne, dass den Worten eine Bedeutung gegeben wird. Niemand behauptet, die Wahrheit zu kennen oder zu verkünden. Tut er es doch, dürfen Sie sicher sein, dass es keine Literatur ist!

Die Kunst hat den Vorzug, Wahrheit zu suchen, aber nicht finden zu müssen. Aufgeklärte Forschung – ob nun Natur- oder Geisteswissenschaft – wird sich allerdings mit der gleichen Haltung präsentieren. Der Dozent für Logik und Mathematik und Gelegenheitsautor Charles Lutwidge Dodgson alias Lewis Carroll schickte schon 1865 seine Alice ins Wunderland, um sie einen Blick auf die Realitäten der Macht und der Möglichkeiten werfen zu lassen. Als sie auf Humpty-Dumpty trifft, erklärt dieser ihr genau, wie man Wörter in den Griff bekommt und wie man sie am besten kurz hält, damit sie spuren: durch äußert dürftige und sporadische Bezahlung nämlich. Als Alice entsetzt fragt: »Aber man kann doch Wörter nicht einfach etwas anderes heißen lassen?« entgegnet er selbstgefällig: »Es kommt nur darauf an, wer die Macht hat.« Verben seien allerdings die Widerspenstigsten. Leider kippt er dann von der Mauer, und wie wir wissen, können ihm weder des Königs Pferde, noch des Königs Männer wieder aufhelfen.

Auch Bernd Lichtenberg, der Drehbuchautor von »Good Bye, Lenin«, fragt sich am Schluss seines Buches »Eine von vielen Möglichkeiten, dem Tiger ins Auge zu sehen«, ob einer, der sagt, den Gesang eines Vogels gehört zu haben, nicht vielleicht eine Schiffssirene gehört hat, die er Vogel nennt, »nachts, wenn das Fernweh allen Wörtern ihre scheinbare Verlässlichkeit raubt.«

Gibt es also verlässliche Wörter? Nein.

Außer Eisenbahn, Ginster, Milch, Holz, Kohle, Suppe, Marmelade und Pfote natürlich.

2005

Hasenrein eingemiezelt

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