Читать книгу Hasenrein eingemiezelt - Kathrin Dittmer - Страница 6
Leichte Beute
ОглавлениеNeulich habe ich sie gesehen. Ganz früh in der Dämmerung. Leicht geduckt schnürte sie auf die Ligusterhecke zu, die Amsel fest im Maul. Von mir nahm sie kaum Notiz, nur die leicht zurückgelegten Ohren deuteten Unwillen an.
Wir waren beide auf dem Heimweg, die Katze und ich. Beute hatte ich nicht gemacht, es sei denn eine monatliche Gehaltsüberweisung kann als solche gelten. Und wesentlich müder als die Mieze war ich gewiss. Akkumulative Prozesse können belastend sein, egal, was man anhäuft. Ich schichte Müdigkeit. Die sedimentiert an mir zu einem kalkigen Gebilde, das ich als mein verschwommenes Selbst herumschleppe.
Neulich, in einer Besprechung, saß ein netter junger Mann neben mir. Er war windgezaust und vergnügt, weil man zwei wenig effektive Stunden erwarten durfte. Ich gestand, dass es mir genauso ginge. Früher hatten mich langwierige Besprechungen unruhig gemacht, heute nehme ich alles dankbar hin, wenn es nur eine gewisse Einförmigkeit birgt. Es wirkt – so stellten wir beide fest – nicht nur ein permanentes Kommunikationsgewitter auf uns ein, ein Artilleriefeuer der Zurufe, sondern irrerweise sind wir diesem Beschuss bereits vollständig erlegen. Und müssten doch eigentlich tot sein. Und sind es aber nicht, sondern werden nur schon etwas durchsichtig an den Rändern.
Aus Notwehr stellen sich manche jedoch tot. Aber das ist auch keine Lösung. Damit lässt man sich alles nehmen. Denn die gefährliche Spezies, die unnachgiebigen Knechte der Zeitzerhackung, tritt immer noch fest auf und schwingt gern mal die Peitsche. Es ist »Die Frau, die alles im Griff hat«. Am Früstückstisch, ihr gegenüber, sitzt ihr Gefährte, »Der Mann, der nicht versteht, wo das Problem liegt«. Diese Spezies ist nicht direkt extraterrestrisch, aber immer konsequent auf dem falschen Dampfer, hat die lieben langen 24 Stunden des Tags im Plan, zu allem eine Meinung und hinkt jeder Entwicklung zwei Jahre hinterher. Wir verdanken ihr den Börsengang der Bahn, die Wiedereinführung der Fünzig-Stundenwoche ohne Lohnausgleich, Tablettenmissbrauch, die Tütensuppe und Gehwegplatten zwischen den Miniazaleen auf Omas Grab. Vielleicht auch Atomkraft und Gürtelrose.
Aber die Herrschaft der Zeithacker wird nicht ewig dauern. Die Natur wird überwuchern, was wir ihr entwunden haben und alles entschleunigen. Wir müssen uns einfach nur sehr, sehr langsam bewegen. Viel gähnen und Gedichte lesen. Auswendig lernen. Horchen. Nichts tun. Das wirkt energetisch zurück. Bis Nebel aufsteigt und das Gewitter verklingt. Der frühe Vogel endet im Maul der späten Jägerin. Ungerührt zwitschern die Rotkehlchen.
2012