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Wunschlos glücklich

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Zufriedenheit ist ein hohes Gut, aber irgendwie hat sie auch etwas Selbstgefälliges. Vor allem, wenn man von einfältigen Pulswärmerträgerinnen mit Kalendersprüchen zu Bescheidenheit angehalten wird. Ist es denn wirklich eine Perle fernöstlicher Weisheit, dass man ohne Schuhe im Schnee froh sein soll, dass man noch seine Füße hat? Zumal es dann bis zum Abfrieren ja nicht mehr lang hin sein kann.

Nun ist in unseren Breitengraden echter Mangel tatsächlich kein Massenphänomen. Vielmehr kranken wir am Überfluss. Das ist schon irgendwie beschämend und manchmal rufe ich mir selbst am frühen Morgen zu: »Meine Probleme möchte ich haben!«, wenn ich antriebslos hinter einem halben Liter echtem Bohnenkaffee über irgendeines grüble.

Was es aber sehr wohl mitten im Überfluss gibt, ist das Gefühl, irgendwann mal falsch abgebogen zu sein und festzustecken. So gings mir neulich auch. Und als mir auffiel, dass ich im Alltag den Schlangen und Eisenbahnen gleich sogar buchstäblich stets dieselben Wege nehme, nahm ich einfach mal eine andere Abzweigung.

Während ich so durch die Gegend stromerte, kam ich an einer Fleischerei vorbei. Mitten im Schaufenster prangte ein Plakat, das für eine Aufführung von Brahms Requiem warb. Nun entbehrt es nicht der Komik, wenn man mit toten Tieren handelt und im Schaufenster prominent auf den Weg allen Fleisches hinweist, aber ich dachte, man müsse sich vielleicht doch Sorgen machen. Zumindest scheint mir die Ankündigung eines Totenamts zwischen Nackensteak und Mettwürsten recht provokativ. Leidet der Metzger mit der dahingeschlachteten Kreatur oder doch eher um seiner selbst willen? Heißt es nicht bei Brahms auch: »Denn alles Fleisch es ist wie Gras«? Was will der Mann uns damit sagen? Ist er im Herzen Vegetarier oder heißt das Motto »Schwein oder Mais – alles Wurscht!«?

Aber Kurzschlüsse sind gar nicht und Umkehrschlüsse nicht immer erlaubt. Und Glück ist wie Unglück wohl oft Interpretationssache. So wie bei den Zettelchen, die in Glückskeksen oder Losen stecken. Aber der Spruch »Sie brauchen sich über Ihre Zukunft keine Gedanken zu machen.« kann doch sehr wohl als zweideutig gelten! Dennoch hat eine Frau es mir auf einer Party mal sehr übel genommen, als ich ihre Freude über ihr »Los« dämpfte, und mir meine Logik als Übelwollen ausgelegt.

Dabei hatte ich nur darauf hinweisen wollen, dass Wünschen eine hohe Kunst ist, denn die Götter (oder wer immer sich da zuständig fühlt) sind noch selbstbezogener als Pulswärmerträgerinnen. Daher ist es gut, dass nicht all unsere Wünsche in Erfüllung gehen. Als Kind wünschte ich mir nämlich nichts sehnlicher, als dass mir ein Fell wüchse und ich außerdem nie wieder zum Zahnarzt müsse. Und ich wollte unbedingt, dass meine Oma immer bei mir bliebe. Wie ich die beinharten Wunscherfüller kenne, die teilnahmslos über uns grasen, wäre ich demnach einen frühen Tod gestorben und hätte zuvor behaart und zahnlos ein elendes Leben außerhalb der menschlicher Gesellschaft – womöglich allein mit Oma in einer Höhle – gefristet.

Davor hatte ich ja nur warnen wollen, aber die Frau war sehr böse mit mir. Übrigens trug sie selbstgefilzte Pulswärmer und hat mir das letzte Bockwürstchen weggeschnappt. Es gibt eben Konsumphänomene, die sind nur schwer zu knacken.

2014

Hasenrein eingemiezelt

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