Читать книгу Noir & Blanc - Kathrin Sereße - Страница 5

3. Kapitel

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Noir & Blanc, dies war der Name jener Buchhandlung im Herzen von Montmartre, die mich fortan einstellte. Auf diese Weise, denn sie lag ein paar Stationen mit der Metro vom Quartier Latin entfernt, fuhr ich tagtäglich durch Paris, und so erlebte ich auf jeder Fahrt mehr und mehr von der Stadt. Der künstlerisch-dörfliche Flair Montmartres faszinierte mich, ich staunte über die vergangene Ästhetik, die das Viertel präsentierte. –

Die Buchhandlung war anders, sie war anders als Paris, sie war die ehrwürdige Stätte großer Werke, wahre Literatur bot die Inhaberin, Madame Blanc, den Kunden feil. Die Klientel war gut betucht und kam nicht zufällig vorbei, man schlenderte nicht ohne Grund durch die strahlend geputzte Glastür.

„Buchhändler ist kein Beruf wie jeder andere“, belehrte Madame Blanc, „es ist vielmehr eine Berufung, denn wir tragen mehr Verantwortung, als man allgemein denkt. Die wenigsten von uns begreifen das! Ich aber bin der Ansicht, dass wir wahres Schriftgut konservieren sollten, auf dass niemand versucht wird, es zu vergessen.“

Das Gebäude war verwinkelt und recht dunkel ob der Bücher, die sich vom Boden bis in die höchsten Höhen stapelten. Man roch sie auch, sobald man eintrat, alte Tinte und die Worte und das Wissen, und alles besaß eine penible Ordnung, die Madame Blanc festlegte und ständig pflegte. Sie sortierte Folianten, eilte dann durch den Raum, sie einzuordnen, und ich suchte nach den altbekannten Titeln jener Klassiker, die mir von klein auf bereits vertraut waren.

„Viele meinen, dass sie Buchhändler sind – doch sie sind es nicht! Dem Anschein nach, dem Titel, aber in Wahrheit kann nicht einer von ihnen wahre Dichtkunst von Banalitäten unterscheiden! Es liegt daran, dass keiner sie leiden kann in diesen Zeiten, man bevorzugt hohles Zeug, das leicht verdaulich ist, und jene Buchhändler, sie wissen wohl, dass nur auf diese Weise Geld zu machen ist, als ginge es beim Buchhandel nur um Profit! So ist es nicht, sage ich Ihnen.“

„Meine Meinung ist sehr ähnlich, aber glauben Sie nicht auch, dass Bücher stark genug sind, mit der Zeit zu gehen? Wessen Geschmack hat den Vorrang, der der Kunden oder Ihrer? – Erlauben Sie mir die Frage, wie wird man ein wahrer Buchhändler, der dennoch Freunde hat in dieser Welt?“

Sie sah mich an. „Das Buchhändlersein kenne ich. Es fängt mit konsequenter Disziplin an und endet mit solcher, Sie dürfen Ziel und Anfang dabei nicht vergessen, Sie müssen alles beherrschen, jede Quintessenz und Logik, doch ist dies nicht möglich ohne Leidenschaft. Wir schulden unseren Kunden starke Kompetenz, die es verhindert, dass man ihnen falsche Lehre unterjubelt. Vertrauen ist stets endlich; wir müssen es wertschätzen und sicher bewahren, nicht zuletzt dadurch, dass auch wir schlechten Büchern nicht verfallen.“

„Ob wir uns einigen würden, Sie und ich, was schlecht ist, was nicht?“

„Ich kann darin keine Schwierigkeit erkennen, denn die Ehrfurcht vor den Büchern sehe ich bereits in Ihnen, und Sie ahnen, was sie bergen und was sie von uns erfordern.“

„Ich habe mich zu der Ausbildung entschieden. Nun bin ich bereit, Madame.“ –

Sie war ein Individuum, so manchen Welten fern und anderen auf Herzlichste verbunden, und ich konnte von ihr lernen, weiter lernen, und ich wusste, dass ich nicht alleine war. – Sie lebte mit der Tochter in der Wohnung über dem Geschäft, und von mir wollte sie nicht viel mehr als nur meinen Namen erfahren, und dann, was ich bereits las und was mir unverständlich blieb. Als ich Madame Blanc kennenlernte, sah ich, dass es Menschen gab, die unaustauschbar waren, deren Wesen ihre Umwelt deutlich prägte. Für sie war die Arbeit weder Pflicht noch Job, es war ihr Leben und der Traum, für den sie lebte. Meine Hochachtung gebührte ihr deshalb, aber ich fürchtete bisweilen, dass ihrer Art von Buchhandlung ein Martyrium bevorstand.

Aber noch gab sie nicht auf: „Wir brauchen gute Unterstützung, unsere Mission ist groß, Paris ist größer. Wir sind sehr froh, dass Sie hier sind, Mademoiselle.“

Gleich am ersten Tag gab sie mir eine Liste mit den Büchern, die sie mich zu lesen wünschte, sie war voller Zuversicht und guter Hoffnung, gleichwohl fürchtete ich leise, dass mein Wissen ihrem Anspruch nicht genüge. –

„Seien Sie nur aufmerksam“, sagte sie mir, „und Sie werden überleben.“

Buchhandlungen waren für mich Orte von tiefster Schönheit und die Orte größten Schreckens gleichsam, denn sie bargen Sehnsüchte und Ängste, Kraft und Offenbarung meiner selbst, Antworten, Fragen und auch Rätsel, die wir niemals lösen würden. Ein jeder Mensch sollte lesen, dachte ich manchmal wehmütig, ganz besonders jene Menschen, die es pflegten, einen weiten Bogen um jeglichen Text zu machen. Gerade diese würden eines Tages hart von ihrer Wahrheit eingeholt, glaubte ich fest. Es war beängstigend und unbegreiflich, dass es Bücher in unsrer Welt gab, welch Wagnis, welch Geschenk, all die mächtigen Worte voller Wahrheit! – Sie waren keine Fiktionen aus einer antiken Zeit, sondern von einer Bedeutung, die in mir Ehrfurcht und Aufregung erweckte. Wer wollte dies nicht ermessen, es nicht sehen, dieses Wunder!

„Wir sind Hüter“, sagte Madame Blanc, „diejenigen, die andere mit der Begeisterung anstecken müssen. Die Erkenntnis können wir ihnen nicht schenken, doch den Weg hin zu ihr ebnen. Fehler und Nachlässigkeit sind unter uns wohl kaum zu dulden, denn wir formen unter anderem Gedächtnis und Esprit dieser Gesellschaft.“

Ihre Worte sorgsam prüfend hielt ich sie auf dem Nachhauseweg für wahr; tatsächlich las man selten etwas, das so prägte wie ein Stück Literatur, zweifellos war nichts auf der Welt, zu dem die Bücher keine Weisheit darboten. Die Zeit verging und nur die Bücher konnten in dem, was geschah, Fäden erkennen, nicht die temporären Zeilen, die man auf den Blättern an den Zeitungsbuden der Boulevards ersteigern konnte. Was der kleine Mensch, wie ich es einer war, auch denken mochte, sobald er es niederschrieb wurde es das: ein Buch, das wiederum von anderen gelesen werden konnte, die daraufhin eigene Worte verfassten und begriffen, nach denen sie die Welt neu gestalteten. Jawohl, sie waren von Bedeutung, diese Bücher, Einzelner und auch Gesellschaft wurden fest durch ihren Einfluss! Sie wog schwer auf meinen Schultern, die Verantwortung, denn letztlich waren wir es, die Buchhändler, die nun Schuld waren am Unglück einer Tat, der das falsche Werk zu falscher Zeit zugrunde liegen mochte. Das mochte man so behaupten! – Aber ich war überzeugt, dass ohne das helfende Handeln der Buchhändler sich die Unglücke noch mehrten. –

„Wie wenig verstehen wir, sodass die falschen Dinge oft unterschätzt werden“, sagte ich. Mir gegenüber saß die als solche bezeichnete Freundin von Bradford Seamon und ich zweifelte, ob ihre Gegenwart ihn glücklich oder auch nur nicht unglücklich machte. –

„Könnten Sie das noch erläutern?“, fragte sie.

„Buchhändler! – Viele unterschätzen den Beruf.“

Das Essen schien ihr wichtiger. „Und wenn ich nun einfach nicht lese?“, meinte sie.

„So würden Sie bald überhaupt nichts mehr verstehen, denn wie vieles gründet sich auf das Geschriebene, ohne dass man dies merkt.“

„Meinen Sie nicht die Schriftsteller, Bleuenn, als solche, die die Welt beeinflussen?“, warf Juliette ein.

„Es scheint mir logischer“, sagte auch Lance Leprince und sah mich an. „Sie haben uns so fest im Griff ihrer Gedanken und auch Fähigkeiten, denkt doch nur, dass eine Gesellschaft nie klüger sein wird als diejenigen, die schreiben und das Privileg genießen, ihre Tage mit dem Denken und dem Abwägen zu leben, die sich nicht gehindert sehen von Beschränktheiten des Alltags. Sie bestimmen unser Schicksal, welche Macht! Denn Bücher bleiben ewiglich, viel länger als die einflusslosen Gedanken des einzelnen, den man niemals hineinlässt in die Welt der Schreibenden, er ist zu laienhaft, zu uninteressant und nicht gemacht für diese Herrschaft! – Doch ich glaube, dass die Macht der Schriftsteller letztendlich nur erfunden ist, ein Privileg vielleicht, aber was schaffen sie in ihrer irren Weltfremdheit? Nur Fiktionales, das die Wahrheit niemals kennt und das dem Bürger gar nichts bringt, höchstens Amüsement, kein Geld und keine Nahrung, unbrauchbar! Und wer weiß denn, was mit der Literatur fünfzig, hundert Jahre später noch geschehen mag, wer ahnt denn, welche Einflüsse sie dann entfaltet? Vieles wurde zur Gefahr, ohne dass der Verfasser dies erahnen konnte. Doch bleibt man stetig dabei, die alten Werke zu bewahren, immer wieder, dabei nützen sie uns nichts. Ein arg beschränkter Aberglaube, sage ich.“

„Was schlagen Sie daraufhin vor? Sollte man besser gar nicht schreiben oder lesen, alle Bücher rasch und konsequent verbrennen, nur da Sie, Monsieur Leprince, der Meinung sind, sie würden lügen? Was ist mit all jenen positiven Einflussnahmen und Bequemlichkeiten, die sie täglich unabdingbar ausüben?“

„Zwar haben wir es uns, das Lesen und das Schreiben, angewöhnt und die Abhängigkeit wächst weiter, doch ist sie nicht absolut. Noch ist die Zeit, um umzukehren, und es würde Kriege sparen und auch Menschenleben retten, Mademoiselle.“

„So spricht nur einer, der davon nicht viel versteht, verzeihen Sie.“

„Man lasse jedem seine Meinung“, warf Bradfords Freundin nun ein, „der Friede ist viel wichtiger als das Rechthaben und man glaube mir, es sind letztlich nur Bücher.“

„Und Sie schreiben selbst, Bleuenn?“, bemerkte Lance.

„Voll Überzeugung“, sagte ich. –

„Meinen Respekt“, meinte Juliette, „ich selbst besitze nicht genügend Phantasie, um lange Texte zu verfassen, und auch keine Zeit dafür.“

„Zeit kann man durchaus investieren und es sei Ihnen gesagt, dass Phantasie mit Schreiben schlichtweg nichts zu tun hat, wenn der Schriftsteller ein solcher wahrhaft ist.“

„Ich habe viel gelesen, dessen Ursprung weder Phantasie noch sonst etwas zu sein schien, sondern reine Unzulänglichkeit des armen menschlichen Verstandes“, sagte Lance, „und so ließ ich es fortan ganz bleiben.“

„Sie sind wohl an schlechte Buchhändler geraten!“

Bradford hob den Blick. „Buchhandlungen sind für mich angenehm, ob nun ich lese oder nicht. Es scheint mir stets ermutigend, sie aufzusuchen, durchzuatmen und zu wissen, dass ich nicht alleine bin.“

„Das bist du nicht“, sagte die Freundin und sie kicherte ihm zu, und ich bemühte mich, sie nicht zu verurteilen, alle beide. –

„Sie verblenden uns, die Bücher“, sagte Lance, „und wir lassen uns so gern von ihnen blenden. Das ist nicht einmal ein Vorwurf, nur wünsche ich mir von Herzen, dass dieser Fakt anerkannt wird.“

Er sagte es, wie auch sein Name lautete: Leprince. So klang es, doch das war es nicht, denn er missachtete ein jedes Argument, das ich ihm gab, aus Furcht, es könnte ihn besiegen, und so fragte ich mich, wessen Sohn er war, von welchem König und was er regieren mochte. –

Er wusste dennoch, dass ich schrieb, da ich ihm so begegnet war, an meinem ersten Tag bereits in dieser Stadt, auf dem Trottoir mit einer Kladde in der Hand und einem Stift, schreibend und gleichzeitig beobachtend, die Menschen, Häuser, Tiere, was es sonst noch gab, gebückt, mein Bein als eine Unterlage nutzend.

„Verzeihen Sie die Empfehlung des Cafés gleich um die Ecke“, sagte er leise von hinten, und erschrocken fuhr ich auf. Beobachtend hatte ich ihn nicht kommen sehen. „Wenn man dort sitzt und hinausschaut, sieht man alles auf der Straße, und Sie bräuchten nicht fürchten, dass ein nachdenkender Mann in Sie hineinläuft.“

„Vielen Dank für diesen Hinweis, doch wage ich zu bemerken, dass die Angst viel mehr die Ihre war, Monsieur.“

„Das könnte wahr sein.“ Er betrachtete mich länger. „Nun, ich lüde Sie gern ein, doch meine Zeit erlaubt es nicht.“

„So sind Sie nicht Herr Ihrer Zeit? – Man kann viel sehen in Paris, ich bräuchte Stunden im Café.“

„Jedoch ist sehen noch nicht alles, Mademoiselle, viel wichtiger ist, was man denkt.“ Mit einem Lächeln schob er sich die Mütze tiefer ins Gesicht. „Ich wünsche Ihnen einen interessanten Tag.“

Es war so feige, dachte ich, die Welt nur durch die Fenster des Cafés zu sehen, denn wie anders war es, im Gestank und im Gebrüll der Avenuen zu stehen und zu spüren, dass man da war, dass Paris einen umgab und dann zu merken, dass der Stift nicht hinterherkam zu notieren, was man blickte und begriff. – Fensterläden, von den vielen Schuhen glatt geschabtes Pflaster, Blumenkübel, deren Pflanzen fast wie tot im Winde hingen, dann der Herr, der auf der Leiter stehend Straßenschilder putzte, und die Dame, die zwei Zigaretten gleichzeitig ansteckte, jenes Mädchen, das die Blätterhaufen freudig in die Luft warf, die nur zwei Minuten vorher mühsam gekehrt worden waren, und viel mehr Menschen und Dinge, die mir fremd und gleichermaßen vertraut waren. Meinem Bruder schrieb ich, wie Paris so aussah, und sofort war er begeistert, sagte mir, ich solle grüßen, doch war mir dies nimmer möglich, denn sie kehrten niemals wieder, sie verloren sich in jenen weit verzweigten Labyrinthen von Paris. –

Nur Lance Leprince kehrte zurück.

Noir & Blanc

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