Читать книгу Bis zum letzten Atemzug - Katica Fischer - Страница 4
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ОглавлениеIn Gedanken versunken ging Tim die Straße entlang. Doch mit einem Mal fühlte er sich verfolgt, sodass er schnell über die Schulter zurücksah, um zu prüfen, wer oder was ihm da hinterherlief.
„Na du kleiner Streber.“ Tobi war nur noch ein paar Schritte entfernt, holte aber beständig auf. „Hast ja wieder mal ’nen tollen Auftritt gehabt.“
Der Gerufene indes dachte nicht im Traum daran, stehenzubleiben, um auf seinen Klassenkameraden zu warten. Ganz im Gegenteil wurde er jetzt immer schneller, sodass sich der Abstand zwischen ihnen wieder ein bisschen vergrößerte. Dabei bedauerte er, dass er sich nicht wie gewohnt versteckt hatte, bis sein Erzfeind an ihm vorbei war, was ihm die nun bevorstehende Auseinandersetzung erspart hätte. Sein Verfolger war genauso alt wie er selbst. Aber er war um eine gute Kopflänge größer. Außerdem schien Tobi wieder einmal ziemlich scharf darauf zu sein, seine Fäuste fliegen zu lassen. Der Grund dafür war diesmal das Ergebnis der Deutscharbeit, welches kurz vor Schulschluss von ihrer Klassenlehrerin bekannt gegeben wurde. Na ja, der Vergleich zwischen dem besten und dem schlechtesten Schüler hatte beim Rest der Klasse nicht nur Schadenfreude, sondern auch hämisches Lachen hervorgerufen, obwohl dies ganz sicher nicht die Absicht von Frau Dietrich gewesen war. Und Tobi, das großmäulige Mitglied einer schlagfreudigen Bande von Schulversagern, hatte dies als weitere Beleidigung aufgefasst, was seine Wut nur noch angestachelt hatte. Es lag also auf der Hand, dass er sich für die angebliche Erniedrigung rächen wollte. Das Problem war nur, dass er selbst so gar keine Lust darauf verspürte, als Box-Sack herzuhalten, damit sich der andere wieder besser fühlen konnte.
„He, Streber! Bleib endlich stehen“, schrie Tobi. „Du kannst mir eh nicht davonlaufen! Ich krieg dich ja doch!“
Obwohl Tim wusste, dass es im Grunde wirklich keine Chance für ihn gab, ungeschoren davonzukommen, begann er dennoch zu rennen. Der vollgepackte Schul-Rucksack auf seinem Rücken hüpfte dabei im Rhythmus seiner Schritte auf und ab, wobei er jedes Mal schmerzhaft in sein Kreuz schlug. Schon konnte er die Straßenecke sehen, an welcher er die Autowerkstatt wusste, in die er sich notfalls retten und hinter einem der Wagen verstecken konnte. Nur noch ein paar Schritte, dann wäre er in Sicherheit!
Japsend vor Anstrengung rannte der Verfolgte den Bürgersteig entlang. Doch dann tauchte in einiger Entfernung eine Hürde auf, die ihn zunächst ratlos machte, weil er nicht auf Anhieb wusste, wie er sie am besten meistern sollte.
Der Besitzer eines kleinen Schreibwarenladens hatte am Vormittag direkt neben seinem Ladeneingang mehrere Stapel alter Kartons für die Müllabfuhr bereitgestellt. Unglücklicherweise nahmen diese Abfallpakete fast die gesamte Breite des Trottoirs ein, sodass kaum noch Platz für die Fußgänger blieb. Man konnte zwar auf die Fahrbahn ausweichen, um das Hindernis zu umgehen, doch war das nicht ungefährlich, denn dort herrschte reger Verkehr.
Tim versuchte trotz seiner Eile auf dem Fußweg zu bleiben und den aufeinandergestapelten Kartons so gut es ging auszuweichen. Er war schon fast vorbei, da kam er doch noch ins Stolpern und fiel der Länge nach hin. Gleich darauf fühlte er sich gepackt und wieder auf die Füße gezerrt.
„Ich hab’ dir doch gesagt, du kannst mir nicht abhauen“, keuchte Tobi, während er seinen Gegner wie einen alten Mehlsack zu schütteln begann. „Jetzt kannst du was erleben, du Pfeife! Nur weil du nicht auf mich gewartet hast, hab’ ich meine Tasche in den Dreck schmeißen müssen!“ Mit einer Faust mehrmals gegen Tims Unterarme boxend, mit welchen dieser seinen Kopf schützen wollte, hielt er ihn mit der anderen Hand weiterhin am Schultergurt seines Rucksacks fest. „Du wirst jetzt gefälligst mitkommen und meine Tasche sauber machen. Und danach machst du meine Aufgaben. Hast du mich verstanden? Erst wenn du das gemacht hast, lass ich dich vielleicht zu Mami nach Hause gehen.“
Tims abwehrende Armhaltung konnte nicht verhindern, dass ihn der nächste Faustschlag schmerzhaft am Kinn traf. Und nur einen Augenblick später blieb ihm buchstäblich die Luft weg, weil man ihn mit aller Kraft in den Magen boxte. Also schlang er seine Arme um seine Mitte und krümmte sich vor Schmerz. Doch damit gab er den Schutz seines Kopfes auf, was umgehend ausgenutzt wurde. Tränen des Zorns und der Hilflosigkeit trübten seinen Blick. Dennoch traute er sich nicht, irgendeine Gegenwehr zu zeigen, aus Angst, sein Widersacher könnte dann noch brutaler werden.
Der Misshandelte meinte schon, sein Peiniger wolle gar nicht mehr aufhören, da wurde er plötzlich losgelassen. Für ein oder zwei Sekunden unschlüssig, ob er es wagen könne, den Kopf zu heben, stellte er sich dann doch gerade hin, um sich verwundert umzuschauen. Allerdings schien ihm das, was er nun zu sehen bekam, so unwirklich, dass er zunächst glaubte, es handele sich um einen Traum oder eine Wunschfantasie. Hatte Tobi bis eben noch ihn festgehalten und geboxt, wurde er nun selbst am Kragen gehalten und wie ein junger, ungehorsamer Hund durchgeschüttelt. Woher der Mann in der schwarzen Jeans und dem hellblauen Polohemd gekommen war, konnte er nicht nachvollziehen. Aber er war höchst dankbar dafür, dass der jetzt den aggressiven Schläger in der Mangel hatte!
„Elender Feigling!“ Der Unbekannte ließ das Schütteln endlich sein. Stattdessen stellte er den offenkundig zutiefst schockierten Jungen so vor sich hin, dass er ihm in die Augen sehen konnte. „Legst dich mit Schwächeren an, weil du dich nicht an deinesgleichen herantraust, ja? Wie armselig!“ Er hob einen Arm, ganz so, als wolle er zu einer Ohrfeige ausholen. Aber er griff sich bloß das linke Ohr seines Gegenübers und zog einmal kurz daran. „Hau bloß ab, du blöde Arschgeige“, schimpfte er. „Und komm ja nicht noch mal auf die Idee, meinen Freund anzufassen. Haben wir uns verstanden?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte er den immer noch vor Schreck ganz starren Tobi grob an dessen Schulter herum und schubste ihn weg. „Mach schon“, befahl er im strengen Tonfall. „Hau endlich ab!“
Tim sah seinen gefürchteten Erzfeind flüchten, so als wäre eine ganze Horde wilder Affen hinter ihm her, und hätte am liebsten gelacht. Doch die aufgerissene Unterlippe machte dies völlig unmöglich. Also musterte er seinen Retter mit einem vorsichtigen Grinsen. Doch nicht so groß, wie er zuerst gedacht hatte, stellte er überrascht fest. Aber das war nicht weiter wichtig. Immerhin war er ja stark genug gewesen, um den Schläger wegzujagen! Er hatte rotblonde Haare und blaue Augen. Und seine Nase sah ein bisschen schief aus. Na ja, vielleicht hatte er ja auch mal gegen einen Tobi kämpfen müssen und sich dabei den Riechkolben verbogen!
„D… Danke“, brachte er endlich heraus.
„Was wollte der denn von dir?“, fragte der Fremde, indem er sich die Hände an seiner Jeans abrieb, so als wären sie schmutzig oder feucht.
„Weiß nich’“, erwiderte der Gefragte mit einem scheinbar gleichmütigen Schulterzucken. „Vielleicht nur seinen Spaß haben. Macht der öfter. Nur so aus Jux.“
„Und du wehrst dich nicht?“, wunderte sich sein Retter.
„Nö“, entgegnete Tim. „Hat keinen Sinn. Wenn ich es täte, würde es wahrscheinlich noch viel schlimmer werden.“
„Hast du denn keine Freunde, die dir helfen könnten?“, fragte sein Gegenüber.
„Nö.“ Tim fühlte, wie sich sein Magen zusammenzog, und hoffte insgeheim, dass man ihm nicht ansah, wie sehr er darunter litt, dass man ihn wie einen Aussätzigen behandelte. Tobi war nur einer von vielen, die ihn nicht leiden konnten! „Die wollen alle nichts mit mir zu tun haben.“ Bewusst eine gelangweilt-gleichgültige Miene zur Schau tragend, versuchte er erneut, ein Grinsen zustande zu bringen. „Sie können nicht verstehen, warum ich bei ihren albernen Streichen nicht mitmachen will. Aber das ist alles blöder Kinderkram, verstehen Sie. Außerdem mag ich auch gar nicht zu ihnen gehören. Ich bin gern allein.“ Eine Lüge, ja. Aber das musste der Fremde ja nicht wissen!
„Was dagegen, wenn ich dein Freund werde?“ Der Mann streckte die Hand aus. „Ich bin Eddy. Und wie heißt du?“
„Nein, ich … Tim. Mein Name ist Tim.“ Er zögerte kurz, bevor er die Hand seines Gegenübers ergriff, um sie kurz zu drücken. „Alle nennen mich bloß Tim“, fügte er erklärend hinzu. „Aber eigentlich heiße ich Tillmann.“
„In Ordnung, Tim.“ Eddy grinste befriedigt, denn er fühlte sich äußerst wohl in seiner Haut. Er wusste genau, wie es in dem Jungen aussah. Schließlich hatte er während seiner Grundschulzeit ähnliche Erfahrungen machen müssen, wie sein schmächtiger Schützling heute. Und die Tatsache, dass er nun wie ein unbesiegbarer Held verehrt wurde, bescherte ihm ein schier grenzenloses Hochgefühl. „Da wir nun Freunde sind, bringe ich dich auch nach Hause. Wo wohnst du denn?“
„Das … Ich …“ Tim erinnerte sich mit einem Mal an alle Ermahnungen und Ratschläge, die seine Mutter immer wieder herunterbetete. Dennoch wollte er seinen Retter nicht vor den Kopf stoßen, indem er rundweg Nein sagte. „Ich wohne gar nicht weit von hier“, versuchte er sich herauszureden.
„Muss nur noch um die nächste Straßenecke, dann bin ich schon da.“
„Hast du etwa Angst, ich könnte dich entführen, um dich an Kinderhändler zu verkaufen?“ Eddy sah den Jungen mit hochgezogenen Augenbrauen fragend an, wobei seine amüsierte Miene deutlich verriet, dass er sich keineswegs beleidigt fühlte.
„Ne, ich … Also, so war das ganz bestimmt nicht gemeint“, wehrte sich Tim. „Sie haben …“
„Du“, unterbrach Eddy.
„Was? Ich …“ Tim stand irgendwie auf der Leitung. „Was meinen Sie?“
„Freunde duzen sich“, erklärte Eddy im bewusst geduldigen Tonfall. „Wir haben unsere Freundschaft doch eben erst mit einem Handschlag besiegelt. Weißt du nicht mehr? Freunde duzen sich nicht nur, sie haben auch Vertrauen zueinander. Oder liege ich da falsch?“
Der Zurechtgewiesene biss sich auf die Unterlippe, was ihn sogleich vor Schmerz zusammenfahren ließ. Er wusste, dass man ihn für feige und undankbar halten würde, wenn er sich weiterhin weigerte, in ein Auto einzusteigen, welches von einem hilfsbereiten Menschen gefahren wurde. Aber so ohne Weiteres nachgeben wollte er trotzdem nicht, denn Eddy war doch nach wie vor ein völlig fremder Mann für ihn!
„Es ist wirklich nicht weit“, brachte er schließlich heraus. „Ich wohne in der Bahnhofstraße drei. Sie, äh … Du hast doch bestimmt Wichtigeres zu tun, als mich nach Hause zu chauffieren. “
„Okay.“ Eddy hatte keine Lust, sein Angebot noch einmal zu wiederholen. Im Grunde war er sogar ganz froh, dass er nun auf direktem Weg zu Patrick in die Werkstatt fahren konnte, um die anstehende Inspektion durchführen zu lassen. „Man sieht sich.“ Damit machte er auf dem Absatz kehrt und ging dann in die Richtung seines Autos, welches er am Straßenrand abgestellt hatte.
Tim stand unterdessen mit weit aufgerissenen Augen immer noch auf dem gleichen Fleck und bekam den Mund nicht mehr zu. Das war ja ein Hammerteil! Ein Mercedes-S-65-AMG in schwarz metallic! Boah! Ein Wagen, der laut Tacho-Skala locker an die dreihundertsechzig Sachen fahren konnte! Technik und Ausstattung vom Allerfeinsten! AMG-Schmiede-Räder im Vielspeichen-Design und Zweihundertfünfundfünfziger Schlappen vorne drauf! Ein Teil wie ein Traum! Und er hatte die Gelegenheit verpennt, wenigstens einmal in so einem Wahnsinnsauto mitzufahren!
„Na?“ Eddy war schon an der Fahrertür angelangt, da fiel ihm endlich auf, dass der Junge noch nicht gegangen war. Und weil der Kleine in der Tat hin und weg zu sein schien, angesichts des tollen Wagens, entschied er spontan, dass er sich noch ein bisschen in dessen Bewunderung sonnen wolle. „Vielleicht denkst du noch einmal über mein Angebot nach?“
„Ich … Das …“ Tim hatte keineswegs vergessen, was ihm blühen könnte, falls sich seine neue Bekanntschaft am Ende doch als ein schräger Vogel entpuppte. Aber die Verlockung war einfach zu groß! „Aber nur wenn’s keine Umstände macht.“
„Na dann komm“, forderte Eddy ihn auf.
Das ließ sich Tim nicht noch einmal sagen. Fast rannte er, um zu dem Wagen zu kommen, den er bisher nur aus der Ferne oder in Zeitschriften bewundert hatte. Dass er sich jetzt wirklich und wahrhaftig in so einen Wahnsinnsschlitten hineinsetzen durfte, machte ihn sprachlos vor Glück. Und so schob er sich mit vor Ehrfurcht weit aufgerissenen Augen auf das rote Leder des Beifahrersitzes, um von dort aus alle Einzelheiten des Innenraumes genau zu studieren. Da steckte wirklich viel Geld drin. Oh ja. Er kannte sich mit den Automarken und deren speziellen Eigenheiten gut aus, denn das waren Themen, mit denen er sich stundenlang beschäftigen konnte. Für ihn stand nämlich schon lange fest, dass er, wenn er mal mit der Schule fertig war, Automechaniker werden wollte. Am liebsten so einer, der in einem berühmten Rennstall für einen wie Sebastian Vettel arbeitete und mit seinem Team um die Welt reiste.
„Die Kiste gefällt dir wohl?“, fragte Eddy, sobald sie beide im Auto saßen.
Tim nickte bloß.
„Hab’ ich mir selbst erarbeitet“, verkündete Eddy stolz, indem er den Motor startete. „Wenn du mal größer bist, zeige ich dir, wie man so was macht. Ist gar nicht so schwer. Man muss nur einen guten Riecher für bestimmte Geschäfte haben, dann läuft die Sache fast von selbst.“ Da er schon kurz nach dem Start an einer roten Ampel stehen bleiben musste, nutzte er die Gelegenheit, um seinen Beifahrer ausgiebig zu mustern. Hellbraunes Haar, graublaue Augen und eine ziemlich schwächlich anmutende Statur, stellte er fest. Im Grunde nichts Besonderes. Dennoch – Irgendwie gefiel ihm der Kleine. „Wie alt bist du eigentlich?“, wollte er wissen.
„Dreizehn.“ Tim hatte das Wort kaum ausgesprochen, da bemerkte er die Überraschung im Gesicht seines Chauffeurs. „Ich weiß, ich seh’ nicht so aus“, beeilte er sich zu erklären. „Aber es stimmt. Bin halt ein bisschen klein geraten. Na ja, vielleicht ändert sich das mal. Aber eigentlich ist mir das ziemlich egal.“ Wieder eine Lüge, dachte er bekümmert. Es war ihm nicht egal. Aber das musste man ja nicht gleich jedem erzählen.
Eddy indes hörte gar nicht mehr richtig zu, denn seine Aufmerksamkeit wurde von einer schwarzhaarigen jungen Frau abgelenkt, die gerade vor seinem Auto über die Straße rannte, weil die Fußgängerampel schon wieder auf Rot umgesprungen war.
„Scharfes Teil, oder?“ Ein breites Grinsen auf den Lippen sah er Beifall heischend zu seinem Beifahrer hinüber. Als er jedoch dessen verständnislosen Blick auffing, fiel ihm jäh wieder ein, dass er es gerade mit einem Jungen zu tun hatte, der vermutlich noch nicht einmal richtig aufgeklärt war. „Die Tussi da meine ich“, versuchte er zu verdeutlichen, indem er mit dem Zeigefinger seiner Rechten auf das Mädchen deutete, welches mittlerweile auf der anderen Straßenseite angelangt war. Ein ultrakurzer Rock ließ lange Beine in kniehohen Stiefeln sehen, während ihr Busen die Jacke zu sprengen drohte, die knapp über ihrer Taille endete.
„Das ist Lisa“, stellte Tim daraufhin völlig unbeeindruckt fest. „Die kenn’ ich aus der Schule.“
„Ne, oder?“ Eddy schaute sich sichtlich verblüfft nach dem Mädchen um, während er langsam anfuhr.
„Doch“, beharrte Tim. „Sie ist fünfzehn und geht in die achte Klasse auf meinem Gymnasium.“
„Hm.“ Was raffiniert aufgetragene Schminke und sexy Klamotten doch ausmachten, dachte Eddy mit widerwilliger Anerkennung. Nun, man war offenbar gut beraten, wenn man seine nächste Eroberung zuerst nach ihrem Alter fragte, bevor man mit ihr in die Kiste stieg. Wär’ nämlich hirnverbrannt, in den Knast zu wandern, nur weil man einem knackigen Hintern nicht widerstehen konnte, der einer Minderjährigen gehörte. „Trotzdem scharfes Teil“, beharrte er. „Findest du nicht?“
„Nö.“ Tim konnte das Mädchen tatsächlich nicht leiden, weil er es für eingebildet hielt und zudem genau wusste, dass sie seinen Lieblings-Lehrer durch eine absichtliche Lüge fast um seinen Job gebracht hätte. „Ich finde Autos toll. Und Videospiele.“
„Ach ja?“ In Eddys Hinterkopf flammte sogleich eine Idee auf. „Hast du denn welche?“, wollte er wissen.
„Nö.“ Tim biss sich auf die malträtierte Unterlippe, was ihn ein weiteres Mal vor Schmerz zusammenfahren ließ. „Die Dinger sind sauteuer, weißt du. Und wir haben … Also …“ Jetzt ärgerte er sich darüber, dass er überhaupt davon angefangen hatte. „Es gibt Wichtigeres.“ Den Blick starr geradeaus gerichtet, hoffte er im Stillen, sein Chauffeur würde nicht weiter bohren, denn er wollte einem Fremden nicht unbedingt auf die Nase binden, wie angespannt die finanzielle Situation seiner Familie war.
„Ich hab’ ein paar zu Hause, die ich nicht mehr brauche.“ Eddy besaß in der Tat noch eine technisch überholte Spielkonsole samt dazugehörigen Spielen, die er eigentlich für die Mülltonne vorgesehen hatte. Aber nun tat sich eine weitere Möglichkeit auf, um Pluspunkte zu sammeln. „Die kannst du haben, wenn du willst“, bot er an.
„Und was müsste ich dafür tun?“ Tim war beileibe nicht auf den Kopf gefallen. Niemand verschenkte solche Sachen einfach so. Schon gar nicht an jemanden, den man noch gar nicht richtig kannte.
„Na hör mal.“ Eddy war ehrlich empört, denn die beabsichtigte Schenkung war in der Tat völlig uneigennützig offeriert worden. „Was denkst du denn von mir?“ Die plötzlich hochroten Wangen seines jugendlichen Beifahrers ließen nicht nur seine Verärgerung gleich wieder abflauen, sondern auch einen Gedanken durch seinen Kopf geistern, den er jedoch gleich wieder beiseiteschob. „Ich dachte nur, bevor ich sie wegwerfe, geb’ ich sie lieber jemandem, der noch was damit anfangen kann.“
„Okay.“ Tim war immer noch nicht ganz wohl bei der Sache. Dennoch wollte er nicht riskieren, dass sich sein neuer Freund aufgrund seiner kindischen Sturheit gleich wieder von ihm lossagte.
„Gut.“ Eddy war jetzt wieder bester Laune, denn die Vorstellung, mit was für einem Gesicht der Kleine am nächsten Tag sein Geschenk betrachten würde, erfüllte ihn mit freudiger Erwartung. „Ich hole dich morgen Mittag von der Schule ab. Einverstanden?“
„Okay.“ Tim hasste es zwar, sich wie ein Papagei zu wiederholen, hatte aber keine andere Antwort parat.