Читать книгу Bis zum letzten Atemzug - Katica Fischer - Страница 5
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ОглавлениеDie Stufen zum Büro des Managers eilig hinaufsteigend, versuchte Luisa, die von ihren Freunden allgemein nur Luk oder Luka genannt wurde, zu erraten, was ihr Boss von ihr wollen könnte. Er hatte schon vor zehn Minuten nach ihr geschickt, erinnerte sie sich. Aber sie war bis jetzt nicht dazu gekommen, der Aufforderung zu folgen. Nein, Angst vor einer Strafpredigt oder gar einer Kündigung hatte sie nicht. Warum auch, wo sie doch allein durch ihre Arbeit in der Disco aufgehalten wurde. Dennoch wollte sie ihren Chef nicht noch länger warten lassen, weil sie genau wusste, wie unausstehlich dieser werden konnte, wenn ihm etwas zu lange dauerte. Wie eine Diva, dachte sie grinsend. Roxy, alias Rolf Wegener, spielte seine Rolle stets konsequent und absolut überzeugend, sodass es immer schwerer fiel, sich daran zu erinnern, dass er gar keine Frau war!
„Na endlich!“ Die groß gewachsene Gestalt im obligatorischen Gehrock vollführte eine ungeduldige Wink-Bewegung, sobald sich die Tür weit genug geöffnet hatte, um den Neuankömmling sehen zu lassen. „Wurde ja auch langsam Zeit. Wo hast du denn bloß gesteckt?“
Die Angesprochene wollte gerade zu einer ironischen Antwort ansetzen, da bemerkte sie den Fremden, der bisher neben Rolfs Schreibtisch gesessen hatte, der jetzt aber aufstand, um ihr erwartungsvoll entgegenzuschauen. Ein Durchschnittstyp, urteilte sie spontan. Nicht viel größer als sie selbst, aber von gedrungenem Körperbau. Er besaß ein Dutzendgesicht, welches von silbergrauem, sehr sorgfältig geschnittenem Haar sowie einem gleichfarbigen Vollbart umrahmt wurde. Allein der unverwandte Blick seiner grauen Augen weckte ein unangenehmes Gefühl in ihr, denn er schien sie wie eine Ware zu taxieren, die es vor dem Kauf sorgsam zu prüfen galt.
„Nu steh doch nicht wie ein Ölgötze da!“ Rolf fuchtelte immer noch mit den sorgfältig manikürten Händen herum, so als könne er seine Angestellte dadurch schneller herbeiholen. „Komm her und sag meinem Freund Hallo.“
„Guten Abend.“ Mittlerweile am Schreibtisch angelangt, übersah Luisa mit voller Absicht die ausgestreckte Hand, die man ihr zum Gruß reichte.
„Ich hab’ keine ansteckende Krankheit, falls Sie sich davor fürchten“, stellte der Fremde daraufhin mit einem ironischen Lächeln fest.
„Das hat nichts mit Ihnen zu tun“, wehrte sie sich. „Ich habe nur grundsätzlich etwas gegen Körperkontakt mit Fremden.“
„Okay.“ Er zog seine Hand zurück. „Mein Name ist Benno Hoffmann. Schön, Sie kennenzulernen, Frau Kant.“
Da ihr Gegenüber nun schwieg, sah sie ihn fragend an, denn sie erwartete eine Erklärung dafür, wieso sie so dringend ins Büro kommen sollte. Allerdings schienen weder Benno noch ihr Chef gewillt, diese Aufgabe von sich aus zu übernehmen.
„Okay.“ Sie richtete ihre Aufmerksamkeit nun ausschließlich auf Rolfs Freund. „Wenn Sie ein Foto von mir haben wollen, hätten Sie eine Kamera mitbringen sollen.“ Sie wählte bewusst einen angriffslustigen Ton, um ihren Ärger über sein unhöfliches Starren deutlich zu machen. „Erzählen Sie mir jetzt endlich, was Sie von mir wollen. Wenn nicht, gehe ich wieder. Schließlich macht sich meine Arbeit nicht von selbst.“
Statt wie ein ertappter Sünder den Blick abzuwenden, lachte Benno bloß erheitert auf, während er ihre Erscheinung ein weiteres Mal von Kopf bis Fuß begutachtete.
„Ich bin vor ihrem Mundwerk gewarnt worden“, begann er schließlich. „Aber dass Sie so direkt sind, damit hab’ ich nicht gerechnet. Nun gut. Sie sollen für mich vermitteln.“ Das amüsierte Lächeln schwand, um einer geschäftsmäßig ernsten Miene Platz zu machen. „Ich möchte nämlich Ihrer Freundin Nadja ein sehr lukratives Angebot machen.“
„Wenn Sie ein Betthäschen suchen, hätten Sie sich besser in der Warteschlange vor dem Eingang umgesehen. Nadja ist Tänzerin, keine …“
„Das reicht jetzt, Luka“, unterbrach Rolf mit strenger Stimme. „Wo bleibt deine gute Erziehung, meine Liebe?“ Den Arm seiner Angestellten so fest umfassend, dass sie sich nicht befreien konnte, zog er sie gleich darauf mit sich zu der Sitzgruppe, welche eine der Ecken in dem weitläufigen und mehreren Zwecken dienenden Raum einnahm. „Benno hat mir ein Geschäft vorgeschlagen“, erklärte er dabei. „Und ich denke, ich sollte darauf eingehen. Jetzt muss ich nur noch wissen, ob ich auf Nadja zählen kann.“
Luisa konnte sich immer noch keinen Reim darauf machen, was sie mit der ganzen Sache zu tun haben sollte. Sicher, sie wurde für ihre Arbeit als Kellnerin von Rolf bezahlt – und das genauso fair wie alle anderen auch. Außerdem waren sie schon seit mehreren Jahren befreundet. Nichtsdestotrotz hatte ihr Boss bisher noch nie mit ihr über geschäftliche Angelegenheiten gesprochen! Wieso jetzt auf einmal?
Zwischenzeitlich direkt vor einem der Sessel angekommen, entdeckte Luisa zwei große Koffer. Aber erst, nachdem ihr Chef die beiden Deckel geöffnet hatte, begriff sie, worum es tatsächlich ging.
„Das kannst du vergessen!“ Ihre Miene drückte zunächst nur bestürzte Überraschung aus. Doch gleich darauf sanken ihre Mundwinkel herab, was deutlich machte, wie sie über den Inhalt der Koffer dachte. „Nadja ist keine Stangenakrobatin! Sie wird auf gar keinen Fall eines dieser Fummel anziehen, um die Kerle im Saal anzuheizen!“ Sie wollte sich abwenden, um den Raum wieder zu verlassen. Doch kam sie nicht weit, weil man erneut ihren Arm umklammerte, um sie so zum Bleiben zu zwingen.
„Jetzt halt’ einfach mal die Klappe und hör gefälligst zu!“ Rolf war sichtlich verstimmt. „Niemand verlangt von Nadja, dass sie an einer Stange herumturnen soll. Sie soll nur beim Tanzen diese Sachen anziehen, um sie dem Publikum vorzustellen. Ist ja auch gar nichts dabei, verstehst du. Sie wäre sozusagen ein Mannequin, das die Modelle vorführt, die man im Laden meines Freundes kaufen kann.“
„Na klar“, stieß Luisa verächtlich hervor. „Ein Mannequin mit ein paar Stoffstreifen am Leib, wobei Busen und Hintern besonders gut zur Geltung kommen, weil sie sorgfältig ausgespart sind! Für wie bescheuert hältst du mich eigentlich?“ Der jetzt einsetzende und stetig wachsende Ärger brachte ihre Augen zum Blitzen. „Nadja wird sich auf diesen Deal garantiert nicht einlassen!“ Die Hand ihres Vorgesetzten gewaltsam von ihrem Arm lösend, trat sie anschließend zwei Schritte zurück, um sich so aus seiner Reichweite zu bringen. „Hast du etwa vergessen, was du ihr versprochen hast? Nur tanzen! Nicht mehr!“ Zu ihrer Wut gesellte sich nun auch die Enttäuschung darüber, dass man ihre Freundschaft offenbar auf übelste Weise missbrauchen wollte. Und das bewirkte, dass ihr kurzfristig die Worte fehlten. Doch dann straffte sie sich. „Auf eines kannst du Gift nehmen, mein Lieber“, erklärte sie mit dumpfer Stimme. „Ich werde nicht zulassen, dass man Nadja auf diese Weise benutzt! Du hast sie zur Solonummer in deinem Laden gemacht, weil sie angeblich nicht so durchschnittlich ist, wie die anderen Mädchen. Aber wenn du es drauf anlegst, werde ich ihr raten, zu kündigen. Jawohl! Sie soll sich eine andere Stelle suchen, denn hier wird sie bloß verheizt! Wenn sie sich auf diese Weise hätte produzieren wollen, wär’ sie jetzt nicht bei dir angestellt, sondern in einem der Häuser, wo man keine falschen Versprechungen macht.“
„Bevor ihr euch an die Gurgel geht“, schaltete sich nun Benno ein, „möchte ich etwas klarstellen.“ Während er redete, ging er hin, um ein paar Stücke aus einem der Koffer zu heben. „Es handelt sich keineswegs um Reizwäsche im herkömmlichen Sinne“, erklärte er in die Richtung der jungen Frau, die jetzt mit verschränkten Armen und abweisendem Gesicht zwischen Schreibtisch und Ausgangstür stand. „Es sind Einzelstücke, die nur in ihrer Form gezeigt werden sollen, aber später individuell für den Kunden angefertigt werden. Außerdem. Wenn Sie genau hinsehen würden, Frau Kant, dann würden Sie feststellen, dass die Teile wirklich nicht vulgär sind.“ Um seine Worte zu beweisen, drapierte er eines der Bekleidungsstücke über einem der Sessel. „Ein bisschen freizügig, ja“, gab er zu. „Aber nicht ordinär. Sehen Sie! Es betont die jeweiligen Vorzüge der Trägerin oder des Trägers. Aber es hat wirklich nichts mit den Sachen zu tun, die man bei Pornostars oder in Bordellen zu sehen bekommt.“ Seine Hand strich ein paar Falten glatt, um die Geschmeidigkeit des Materials zu verdeutlichen. „Darin kann man sogar ein wenig besser aussehen als in normalen Sachen“, dozierte er. „Es formt und stützt zugleich, wobei man nie das Gefühl bekommt, in einem Korsett festzustecken.“
Allein um nicht als kleinkarierte Zicke angesehen zu werden, betrachtete Luisa das Kleid. Dabei biss sie sich auf die Unterlippe, um so eine weitere spontane Äußerung ihres Unwillens schon im Keime zur ersticken. Na ja, vielleicht hatte sie sich doch getäuscht, gestand sie sich insgeheim ein. Auf den ersten Blick hätte man in der Tat meinen können, das Teil bestünde aus weich fließender Seide. Aber der Schein trog! Der Latex war unter äußerster Sorgfalt verarbeitet worden, wobei die Oberfläche wie eingeölt wirkte und zudem einen metallenen Schimmer aufwies. Und Benno hatte nicht gelogen, als er sagte, da wäre nichts Ordinäres bei. Auch wenn das Kleidungsstück den Körper des Modells hauteng umschließen würde, wäre die Trägerin doch komplett bekleidet, was ihre eigenen Befürchtungen und Vorwürfe völlig unsinnig machte. Dennoch mochte sie sich nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass das Wunsch-Mannequin der beiden Männer wie ein Lustobjekt präsentiert werden sollte.
„Nadja wäre trotzdem so gut wie nackt“, begehrte sie auf, wobei dieser Einwand bei Weitem nicht mehr so ablehnend klang, wie ihre erste Reaktion. Gleich darauf sah sie, wie Rolf und Benno einen erleichterten Blick tauschten, was eine neue Zornwelle in ihr aufsteigen ließ. „Und sie würde die Kerle trotzdem heiß machen, auch wenn ihr euch dessen nicht bewusst seid, oder es einfach nicht wahrhaben wollt!“
„Nadja macht die Kerle selbst in einer uralten Jeans und einem durchlöcherten Pullover kirre“, erklärte Rolf im geduldig-nachsichtigen Tonfall. „Also reg’ dich ab und hör dir erst mal an, wie viel deine holde Freundin dabei verdienen kann. Sie soll die Outfits nämlich gar nicht kostenlos vorführen. Wenn sie mitmacht, bekommt sie zu der Gage als Tänzerin einen zusätzlichen Bonus von Benno. Also. Rede mit ihr. Sie hört doch immer auf dich.“
„Ja“, klinkte sich nun auch Benno wieder ein. „Wenn sie mitmacht, kann ich nämlich auf ein gutes Geschäft hoffen, weil die Leute, die ich eigentlich zu meinen Kunden zählen möchte, hier ein und ausgehen. Hier kann ich sie direkt erreichen und ihnen meine Kollektion vorführen, was man anhand von Zeitungs- oder Internetwerbung unmöglich bewerkstelligen kann. Auf Bildern sehen die Sachen nämlich lange nicht so gut aus, als wenn sie von einer schönen Frau vorgeführt werden.“
„Warum machen Sie nicht einfach eine Modenschau?“ Luisas Argwohn war nun ein wenig besänftigt, denn die Anfrage der beiden Männer schien in der Tat kein unmoralisches Angebot zu sein. Dennoch klang ihre Stimme gereizt. „So was macht man doch normalerweise, wenn man etwas vorführen und somit zum Kauf anbieten will.“
„Gute Frage. Wirklich!“ Die Augenbrauen hochgezogen, lächelte Benno sie mit unverhohlener Anerkennung an. „Das Gleiche hätte ich an Ihrer Stelle auch angemerkt. Nun, ich will Ihnen sagen, warum ich das Ganze hier präsentieren möchte. Mein Laden ist für eine Schau viel zu klein, denn er besteht zum Großteil aus meinem Schneideratelier, dem sich ein winziger Verkaufsraum anschließt. Na ja, ich könnte extra Räume für eine Vorführung anmieten. Aber das ist mir, ehrlich gesagt, zu aufwendig. Außerdem bräuchte ich dann auch noch weitere Mannequins, die ich teuer bezahlen müsste. Zudem wäre eine Modenschau bloß eine einmalige Gelegenheit, die von den Leuten schnell wieder vergessen wird. Sie wissen ja, aus den Augen, aus dem Sinn! Also hab’ ich mir gedacht, ich seh’ mich nach einer anderen Möglichkeit um. Und nun stehe ich hier, weil Rolf mir angeboten hat, ich könnte hier pro Abend jeweils ein Modell vorführen lassen. Und Ihre Freundin Nadja wäre dafür ideal, weil sie ja ohnehin als Star des Abends gilt und somit garantiert mehr Aufmerksamkeit genießt als die anderen Mädchen.“ Er lächelte nach wie vor. Doch war seine Miene nun die eines Geschäftsmannes, der auf den positiven Abschluss eines Vertrages hoffte. „Sie können mir glauben, ich bin nicht geizig, wenn ich mich gut vertreten fühle. Es wäre mir einiges Wert, eine so wunderschöne Frau für mich arbeiten zu sehen.“
Schleimer, dachte Luisa leicht angewidert. Natürlich würde er einiges hinblättern, um sich einen ansehnlichen Frauenkörper zu sichern, der aufreizend genug war, um seine potenziellen Kunden anzulocken! Dennoch kam sie nicht umhin, über die Vorteile nachzudenken, die sich aus solch einer Gelegenheit ergaben.
„Ich müsste erst einmal mit Nadja reden“, rang sie sich schließlich ab. „Aber vielleicht können Sie mir ja sagen, wie hoch der Bonus sein soll.“
Bennos Gesicht leuchtete erfreut auf, denn er wähnte sich bereits am Ziel seiner Wünsche.
„Wenn ihr fünfzig pro Auftritt zu wenig sein sollten“, erklärte er lächelnd, „bin ich bereit, mit mir reden zu lassen.“
Luisa nickte bloß. Gleichzeitig wurde ihr bewusst, dass ihr Vorgesetzter vielsagend auf seine Armbanduhr blickte.
„Gut.“ Sie war schon an der Tür, da blieb sie noch einmal kurz stehen, um die beiden Zurückbleibenden mit einem durchdringenden Blick zu mustern. „Sobald ich mit Nadja gesprochen habe, wird Ihnen Rolf Bescheid sagen“, wandte sie sich an den Besucher. „Kann sein, dass sie einverstanden ist. Ist aber auch möglich, dass sie Nein sagt.“ Die Augen auf ihren Vorgesetzten richtend, fuhr sie fort: „Ich hoffe doch, dass ein Nein nicht dazu führt, dass sie gefeuert wird. Immerhin tut sie schon seit einem halben Jahr ihr Bestes, damit du zufrieden bist.“ Damit ging sie.
„Sehr hübsch, die Kleine“, meinte Benno, sobald die Tür wieder geschlossen war. „Vielleicht hätte ich sie mal fragen sollen. Würde sich in meinen Sachen bestimmt auch gut machen.“
„Vergiss es“, winkte Rolf ab. „Bevor sich Luka in eine deiner Kreationen zwängt, macht sie lieber einen freihändigen Kopfstand auf unserer Theke. Sie ist zwar aufgeschlossen und emanzipiert, würde sich aber niemals so freizügig auf der Bühne präsentieren, wie es einige andere Mädchen tun. Da ist sie ziemlich eigen. Nadja ist da schon ein wenig schmerzfreier, obwohl sie auch Grenzen setzt, die man nicht überschreiten sollte. Also musst du dir genau überlegen, was du ihr zumuten möchtest. Wie Luka schon sagte. Nadja ist Tänzerin, nichts anderes.“