Читать книгу Bis zum letzten Atemzug - Katica Fischer - Страница 8

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Das Salt & Pepper war zum Bersten voll, sodass den Kellnerinnen kaum eine Sekunde zum Ausruhen blieb.

Freitagabends war es immer besonders schlimm, dachte Luisa einmal gereizt. Keiner konnte schnell genug bedient werden. Und niemand schien Zeit genug zu haben, sein Essen in Ruhe zu sich zu nehmen. Offenbar hatten sie alle Angst, sie könnten etwas versäumen, wenn sie sich allzu lange an einem Ort aufhielten! Sie waren zwar körperlich anwesend, doch geistig schienen sie in anderen Galaxien herumzuschwirren. Und so vergaßen sie nicht selten, zu erwähnen, dass sie bestimmte Sachen nicht auf ihren Tellern haben wollte, um später dann darüber zu meckern, dass der Koch genau das drauf getan hatte!

Das Tablett mit den zurückgewiesenen Speisen fest im Griff wollte Luisa wieder in die Küche. Allerdings wurde sie kurz vor dem Ziel aufgehalten.

„Kann ich dich mal sprechen?“ Patrick hatte die junge Frau am Ellenbogen gefasst, um sie so auf sich aufmerksam zu machen. Allerdings ließ er sie gleich wieder los, als er ihre abweisende Miene und den ärgerlichen Blick registrierte, mit dem sie auf seine Hand hinab sah.

„Ich bin gleich da“, quetschte sie gehetzt hervor.

Patrick indes sah sie davoneilen und faltete geistesabwesend eine Papierserviette zu einem winzigen Päckchen. Er hätte wirklich einen besseren Zeitpunkt wählen sollen, tadelte er sich im Stillen. Trotzdem … Jetzt war er heilfroh darüber, endlich den ersten Schritt getan zu haben! Auch wenn er sich sehr kurzfassen musste, weil sie wahrscheinlich gleich wieder gehen wollte, würde er nun die entscheidende Frage stellen, nahm er sich vor.

„Was soll’s denn sein?“ Den Order Mailer in der einen Hand, den dazugehörigen Stift in der anderen, baute sich Luisa nur eine Minute später in abwartender Positur neben ihrem Kunden auf.

„Ich wollte nur mit dir reden“, begann er.

„Wenn du nichts bestellen willst, kann ich leider nichts für dich tun.“ Sie wandte sich schon wieder zum Gehen. „Du siehst ja, was hier los ist.“

„Es muss ja nicht gleich sein“, erklärte er. „Später vielleicht, wenn es nicht mehr so voll ist. Okay?“

Luisa wollte nicht unhöflich sein, zumal sie ihren Gesprächspartner sympathisch fand. Also ließ sie ein zustimmendes Nicken sehen. Anschließend eilte sie weiter, um die Bestellungen abzuarbeiten, die noch auf sie warteten. Dabei ließ sie ihrem geduldig bei einer Cola wartenden Gast hin und wieder einen kurzen Blick zukommen, insgeheim fest damit rechnend, dass er irgendwann aufstehen und gehen würde, weil es ihm zu lange dauerte. Als sie schließlich sicher war, dass man sie für ein paar Minuten unbehelligt lassen würde, machte sie sich endlich auf den Weg zu seinem Tisch. Er war ziemlich groß, stellte sie zum wiederholten Male fest. Außerdem schien er entweder Sportler oder Handwerker zu sein, denn seine Schultern und Oberarme wirkten ziemlich muskulös.

„So, dann schieß mal los“, forderte sie ihn auf, sobald sie bei ihm anlangte.

Patrick war für einen Moment ein wenig perplex, weil sie vom ihm unbemerkt an seiner Seite angekommen war und nun in der Tat wie aus dem Boden gewachsen schien. Und so brachte er zunächst keinen Ton hervor.

„Willst … Möchtest du dich nicht setzen“, stotterte er schließlich. „Ich meine … Es ist vielleicht angenehmer.“

Mit dem Zeigefinger ihrer Rechten die Brille zurückschiebend, die ein wenig in die Richtung ihrer Nasenspitze hinab gerutscht war, musterte Luisa ihren Gast kurz, aber sehr aufmerksam. Danach setzte sie sich schnell auf den Stuhl, welcher auf der gegenüberliegenden Seite seines Tisches stand. Eindeutig Handwerker, schoss es ihr durch den Sinn, als ihr Blick kurzfristig an seinen Händen hängen blieb. Die Haut war zwar sauber geschrubbt aber rot und teilweise rissig, was darauf hindeutete, dass er häufig mit starken Verschmutzungen und Haut schädigenden Flüssigkeiten zu tun hatte. Sein sorgfältig geschnittener Schopf wies die Farbe reifer Kastanien auf. Und seine Augen hatten die Farbe von poliertem Stahl. Sein Anliegen musste wichtig sein, denn sonst hätte er sicher nicht so lange ausgeharrt. Außerdem schien er jetzt sehr nervös zu sein, was ziemlich merkwürdig war, wo er doch eben noch völlig ruhig erscheinend dagesessen hatte.

„Was gibt’s denn?“, versuchte sie ihm zu helfen, als er nicht gleich zu reden begann. „Du wolltest mit mir sprechen. Also, jetzt bin ich da.“ Er war doch überhaupt nicht der schüchterne Typ. Eher im Gegenteil! Nein, er war keiner von diesen Schönlingen, die sich für den Nabel der Welt hielten. Aber er wusste ganz sicher um seine Wirkung auf Frauen, und musste seine Nächte darum garantiert nicht allzu oft allein verbringen. … Nun, das waren Dinge, die sie nicht wirklich etwas angingen, ermahnte sie sich.

„Ich wollte dich fragen, wann du mal Zeit für mich hast“, begann Patrick endlich.

„Wozu?“, parierte sie lächelnd. „Willst du mir etwa was verkaufen?“ Sie ahnte zwar, worauf er hinaus wollte, war sich jedoch noch nicht ganz sicher, wie sie darauf reagieren sollte. Er war beileibe nicht der erste Mann, der auf eine Verabredung mit ihr aus war. Allerdings wollte sie ihn nicht so kaltschnäuzig abblitzen lassen, wie sie es mit seinen Vorgängern getan hatte, weil es ihr merkwürdigerweise wichtig war, dass er hinterher nicht schlecht über sie dachte.

„Ne“, winkte Patrick ab, wobei seine Mundwinkel nun endlich ein bisschen höher kletterten. „Ich möchte dich bloß besser kennenlernen, und hab’ mir gedacht, wir könnten vielleicht mal zusammen um die Häuser ziehen.“

Für einen kurzen Moment war Luisa versucht, den einzigen Abend zu nennen, an dem sie freihatte. Doch dann fiel ihr gerade noch rechtzeitig ein, dass auch dieser bereits verplant war, weil eine Familienfeier anstand.

„Tut mir leid“, ließ sie im bedauernden Tonfall hören, während sie bereits Anstalten machte, sich wieder zu erheben. „Ich arbeite hier fünfmal die Woche bis zum Morgengrauen, verstehst du. Außerdem habe ich noch einen zweiten Job, sodass mir nur wenig Freizeit bleibt.“

„Oh.“ Wenn das mal keine Abfuhr gewesen war! „Schade.“ Die Unterlippe kurz zwischen die Zahnreihen klemmend, stand er auf. „Na, da kann man nichts machen.“ Weil er das Geld für sein Getränk aus seiner Brieftasche holen musste, ließ er für einen Moment das Gesicht seines Gegenübers aus den Augen. Doch dann suchte er erneut Blickkontakt. „Darf ich dich noch was fragen?“

„Wenn’s nicht allzu lange dauert.“ Luisa stand nun abwartend neben dem Tisch, insgeheim bedauernd, keine andere Antwort formuliert zu haben. Sicher, ihre Freizeit war wirklich sehr knapp bemessen. Aber sie hätte …

„Würdest du mir vielleicht die Telefonnummer von Nadja geben?“ Die Worte waren kaum heraus, da hätte sich Patrick am liebsten selbst in den Hintern getreten. Wieso, zur Hölle, fing er jetzt ausgerechnet damit an? Hatte er sich nicht geschworen, dass er sich nicht mehr um Eddys Angelegenheiten kümmern wollte? Und überhaupt! Was würde Luka jetzt wohl von ihm denken? Selbst wenn ihre vorangegangene Zurückweisung nicht wirklich ernst gemeint gewesen sein sollte, würde sie sich die Sache jetzt bestimmt nicht mehr anders überlegen! „Ich … Das … Vergiss am besten, was ich gerade gesagt hab“, bat er betreten. „Ist eh nicht wichtig.“

„Warum sollte ich?“ Luisas Gesicht war mit einem Mal eine ganz und gar unbewegliche Maske. Allein ihre blaugrauen Augen glichen nun funkelnden Eiskristallen. „Jetzt hab’ ich nämlich verstanden, worum es in Wirklichkeit geht. Du wolltest gar nicht mit mir um die Häuser ziehen. Dir geht’s nämlich ganz allein um Nadja.“ Sie hätte schreien mögen, auch wenn sie nicht genau wusste, warum eigentlich. „Aber da bist du bei mir verkehrt, verstehst du! Ich schwatze nicht über meine Kolleginnen. Und schon gar nicht mit Fremden!“ Sie wollte sich wegdrehen und gehen, wurde jedoch unversehens am Handgelenk gepackt und zurückgehalten. Weil ihr diese Berührung aber wie ein Feuerstrahl vorkommen wollte, der nicht nur ihre Haut, sondern auch ihr Inneres zum Glühen brachte, schüttelte sie die kräftigen Finger mit einer hastigen Bewegung ab. „Wenn ich dir nicht den Sicherheitsdienst auf den Hals hetzen soll, dann fasst du mich nicht mehr an, okay!“

„Aber es ist wirklich nicht so, wie du denkst“, versuchte Patrick seinen Fehler wieder gutzumachen. „Ich hab’ doch nur …“

„Ich will nichts mehr hören“, unterbrach sie. „Verschwinde einfach und lass mich zufrieden.“

Aber genau das wollte er nicht. Er wollte nicht gehen, bevor das Missverständnis nicht aufgeklärt war. Sie sollte ihn nicht für einen Trieb gesteuerten Aufreißer halten, dem es egal war, mit welcher Frau er die Nacht verbrachte, solange sie sich nur willig zeigte!

„So hör mir doch mal zu“, verlangte er, indem er erneut nach ihrer Hand langte. „Mir geht es doch gar nicht um Nadja. Es ist nur so, dass mein Freund alles dafür geben würde, um einmal mit ihr persönlich zu reden.“

„Ach so“, stieß Luisa verächtlich hervor. „Du bist bloß ein Laufbursche, den man geschickt hat, weil man selbst nicht mehr weiter kommt! Ja?“ Seine Finger ein weiteres Mal abschüttelnd, trat sie gleichzeitig einen Schritt zurück, damit er nicht mehr an sie herankam. „Eine ziemlich bescheuerte Masche, wenn du mich fragst!“ Zutiefst empört über die offenkundige Annahme, sie sei eine von denen, die weder das Vertrauen noch die Loyalität ihrer Freunde wertschätzten, maß sie ihr Gegenüber mit einem vernichtenden Blick. „Hätte nicht gedacht, dass du dich für so was hergibst.“ Als wäre es gerade erst geschehen, stand ihr plötzlich eine Begebenheit vor Augen, bei welcher er sich zwar ihr gegenüber als Gentleman gezeigt, gleichzeitig aber auch die Unverschämtheit seines Freundes als harmlosen Spaß dargestellt hatte. Blind! Wieso hatte sie nicht gleich geschaltet? „Ich sag dir jetzt mal was“, zischte sie böse. „Ihr könnt gar nicht so viel Geld auftreiben, um mich oder Nadja kaufen zu können!“ Sie fühlte ihr Herz bis zu ihrer Kehle hinauf schlagen. Zudem konnte sie kaum noch atmen, denn ein Gefühl bodenloser Enttäuschung und noch etwas anderes, nicht Definierbares, schien ihr plötzlich die Luft abzuschnüren. Also drehte sie sich abrupt um und floh vor der unerfreulichen Situation und den eigenen Emotionen.

Verdammter Idiot, schimpfte Patrick unterdessen mit sich selbst. Wie konnte man nur so gehirnamputiert sein? Da wollte er ihr klarmachen, dass er sie absolut toll fand, und quatschte ihr dabei die Ohren mit hirnrissigem Zeug voll. Blödmann! Stümper. Er hatte sich benommen wie ein Anfänger, der sich nicht sicher war, wie er die Frau seiner Träume endlich herumkriegen sollte. Nein, stellte er es gleich richtig. Nicht einfach herumkriegen. Es ging hier um viel mehr. Sie war ihm sehr wichtig, nicht nur als mögliche Spielgefährtin für ein paar angenehme Stunden. Er wollte sie richtig kennenlernen. Wollte sich ihre Ängste und Sorgen anhören, ihr helfen, sie beschützen, und vor allem wollte er sie in seiner Nähe haben. Nicht nur für ein paar lustvolle Augenblicke …

Beim letzten Gedanken und der damit einhergehenden Erkenntnis angelangt, meinte Patrick, jemand habe ihm gerade einen Eimer voll eiskalten Wassers über den Schädel gekippt. Das war ja Liebe, erkannte er fassungslos. Er hatte sich rettungs- und bedingungslos in ein Mädchen verliebt, das er gar nicht kannte. … Nun, vielleicht gab es doch noch eine Chance für ihn, dachte er in einem Anflug verzweifelter Hoffnung. Er würde ein paar Tage abwarten und dann einen neuen Versuch starten. Möglicherweise war sie dann nicht mehr so verärgert und würde zumindest zuhören, wenn sie schon nicht mit ihm sprechen wollte.

Bis zum letzten Atemzug

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