Читать книгу Bis zum letzten Atemzug - Katica Fischer - Страница 7
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ОглавлениеTim war überglücklich, denn er besaß nun endlich einen echten Freund. Und nicht nur das! Eddy war auch so etwas wie ein väterlicher Beschützer für ihn. Außerdem erwies er sich immer wieder als äußerst großzügig, ohne je eine Gegenleistung dafür zu erwarten. Doch das neueste Geschenk – ein nagelneues, mit allem möglichen technischen Schnickschnack versehenes Rennrad – erschien ihm dann doch übertrieben, weil er genau wusste, dass so ein Markenrad seinen Preis hatte.
„Na, was sagst du?“ Eddy war sehr zufrieden mit sich selbst. „Gefällt es dir? Wenn nicht, können wir es jederzeit umtauschen. Du sollst ja schließlich genau das haben, was dir gefällt!“
„Nein!“ Der Junge rang sichtlich um Fassung. „Ich meine … Es … Es ist toll! Wirklich! Ich würde gar kein anderes wollen! Aber … Ich … Das kann ich nicht annehmen. Das ist doch … Nein. Das kann ich wirklich nicht annehmen.“
Als hätte jemand anhand eines Schalters seine gute Laune einfach ausgeknipst, fühlte Eddy von jetzt auf gleich ungeduldige Gereiztheit in sich aufsteigen. Sollte all die Mühe vergebens gewesen sein? Sicher, anfangs hatte er den Kleinen aus purer Langeweile von der Schule abgeholt, weil er um diese Tageszeit ohnehin nichts anderes zu tun hatte, als mit seinem Auto spazieren zu fahren. Außerdem hatte er das befriedigende Gefühl genossen, endlich einmal als Wohltäter angesehen zu werden, dessen Geldbeutel völlig unwichtig war. Aber nach ein paar Tagen war ihm plötzlich aufgegangen, dass er sich im Grunde völlig lächerlich verhielt. Also hatte er beschlossen, dass er nun genug Zeit vergeudet habe, und dass sein kleiner Freund ruhig etwas für die Aufmerksamkeit tun sollte, die man ihm schenkte. Aber jetzt schien es so, als wolle der Bengel nicht mehr so mitspielen, wie er eigentlich sollte. Und dem musste schleunigst ein Riegel vorgeschoben werden!
„Du willst mich wohl beleidigen?“ Eine zutiefst gekränkt anmutende Miene zur Schau tragend, sah er nun auf den schmächtigen Teenager hinunter.
„N… Nein!“ Tim dachte nicht im Traum daran, irgendetwas zu tun, was seinen Freund verletzten könnte. „Ich weiß einfach nur nicht, wie ich das je wieder gutmachen soll. Schließlich kann ich dir doch im Gegenzug gar nichts anbieten. Und das geht einfach nicht! Ich würde mich schämen, weil du so viel Geld für mich ausgibst, und ich kann es dir nicht vergelten.“
Okay, ein Missverständnis seinerseits! Insgeheim tief durchatmend, zwang Eddy sich zu einem erleichtert wirkenden Lächeln, als er seinen kleinen Freund an der Schulter fasste, um diese kurz zu drücken.
„Vielleicht hat das Rad ja einen gewissen Grund“, legte er den Köder aus. „Vielleicht kannst du ja doch was für mich tun.“ Weil das Gesicht des Jungen nun erfreut aufleuchtete, sah er den richtigen Zeitpunkt gekommen, um den nächsten Schritt seines Planes in Angriff zu nehmen. „Wenn man nämlich als Fahrradkurier arbeitet, muss man doch einen anständigen Bock unter dem Hintern haben“, erklärte er. „Oder nicht?“
„Ich soll …“ Tim schluckte erst einmal kräftig. „Ich soll für dich arbeiten?“
„Aber nur, wenn du es wirklich willst“, erwiderte Eddy. „Ich könnte nämlich deine Hilfe wirklich gut gebrauchen“, versicherte er gleich darauf. „Manchmal hab’ ich wichtige Sachen zu verschicken, weißt du, die nicht auf die Post warten können. Und ich hab’ weiß Gott Besseres zu tun, als in der Weltgeschichte herumzugondeln und die Päckchen selbst abzuliefern. Sind nämlich meist kleine Terminsachen.“
„Aber das hättest du doch gleich sagen können“, tadelte der Junge gönnerhaft. „Schließlich bin ich doch dein Freund. Und Freunde helfen sich gegenseitig. Immer!“
„Ich wusste doch gleich, dass ich mich auf dich verlassen kann“, lobte Eddy. „So, und jetzt gehen wir eine Pizza essen.“
„Geht nicht“, lehnte Tim bedauernd ab. „Ich muss nach Hause. Meine Schwester wird schon auf mich warten. Und wenn ich zu spät komme, gibt’s einen ätzenden Aufstand. Tut mir leid.“ Er wollte sich schon auf das Fahrrad schwingen, da fiel ihm noch was ein. „Wann soll ich denn anfangen?“, wollte er wissen.
„Was?“ Eddy war mit seinen Überlegungen beschäftigt gewesen und hatte darum nicht zugehört. Allerdings brauchte er nicht lange, um zu begreifen, was gemeint war. „Ach so! Ich sag dir Bescheid, wenn ich dich brauche“, versprach er.
Gleich nach seiner Heimkehr deponierte Tim seinen neuesten Besitz im hintersten Winkel des Kellerraumes. Aber nicht, weil er es vor Mutter und Schwester verheimlichen wollte. Ihm schien bloß der richtige Augenblick noch nicht gekommen, um ihnen von Eddy zu erzählen.
Beim Gedanken an die Schwester fühlte Tim eine seltsame Traurigkeit in seinem Herzen. Sie war in der Schule eine richtig gute Sportlerin gewesen und hatte erfolgreich an vielen Wettkämpfen teilgenommen, erinnerte er sich. Aber dann hatte sich die Situation zu Hause von heute auf morgen geändert, sodass sie nach der zehnten Klasse abgegangen und auch aus dem Sportverein ausgetreten war, weil sie keine Zeit mehr dafür hatte. Sicher, sie besaß gute Freunde, von denen sie oft und gerne erzählte. Aber sie verabredete sich nie mit jemandem nur so zum Spaß. … Vielleicht … Wenn er wirklich einen Job bekam, den er nach der Schule erledigen konnte, dann würde er den beiden Frauen vielleicht helfen können. Nein, er war nicht so naiv, zu glauben, er könnte so viel verdienen, dass sie dann ihre Arbeit ganz aufgeben konnten. Aber er hoffte von Herzen, wenigstens so viel beisteuern zu können, dass zumindest seine Mutter entlastet wurde, denn die war ohnehin nur noch ein Strich in der Landschaft.