Читать книгу Bis zum letzten Atemzug - Katica Fischer - Страница 6
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ОглавлениеAuch wenn Patrick stets darauf bedacht war, Eddy und dessen Clique nach Möglichkeit aus dem Wege zu gehen, stieß er bei seinen nächsten Besuchen im Playground immer wieder mal auf die Gruppe, denn sein ehemaliger Schulkamerad ließ sich keine einzige Show seiner „Traumfrau“ entgehen. Da sie nicht im Streit lagen, und er sich auch noch nicht offen von seinem Jugendfreund distanziert hatte, sah er sich gezwungen, zumindest Hallo zu sagen, bevor er sich nach einem gemeinsamen Drink unauffällig zurückzog, um seiner eigenen Wege zu gehen.
Eddy indes versuchte nach wie vor, Nadja persönlich zu treffen. Allerdings war er bisher erfolglos geblieben, weil die Schöne nach ihrem Auftritt wie vom Erdboden verschluckt schien.
„Kannst du mir nicht helfen?“, wollte er an einem Freitagabend von seinem, seiner Meinung nach immer noch besten Kumpel wissen.
„Ich wüsste nicht, wie“, erwiderte der Gefragte gleichmütig.
„Na, du drückst dich doch dauernd bei den Kellnerinnen herum“, beharrte Eddy. „Frag die doch mal. Vielleicht sagt dir die eine oder andere etwas. Sie sollen ja auch nicht umsonst plappern. Bin ja bereit, für jede Information zu zahlen.“
Der Möchtegern-Don-Juan hatte nie zuvor so viel Geduld und Ausdauer bewiesen, stellte Patrick daraufhin nicht nur abfällig, sondern auch wirklich staunend fest. Dabei war Nadja gar nichts Besonderes, wenn man einmal von der Tatsache absah, dass sie sich außergewöhnlich gut bewegen konnte. Ja, ihresgleichen gab es an jeder Ecke! Und doch hatte Eddy nur Augen für sie, so als sähe er die anderen Mädchen gar nicht. Ob er sich wohl ernsthaft verliebt hatte? … Nein, wischte er seine letzte Vermutung gleich wieder beiseite. Es war wohl eher Geltungssucht, die Eddy bei der Stange bleiben ließ. Hätte er gleich klein beigegeben, der Spott der anderen wäre ihm sicher gewesen. Also würde er erst dann Ruhe geben, wenn man ihm seinen Wunsch erfüllte. Nun, er musste sich gar nicht über Eddy lustig machen, ermahnte er sich selbst. Immerhin war er aus einem ähnlichen Grund da! Ja, auch er scheute weder Kosten noch Mühe, um die Frau wiederzusehen, die ihm seit der ersten Begegnung nicht mehr aus dem Kopf ging. Und auch er hatte bisher keine Gelegenheit bekommen, ein privates Wort an sie zu richten. Na, vielleicht ergab sich ja bald eine Möglichkeit, sie nach einem privaten Treffen zu fragen!
Am folgenden Abend wollte Patrick gerade das Restaurant betreten, da rannte ihm die Gesuchte förmlich in die Arme.
„Sorry“, stieß Luisa gehetzt hervor, wobei sie sich auch schon aus der unfreiwilligen Umarmung befreite. „Hoffe, du bist noch heil.“ Damit umging sie ihren Unfallgegner und lief davon.
Zunächst ein bisschen verdattert, weil alles so rasend schnell gegangen war, schaute Patrick ihr über die Schulter hinweg nach. Doch dann machte er kehrt, um ihr zu folgen. Dass mittlerweile einer der Türsteher am Treppenaufgang zur zweiten Etage Posten bezogen hatte, sah er wohl. Doch dachte er nicht über den Grund nach, weil er es eilig hatte, die Entschwundenen einzuholen. Er hatte bereits den Fuß auf die unterste Stufe gesetzt, da fühlte er sich am Ärmel seiner Jacke gepackt und wieder zurückgezogen.
„Du kannst da nicht rauf“, gab ihm der Aufpasser gleich darauf mit strenger Miene zu verstehen. „Da oben sind ausschließlich Privaträume. Und Gäste haben in diesem Bereich nichts zu suchen.“
Patrick fand sich von einem gleich großen, aber ziemlich muskulös wirkenden Security-Mann im schwarzen Anzug gestellt, und wich unwillkürlich einen Schritt zurück. Da er nichts Unrechtes getan hatte, verspürte er auch keine Angst vor dem Aufpasser. Dennoch fand er es angebracht, ein gewisses Maß an Respekt zu zeigen, denn er wollte keinen Ärger mit dem finster dreinschauenden Hünen.
„Ich wollte doch bloß mit Luka sprechen“, erklärte er.
„Luka hat jetzt bestimmt keine Zeit für dich“, erwiderte der Security-Mann. „Ihre Pause ist ihr nämlich heilig. Da will sie von keinem gestört werden. Wenn du ihr also was zu sagen hast, dann tu das später.“
„Aber …“ Weil sein Gesprächspartner in einschüchternder Weise einen Schritt näher an ihn heranrückte, machte sich Patrick mit leicht erhobenen Händen auf den Rückzug. „Schon kapiert.“ Er grinste schief. „Ich bin schon wieder weg.“ Er hatte seine Drehung jedoch kaum zur Hälfte ausgeführt, da schaute er noch einmal über die Schulter zurück. „Kannst du mir vielleicht sagen, wie ich Nadja erreichen kann? Ist wichtig.“
„Für wen?“, fragte der Security-Mann mit undurchdringlicher Miene.
„Für einen Bekannten.“ Patrick konnte nicht glauben, dass er an Eddys Stelle tat, was dieser eigentlich selbst hätte erledigen sollen. Nichtsdestotrotz fuhr er fort: „Der Kerl hat sich nämlich unsterblich in sie verliebt und kann darum keine Nacht mehr ruhig schlafen.“
Der Muskelmann stand daraufhin eine geraume Weile bloß schweigend da und nagte dabei unschlüssig an seiner Unterlippe herum. Doch dann nickte er leicht, so als wolle er sich selbst bestätigen, dass seine gerade gefällte Entscheidung richtig war.
„Frag Luka“, empfahl er. „Sie ist nämlich die Einzige, die dir vielleicht weiterhelfen kann.“
Auch gut, dachte Patrick zufrieden, indem er seinen zuvor eingeschlagenen Weg wieder aufnahm. Damit hatte er schon mal eine Möglichkeit, das Gespräch zu beginnen, ohne gleich auf seine eigentliche Absicht eingehen zu müssen. Na ja, er war eigentlich nicht schüchtern und auch nicht auf den Mund gefallen, wenn es darum ging, ein Mädchen anzusprechen und nach einem Date zu fragen. Aber Luka … Sie machte ihn nicht nur sprachlos. Nein, allein ihr Anblick bewirkte so einiges bei ihm, was er in solcher Intensität noch nicht erlebt hatte!
„Sieh mal einer an! Auch hier?“
Dass er direkt auf Eddy zugelaufen war, indem er die Bar ansteuerte, wurde Patrick erst bewusst, als er sich direkt vor seinem Jugendfreund wiederfand. Für einen unbemerkten Rückzug war es nun zu spät. Also nickte er bloß, insgeheim hoffend, dass Nadjas Auftritt nicht mehr allzu lange auf sich warten ließ, denn danach würde die gesamte Clique verschwinden und er wieder seine Ruhe haben.
„Wieso gehst du nicht an dein Scheiß Handy, wenn ich dich anrufe?“, fragte Eddy im vorwurfsvoll klingenden Tonfall. „Hätt’ ich gewusst, dass du heute Abend Zeit hast, hätt’ ich dich abgeholt.“
„Du weißt doch. Mein Boss erlaubt keine Telefonate während der Arbeitszeit“, erklärte Patrick nun schon zum x-ten Mal, um sich dann eine Cola zu bestellen. „Außerdem war ich mir bis vor einer halben Stunde noch nicht sicher, ob ich überhaupt noch mal aus dem Haus gehe.“ Eine bewusste Lüge, ja. Aber er hatte im Moment wirklich absolut keine Lust darauf, darüber zu besprechen, was er tat oder was er sein ließ.
„Na dann.“ Eddy nahm sein Cocktail-Glas in eine Hand, während er mit der anderen den Ellenbogen seines Freundes packte, in der Absicht, ihn mit sich ziehen zu wollen. „Komm mit“, verlangte er zusätzlich. „Die Jungs werden sich freuen, dich zu sehen.“
Das bezweifelte Patrick doch sehr stark, während er sich aus Eddys Griff befreite, um sein Getränk bezahlen zu können. Anschließend folgte er seinem Jugendfreund auf die Galerie hinauf, um sich dort auf den Zweisitzer zu werfen, der eigentlich allein für den Cliquen-Anführer reserviert war. Dass er dabei einen von Eddys Kumpel gegen das Schienbein trat, interessierte ihn wenig. Auch dessen böser Blick und der unterdrückte Fluch beeindruckten ihn nicht. Aufreizend freundlich grinste er den Getroffenen an und führte dabei in aller Seelenruhe sein Glas zum Mund. Weil aber just in diesem Moment jemand an ihm vorbeiging und dabei seinen Arm rammte, bekleckerte er sein helles Hemd, was nun seinerseits einen verärgerten Ausbruch auslöste.
„Halt’ die Klappe“, befahl Eddy daraufhin. „Es geht los.“ Obwohl kaum Platz für ihn übrig war, quetschte er sich neben seinen Freund, um voller Erwartung zu der Stelle zu schauen, an welcher Nadja auftauchen würde.
Patrick sparte sich nicht nur eine unwirsche Entgegnung, die ohnehin nicht beachtet worden wäre. Er rückte auch ein bisschen zur Seite, damit ihm sein Sitznachbar nicht mehr so nahe war. Allerdings mied er den Blick zur sogenannten Bühne, denn die Show, die jetzt dort stattfand, hatte er bereits mehrfach gesehen.
„Wow! Sie hat sich was Neues einfallen lassen!“
Eddys Stimme klang mit einem Mal so atemlos vor Begeisterung, dass Patrick entgegen seiner ursprünglichen Absicht doch zu Nadja hinsah. Allerdings hatte er ihre Gestalt kaum ausgemacht, da zogen sich seine Augenbrauen so eng zusammen, dass eine tiefe Steilfalte auf seiner Stirn entstand. Nein, dachte er, das war jetzt wirklich nicht mehr schön. Sicher, sie war weit davon entfernt, wie eine Professionelle auszusehen, während sie ihren Auftritt abspulte. Aber die täuschend echt wirkende Kunstpelz-Stola, die sie beim Tanzen lässig von einer Schulter hinab baumeln ließ, und der Anzug aus bernsteinfarbenem, seidig schimmerndem Gewebe, der sie vom Hals abwärts wie eine zweite Haut umschloss, erinnerten ihn sehr stark an das Outfit einer Bordsteinschwalbe.
Warum er auf einmal so negativ auf Nadjas Show reagierte, verstand Patrick selbst nicht, denn er war im Grunde auch nur ein Mann, dem der Anblick einer aufreizend herausgeputzten Frau gefiel. Aber das, was er momentan zu sehen bekam, stieß ihn einfach nur ab.
Während die Tänzerin eine ihrer akrobatischen Einlagen zeigte, erklangen aus dem Publikum Gejohle und Pfiffe, sodass sich Patrick unvermittelt umsah. Als er jedoch bei etlichen der Lärmenden dieselbe Mimik entdeckte, die er schon von Eddy her kannte, schwor er sich, dass er sich diese spezielle Darbietung in Zukunft ersparen würde. Nadjas Show war Spielerei, wenn auch eine, die ihm nicht besonders gefiel. Aber die Reaktionen im Publikum, die sie durch ihre provokante Selbstdarstellung auslöste, waren einfach … Er sollte wirklich gehen! Auf der Stelle!
„Ich muss sie haben“, ließ Eddy wieder einmal verlauten.
„Du wirst gar nicht erst an sie herankommen“, quetschte Patrick zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, indem er sich auf die vordere Kante des Zweisitzers schob, um besser aufstehen zu können. „Du hast nämlich die einzige Person attackiert und damit zutiefst beleidigt, mit der sie sich hier abgibt.“ Er hatte kaum zu Ende gesprochen, da bemerkte er den verständnislosen Blick seines Sitznachbarn und schnaubte schadenfroh. „Du erinnerst dich? Die Kellnerin, die du vor drei Wochen im Salt & Pepper angetatscht hast? Die heißt Luka. Und Luka ist die Einzige, die weiß, wo und wann man mit Nadja in Kontakt kommen kann.“
„Dann wirst du mal mit dieser Luka reden“, verlangte Eddy im Befehlston, während er seinen Nebenmann an der Schulter zurückhielt, sodass dieser sich nicht aufrichten konnte. „Schließlich bist du doch mein bester Freund. Also wirst du Nadjas Freundin fragen, ob sie nicht doch ein Date für mich organisieren kann. Sie soll’s auch nicht umsonst tun.“ Er rieb seinen rechten Daumen gegen seinen Zeigefinger, was seine Aussage zusätzlich verdeutlichen sollte. „Du weißt, ich bin nicht gerade kleinlich, wenn man mir einen Freundschaftsdienst erweist.“
Patrick wollte sich befreien. Doch Eddy ließ sich nicht abschütteln.
„Vielleicht sollte ich über Luka auch ein entsprechendes Angebot an Nadja übermitteln lassen“, überlegte er laut.
„Könnte doch sein, dass sie es sich dann doch anders überlegt!“
„Möglich ist alles“, presste Patrick hervor, indem er sich gewaltsam losriss, um aufstehen zu können. Er konnte die Gegenwart seines ehemaligen Schulkameraden nicht mehr ertragen. Ebenso wie dessen widerliches Gebaren. Mochten die anderen auch eine gegenteilige Meinung haben, er glaubte nun doch daran, dass Geld den Charakter verdarb. Wer glaubte, alles und jeden kaufen zu können, war nicht wirklich bereit, einem anderen den Respekt entgegenzubringen, der notwendig war, um eine ehrliche und gute Beziehung zu führen. Und genau das war Eddys Problem! Er war gar nicht in der Lage, eine Frau, die etwas auf sich gab, an seiner Seite zu halten, weil sich jede aus dem Staub machte, sobald sie begriff, wie egoistisch und verkommen der Kerl war!