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Kapitel 5

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Annabel

Ich tauchte aus der Bewusstlosigkeit auf und ein Stöhnen entkam meinen Lippen. Der unsagbare Schmerz, der mich ergriffen hatte, war fort. Zwar begrüßte ich die selige Erleichterung, doch trotzdem kam Panik in mir hoch. Bedeutete der neue Frieden, dass ich tot war?

Angst kribbelte von Kopf bis Fuß durch mich hindurch. Ich zitterte. In meinem benebelten Kopf tobten viele Fragen. Wo war ich? Was war mit mir passiert? Verzweifelt versuchte ich, die Augen zu weiten, um zu sehen, wo ich war, doch sie wollten sich nur halb öffnen. Sie waren zugeschwollen.

Ich dachte darüber nach, warum sie geschwollen waren, und die Ereignisse der letzten paar Stunden kamen zurück. Mendozas zorniges Gesicht, seine wütenden Fäuste und seine brutalen Worte. „Ich bringe dich um, weil du den Namen eines anderen Mannes gesagt hast.“

Als über mir ein grelles Licht anging, ließ ich einen heiseren Schrei über die aufgesprungenen Lippen kommen. Der Frieden, den ich gefühlt hatte, verschwand, als mir klar wurde, dass ich nicht im Himmel war. Stattdessen war ich wieder in der Hölle. Doch als ich um mich schlug, merkte ich, dass es nicht Mendozas Haus war. Ich lag auf einem harten Tisch. Es roch antiseptisch, und ich fragte mich, ob ich in einem Krankenhaus war.

„Schon gut, meine Liebe. Niemand tut dir mehr weh.“

Bei den freundlichen Worten, so mitfühlend ausgesprochen, hielt ich inne. Ich schaffte es, die Augen so weit zu öffnen, dass ich jemanden sehen konnte, den ich nicht kannte. Er trug nicht die Kutte der Diablos. Sondern einen Arztkittel.

Anscheinend konnte er meine Angst und meine Fragen spüren, denn er sagte leise und freundlich:

„Ich bin Dr. Edgeway. Einer meiner Männer hat dich gefunden. Du bist schwer verletzt, wir müssen dich operieren, um dein Leben zu retten.“

Vage erinnerte ich mich an Männer auf dem Gelände. Trotz der Schmerzen erinnerte ich mich an das Chaos um mich. Die Schreie, die Explosionen, die lauten, bedrohlichen Stimmen. Doch Mendoza hatte mich derartig geschlagen, dass ich nichts anderes hatte tun können, als dazuliegen und mein Schicksal abzuwarten. Als ich spürte, wie ich davondriftete, hatte ich Jesus gesehen. Er hatte mich aus Mendozas Zimmer geholt. Mein Retter hatte mir seinen Namen genannt. Ich zermarterte mir das Hirn, um mich an ihn zu erinnern. Endlich fiel er mir wieder ein.

„Rev?“, fragte ich.

Der Arzt hob erstaunt die Brauen. „Er ist draußen. Wenn du ihn sehen willst, kann ich ihn rufen.“

Aus Gründen, die ich selbst nicht verstand, wollte ich den Fremden bei mir haben. „Bitte.“

Er nickte. Als er zur Tür ging, wurde das Zimmer dunkler. Ich kämpfte angestrengt, um wach zu bleiben, damit ich meinen Retter sehen konnte. Als ich ihn im Türrahmen stehen sah, verlor ich den Kampf und versank erneut in der Dunkelheit.

Als ich wieder auftauchte, befand ich mich in einem abgedunkelten Zimmer. Mit Erleichterung schloss ich daraus, dass ich die Operation überlebt haben musste. Als ich meine Position änderte, schoss ein Schmerz durch meinen Bauch, sodass ich nach Luft schnappen musste. Eine warme Hand legte sich auf meine. Instinktiv wich ich zurück. Ich hörte Panik in meinem unterdrückten Schrei. Wer berührte mich? Wo war Dr. Edgeway? Die andauernde Unwissenheit gefiel mir überhaupt nicht.

„Schon gut, Annabel. Ich werde dir nicht wehtun.“

Diese Stimme.

Sie gehörte nicht zu dem Arzt, kam mir aber bekannt vor. Langsam wandte ich den Kopf auf dem Kissen und suchte in der Dunkelheit nach ihm. Über meinem Kopf ging ein Licht an und endlich konnte ich ihn sehen. Sein Blick aus liebevollen blauen Augen nahm mir sofort einen Teil der Angst. Die faszinierende Augenfarbe stand im Kontrast zu seinem mahagonifarbenen Haar. Er saß auf einem unbequem wirkenden Stuhl neben meinem Bett. In der Stille sog ich seine tröstende Anwesenheit und Erscheinung auf. Die langen, jeansbekleideten Beine, das T-Shirt, das voller Blut und Dreck war, das schulterlange Haar, das er sich aus dem Gesicht gestrichen hatte, welches mich mutmachend anlächelte, seine breite Brust.

Als ich bemerkte, dass wir allein im Zimmer waren, prickelte eiskalte Angst an mir entlang. Mein Verstand befahl mir, mich vor ihm zu fürchten. Er war ein Fremder – ein fremder Mann. Er überragte mich weit und besaß eine Muskelkraft, die mir großen Schaden zufügen könnte.

Doch ich brauchte nur in seine Augen zu schauen, die mir sagten, dass es sich um einen friedlichen Riesen handelte und man ihm vertrauen konnte.

Er musste mir mein Zögern angesehen haben und hob eine Hand. „Ich schwöre, dass ich dir nichts antun werde. Solange ich noch atme, wird dir niemand mehr wehtun. Du bist in Sicherheit.“

Ich sah ihn an und dachte über seine Worte nach. „D-du hast mich gerettet“, wisperte ich.

„Ich glaube, so könnte man es ausdrücken.“

Ich war erstaunt, dass er schüchtern den Blick senkte. Diese Reaktion wollte so gar nicht zu dem starken Kerl passen, den er ausstrahlte.

„Du hast mich von Mendoza und aus diesem schrecklichen Ort befreit.“

„Ja.“

„Also, ja, du hast mich gerettet, und ich danke dir dafür.“

Er sah auf und lächelte traurig. „Gern geschehen.“

Ich versuchte, mich etwas aufzusetzen, doch Schmerz jagte erneut durch meine Körpermitte, woraufhin ich das Gesicht verzog.

„Brauchst du mehr Schmerzmittel?“, fragte Rev.

„Nein!“, antwortete ich etwas zu laut und abwehrend, als ich sollte. Als Rev die Brauen hob, schämte ich mich. „Es geht schon“, fügte ich ruhiger hinzu. Ich hasste das Gefühl, benommen zu sein und lahmgelegt. Das letzte Mal hatte ich mich so gefühlt, als ich entführt worden war.

Als der Schmerz nachgelassen hatte, sprach ich weiter. „Wie lange war ich bewusstlos?“

„Einen Tag.“

Ich schnappte nach Luft. „So lange?“

„Nach den Schlägen und der OP hast du es gebraucht.“

„Wie schlimm stand es um mich?“

Rev verzog das Gesicht. „Breakneck war nicht sicher, ob du die OP überleben würdest.“

„Breakneck?“

Rev lachte in sich hinein. „Ich meine Dr. Edgeway.“

„Er war sehr nett zu mir vor der Operation.“

„Er ist ein toller Arzt. Wenn dich einer retten konnte, dann er.“

Ich betrachtete Revs Gesicht und erinnerte mich an mehr von vor der OP. „Ich hatte ihn gebeten, dich zu holen, oder?“

Er nickte. „Und ich kam auch zu dir.“

„Ja“, murmelte ich und erinnerte mich vage, dass er in der Tür gestanden hatte, bevor ich wieder ohnmächtig geworden war.

„Ich war die ganze Zeit bei dir, während du dich erholt hast. Wahrscheinlich ist es gut, dass wir in Mexiko sind, denn ein amerikanisches Krankenhaus hätte das bestimmt nicht erlaubt.“

Ich verstand nicht, weshalb ich mich so zu ihm hingezogen fühlte oder warum ich ihn bei der OP hatte dabeihaben wollen. Schließlich war er ein Fremder. Natürlich hatte er seine Nettigkeit bewiesen, indem er mich aus den Tiefen der Hölle gerettet hatte, trotzdem wusste ich nichts über ihn. War Rev wirklich ein Ritter in schimmernder Rüstung oder hatte ich etwa schon wieder einen Wolf im Schafspelz vor mir?

Als ich die ablenkenden Gedanken beiseitegeschoben hatte, sah Rev mich an. Seit der Entführung war mir meine äußere Erscheinung egal gewesen. Obwohl ich gezwungen worden war, für Mendoza gut auszusehen, war mir seine Meinung einerlei gewesen. Aus irgendeinem merkwürdigen Grund machte ich mir jetzt jedoch Gedanken, was Rev von mir hielt. Ich hob die Hand, in der eine Infusionsnadel steckte, an mein Haar. „Ich muss furchtbar aussehen.“

„Gar nicht. Ich finde, du siehst nach der OP schon wieder viel besser aus. Ich hatte Angst um dich, als ich dich gefunden habe.“

„Ich habe dich für Jesus gehalten“, murmelte ich und spielte auf meine Worte im Camp an.

„Ich bin immer noch nur Rev“, scherzte er.

Darüber musste ich lächeln. Es fühlte sich gut an, wieder lächeln zu können und mit jemandem herumzualbern. Es erinnerte mich an vorher, bevor das mit Mendoza passiert war. „Was ist denn Rev für ein seltsamer Name?“

„Ein Straßenname.“

Ich entriss ihm meine Hand. Nein, das durfte nicht wahr sein. Auf keinen Fall konnte jemand so Nettes wie Rev so sein wie Johnny und seine Kumpane.

Als ich ihn entsetzt anstarrte, sagte er: „Es ist nicht so, wie du denkst.“

„Aber du bist ein Biker, oder? Was gibt es da anderes zu denken?“

„Ich bin ein Hells Raider. Wir sind überhaupt nicht wie die Diablos.“

„Ganz sicher nicht?“, widersprach ich, ehe ich mich bremsen konnte.

Trotz glomm in seinen Augen auf. „Ich habe noch nie eine Frau angefasst, die nicht damit einverstanden war. Und auf keinen Fall habe ich je eine geschlagen. Und wenn ich es gewollt hätte, hätte mich mein Club rausgeschmissen und mir meine Kutte genommen. Eine unserer Regeln lautet, niemals seine Old Lady oder eine andere Frau zu misshandeln.“

„Wirklich?“

Er nickte. „Das war ein Hochzeitsgeschenk, das einer unserer früheren Präsidenten seiner Frau gemacht hat. Sie hatte ein schweres Leben. Viele Männer hatten sie über die Jahre missbraucht.“

Auch wenn ich sie nicht persönlich kannte, spürte ich eine starke Verbundenheit zu dieser Frau. Wir waren beide an einen Club geraten, dem wir niemals hätten beitreten wollen. „Das klingt, als wäre er ein guter Mann.“

Rev verzog kummervoll das Gesicht. „Das war er.“

„War?“

„Er wurde vor ein paar Monaten umgebracht.“

„Das tut mir leid“, antwortete ich. Ich hatte Mitleid mit Rev, denn er strahlte seine Trauer aus.

„Danke.“

Ich verzog das Gesicht und drückte mich im Bett hoch. „Und ich entschuldige mich dafür, dich für so einen Mann gehalten zu haben wie die … die mich verletzt haben.“

„Schon okay. Du kannst nichts gegen deine Gefühle machen. Und ich weiß, was du durchgemacht hast.“

Ich neigte den Kopf zur Seite. „Wovon ist Rev die Abkürzung?“

„Reverend.“

Meine Brauen schossen nach oben bei der Vorstellung, dass Rev eine religiöse Berufung haben sollte. „Du bist ein Pastor?“

„Nein, aber mein Vater war einer.“ Ich musste weiterhin ahnungslos ausgesehen haben. Er holte tief Luft. „Als mein Bruder und ich Vaters Club beigetreten sind, nahmen wir Namen an, die uns mit der Familie verbunden haben, und sein früheres Lebens als Pastor ehrten.“

„Seines früheren Lebens?“

Neuer Kummer zeichnete Revs Gesicht. Er antwortete nicht sofort. Dann blickte er auf seine Hände. „Als ich elf war, verließ er die Kirche und kam zurück in die Bikerwelt. Meine zwei Brüder und ich sind ihm gefolgt, sehr zur Enttäuschung unserer Mutter.“

Ich fühlte mich schuldig, seinen alten Schmerz hochgeholt zu haben. „Das tut mir leid. Anscheinend habe ich heute ein besonderes Geschick, dich zu quälen.“

Er schenkte mir ein kleines Lächeln. „Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Wo wir gerade von Vätern reden … du möchtest doch sicher deine Familie benachrichtigen. Zwar haben wir herausgefunden, wer du bist, fanden es aber besser, wenn du sie selbst kontaktierst.“

Ich schämte mich dafür, dass Rev das Thema aufgebracht hatte und nicht ich. Allerdings hatte ich mir selbst verboten, an sie zu denken. In den ersten Wochen bei Mendoza hatte ich viel an meine Eltern gedacht. Ich fragte mich, was sie taten und wie sie auf meine Entführung reagiert hatten. Ich hatte darüber fantasiert, dass sie alle Hebel in Bewegung setzten und eine Spezialeinheit schickten, die jede Minute zu meiner Rettung eilen würde. Doch als die Zeit verstrich, aus Wochen zwei Monate wurden und niemand kam, musste ich aufhören, an sie zu denken. Ich musste gestehen, dass ich keine Spuren hinterlassen hatte, denen sie folgen könnten.

„Du weißt, wer ich bin?“, fragte ich.

Er nickte. „Annabel Lee Percy aus Virginia, wohnhaft in Texas.“

Ich war erstaunt. „Und das hast du alles rausgefunden nur anhand meines Vornamens?“

Rev lächelte. „Die Raiders haben viele Talente. Allerdings war es auch nicht wirklich kompliziert, die Liste der Vermissten nach einer Annabel zu durchsuchen.“

„Verstehe.“

Rev griff in seine hintere Hosentasche und holte ein Handy hervor. „Möchtest du sie jetzt anrufen?“

„Nein. Nicht jetzt.“

Bei der Panik in meiner Stimme runzelte Rev die Stirn. Doch im Moment hatte ich nicht die Energie, ihm meine komplizierten Familienverhältnisse zu erklären. Mit Sicherheit fand er es seltsam, dass ich ihm nicht das Handy aus der Hand riss, um mit meiner Familie eine tränenreiche Wiedervereinigung zu feiern. Ich versuchte, meine Reaktion abzumildern. „Ich bin zu müde dafür. Vielleicht morgen Früh, wenn ich etwas ausgeruhter bin.“

Zwar nickte er, doch ich sah ihm an, dass er es nicht verstand. Glücklicherweise wurden wir an dieser Stelle durch ein Klopfen an der Tür unterbrochen. Dr. Edgeway erschien.

Er lächelte. „Oh, du bist wach.“

Ich nickte und er kam näher. „Darf ich mal sehen, wie es dir geht?“

„Gern.“

Rev erhob sich. „Ich gehe dann mal raus.“

Obwohl mir klar war, dass ich für die Untersuchung allein sein sollte, spürte ich Bedauern, dass er ging.

Er musste meine Gefühle geahnt haben. „Ich bin gleich hier draußen, falls du mich brauchst.“

„Danke.“

Als wir allein waren, trat Dr. Edgeway näher. Anstatt mich zu untersuchen, stand er unschlüssig neben dem Bett und seine Hand spielte mit Kleingeld in seiner Hosentasche.

„Stimmt etwas nicht?“

Er schüttelte kurz den Kopf. „Bevor ich dich untersuche, muss ich dich etwas fragen.“

„Okay“, sagte ich gespannt.

Dann nahm er etwas aus seiner Tasche. Als er es hochhielt, schnappte ich nach Luft. Es war der Smaragdring, den ich kurz getragen hatte. Mir war noch gar nicht aufgefallen, dass er fort war. Sicherlich hatten sie ihn mir vor der OP abgenommen. „Mein Ring.“

„Dein Ring?“, fragte er in einem vorwurfsvollen Ton.

Ich schrumpfte etwas in die Kissen zurück. „Ja, er gehört mir. Er war ein Geschenk von jemandem, und ich hätte ihn gern wieder.“

„Wer hat ihn dir gegeben?“, wollte er wissen.

„Ein … Mädchen.“ Unter seinem intensiven Blick musste ich schwer schlucken. „Gestern oder vorgestern, ich weiß es nicht mehr so genau.“

Seine Wut ließ etwas nach. „Hatte sie rotes Haar?“

Ich war überrascht. „Woher wissen Sie das?“

Ein schmerzlicher Ausdruck erschien in seinem Gesicht. „Weil sie meine Tochter war.“

In mir zog sich alles zusammen. „Wirklich?“ Er nickte kurz. Zuerst hatte ich das rothaarige Mädchen vom Fenster in Mendozas Schlafzimmer aus gesehen. Sie kam mit zwei anderen Mädchen an, nachdem drei andere verkauft worden waren. Weil alle anderen blond oder brünett gewesen waren, hatte ich überlegt, ob sie eine Konkurrentin für Mendozas Begeisterung für mich sein würde. Ich nahm an, dass ich das mehr als alles andere gehofft hatte. Doch als sie nicht ins Haupthaus gebracht wurde, wurde mir klar, dass es für mich keine Erleichterung geben würde.

Plötzlich ergab alles einen Sinn. „Also deswegen hat Rev mit seinen Männern das Camp gestürmt. Um Ihre Tochter zu befreien.“

„Ganz genau.“

Ein schrecklicher Gedanke kam mir. „Hat sie es nicht herausgeschafft?“

Gequält schloss Dr. Edgeway die Augen. Sein Gesicht verriet seinen ganzen Kummer. „Nein.“

„Das tut mir so leid“, wisperte ich. Ich hatte nur eine kurze Begegnung mit dem Mädchen gehabt. Zehn Minuten, vielleicht fünfzehn. Doch jetzt trauerte ich um sie, als wären wir enge Freunde gewesen.

Dr. Edgeway starrte auf den Ring. „Er war ein Geschenk von ihrer Mutter und mir zum Highschoolabschluss. Sie wollte immer denselben, den ihre Mutter hatte.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich kann mir gar nicht vorstellen, warum sie ihn verschenkt hat.“

Mir war klar, was ich zu sagen hatte, würde Dr. Edgeway sich nur noch schlechter fühlen lassen. „Sie wollte ihn nicht verschenken. Sie hat mich nur darum gebeten, ihn für sie aufzuheben für den Fall, dass sie ihn sich irgendwann zurückholen kann.“

Seine silbernen Brauen zogen sich zusammen. „Wie meinst du das?“

Nun schloss ich kurz gequält die Augen. „Als ich im Camp ankam, machte Mendoza mich sofort zu seiner Lieblingsfrau. Neben dieser Aufgabe musste ich mich um die neuen Mädchen kümmern, wenn sie frisch ankamen. Weil ich Englisch sprechen konnte, musste ich ihnen sagen, was von ihnen erwartet wurde. Ihnen wurde ihr ganzer Besitz abgenommen. Und ihr Schmuck wurde dafür benutzt, ihre Verpflegung zu bezahlen, bis sie verkauft wurden.“

Die Galle kam mir hoch, als ich daran dachte, wie ich gezwungen worden war, mit ihnen zu reden. Ich konnte ihre Angst nachvollziehen, auch wenn ich selbst nicht so behandelt worden war. Ich hatte meine Einweisung direkt von Mendoza bekommen. Natürlich war meine völlig anders, da ich dazu ausgesucht worden war, im Camp zu bleiben.

Ich konzentrierte mich auf Dr. Edgeway und fuhr fort. „Ich glaube, erst vor zwei Tagen habe ich Sarah getroffen, und sie hat mich gebeten, auf den Ring aufzupassen. Die anderen Mädchen haben nicht so sehr an ihrem Schmuck gehangen, also habe ich ihr den Gefallen getan. Als Mendoza ihn an mir gesehen hat, habe ich ihn angelogen und behauptet, dass ich gern so tun wollte, als wäre er ein Geschenk von ihm gewesen.“ Ekel kam in mir hoch bei der Erinnerung an die Spielchen, die ich zum Überleben hatte spielen müssen. „Nachdem er mich dafür verprügelt hatte, nahm er ihn mir aber nicht weg.“

Dr. Edgeway fluchte leise. „Es tut mir leid, dass du das durchmachen musstest, nur um Sarah einen Gefallen zu tun.“

Tränen stachen in meinen Augen. Tränen der Wut. Tränen der Qual. Tränen der Verzweiflung. Obwohl ich gerührt sein sollte, dass Dr. Edgeway sich für meine Qualen entschuldigte, wollte ihm der schwarze Teil meiner Seele eine runterhauen. Wie konnte er sich nur einbilden, dass sein Mitgefühl die Erniedrigung und anderen schlimmen Erlebnisse, die ich erlebt hatte, mildern könnte? Worte konnten nur das Minimum von dem beschreiben, was ich durchgemacht hatte. Doch genauso schnell wie meine Wut hochgestiegen war, meldete sich meine rationale Seite, die mir sagte, dass ich einen trauernden Vater vor mir hatte, der sein Bestes tat, um durch den Treibsand zu waten, in dem er sich plötzlich befand. „Es tut mir sehr leid, dass ich ihn ihr nicht wieder zurückgeben kann.“ Meine Stimme versagte mir, als ich versuchte, nun seinen Kummer mit Worten zu mildern.

„Mir auch“, antwortete er. Mit einem resignierten Seufzen steckte er den Ring in seine Tasche. „Jetzt machen wir lieber weiter, sonst wundert sich Rev noch, was wir hier so lange machen.“

„Okay.“ Ich wischte mir die Tränen von den Wangen.

Er überprüfte die Infusion. „Ich sollte wohl dankbar sein, dass es hier dieses Krankenhaus gibt, in das wir dich bringen konnten, aber ich bin wirklich alles andere als beeindruckt von der medizinischen Ausstattung im Vergleich zu den USA.“

Als er nach meiner Zudecke griff, hielt ich automatisch die Ecken fester. Ich schloss kurz die Augen und schüttelte den Kopf. „Entschuldigung.“

„Musst du nicht. Das ist nicht anders zu erwarten, nach dem, was du durchgemacht hast. Besonders bei einem männlichen Arzt.“

Nachdem ich die Decke losgelassen hatte, zog er sie hinunter und dann mein Krankenhaushemd über meinen Bauch. „Der Schnitt scheint gut zu verheilen, keine Anzeichen einer Infektion.“ Er klopfte leicht meinen Bauch ab, woraufhin ich zusammenzuckte. „Natürlich fühlt es sich noch wund an. Neben der Operation musstest du noch ganz schön zusammengeflickt werden.“

„Was genau wurde an mir gemacht?“

Dr. Edgeway antwortete nicht sofort, sondern zog mein Hemd wieder herunter und die Bettdecke wieder hoch. Endlich, nach einer halben Ewigkeit, räusperte er sich. „Durch die Schläge hatte die Milz einen Riss. Hätte Rev dich nicht gefunden, wärst du innerhalb einer Stunde verblutet.“

Wieder stieg mir die Galle in die Kehle, als ich an die letzten Stunden im Camp dachte. „Es wundert mich nicht, dass Mendoza mich zum Sterben liegen gelassen hat. Er wollte mich tot sehen.“

„Ja, das war deutlich an deinen Verletzungen zu erkennen.“

„Also haben Sie nur meine Milz rausgenommen?“

Nachdem Dr. Edgeway zu Boden geblickt hatte, schüttelte er den Kopf. „Die Schläge führten auch zu einer Fehlgeburt.“

Erschrocken holte ich Luft und er sah mich wieder an. „Ich war … schwanger?“

„Ja.“

Ich konnte das kaum begreifen. Natürlich hatte ich im Camp nicht an meine Antibabypille kommen können, und Mendoza machte sich nicht die Mühe, Kondome zu benutzen. Ich nahm an, die Natur hatte ihren Weg gefunden. Doch bei dem Gedanken, das Kind dieses Monsters in mir zu tragen, wurde mir im Nachhinein noch übel. Wenigstens eine kleine Gnade, dass ich das Kind verloren hatte. Sosehr ich Kinder auch liebte und eines Tages selbst welche haben wollte, glaubte ich nicht, in der Lage gewesen sein zu können, ein Kind von Mendoza großzuziehen.

„Aber ich fürchte, das war noch nicht das Schlimmste.“

„Wie bitte?“

„Die Fehlgeburt führte zu einem inoperablen Riss in der Gebärmutter. Die einzige Möglichkeit, die Blutung zu stoppen, war eine Notfall-Hysterektomie.“

Obwohl Dr. Edgeway weitersprach, konnte ich ihn nicht mehr hören. Wie abwesend legte ich die Hand auf meinen Bauch. Meinen jetzt unfruchtbaren Bauch. „Ich kann keine Kinder bekommen“, wisperte ich fassungslos.

Plötzlich hoffte und betete ich, gleich aus dem Albtraum aufzuwachen, wenn auch in Mendozas Schlafzimmer.

„Du kannst kein Kind austragen, aber du kannst immer noch eigene Kinder haben.“

„Was?“, fragte ich wie abwesend.

„Annabel, sieh mich an“, befahl er. Als ich ihn endlich ansah, sagte er: „Du hast noch deine Eierstöcke. Bei den modernen Befruchtungsmethoden kann dein Kind durch eine Leihmutter ausgetragen werden. Das ist nicht unmöglich, besonders nicht für jemanden mit deinem Hintergrund.“

Er hatte es zwar nicht so gemeint, doch es klang, als wollte er sagen, dass ich dankbar sein sollte, aus einer reichen Familie zu stammen. Angeblich sei das meine Rettung und die einzige Möglichkeit, jemals ein Kind von eigenem Fleisch und Blut zu haben. Doch im Moment bedeuteten mir Geld, Status und Ansehen einen Dreck. All das hatte mich auch nicht vor Mendoza beschützen können. Und kein finanzieller Reichtum der Welt konnte meine zerbrochene Seele wieder zusammensetzen. Es gab Dinge, die Geld einem nicht kaufen konnte.

„Annabel, du wirst heilen und das Leben wird weitergehen.“

„Aber ich werde nie ein Leben in mir tragen.“

Langsam schüttelte er den Kopf. „Nein. Das nicht.“

Schon wieder wurde ich von neuem Kummer und Trauer gequält. Nach allem, was ich durchgemacht hatte, hatte ich doch überlebt, aber nur, um zu erfahren, dass ich keine Kinder kriegen konnte?

Warum?

Tausendmal stellte ich mir diese Frage.

Warum?

Warum ich?

Warum nahmen die schlimmen Dinge kein Ende?

In dem Moment wurde mir klar, dass ich zwar dem körperlichen Albtraum entkommen war, jedoch wohl für immer unter den emotionalen Auswirkungen zu leiden hätte. Diese rabenschwarzen und verzweifelten Gedanken überwältigten mich so stark, dass ich kaum mehr den Kopf hochhalten konnte. „Ich bin erschöpft. Ich glaube, ich muss mich jetzt ausruhen.“

„Es tut mir sehr leid, Annabel. Wenn die Umstände anders gewesen wären und wir dich früher gefunden hätten, hätte ich den Riss vielleicht operieren können, ohne die Gebärmutter zu entfernen.“

Auch wenn er es aufrichtig meinte, wollte ich seine Entschuldigungen nicht hören. Nichts, was er tun oder sagen könnte, würde etwas ändern. Niemand konnte das. Mir wurde klar, dass ich eine Hölle gegen eine andere getauscht hatte.

Von heute an wäre ich für meine Eltern nichts weiter als eine peinliche Bürde. Als eine Frau, die von Kriminellen missbraucht worden war, war ich nur noch so etwas wie defekte Ware. Preston würde nie mehr mit mir ausgehen und mich niemals heiraten, und auch kein einziger anderer Mann in unserem sozialen Umfeld. Und selbst wenn es einer wollte, könnte ich ihm keine Bilderbuchfamilie bieten. Keine politische Werbung würde je ein Paar mit seiner Leihmutter zeigen.

Ich konnte nicht mehr in mein altes Leben zurückkehren. Meine Zukunft schien öde und trostlos. Ich schloss die Augen und wünschte, Rev hätte mich nie gefunden, hätte mich auf dem Boden in Mendozas Schlafzimmer sterben lassen wie der wertlose Müll, der ich war.

Redemption Road: Vergebung

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