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Prolog

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Das quirlige Geräusch des alten Handmixers seiner Mutter lenkte Nathaniel von seinen Hausaufgaben ab. Genüsslich schnupperte er die von Schokoladenduft erfüllte Luft. Er blickte über die Schulter und sah zu, wie sich sein jüngerer Bruder Benjamin auf den Küchentresen stützte, in die Schüssel sah und auf den richtigen Moment wartete, um den Finger in die Kuchenglasur zu stecken und zu naschen.

„Glaub ja nicht, dass ich nicht merke, was du da vorhast“, sagte seine Mutter mit einem amüsierten Lächeln.

„Aber du hast versprochen, dass wir den Löffel ablecken dürfen“, protestierte Ben.

„Erst wenn du deine Hausaufgaben fertig hast.“

Mit einem ärgerlichen Seufzen schleppte sich Ben über den abgenutzten Linoleumboden zurück zu seinem Stuhl neben Nathaniel. Nachdem er sich darauf fallen gelassen hatte, griff er widerstrebend nach seinem Bleistift.

„So. Der hier ist fertig“, gab seine Mutter bekannt.

Sie hatte soeben die letzten Handgriffe an einem der Kuchen erledigt, die sie schon den ganzen Nachmittag backte. Benjamin und er mussten warten, bis sie komplett fertig war, ehe sie die Glasurreste ausschlecken durften.

Seine Mutter sah ihn an. „Schatz, würdest du mir den großen Gefallen tun und den hier zu Miss Mae bringen?“

„Klar.“ Er stand auf und ging zum Tresen. „Aber hebt mir was von der Glasur auf.“

Lächelnd zerstrubbelte sie sein Haar. „Natürlich.“ Sie legte den Kuchen in einen Behälter und stellte ihn auf Nathaniels Arme. „Danke, mein Schatz.“

Er ging aus der Küchentür und die Hintertreppen hinab. Mae Sanders wohnte drei Häuser weiter auf der rechten Seite. Alle zwölf Häuser der Halbkreisstraße auf dem Anwesen, wie man es nannte, gehörten Mitgliedern der Kirche seines Vaters. Oben auf dem Hügel stand die alte Baumwollfabrik, in der sich jetzt Soul Harbor befand, die Kirche, in der sein Vater Pastor war.

Vorsichtig balancierte er die Kuchenschachtel auf den Händen, als er Miss Maes blumenumrandeten Weg und die drei Stufen zu ihrer Veranda hochging. Nachdem er angeklopft hatte, öffnete sich die Tür. Doch es war nicht die grauhaarige, großmütterliche Miss Mae, die dort stand, sondern die lange, schlaksige Figur von Kurt Miller, einer der Obdachlosen aus Vaters Kirche, die Miss Mae als Hilfe im Haus beschäftigte. Sie hatte ein weiches Herz für die weniger vom Glück Begünstigten, und daher wohnten immer ein oder zwei Leute bei ihr.

„Wenn das mal nicht der liebe Nate ist“, sagte Kurt mit einem breiten Lächeln.

Nathaniels Wangen wurden heiß bei der Aufmerksamkeit, die ihm entgegengebracht wurde. Es geschah nicht oft, dass er in dieser Kirchengemeinschaft überhaupt zur Kenntnis genommen wurde. Im Vergleich zu seinen zwei wilden Brüdern war er eher der ruhige, brave und gehorsame Bruder. Doch seit Kurt vor ein paar Wochen hierhergekommen war, gab er sich alle Mühe, Nathaniel zu zeigen, dass er etwas Besonderes war.

Heiterkeit flackerte in Kurts dunklen Augen. „Du bringst mir einen Kuchen? Aber ich habe doch gar nicht Geburtstag.“

Nathaniel schüttelte den Kopf. „Nein, Mama schickt ihn zu Miss Mae, für die alten Veteranen zum Bingo.“

Kurt strich sich übers Kinn. „Ach ja. Heute ist ja Bingo-Abend.“ Er breitete die Arme aus und winkte Nathaniel herein. „Sie ist gerade zum Schönheitssalon gefahren und bestimmt eine Stunde weg. Aber du kannst den Kuchen hierlassen, damit du nicht noch mal kommen musst.“

„Okay, danke.“ Nathaniel trat über die Schwelle. Alle Häuser auf dem Gelände hatten denselben Grundriss, also kannte er den Weg in die Küche. Früher hatten sie zu den Reihenhäusern der Baumwollfabrik gehört, bevor diese dichtgemacht worden war.

Nachdem Nathaniel den Kuchen abgestellt hatte, wollte er wieder gehen, doch Kurt hielt ihn auf.

„Hast du es eilig?“

Nathaniel zuckte mit den Schultern. „Ich muss noch Hausaufgaben machen.“

„Ach, die laufen nicht weg. Magst du dich ein paar Minuten hinsetzen?“

Obwohl er wusste, dass zu Hause ein Löffel Kuchenglasur auf ihn wartete, fand er es unhöflich, sich nicht kurz zu setzen. Zumindest hätte seine Mama es für unhöflich gehalten, und sie wollte er auf keinen Fall enttäuschen.

Nachdem er sich auf einen Küchenstuhl mit einer geraden Rückenlehne gesetzt hatte, sah er Kurt erwartungsvoll an.

„Wie wär’s mit was zu trinken?“, fragte Kurt.

„Äh, okay. Gern.“

„Wie läuft’s in der Schule?“, fragte Kurt, während seine Schritte auf dem abgenutzten Holzboden ein Knirschen verursachten.

„Gut. Ich habe nur Einser.“

„Oh, schön für dich.“ Mit dem Rücken zu Nathaniel sah er über seine Schulter. „Hast du eine Freundin?“

Glühend heiße Scham erfüllte Nathaniels Wangen. „N-nein, h-habe ich nicht“, stammelte er.

„Mach dir keine Gedanken. Bei deinem Aussehen werden die Mädels in ein paar Jahren über dich herfallen.“

„Hoffentlich, ich meine, ich nehme an, dass ich mir das dann wünschen werde“, murmelte er.

Er konnte sich nicht vorstellen, dass je ein Mädchen an ihm interessiert sein könnte, und er war viel zu schüchtern, um mit ihnen zu reden. Er wünschte, er wäre mehr wie sein Bruder David. Mit vierzehn hatte er bereits eine feste Freundin und ein paar in der Warteschlange.

Kurt stellte eine Tasse vor Nathaniel. „Hier ist etwas Kaffee, um dich aufzuwärmen, bevor du wieder in die Kälte rausmusst.“

Nathaniel unterdrückte den Drang, ihm zu sagen, dass seine Mama ihm Kaffee verboten hatte, weil er vor Kurt nicht uncool rüberkommen wollte. Also nahm er die Tasse und blies Wellen auf die dunkle Oberfläche der dampfenden Flüssigkeit. Als er dachte, er würde sich nun nicht mehr die Zunge verbrennen, nahm er einen Schluck. Er rümpfte die Nase und nahm die Tasse von den Lippen. Skeptisch betrachtete er den Inhalt. „Das schmeckt aber gar nicht wie Kaffee.“

„Ich habe einen kleinen Schluck Jack Daniel’s reingetan.“ Kurt zwinkerte.

Nathaniel weitete die Augen. „Du hast … Alkohol in meinen Kaffee getan?“

„Klar, warum auch nicht? Ich war in deinem Alter, als ich meinen ersten Drink hatte.“

Nathaniel starrte weiter in die Tasse und spürte das bekannte Zerren seines Gewissens, wie immer, wenn sich der Engel und der Teufel auf seinen Schultern stritten. Er war ziemlich sicher, dass seine Mutter betend auf die Knie fallen würde, wenn sie davon wüsste, und sein Vater ihm das Fell über die Ohren ziehen würde. Obwohl er die Tasse hätte auskippen sollen, wollte er noch einmal probieren. „Du wirst mich nicht verraten, oder?“, fragte er leise.

Kurt ließ lächelnd seine Zähne blicken. „Natürlich nicht.“ Er nickte zur Tasse. „Trink aus. Damit es sich auch lohnt.“

Nathaniel zerstreute seine Zweifel mit einem Schulterzucken und nahm noch ein paar herzhafte Schlucke. Je mehr er trank, desto widerlicher schmeckte die Mischung. Eigentlich hatte er genug, doch Kurt spornte ihn weiter an. Als er fertig war, stellte er die leere Tasse auf den Tisch.

„Wie fühlst du dich?“, wollte Kurt wissen.

Nathaniel runzelte die Stirn und versuchte zu verstehen, was mit ihm geschah. Es war, als ob ihm sein Kopf wegfliegen wollte. Innerhalb von Sekunden wurde ihm schwindelig, wie damals auf dem Jahrmarkt im Karussell. Er hatte unbedingt aussteigen wollen, war aber dazu gezwungen gewesen, die ganze Fahrt auszuhalten. Auch jetzt wollte er gern anhalten, so wie er sich fühlte.

Er zuckte zusammen, als ihn eine kalte Hand an der Wange berührte.

„Nathaniel, wie fühlst du dich?“

„I… ich kann es nicht anhalten“, murmelte er und seine Lider flatterten und schlossen sich.

„Versuch es erst gar nicht.“

Ehe er sich versah, wurde er aus dem Stuhl gehoben und in Miss Maes Schlafzimmer gebracht. Nachdem die Tür abgeschlossen worden war, wurde er mit dem Gesicht nach unten auf Miss Maes rüschenbesetzte rosa Tagesdecke gedrückt.

„Was … machst … du … da?“, fragte er. Er konnte die einzelnen Worte nur mit Mühe aussprechen.

Als Hände an seinem Jeansknopf herumfummelten, versuchte er, sie wegzustoßen.

„Du wirst dich gleich sehr gut fühlen, Nathaniel“, kam Kurts Stimme von hinter ihm.

Aber er wollte sich nicht gut fühlen, sondern nach Hause gehen. Er wollte in der Sicherheit seiner Küche sein und sich mit Benjamin um die Kuchenglasur streiten.

Während er in die dunkle, schattige Bewusstlosigkeit glitt und immer wieder hervorkam, befummelten ihn grobe Hände. Als er dachte, dass die Sache nicht noch schlimmer werden könnte, durchfuhr ihn ein Schmerz, wie er ihn noch nie erlebt hatte. Tränen traten ihm in die Augen und rollten seine Wangen hinab. Die Qual hielt an und schien kein Ende nehmen zu wollen.

Doch dann hörte er durch den höllischen Nebel die Haustür aufgehen. An den lauten Stiefelschritten erkannte er seinen Vater. Mama musste ihn geschickt haben, um nachzuschauen, wo er blieb. Als er die Kraft fand, den Kopf zu heben und um Hilfe zu schreien, legte Kurt die Hand auf seinen Mund. Sein scharfes Flüstern traf auf Nathaniels Ohr.

„Wenn du schreist, schneide ich dir und jedem in deiner Familie die Kehle durch. Verstanden?“

Nathaniel wollte verzweifelt schreien. Er wollte, dass der Albtraum, der Schmerz und die Entwürdigung endeten. Und auch wenn es ihm egal war, ob er lebte oder starb, wollte er nicht, dass seiner Familie etwas passierte.

Als sein Vater nicht in der Tür erschien, verflog Nathaniels Hoffnung. Er vergrub das Gesicht in Miss Maes Tagesdecke und schluchzte.

Beim Klang eines lauten Schlags hob er den Kopf.

Sein Vater stand in der Tür. Der unverfälschte Ausdruck von Entsetzen und Wut ließ Nathaniel vor Angst schlottern. Ihm blieb keine Zeit, sich auf die Rache seines Vaters einzustellen, ehe dieser das Gewehr hob und ein Schuss ertönte, der die Fenster klirren ließ.

Und als sein Vater atemlos seinen Namen rief, wurde Nathaniel klar, dass er gerade eine Hölle gegen eine andere getauscht hatte.

Redemption Road: Vergebung

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