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Kapitel 1

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Rev

Gegenwart

Ich erwachte, weil mich jemand wie verrückt schüttelte. Ich öffnete die Augen, um meinem gequälten Unterbewusstsein zu entkommen, und starrte in die besorgten blauen Augen meines Bruders Bishop. Seine Hände hatten meine Schultern so fest gepackt, dass ich sicherlich Hämatome zurückbehalten würde.

„Was soll das, Mann?“, fragte ich und schob ihn von mir.

Er taumelte auf der Matratze zurück. „Du hattest die Mutter aller Albträume.“

Ich seufzte und rieb mir die Schultern, wo seine Hände gewesen waren. „Okay, aber das bedeutet nicht, dass ich zu deinem ekligen Gesicht mit dem Morgenatem aufwachen will“, sagte ich, um die Anspannung aufzulockern.

Doch Bishop lachte nicht. Er bewegte sich auch nicht von meinem Bett. Er starrte mich nur weiterhin an, als ob mich das zum Reden bringen würde. So hatte er mich schon die letzten paar Tage angesehen, während wir unterwegs waren. Immer wenn wir zum Tanken oder Essen anhielten, starrte er mich an, kaute an seiner Unterlippe, als ob er mir etwas sagen wollte. Seit er vor drei Tagen durch eine persönliche Tragödie eines ehemaligen Clubmitglieds einen kleinen Einblick in mein lange gehütetes Geheimnis bekommen hatte, schien er völlig verzweifelt zu sein.

Ich brach das Schweigen zwischen uns. „Wann treffen wir die El Paso Raiders?“

„Um sieben.“

Ich sah über die Schulter auf die leuchtende Anzeige der Uhr auf dem Nachttisch. „Das lässt uns nicht viel Zeit, durch diesen Staat zu fahren. Wir machen uns besser auf den Weg. Willst du zuerst duschen?“

„Nein, erst du.“ Bishop erhob sich aus dem Bett. „Ich besorge uns solange ein schnelles Frühstück.“

„Danke, Bruder.“

Als ich über den abgewetzten Teppich zum Bad ging, ließen mich Bishops Worte innehalten.

„Rev … du weißt, dass es für mich keine Rolle spielt, was auch immer du erlebt hast. Es wird niemals irgendwas daran ändern, was ich für dich empfinde. Egal was es ist, du wirst immer mein großer Bruder und mein Präsident sein.“

Da ich emotional zu hin- und hergerissen und außerdem zu stur war, um zu antworten, ignorierte ich ihn und ging ins Bad. Ich schloss die Tür ab und betrachtete mich im Spiegel. Zwei Tage durch Georgia, Alabama, Mississippi und Louisiana zu fahren, mit zu wenig Schlaf, forderte einen körperlichen Tribut. Kombiniert mit emotionalem Stress hatte ich nun dunkle Ringe unter den Augen. Wir waren so schnell losgeeilt, dass ich nicht einmal Rasierzeug dabeihatte, sodass mein Bart munter drauflos wuchs. Ich sah genauso aus wie die Hölle, die in mir tobte.

Ich drehte das Wasser voll auf und trat unter die Dusche. Mit den Händen stützte ich mich an den Fliesen ab und ließ mir das Wasser über den Kopf prasseln. Ich rollte mit den Schultern, um die Verspannungen zu lockern.

Die Zeit vor zwei Tagen fühlte sich an wie zwei Jahre und eine Ewigkeit her. Schwer, sich vorzustellen, dass ich noch vor achtundvierzig Stunden auf der Hochzeit meines Bruders Deacon und seiner Frau Alexandra getanzt und getrunken hatte. Dann kam ein Anruf des inoffiziellen Arztes der Raiders, Bob Breakneck Edgeway, und änderte alles.

Immer wenn ich die Augen schloss, verfolgte mich eins von zwei Gesichtern. Entweder war es das teuflische Gesicht meines Vergewaltigers oder das hübsche, unschuldige Antlitz von Breaknecks Tochter.

Es war fünf Jahre her, seit ich Sarah auf einem Event der Raiders gesehen hatte. Sie war einst ein ungelenkes, dreizehnjähriges Mädchen mit Zahnspange, das die meiste Zeit beim BBQ hinter Eric her war, dem Sohn im Teenageralter unseres damaligen Präsidenten Case. Jetzt war sie Studentin an der Uni Texas A&M. Auf dem Foto, das Breakneck mir geschickt hatte, sah man, dass sie zu einer dunkelbraunhaarigen Schönheit mit einem unschuldigen Lächeln herangewachsen war.

Die Art Frau, auf die niedere Menschenhändler immer scharf waren.

Das polizeiliche Profil von diesem Abschaum zeigte, dass diejenigen, die solche Frauen kauften, nicht auf künstliche Brüste oder Schlampen standen. Für die hätten sie jederzeit auf der Straße und in Strip-Clubs bezahlen können. Nein, sie wollten unerreichbare Frauen, welche, die sich nie mit ihnen einlassen würden, es sei denn, sie wurden dazu gezwungen. Und leider passte Sarah in dieses Schema.

Wir hatten nicht viel in der Hand, außer der Information, dass die Highway Henchmen dahintersteckten und Breakneck erpressten. Anscheinend hatte sie verraten, dass ihr alter Herr ein Biker war. Normalerweise bekamen gekidnappte Frauen, mit denen Handel getrieben werden sollte, nicht die Chance, von ihren Familien ausgelöst werden zu können. Sie wurden an den Meistbietenden für ein Leben als Sexsklavinnen verkauft. Die Vorstellung, dass Sarah so eine Zukunft vor sich hatte, drehte mir den Magen um und machte mich rasend.

Nachdem ich mir gestern schon den Schmutz der Reise mit der billigen Hotelseife abgeschrubbt hatte, hielt ich diese Dusche kurz. Als ich das Wasser abstellte, hörte ich mein Handy im Schlafzimmer klingeln. Mit einem Handtuch um die Hüften eilte ich hinaus und schnappte es mir. Als ich sah, wer es war, verzog ich das Gesicht.

„Ja?“

„Wo zur Hölle bist du?“, wollte Deacon ohne Begrüßung sofort wissen.

„Ich bin tief gerührt, dass du mich anrufst, obwohl du in den Flitterwochen bist.“

Deacon knurrte mir ins Ohr. „Wechsel nicht das Thema, du Arsch.“

„Ich wollte nur nett sein.“

„Ach, aber du bist nur eine Nervensäge, also gib mir jetzt eine direkte Antwort.“

„Als ich das letzte Mal nachgeschaut habe, hatte ich das Präsidenten-Patch an der Kutte.“ Mir war klar, dass diese Worte dasselbe waren, wie eine angriffslustige Klapperschlange zu reizen. Auch wenn ich der Präsident der Hells Raiders war, schuldete ich Deacon trotzdem eine Erklärung.

„Okay, Mistkerl, dann erklär doch bitte deinem neuen Vizepräsidenten, warum seine Brüder von seiner Hochzeit abgehauen und jetzt in Texas sind.“

Resignierend lehnte ich mich an den Tresen. Ich wusste, dass ich seinen Fragen nicht länger ausweichen konnte. „Es ist kompliziert.“

„Ich bin ganz Ohr.“

Langsam rollte ich die Geschichte von Sarahs Entführung auf und wie wir sie aus den Händen der Entführer befreien wollten.

Als ich fertig war, murmelte Deacon: „Verfickte Scheiße.“

„Ja, das bringt es ziemlich genau auf den Punkt.“

Deacon seufzte ins Telefon. „Mann, ich kann nicht glauben, dass du einfach abgehauen bist, ohne die Sache hier auf den Tisch zu bringen. Du bist der Präsident, verdammt noch mal. Auch wenn es dich ehrt, das für Breakneck tun zu wollen, geht es dabei nicht nur um dich. Es betrifft den ganzen Club.“

„Du sagst mir nichts Neues. Sag den Jungs einfach, ich stelle mich den Konsequenzen später.“

„Ich hoffe nur, dass es nicht noch schlimmer kommt.“

Ich stieß mich vom Tresen ab. „Stellst du mein Urteilsvermögen infrage?“

„Hör zu, ich kenne dich und deinen Ehrenkodex. Du wirst tun, was du tun musst, um Sarah wiederzubekommen.“

„Das klingt, als ob du es für falsch hältst.“

„Das ist es auch, wenn die Raiders versuchen sollen, anständig zu werden.“

Obwohl er es nicht sehen konnte, schüttelte ich ungläubig den Kopf. „Was stimmt nicht mit dir? Wir reden hier vom Leben einer unschuldigen Frau. Das Kind eines unserer Brüder. Hast du vergessen, dass die Raiders sich gegenseitig um jeden Preis beschützen? Du würdest alles tun, wenn jemand Willow oder Alexandra hätte. Mann, das hast du sogar schon.“

„Bring nicht meine Frau und mein Kind ins Spiel“, zischte er.

„Stell meine Entscheidungen nicht infrage, dann mache ich es auch nicht. Denk bitte einen Moment daran, dass Sarah Breaknecks Kind ist, und ich werde alles tun, um sie zurückzubringen. Und sollte das Auswirkungen auf den Club haben, werde ich mich später darum kümmern.“

„Nein, am Ende werden wir alle uns darum kümmern müssen.“

Ich atmete frustriert aus. „Ich weiß, dass du von Alexandra Druck bekommst, was den Club angeht. Aber ich garantiere dir, wenn du ihr sagst, was passiert ist, steht sie voll hinter mir, egal was das für den Club bedeutet.“

Als Deacon leise fluchte, wusste ich, dass ich endlich zu ihm durchgedrungen war. „Du bist so ein sturer Bock“, brummte er.

Ich lachte. „Ich habe vom Besten gelernt, Bruder.“

Deacon schnaubte. „Okay, aber sei vorsichtig.“

Da Deacon nicht gerade der emotionale Typ war, war ich ein bisschen gerührt von seiner Anteilnahme. „Mach ich. Aber das ist etwas, das ich so oder so tun muss.“

„Glaub mir, das verstehe ich. Es muss mir nicht gefallen, aber ich kann es auf jeden Fall nachvollziehen.“

„Wir werden so schnell es geht zurückkommen.“

„Ruf mich an, sobald ihr sie habt.“

„Okay.“

Nachdem Deacon ohne Verabschiedungsfloskel aufgelegt hatte, was typisch für ihn war, zog ich mich an. Doch egal wie sehr ich mich bemühte, konnte ich das ungute Gefühl bei der Sache, das mir unter die Haut ging, nicht abschütteln. Obwohl ich Deacon gegenüber nie meine Befürchtungen zugeben würde, wusste ich, dass er recht hatte. Sarah zu befreien würde Auswirkungen auf den Club haben.

Doch da hatte ich noch keine Ahnung, wie schwerwiegend diese sein würden.

Bishop kam mit Frühstück zurück und nach einer halben Stunde waren wir wieder auf der Straße.

Nach einem kurzen Halt zum Mittagessen und Tanken erreichten wir den Außenbezirk von El Paso kurz vor neunzehn Uhr. Wir hatten eine Verabredung mit den Texas-Brüdern in deren Strip-Club, der in einer der schäbigeren Gegenden der Stadt lag.

Als ich den Seitenständer des Bikes ausklappte, schrie jeder Muskel in mir schmerzerfüllt auf. Es war schon lange her, dass ich so eine lange Tour hingelegt hatte. Die weite Strecke, gepaart mit dem Stress, machte mich irgendwie altersschwach. Ich sehnte mich nach nichts mehr als einer warmen Mahlzeit und einem kalten Bier. Doch als ich das blinkende Schild mit der halb nackten Frau darauf betrachtete, auf dem Rising Phoenix stand, wurde mir klar, dass ich die heiße Mahlzeit vergessen konnte und stattdessen jede Menge heiße Weiber vorfinden würde.

„Oh Mann, sind wir Glückspilze, oder was?“, fragte Bishop und nahm seinen Helm ab.

Ich lachte in mich hinein. „Nur du, kleiner Bruder, kannst an dieser Situation noch was Gutes finden.“

„Ach, komm schon. Wir sind seit drei Tagen unterwegs. Was gibt es Besseres, um runterzukommen, als einen Lapdance und ein kühles Blondes?“

„Muss ich dich daran erinnern, dass wir nicht zum Spaß hier sind?“

Bishop verdrehte die Augen. „Himmel noch mal. Du bist immer so ein steifer Arsch.“

Ich ignorierte das und ging über den Schotter auf das Gebäude zu. Zwei Muskelmänner in Raiders-Kutten bewachten die Eingangstür. Als sie uns sahen, erschien ein Grinsen auf ihren knallharten Gesichtern. Der Größere trat vor.

„Der Prez hat gesagt, wir sollen nach euch Ausschau halten.“

Ich erwiderte das Lächeln und hielt ihm meine Hand hin. „Ich bin Reverend Malloy und das ist mein Bruder Bishop.“

„Snake, und das hier ist Weasel“, antwortete er und deutete auf den anderen Kerl. „Geil, euch kennenzulernen. Vor ein paar Jahren habe ich mal in eurem Clubhaus übernachtet.“ Er zwinkerte mir zu. „Ihr Georgia-Jungs wisst genau, wie man die Brüder bestens unterhält.“

Ich lachte. „Das kann man so sagen.“

Snake trat vor uns und öffnete die Tür. „Ich bringe euch zum Prez.“

„Danke, Mann.“

Der Club erinnerte mich an die Lounge, den Strip-Club der Raiders zu Hause. Während Deacon und Bishop sich immer gern dort aufhielten, war ich nie so begeistert davon gewesen. Vielleicht wegen meiner bösen Erinnerungen. Als ich alt genug war, um es eigentlich besser zu wissen, hatte ich dort nach Liebe und Partnerschaft gesucht. Doch ich fand nur ein Mädchen, das nicht nur mein Herz brach, sondern es auch noch in Stücke riss. Sie sah in mir ihren Fahrschein aus dem Stripperleben und führte mich an der Nase herum. Es ist eine Sache, wenn einem erzählt wird, dass sein Mädel fremdgeht, aber eine andere, wenn man sie dabei erwischt, wie sie einen deiner Brüder vögelt. Das ist eine ganz andere Ebene von abgefuckt. Sie wurde aus dem Club geschmissen und floh aus der Stadt, und der Bruder wurde in ein anderes Chapter geschickt, nachdem ich mit ihm fertig war, und ich blieb zurück mit jeder Menge Kummer. Das war jetzt drei Jahre her, und ich fragte mich immer noch, ob ich wohl ewig Single bleiben würde.

Man konnte nicht viel gegen ein gründlich zerstörtes Vertrauen unternehmen.

Zwischen den Stammgästen saßen drei Männer in Raiders-Kutten. Als sie uns sahen, erhoben sie sich von den Barhockern und kamen auf uns zu. Einer, nicht viel älter als ich, aber mit weißem Haar, trat vor.

„Das ist unser Präsident, Ghost Phillips“, stellte Snake ihn vor.

„Rev Malloy.“

Ghost schüttelte meine Hand. „Schön, dich zu treffen, Mann. Ich wünschte wirklich, die Umstände wären anders.“

„Ich auch.“

Er deutete mit dem Daumen hinter sich. „Das sind Undertaker und Chulo, unser Vizepräsident und der Sergeant of Arms.“

Ich nickte den Männern zu.

Ghost zeigte auf einen Tisch. „Setzt euch. Ich besorge was zu trinken.“

Ehe ich Einspruch erheben konnte, dass wir keine Zeit für gemütliche Trinkrunden hatten, hatte Ghost bereits der Kellnerin gewunken. Zögerlich ließ ich mich auf einen Stuhl sinken. Innerhalb von Sekunden spürte ich eine Hand auf meiner Schulter. Ich sah hoch und eine langbeinige Blonde setzte sich auf meinen Schoß und presste ihr üppiges Dekolleté an meine Kutte. Als sie anfing, ihre Mitte an meinem Schritt zu reiben, hielt ich unwillkürlich kurz die Luft an.

Sie lächelte. „Hey, Baby, du siehst zum Anbeißen aus.“

Ich riss mich von ihrem Anblick los und sah Ghost an.

Er zwinkerte mir zu.

„Wir wollten euch ein bisschen von unserer El-Paso-Raiders-Gastfreundschaft zeigen, deshalb gehen die Mädels heute aufs Haus. Außerdem dachte ich, ihr könntet ein bisschen Entspannung brauchen nach der langen Fahrt.“

„Na klar“, sagte Bishop und betrachtete bewundernd die Brünette, die sich an ihm rieb.

Ich teilte Bishops Begeisterung für diese Art der Gastfreundlichkeit nicht. Es ärgerte mich, dass Ghost und seine Leute die Ironie darin nicht erkannten. Irgendwo wurde Sarah zwischen fremden Männern zu deren Vergnügen herumgereicht. Sicher, der Unterschied lag darin, dass die Frauen hier dafür bezahlt wurden und es freiwillig taten, während Sarah keine Wahl hatte, aber es stieß mir trotzdem sauer auf.

Ich schüttelte den Kopf, schob die Blonde sanft von meinem Schoß und stellte sie auf ihre Plastikpumps. Ich atmete tief durch, um Ghost und seine Männer nicht zu beleidigen. „Das ist nett von dir, Ghost, aber da es um Breaknecks Tochter geht, haben wir leider keine Zeit zu verlieren.“

Ghost lächelte leicht verbissen. „Verstehe, Bruder. Ich wollte nur, dass ihr die Nachricht, die ich euch mitteilen muss, etwas leichter nehmen könnt.“

Misstrauisch hob ich die Brauen. „Du meinst, dass die Info über Sarah schlimmer ist, als wir dachten?“

Er nickte. „Kommt mit. Gehen wir irgendwohin, wo wir uns besser unterhalten können.“

Nachdem Bishop unwillig von seinem Mädchen abgelassen hatte, folgten wir Undertaker und Chulo zwischen den Tischen hindurch in den hinteren Teil des Clubs. Dort bewachte ein weiterer Muskelmann eine Tür. Er nickte Ghost zu und trat zur Seite.

Wir folgten Ghost durch einen schwach beleuchteten Flur bis zur letzten Tür links. In dem Raum befand sich ein imposanter Mahagonitisch mit zehn Stühlen. Anscheinend wurden hier kurzfristig einberufene Sitzungen abgehalten. Ich setzte mich Ghost gegenüber und rieb ungeduldig die Knöchel auf der Tischplatte.

„Nach eurer Anfrage habe ich sofort die Fühler bei unseren Informanten nach den Entführern ausgestreckt.“

Er holte einen Umschlag aus der Innentasche seiner Kutte. Er nahm ein glänzendes Schwarz-Weiß-Foto heraus und schob es mir zu. Ich hielt die Luft an. Sarah. Sie war in einer College-Bar und hatte ein paar Drinks mit ihren Freunden. Ihr gegenüber saß ein Kerl in einer Clubkutte auf einem Barhocker. Um sicher sein zu können, hätte ich eine Lupe gebraucht, aber ich glaubte, dass es ein Henchmen war. Anscheinend war sie schon länger auf deren Radar, wenn sie sich die Zeit nahmen, sie zu fotografieren.

Ich zeigte Bishop das Foto und er fragte: „Können wir das behalten, um den Kerl aufzuspüren?“

Ghost schüttelte den Kopf. „Es war zwar einer dieser Kerle, aber dort ist sie nicht mehr.“

Ich lehnte mich vor. „Was meinst du damit? Sie fordern Lösegeld für sie.“

„Die Henchmen handeln normalerweise nicht mit Menschen. Aber ab und zu kidnappen sie Mädchen, um sie an einen rivalisierenden Club zu verkaufen, mit dem sie sich verbünden wollen.“

„Welcher Club?“

Ghost verzog das Gesicht. „Die Diablos.“

„Guter Gott“, entfuhr es mir.

Es war eine Sache, von den Henchmen entführt zu werden. Obwohl sie gefährlich waren, rangierten sie doch recht niedrig und hatten nicht viele Verbündete. Die Diablos allerdings spielten in einer ganz anderen Liga. Unter den Top 5 der größten Clubs der Welt rangierten die Diablos ganz oben bei den Hells Angels und den Mongols. Sie wurden nicht nur vom FBI und der ATF – der Abteilung für Alkohol, Tabak, Waffen und Sprengstoff – als gefährlich eingestuft, sondern auch von den anderen Clubs. Sie arbeiteten mit den mächtigsten Drogenkartellen in Mexiko zusammen. Sie waren für ihre extremen Foltermethoden bekannt, und es war ihnen scheißegal, ob sie Frauen oder Kinder ausschalten mussten, um zu bekommen, was sie wollten.

Das änderte die Sache enorm. „Bist du ganz sicher?“

Undertaker nickte. „Ich habe einen Kontakt an der Grenze. Er hat bestätigt, dass eine Frau, auf die Sarahs Beschreibung passt, gestern Früh nach Juárez verschleppt wurde.“

Ghost holte noch ein Foto aus dem Umschlag und schob es über den Tisch. „Das hier haben wir heute Nachmittag erhalten.“

Erneut hatte ich ein Schwarz-Weiß-Foto von Sarah vor mir. Doch dieses Bild zeigte nur einen Schatten von der Frau, die auf dem anderen Foto fröhlich lachte. Ihr Blick war auf ihren Schoß gerichtet, wo sie die Hände gefaltet hatte. Selbst das Foto vermittelte deutlich ihre Angst.

„Aber ich dachte, die Kartelle entführen Frauen und schleusen sie aus Mexiko aus, und nicht umgekehrt“, sagte Bishop.

„Jetzt kommt, was euch nicht gefallen wird“, antwortete Ghost.

Ich schnaubte. „Mir gefällt an der ganzen verfickten Sache nichts.“

Ghost nickte Chulo auffordernd zu.

„Es sieht so aus, als wären weiße junge Frauen der Oberklasse zu einer wachsenden Handelsware bei hochrangigen Kartellmitgliedern geworden. Das El-Paso-Chapter der Diablos beobachtet College-Bars und Campusse. Irgendwo außerhalb von Juárez haben sie ein Camp, wo sie die Mädchen unterbringen, bevor sie sie an den Meistbietenden verkaufen“, erklärte Chulo.

„Wem gehört das Camp?“, fragte Bishop.

Chulo trank einen großen Schluck Bier, ehe er antwortete. „Einem Kerl namens Mendoza. Er ist einer von Rodriguez’ Lugartenientes.“ Als Bishop und ich ihn ahnungslos ansahen, zwinkerte er. „Das bedeutet Lieutenant für euch Gringos.“

Verwirrt runzelte ich die Stirn. „Moment – also ist er einer ihrer Soldaten?“

Chulo schüttelte den Kopf. „Als Lugarteniente steht er an zweithöchster Position innerhalb des Kartells. Er überwacht die unteren Ebenen, wie zum Beispiel die Auftragskiller.“

Tausend Fragen schwirrten mir im Kopf herum. Ich musste einfach weiterfragen. „Also, wenn er an zweiter Stelle in der Drogenwelt steht, wo kommt der Verkauf von Mädchen ins Spiel?“

„Aufgrund der jüngsten Razzien gegen den Drogenhandel ist der Menschenhandel zu einem lukrativen Nebeneinkommen für die geworden“, erklärte Chulo.

Während ich die neuen Infos über Sarahs Entführung verdaute, stützte ich den Kopf mit den Händen ab. Das Ganze ging weit über das hinaus, was ich als Clubmitglied je erlebt hatte, am allerwenigsten als Präsident. Nicht mal Preacher Man oder Case hatten sich je mit einem Kartell angelegt. Sie hatten begriffen, dass die Risiken schwerer wogen als die Vorteile, und hatten sich strikt aus dem Drogengeschäft herausgehalten.

„Also sind wir sozusagen im Arsch“, sagte Bishop neben mir.

Ich hob den Kopf und warf ihm einen Blick zu. „Vielleicht im Moment, aber wir werden Breakneck nicht im Stich lassen.“

„Schön, das zu hören“, sagte Undertaker.

Ich sah ihn an. „Was meinst du damit?“

Mit einem listigen Funkeln in den Augen antwortete er: „Ich meine, dass wir euch helfen, da reinzugehen und euer Mädchen rauszuholen.“

Ich hob eine Braue. „Ist das dein Ernst?“

„Fuck, ja.“

Ich schüttelte den Kopf. „Dafür bin ich zwar dankbar, aber das kann ich nicht von euch verlangen.“

Chulo schnaubte. „Wir fragen gar nicht nach eurer Erlaubnis. Außerdem haben wir unsere eigenen Gründe.“

„Er hat recht“, sagte Ghost, ehe ich weiter widersprechen konnte.

„Und was für einen Grund könntet ihr haben, gegen die Diablos und das Rodriguez-Kartell vorzugehen?“, wollte ich wissen.

Ghost lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. „Seit sechs Monaten setzen die Diablos Clubs in ganz Texas und Louisiana unter Druck, sich bei ihnen einzupatchen.“

„Ich nehme an, dass ihr daran kein Interesse habt.“

Ghost verengte die blauen Augen und sah mich an. „Lieber würden wir sterben, als ein anderes Abzeichen als das der Raiders zu tragen.“

„Glaub mir, das verstehe ich. Aber trotzdem muss ich euch warnen, worauf ihr euch da einlasst.“

„Das ist uns verdammt bewusst“, sagte Undertaker.

Ich betrachtete die drei tapferen Gesichter und begriff, dass ich ihre Meinung nicht ändern konnte. Ich lächelte. „Dann muss ich sagen, dass ich für eure Hilfe sehr dankbar bin.“

Neben mir bewegte sich Bishop auf seinem Stuhl. „Da Rev und ich keine Ahnung haben, wie wir es anstellen sollen, hoffe ich, dass ihr Jungs einen Plan habt, wie wir nach Mexiko kommen und gegen den zweithöchsten Drogenbaron antreten können.“

Ghost lachte in sich hinein. „Ja, wir haben einen Plan.“

„Hoffentlich ein klassischer A-Team- oder Navy-SEAL-Scheiß“, antwortete Bishop. Sein Ausdruck signalisierte, dass er nicht sehr von den Fähigkeiten der El Paso Raiders überzeugt war.

Ghost erhob sich von seinem Stuhl und verengte die Augen. „Vertrau uns. Wir haben einen verfickten Plan.“

Redemption Road: Vergebung

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