Читать книгу Tlingit Moon - Katja Etzkorn - Страница 10
Alaska
ОглавлениеWährend des gemeinsamen Abendessens lernte Joe auch ihre anderen Mitstreiter kennen. Sie arbeiteten an völlig unterschiedlichen Projekten, die sich aber letztendlich alle mit den Auswirkungen des Klimawandels auf das sensible Ökosystem befassten. Darunter auch Barney, der einen etwas verwirrten Eindruck machte und sich mit der Entwicklung von Computerprogrammen zur Simulation von Strömungsverhältnissen beschäftigte. Lillian, die das Wanderungsverhalten der Lachse erforschte, und Marc, der wie Trisha zu den Festangestellten gehörte und für die Wartung aller technischen Geräte der Station verantwortlich war. Die wissenschaftlichen Leiter der Station, ein Biologe und ein Klimatologe, ließen sich an diesem Abend nicht blicken.
„Die sind noch an der Uni in Juneau“, erklärte Trisha. „Aber morgen zur Party sind sie wieder da.“
Joe entging nicht das Funkeln in den Augen ihrer Zimmergenossin. Sie vermutete, dass Gooch die beiden abholen und dann, wie von ihm angekündigt, auch auf der Party erscheinen würde.
„Du kommst doch auch, oder?“, fragte Barney. Er bekam hektische Flecken im Gesicht und schob seine große Brille wieder hoch.
„Klar!“, erwiderte Joe fröhlich und vermutete, dass Barney sich noch nicht allzu oft von seinem Computer entfernt hatte. Er sah aus wie der klassische Retro-Nerd. Kurze Haare, kurzer Bart, beides dunkelblond, Brille und ein Ohrstecker auf der linken Seite. Auch ihn mochte Joe sofort. Er balzte nicht herum wie die meisten Männer, sondern war etwas schüchtern und das fand sie sehr sympathisch. Sie unterhielten sich noch eine Weile, dann fiel Joe todmüde ins Bett und schlief sofort ein.
Gooch verzog sich von der Veranda ins Haus. Draußen wurde es frisch; das Wetter schlug um, und Nebel waberte vom Meer aus in die Fjorde, kroch aufs Land und blieb an den bewaldeten Bergen hängen. Er stellte die Reste des Lachses in den Kühlschrank und ging in sein Schlafzimmer. Als er die Bettdecke zurückschlug, entdeckte er ein knappes rotes Höschen – Souvenir der vergangenen Nacht. Er lächelte, hob das winzige Stück Stoff auf und ließ es im Mülleimer verschwinden. Er nahm nicht an, dass die Besitzerin zurückkäme und es abholen würde. Die verwünschte Basketballshorts pfefferte er wütend in die nächste Ecke, ging schlafen und träumte von grünem Eis.
Trishas Radiowecker startete mit wildem Gedudel. Gutgelaunt stand sie auf und verschwand im Bad. Ein kleiner Luxus in der Unterkunft der Frauen – die Männer hatten eine Gemeinschaftsdusche. Joe zog sich mürrisch das Kissen über den Kopf und dämmerte noch mal weg. Wenig später kam Trisha aus dem Bad und versuchte Joe zu wecken, doch das gestaltete sich schwieriger als angenommen. Irgendwann richtete Joe sich zerknautscht auf und versuchte Trishas Redeschwall einzudämmen.
„Erst Kaffee, dann reden“, maulte sie und rang sich angesichts Trishas Gesichtsausdruck zu einer Erklärung durch. „Unter drei Tassen Kaffee läuft in meinem Hirn nur das Testbild.“ Sie stand auf und schlurfte ins Bad. Frisch geduscht hatte sich der Nebel im Kopf zwar verzogen, aber ihre Laune besserte sich erst, als ihr Trish eine Tasse in die Hand drückte.
„Bitte sehr. C8 H10 N4 O2, heiß mit Milch“, verkündete Trish mit einem breiten Grinsen.
„Was bedeutet das?“, fragte Joe und schenkte ihrer Zimmergenossin einen dankbaren Blick.
„Das ist die Summenformel für Koffein.“
Joe schlürfte andächtig das heiße Gebräu und lächelte selig. „Unter diesem Aspekt kann ich mich mit Chemie anfreunden.“
Gleich nach dem Frühstück erschien Ben McKenzie auf der Station, um den Cheechakos, den Neulingen, eine Lektion in Sachen Wildnis und Wildtiere zu erteilen. Die größte Gefahr ging von Elchen und Bären aus. Wölfe fanden im Sommer genug zu fressen und mieden die Nähe des Menschen. Bären waren Opportunisten und Feinschmecker und stöberten deswegen gern nach menschlichen Nahrungsmitteln, besonders an Campingplätzen, in Mülltonnen und Autos. Sie waren darauf aus, sich möglichst viel Speck für die Winterruhe anzufressen. Und die Schokoriegel von Touristen und anderen ahnungslosen Leuten waren kalorienreicher und einfacher zu bekommen, als den ganzen Tag Beeren zu suchen. Während der Lachs-Saison waren sie allerdings meist gut gesättigt. Einer Bärin mit Jungen sollte man besser aus dem Weg gehen. Gleiches galt für Elchkühe. Die Mütter verteidigten ihren Nachwuchs bis aufs Blut. Was Joe allerdings wirklich erstaunte, war die Tatsache, dass die meisten Todesopfer auf das Konto von Elchbullen gingen.
„Im Herbst sind die paarungsbereiten Bullen im Hormonrausch und betrachten jeden Eindringling als Nebenbuhler, der erbittert bekämpft wird“, erklärte Ben.
„Zu viel Testosteron schadet der Gesundheit“, flüsterte Joe amüsiert.
Lillian und Trisha bissen sich auf die Lippen und kicherten. Außerdem lernten sie, dass man Nahrungsmittel nur in einem verschließbaren Container aufbewahren durfte, der zudem noch weit weg vom Lager und vom Transportmittel gelagert werden musste. Bären hätten noch feinere Nasen als Hunde und könnten jeden lumpigen Kekskrümel meilenweit wittern.
„Für alle, die mit einem Boot oder Kajak unterwegs sein werden und Walen begegnen: Das Gesetz schreibt einen Mindestabstand von dreihundert Fuß vor. Falls die Wale näherkommen, bewahrt die Ruhe und entfernt euch langsam. Ein Wal kann beim Auftauchen mühelos ein Kajak zum Kentern bringen, und das Wasser ist sehr kalt. Also haltet besser Abstand“, fügte Ben noch hinzu und ermahnte alle, immer wasserfeste und trockene Kleidung zum Wechseln mitzunehmen, da man auch im Sommer schnell unterkühlen könnte, wenn man nass würde.
Gooch joggte an diesem Morgen, begleitet von Keet, bis Icy Strait Point, um die Büroarbeit nachzuholen, die er am vergangenen Abend vernachlässigt hatte. Der Nebel hatte sich noch nicht verzogen, und so kam er nicht verschwitzt, sondern nebelfeucht dort an. Keet enterte das Restaurant, um sich von Großmutter, wie Gooch seine Mutter Keet gegenüber nannte, ein paar Leckerbissen zu erbetteln. So früh am Morgen waren noch keine Gäste da. Gooch bestätigte Buchungen per E-Mail, schrieb Rechnungen für Stammkunden und hätte am liebsten auch die folgenden Wochen geplant, doch er war noch nicht dazu gekommen, mit Ben über sein Anliegen zu sprechen. Das musste bis zum Abend warten. Als er daran dachte, fing er leise an zu summen.
So fand Leah ihren Sohn vor, als sie Keet zurückbrachte. Lautlos wie immer hatte sie sich an die Tür gestellt und beobachtete ihn interessiert. Er wirkte etwas geistesabwesend, hatte ein leichtes Lächeln im Gesicht und summte gutgelaunt vor sich hin. Sie schmunzelte und schaute ihn liebevoll an. All die Mädchen, die er immer vor ihr zu verheimlichen versuchte, hatten es bislang nicht geschafft, dieses spezielle Lächeln in sein Gesicht zu zaubern. Er dachte, sie wüsste nichts davon, und Leah ließ ihn in diesem Glauben. Stattdessen behielt sie ihre Sorgen um ihn für sich. Ihn jetzt so zu sehen, ließ ein Fünkchen Hoffnung in ihr aufkeimen.
Gooch blickte vom Computer auf und entdeckte seine Mutter in der Tür; gleichzeitig fühlte er sich ertappt – er wusste nur nicht, warum.
Er stand auf und begrüßte sie mit einem Kuss auf die Wange. „Hey, Mom!“
„Hallo, mein Junge. Keet ist satt – wie steht es mit dir?“, fragte sie harmlos.
„Ich komme gleich. Will nur schnell die Rechnungen fertig machen“, vertröstete er sie.
Später saß er in einem kleinen Eck des Restaurants und schlürfte einen Kaffee.
„Kommst du heute Abend zum Essen?“, fragte sie.
Gooch schüttelte den Kopf. „Nein, tut mir leid. Ich fliege nachher noch nach Juneau und dann weiter zur Station. Heute Abend ist Party in der Lodge. Ich nehme Keet mit und übernachte bei Ben.“ Damit hatte Leah die Informationen, die sie brauchte. Der Grund seiner guten Laune befand sich in Barlett Cove, und die Tatsache, dass er von vornherein plante, bei seinem Cousin zu übernachten, sprach wiederum für das Mädchen. Sie grinste ein wenig zu offensichtlich vor sich hin, und Gooch witterte Lunte.
„Was freut dich daran so?“, fragte er etwas misstrauisch.
Leah erhob sich und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. „Nichts weiter. Ich wünsch dir einen schönen Abend.“ Sie lächelte geheimnisvoll und verschwand in der Küche.
Und zack! Sie hatte ihn schon wieder erwischt, ohne dass er es rechtzeitig bemerkt hatte. Wenigstens war ihm die Diskussion über Enkel erspart geblieben, aber genau das machte ihn nur noch misstrauischer.
Am frühen Abend hockte Joe im Schneidersitz auf dem Bett und tippte noch einiges in ihren Laptop. Der ganze Tag war mit Besprechungen angefüllt gewesen. Außerdem koordinierte Ben die Terminplanung für die Exkursionen, um sie mit den Dienstplänen seiner Leute in Einklang zu bringen.
Trisha kam, in eine Wolke Parfum gehüllt, aus dem Bad und sah Joe entgeistert an. „Willst du dich gar nicht aufbrezeln?“
Joe sah maulend von ihrem Computer auf. „Muss ich?“
„Na klar! Heute Abend wird gefeiert!“, entgegnete Trisha aufgekratzt.
„Okay“, meinte Joe, ging an ihren Schrank und zog einen weiteren ihrer Oversize Pullis heraus. Diesmal grobgestricktes Leinen in Olivgrün, der ihr über die Schulter rutschte und einen BH-Träger preisgab. Dazu die üblichen Röhrenjeans. Sie öffnete ihren Zopf, fuhr mit den Fingern ein paarmal durchs Haar und knotete geschickt einen Messy Bun, der aussah, als hätte ein Hair-Designer drei Stunden dafür gebraucht. Das Ganze steckte sie mit einer hölzernen Haarnadel fest.
„Fertig!“, verkündete Joe.
Trisha verdrehte gutmütig die Augen und schüttelte den Kopf. „Kein Make-up?“, fragte sie vorsichtig nach.
Joe protestierte. „Bloß nicht! Dann sehe ich aus wie die dämliche Schaufensterpuppe, die meine Mutter lieber als Tochter gehabt hätte.“
Trisha sah sie verwundert an. „Willst du den Jungs denn nicht gefallen?“
„Nein, es reicht mir, wenn sie Angst haben!“, bemerkte Joe mit einem diabolischen Lächeln.
Lillian klopfte an die Tür. „Seid ihr fertig? Wir wollen los!“
Gutgelaunt machte sich die ganze Truppe mit mehreren Autos auf den Weg zur Lodge.
Dort angekommen stellte Joe erleichtert fest, dass der Schönling fehlte. Trisha war sichtlich enttäuscht. Viele der Ranger, darunter auch einige Frauen, waren schon da – und auch einige der Hotelgäste hatten sich eingefunden. Die Party war keine geschlossene Gesellschaft; Gäste waren immer herzlich willkommen. Die Mädels suchten sich einen Platz, Barney setzte sich todesmutig dazu und hielt sich nervös an der Bierflasche fest. Marc sicherte sich einen Platz an der Bar und begann mit einem der weiblichen Ranger zu flirten. Musik spielte, einige Leute begannen zu tanzen. Trisha behielt den Eingangsbereich im Auge, während die anderen mit Fachsimpeleien anfingen.
Gooch hatte sich bewusst lässig gekleidet. Bootcut Jeans, schwarzes Shirt, Lederjacke. Dazu den üblichen Zwei-Tage-Bart. Niemand sollte denken, er hätte mehr als zwei Minuten auf sein Äußeres verwendet. Tatsächlich war es deutlich länger gewesen. Allein die Haare zu trocknen nahm für gewöhnlich schon mehr als eine halbe Stunde in Anspruch. Mit Keet ging er zu Fuß rüber zur Lodge. Die beiden Professoren fuhren mit dem Auto zur Station und wollten später nachkommen. Sie waren etwas spät dran. Der Nebel hatte in Juneau für Verzögerungen gesorgt. Von draußen hörte man schon die Musik, und er freute sich darauf, mal wieder zu tanzen. Drei Ranger, die sich nach Feierabend noch in Schale geschmissen hatten, traten zusammen mit Gooch und dem Hund ein.
Während er von einigen Leuten begrüßt wurde, scannte er den Saal auf der Suche nach Joe. Trisha entdeckte ihn zuerst und seufzte hingerissen.
„Vorsicht! Paarungsbereite Bullen im Hormonrausch!“, bemerkte Lillian trocken, als sie die vier Männer im Eingang sah. Joe saß mit dem Rücken zur Tür, kicherte und drehte sich um. In diesem Moment entdeckte auch Gooch sein Zielobjekt und versenkte lässig die Hände in den Hosentaschen. Dann sah er, wie Joe strahlte und auf ihn zuging. ‚Das läuft ja besser als erwartet‘, dachte er und setzte siegessicher sein Verführer-Lächeln auf – bis er ernüchtert feststellen musste, dass sie gar nicht ihn anstrahlte, sondern Keet. Er brauchte einen kurzen Moment, um sich von diesem Schock zu erholen. Noch bevor er sie warnen konnte, dass der Hund Fremden gegenüber leicht reizbar war, hatte sich Joe auf die Knie sinken lassen und kraulte Keet begeistert den Pelzkragen. „Hallo, mein Großer! Mein Gott, bist du schön!“, säuselte sie hingerissen und strahlte über das ganze Gesicht.
Gooch wäre es deutlich lieber gewesen, wenn sie ihn so begrüßt hätte und nicht seinen Hund, aber das war vielleicht doch ein wenig zu viel verlangt. Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit zeigte Keet nicht seine gefährlich langen Eckzähne, sondern wedelte freundlich und begann Joe das Gesicht abzulecken, was sie sich lachend gefallen ließ. Ein Hund wusste instinktiv, wann er einen wahren Hundeliebhaber vor sich hatte. Gooch beneidete Keet um dieses Privileg.
Alle umstehenden Leute, die Keet kannten, hatten entsetzt die Luft angehalten, und Ben rang sichtlich um Fassung, um nicht in schallendes Gelächter auszubrechen. Der verdatterte Blick seines Cousins war unbezahlbar und würde ihm die Lacher auf jeder Familienfeier in den nächsten zehn Jahren sichern. Und davon gab es bei den Tlingit viele. Keet legte sich begeistert auf den Rücken, um sich auch den Bauch kraulen zu lassen.
‚Verräter‘, dachte Gooch. „Déi áwé!“ – es ist genug, raunte er seinem Hund zu, und Keet stand auf. Joe sah an ihm hoch und bemerkte die langen Hosen.
„Er gehört dir?“, fragte sie erstaunt.
„Eigentlich schon“, antwortete er und hielt ihr die Hand hin, um ihr beim Aufstehen behilflich zu sein. Vielleicht war Keets Showeinlage ja doch ganz nützlich.
Sie griff nach seiner Hand und ließ sich hochziehen. „Ich habe noch nie einen so großen Malamute gesehen.“
„Das ist die XL-Variante“, erklärte Gooch lächelnd. „Tanzen wir?“, nutzte er die Gelegenheit.
„Ich muss mir erst mal das Gesicht waschen“, stellte sie fest und huschte an ihm vorbei zur Damentoilette. Noch ehe er sich‘s versah, war sie ihm schon wieder entglitten. Keet folgte ihr und legte sich draußen vor der Toilettentür hin.
Ben ging zu Gooch und drückte ihm ein Bier in die Hand. „Dein Hund hat einen Narren an ihr gefressen“, meinte er schmunzelnd. „Und ich habe den Eindruck, du auch!“, fügte er mit einem verschwörerischen Lächeln hinzu.
Gooch versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, sonst würde die Geschichte schneller die Runde machen, als er Piep sagen konnte. „Endlich die passende Frau zu meiner Bettwäsche“, spielte er die Angelegenheit auf das übliche Niveau herunter und trank einen Schluck Bier.
Ben sah ihn kopfschüttelnd an. „Das kauf ich dir nicht ab! Und selbst wenn, eines steht fest: Bei ihr kannst du nicht landen!“
„Woher willst du das wissen?“, entgegnete Gooch.
Ben nippte an seinem Bier und erläuterte seine These. „Nach meiner Einschätzung ist sie der Museumstyp. Wunderschön, eiskalt – und du darfst nichts anfassen.“
Als Joe wieder auftauchte, nickte Gooch zufrieden. Er stellte sein Bier auf den Tresen.
„Was hast du jetzt vor?“, fragte Ben.
„Mich als Kurator bewerben“, meinte Gooch entschlossen.
„Vielleicht hast du größere Chancen, wenn du dich als Hund bewirbst“, frotzelte Ben ihm hinterher und erntete einen giftigen Blick seines Cousins.
An Joes Tisch hatte man die Szene mit offenem Mund verfolgt. Lillian fand die Sprache als Erste wieder. „Ich hoffe, das macht sie nicht auch mit Bären.“
„War jedenfalls genauso gefährlich. Ich kenne den Hund; der legt sich mit Bären an – und gewinnt. Dafür wurden sie von den Inupiat gezüchtet“, bemerkte eine weibliche Stimme von hinten. Marc und seine Bekanntschaft Beatrice hatten sich dazugesellt.
„Wer ist der Typ?“, fragte Barney in die Runde, als er sah, wie Joe von dem Mann auf die Tanzfläche gezogen wurde.
„Unser Pilot“, hauchte Trisha andächtig.
Alaskas Buschpiloten waren legendär und wurden wie Helden verehrt, weil sie es fertigbrachten, ihre Maschinen in fast jedem Gelände zu landen, und damit auch die entlegensten Gebiete erreichten. Da es in Alaska kaum Straßen gab, war man ohne sie aufgeschmissen. Der Job war gefährlich; das unberechenbare Wetter, die Berge und das unwegsame Gelände forderten das ganze Können eines Piloten. Es hieß, dass es nur zwei Arten von Piloten gab: verwegene oder alte. Mit den alten lebte man länger. Gooch war zwar nicht alt, aber er hatte viel Erfahrung und galt als besonnener Pilot, der keine unnötigen Risiken einging.
„Ich habe den falschen Beruf“, stellte Barney seufzend fest, der als Einziger mit der Fähre angereist war, weil er luftkrank wurde. Marc klopfte ihm von hinten tröstend auf die Schulter. „Beobachte und lerne vom Meister! Ich wette, er kriegt sie rum“, riet er Barney und lachte.
Trisha schüttelte empört den Kopf. „Ich wette dagegen!“ Nun fingen auch die Anderen an zu spekulieren. Die meisten setzten auf Gooch.
Der ließ Joe keine Chance zu entkommen. Mit festem Griff drückte er sie an sich und führte sie leichtfüßig und routiniert über die Tanzfläche. Sie hatte überhaupt keine Lust dazu, wollte aber auch nicht unangenehm auffallen, indem sie eine Szene machte. Allerdings war sie auch überrascht, dass er so gut tanzen konnte. In den New Yorker Clubs wurde zwar auch viel getanzt, aber nicht paarweise. Sie selbst hatte für diverse Abschlussbälle und gesellschaftliche Veranstaltungen ihrer Mutter Tanzkurse absolvieren müssen. Deswegen zog sie später die Clubs in der Stadt vor.
Die Musik war gut, die Stimmung auch – und so gab sie klein bei und machte mit. Wenn er sie nur nicht die ganze Zeit so ansehen würde. Seine schwarzen Augen hingen an jedem Zentimeter ihres Gesichts, während er zufrieden lächelte. Außerdem war ihr der Körperkontakt entschieden zu eng. Immer wieder versuchte sie, Abstand zu gewinnen, aber er zog sie genauso oft wieder an sich heran. Schließlich machte die Musik eine Pause, und das Buffet wurde eröffnet.
Joe nutzte die Chance zur Flucht. „Ich habe Hunger!“, verkündete sie und löste sich aus seinem Klammergriff.
„Glaubst du an Liebe auf den ersten Blick, oder muss ich noch mal wiederkommen?“, fragte er mit seiner rauchigen Stimme, die sie jedes Mal wieder aus den Schuhen haute.
Joe starrte ihn entgeistert an, als sie diesen abgedroschenen Spruch realisierte. „Bist du immer so schüchtern?“, konterte sie und ging in Richtung Buffet.
Er folgte ihr. Trisha gesellte sich hinzu und reichte Teller und Besteck an Joe und Gooch weiter.
„Nun sag schon!“, drängte er auf eine Antwort.
„Wenn du es unbedingt wissen willst: Ich glaube an genervt auf den ersten Blick!“, giftete sie zurück und funkelte ihn gefährlich an.
Er ließ sich davon nicht aus dem Konzept bringen und versank stattdessen amüsiert in ihren klaren, eisgrünen Augen. „Das heißt dann wohl, ich werde wiederkommen“, raunte er ihr verheißungsvoll ins Ohr, noch ehe sie ausweichen konnte.
Für Joe klang das eher wie eine Drohung. Sie ignorierte ihn und wendete sich dem Essen zu. Die Hotelküche hatte unter anderem alles aufgefahren, was das umliegende Meer zu bieten hatte. Heilbutt, Lachs und Krabben waren verlockend neben diversen Salaten und geschmortem Gemüse angerichtet. Sie füllte sich ein paar gedünstete Krabbenbeine und Heilbutt auf den Teller, dazu Salat und Brot. Schon seit frühester Kindheit hatte sie Meerestiere aus ihren Schalen gepult und liebte frischen Fisch; nur Austern hatte sie noch nie gegessen und weigerte sich strikt, dies zu tun. Die Vorstellung, die Tiere bei lebendigem Leib zu schlucken und zu wissen, dass sie erst Minuten später qualvoll im Magen starben, verursachte bei ihr Übelkeit.
Trisha verfolgte das kurze Gespräch mit großem Interesse und steuerte gemeinsam mit Joe den Tisch an. Gooch folgte ihnen mit seinem Steak. Auch Ben schloss sich an. Um nichts in der Welt wollte er verpassen, wie das ‚Bewerbungsgespräch‘ seines Cousins verlief.
Fürs Erste beschäftigte sich jeder mit seinem Essen. Joe holte geschickt das zarte, süßliche Fleisch aus den Beinen der Krabben und genoss den geräucherten Heilbutt. Irgendwie fühlte sie sich belauert, als würden alle anderen auf etwas warten. Sie beschloss daher, ein unverfängliches Gespräch mit Ben anzufangen.
„Hast du die Pläne für die Exkursionen schon fertig? Ich kann es kaum noch erwarten, dass es endlich losgeht.“
Ben nickte. „Liegen schon auf meinem Schreibtisch. Morgen Früh kommen wir zu euch rüber und teilen euch in Gruppen ein. Außerdem besprechen wir noch, was ihr an Ausrüstung braucht.“
„Hast du warme Klamotten dabei? Auf dem Gletscher ist es kalt – auch im Sommer“, mischte sich Gooch ein und musterte dabei angeregt ihre nackte Schulter.
Joe zog ihren Pulli hoch. Ohne Erfolg, denn jetzt rutschte er von der anderen Schulter.
„In dem Aufzug hältst du da oben nicht lange durch“, meinte er und amüsierte sich.
„Eine Daunenjacke und Winterstiefel“, erwiderte Joe etwas bockig. Sie ließ sich nicht gern etwas vorschreiben.
„Alaskataugliche Stiefel oder Attrappen?“, hakte Ben nach. Er hatte mit Touristen schon die absurdesten Erfahrungen gemacht, und nicht selten brachten sich die unerfahrenen Leute durch mangelhafte Bekleidung in Lebensgefahr.
„Gefütterte Lederstiefel – bisher waren die immer warm genug“, verteidigte sie sich.
Ben schüttelte resigniert den Kopf.
„In den ‚Lower 48‘ mag das ausreichen, aber hier nicht“, erklärte Gooch geduldig.
Joe sah ihn irritiert an. „Lower 48?“
„Die anderen achtundvierzig Bundesstaaten auf dem Festland“, warf Trisha ein.
Langsam ging Joe auf, dass man in Alaska den Rest der USA als Ausland betrachtete, und musste unwillkürlich grinsen. Lower 48 klang irgendwie abwertend und hätte ihre Mutter garantiert empört. Für Jeanne zählte nur „upper“. Joe gefiel diese Vorstellung, und so war sie bereit, sich alaskatauglich auszurüsten. „Wo bekomme ich die richtigen Klamotten und Stiefel her?“
Gooch lächelte zufrieden. „In Hoonah ist ein Laden am Hafen. Ich nehme dich morgen Früh mit. Mittags kannst du dann mit der Fähre zurück nach Gustavus.“
„Okay, danke“, sagte Joe.
„Deinen Dank nehme ich nur auf der Tanzfläche entgegen!“, erwiderte Gooch mit einem verführerischen Lächeln.
Ben verdrehte die Augen und seufzte genervt. Auch Joe ging sein Gebalze gegen den Strich, und sie nahm wie üblich kein Blatt vor den Mund. „Ganz schön eingebildet, findest du nicht?“
„Ich bin nicht eingebildet! Mich gibt es wirklich!“, konterte Gooch schlagfertig, und Joe musste einsehen, dass sein Ego noch größer war als das von Bonaparte.
‚Wenigstens pinkelt er nicht auf den Teppich‘, hielt sie ihm zugute und grinste.
„Was ist mit dir? Kannst du auch lieb sein?“, wollte er wissen und nahm damit den Fehdehandschuh auf.
„Ich muss nicht mehr lieb sein. Ich kann mir meine Bonbons jetzt selbst kaufen“, erklärte sie bestimmt – in der Hoffnung, er würde endlich aufgeben.
Doch Gooch amüsierte sich köstlich über ihre Kratzbürstigkeit, nahm ihre Hand und zog sie erneut auf die Tanzfläche. „Das erklärt vieles! Versuch‘s trotzdem!“
Wie auf Bestellung erklang die unverkennbare Tonleiter auf dem Piano, begleitet von dem für Jazz typischen Metallbesen auf den Drums. Dieser Rhythmus ging ins Blut, und Nina Simone sang ihren Song „My Baby just cares for me“.
Joe liebte Jazz, und ganz besonders diesem Song konnte sie nicht widerstehen. Der swingende Rhythmus, die dunkle weiche Stimme von Nina Simone und nicht zuletzt der Text hatten es ihr angetan. Gooch hielt sie fest im Arm und schwebte im Takt mit ihr über die Tanzfläche. Sie konnte den herb-würzigen Duft seines Aftershaves riechen. Nicht aufdringlich, sondern so dezent, dass man ihn nur wahrnahm, wenn man ihm ganz nah war. Er sah sie an, als wollte er erfüllen, was der Song versprach, und sie bekam weiche Knie. Gleichzeitig fühlte sie, wie er sie im Arm hielt. Ein Gefühl, das sie so selten zu spüren bekam. Jemand, der sie einfach nur hielt und nicht loslassen würde. Menschliche Wärme. Für einen Augenblick versank sie in diesem Gefühl, und alles um sie herum verschwamm. Sie ließ sich fallen, gab sich dem Rhythmus hin, und sein Duft brannte sich in ihr olfaktorisches Gedächtnis. Ein kleines entrücktes Lächeln umspielte ihr Gesicht, und für dreieinhalb Minuten war sie einfach nur glücklich.
Gooch spürte, wie ihre Gegenwehr erstarb, und sah ihr Lächeln. Wie ein winziger Funke, den man nun hüten und vorsichtig mit Sauerstoff und Zunder versorgen musste, damit aus ihm ein Feuer werden würde. Er neigte seinen Kopf zu ihr hinunter, damit sie seinen Atem an ihrem Hals spüren konnte, und widerstand der Versuchung, ihre Schulter zu küssen, die der übergroße Pullover freigab. Das hätte den Funken zum Erlöschen gebracht. Durch das kühle, grobgestrickte Leinen des Pullovers fühlte er, wie feingliedrig und zart sie war, fast schon zerbrechlich. Ihre schmale Hand mit den langen Fingern lag in seiner wie ein kleiner Vogel, der aus dem Nest gefallen war. Sanft schob er sie über die Tanzfläche und hielt sie noch einen Moment länger, als die letzten Takte verklungen waren. Sie war kein gewöhnliches Mädchen. Sie war eine Stradivari, und es bedurfte einer behutsamen und geübten Hand, um ihre Saiten zum Klingen zu bringen.
„Ich brauche dringend frische Luft“, sagte Joe leise, als sie wieder zurück in die Realität fand, und ging auf die große Veranda. Gooch folgte ihr. Draußen bot sich ihnen ein atemberaubender Blick auf die Glacier Bay. Der Nebel war in einen leichten Regen übergegangen. Es roch nach Seetang am steinigen Strand und nach Harz von den Bäumen. Das Geräusch des Regens wurde von der leichten Brandung des Meeres untermalt, und die Luft war frisch und klar. Es war schon spät, und die Silhouette der Landschaft, umrahmt von majestätischen Bergen, verschwamm im geheimnisvollen Zwielicht der Sommernacht.
„Wir nennen ihn auch flüssigen Sonnenschein“, murmelte Gooch leise. Seine Stimme war noch schöner als die von Nina Simone, stellte sie fest.
„Was?“, fragte sie, immer noch etwas entrückt.
„Den Regen“, erklärte er.
Joe lächelte wieder. „Flüssiger Sonnenschein“, wiederholte sie flüsternd. Inmitten dieser rauen, wilden Natur hatte der Begriff etwas Poetisches, und in diesem Moment verliebte sie sich in dieses Land. Alaska.
Sie standen noch eine Weile schweigend auf der Veranda. Joe begann zu frösteln, und Gooch legte ihr fürsorglich seine Jacke um die Schultern. Marc verließ die Party mit Beatrice im Arm und grinste breit, als Gooch ihnen mit gerunzelter Stirn nachblickte. Er selbst würde die Nacht auf Bens Sofa verbringen – so viel war sicher; aber eine innere Stimme sagte ihm, dass sich das Warten lohnen könnte.
„Du brauchst wirklich dringend passende Klamotten“, stellte er fest, als er mit Joe wieder hineinging.
Drinnen widmete man sich inzwischen dem Nachtisch. Trisha frönte ihrer Leidenschaft für Schokolade und hatte nur noch Augen für ihre übergroße Portion warmer Brownies mit Vanilleeis.
„Ist das nicht ein bisschen viel?“, gab Lillian zu bedenken.
Trisha schüttelte den Kopf. „Zu viel Schokolade gibt es nicht!“, seufzte sie. „Ich habe zwei Stimmen in mir, wenn ich Schokolade sehe. Die eine sagt: Iss sie! Die andere sagt: Hast du nicht gehört? Du sollst sie essen!“
Gooch schmunzelte.
„Wollt ihr nichts?“, fragte Trisha erstaunt.
Er winkte dankend ab und klopfte sich auf seinen Waschbrettbauch. „Nein. Ich bevorzuge Eiweiß.“
„Und ich Koffein!“, erklärte Joe. „Ohne Kaffee werde ich gemein und blutrünstig“, erklärte sie und steuerte entschlossen die Bar an.
Gooch sah ihr mit großen Augen nach. „Traut man ihr gar nicht zu.“
„Oh doch!“, bestätigte Trisha. „Hat eine halbe Stunde gedauert, bis ich sie heute morgen wachbekommen habe – und ihre Laune war unterirdisch. Ich wette, sie erschießt jeden frühen Vogel und deklariert das als Notwehr.“ Sie kicherte.
Ben fing an zu lachen. „Ich sag‘s ja immer: So niedlich sie auch aussehen – Frauen bleiben Raubtiere.“
„Ich will euch ja keine Angst machen, aber manchmal laufe ich sogar frei herum!“, bemerkte Joe drohend. Sie hatte sich von hinten angeschlichen und den Rest der Unterhaltung mitbekommen. Mit dem Gesichtsausdruck einer Katze, die einen Kanarienvogel gefressen hat, stellte sie eine riesige Tasse auf den Tisch und begann genüsslich ihren Kaffee zu schlürfen.
Gooch musterte sie amüsiert. „Ich habe trotzdem keine Angst vor dir!“, entgegnete er herausfordernd.
„Musst du auch nicht. Du wirst nie in die Verlegenheit kommen, mich wecken zu müssen!“, konterte sie.
Autsch! Das saß! Während Gooch noch überlegte, wie er diese Schlappe in einen Sieg verwandeln konnte, feierte Ben im Geiste eine Party. Die Kleine machte Gooch Feuer unter dem Hintern und ließ ihn am ausgestreckten Arm verhungern. Schade war nur, dass er nicht immer Mäuschen spielen konnte. Es war nicht so, dass Ben seinem Cousin nichts gönnen würde, aber den notorischen Weiberhelden endlich einmal mit Pauken und Trompeten scheitern zu sehen, war ein echtes Highlight. Es versprach ein interessantes Jahr zu werden.
„Ich zerstöre ja nur ungern eure Illusionen, aber du solltest dich besser mit ein paar Pfund Kaffee bewaffnen“, meinte er zu Gooch. „Und du solltest dich an den Gedanken gewöhnen, dass er dich in der nächsten Zeit öfter wecken wird, als dir lieb ist! Aber lass ihn leben – wir brauchen ihn noch“, bat er Joe lachend.
Gooch lehnte sich zufrieden grinsend zurück, während Joes Gesichtszüge entgleisten.
„Warum?“, fragte sie wenig geistreich.
„Weil du in dieser Saison als Einzige auf den Gletscher musst und Gooch der Einzige ist, der dich dort hinbringen kann. Und damit die ganze Sache nicht zu teuer wird, übernachtet ihr dort im Zelt“, legte Ben sachlich dar.
Barney hatte den Dialog still verfolgt und warf Gooch einen neidvollen Blick zu.
„Na toll!“, rutschte es Joe resigniert heraus.
Gooch war nun bester Laune und protestierte daher nur halbherzig. „Das war jetzt aber nicht nett!“
Ben schüttelte den Kopf und beschloss, dem Kindergarten ein Ende zu setzen.
Er stand auf und klopfte Gooch auf die Schulter. „Naxtoo.aat“ – lass uns gehen, sagte er. Gooch sah auf die Uhr und nickte etwas widerwillig. Er hatte morgen zwar einen langen Tag vor sich, aber trotzdem räumte er nur ungern das Feld. „Morgen nach dem Frühstück!“ Er zwinkerte Joe zu und folgte Ben.
„Spielverderber!“, sagte er zu seinem Cousin und rief nach Keet. Sie stiegen in Bens Auto und fuhren los.
„Ich habe dich vor einer weiteren Kopfnuss bewahrt“, rechtfertigte sich Ben amüsiert.
Gooch hielt dagegen. „Stimmt nicht! Sie sagte, ich würde sie nie wecken – und ich werde es doch tun. Eins zu null für mich!“
„Das hast du mir und deinem Flugzeug zu verdanken, nicht deinem Charme“, stellte Ben trocken fest und bog in Richtung Ranger-Station ab.
„Was vergessen?“, fragte Gooch.
Ben nickte bestätigend. „Die Pläne für die Exkursionen. Dann muss ich morgen Früh nicht extra hierher, und du kannst dir deine Termine aufschreiben.“
Im Lichtkegel der Scheinwerfer gingen sie ins Haus und ließen Keet im Wagen. Ben fischte seine Schlüssel aus der Hosentasche und stutzte, als er bemerkte, dass die Tür zu seinem Büro nicht abgeschlossen war.
„Merkwürdig – ich könnte schwören, dass ich sie verschlossen hatte, als ich ging“, raunte er leise, öffnete die Tür und schaltete das Licht an. Das Chaos auf Bens Schreibtisch war nicht zu übersehen.
„Hier ist jemand gewesen!“, stellte Ben besorgt fest und eilte zum Waffenschrank. Er war verschlossen. Ben öffnete ihn und kontrollierte Waffen und Munition. Dann atmete er erleichtert auf. „Alles noch da.“
Gooch sah sich im Büro um, untersuchte das Türschloss und warf einen Blick in den Nebenraum.
„Das Schloss ist unbeschädigt. Falls hier jemand drin war, hatte er einen Schlüssel. Fehlt irgendetwas?“
Ben sah die Papiere auf dem Schreibtisch durch. „Nein, aber alles ist durcheinander. Irgendwer hat was gesucht.“
„Vielleicht war nur einer von deinen Leuten hier drin und hat in der Eile vergessen abzuschließen. Alle wollten zur Party“, vermutete Gooch.
„Wahrscheinlich hast du recht“, meinte Ben einigermaßen beruhigt und begann die Dienstpläne und auch die Pläne für die Forschungsstation zu ordnen.
Draußen huschte ein Schatten durch die Dunkelheit. Im Wagen legte Keet die Ohren an, fletschte die Zähne und stieß ein bedrohliches Knurren aus.
Gutgelaunt fuhren Trisha, Joe, Barney und Lillian über die Schotterstraße zurück zur Station. Einige andere der Doktoranden und auch die wissenschaftlichen Leiter der Forschungsstation wollten noch auf der Party bleiben.
„Sieht so aus, als hättest du einen glühenden Verehrer“, frotzelte Lillian und lachte.
Joe verzog das Gesicht. „Erinnere mich nicht daran! Mehr als tanzen muss nicht sein!“
„Wieso? Der ist doch süß“, erwiderte Lillian. „Und sexy!“, fügte sie noch schmunzelnd hinzu.
„Nur zu! Tu dir keinen Zwang an!“, meinte Joe großzügig und kicherte.
Lillian seufzte verträumt. „Schön wär‘s! Er hat keine von uns auch nur eines Blickes gewürdigt.“
„Das Gefühl kenne ich“, bemerkte Barney frustriert.
Trisha tätschelte ihm tröstend die Schulter. „Willkommen im Club!“
Als Lillian plötzlich einen erschreckten Schrei ausstieß, stieg Trisha auf die Bremse.
„Was ist?“, rief sie entsetzt.
„Da stand jemand im Unterholz!“, stammelte Lillian.
Trisha gab wieder Gas. „Wahrscheinlich ein Bär, wir fahren besser weiter.“
„Das war kein Bär, er stand auf zwei Beinen!“, meinte Lillian. Trisha lachte amüsiert. „Das tun Bären oft – besonders Schwarzbären laufen gerne mal auf zwei Beinen durch die Gegend. Sieht in der Dämmerung manchmal echt unheimlich aus. Woher stammen wohl all die Meldungen über Bigfoot?“
Joe kicherte vor sich hin. „Der wars nicht! Den kenne ich persönlich! Hauptberuflich arbeitet er für die Station und fliegt ein Wasserflugzeug.“
„Redest du von Gooch?“, fragte Trisha.
„Habt ihr mal auf seine Füße geachtet? Die sind riesig!“
„Nein, ich war so abgelenkt vom Rest“, seufzte Lillian wieder ganz hingerissen.
Trisha versuchte sich ein Lachen zu verkneifen. „Kann man nicht Rückschlüsse ziehen von der Größe der Füße auf … na, ihr wisst schon, was?“
Joe und Lillian brachen in schallendes Gelächter aus.
„Nein, ich glaube, das war die Nase!“, prustete Joe.
Barney errötete, was in der Dunkelheit nicht weiter auffiel, und schob entrüstet seine Brille hoch.
„Wenn es noch schlimmer wird, gehe ich lieber zu Fuß weiter!“
Keiner von ihnen bemerkte die Gestalt, die ihnen in der Dunkelheit folgte.