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Braunbär Smoothie

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Zwei Tage später landeten sie wieder in Gustavus. Ben stand mit dem Truck schon am Flughafen und wartete. Wenig später setzte die Cessna auf der Landebahn auf und rollte auf ihn zu. Eigentlich hatte er wieder eisiges Schweigen erwartet, wenn nicht sogar Schlimmeres – aber was stattdessen geschah, als sich die Cockpit-Türen öffneten, überraschte ihn dann doch. Fröhlich plappernd stieg Joe aus der Maschine, und Gooch lachte, während er die hintere Tür zum Laderaum öffnete.

„Hey, Ben!“, begrüßten sie ihn und entluden gemeinsam die Ausrüstung. Den Behälter mit den Proben stellte Joe vorsichtig auf den Beifahrersitz.

„Hat alles geklappt?“, erkundigte sich Ben.

„Ja, prima. Ich habe alles, was ich brauche“, versicherte Joe und strahlte. „Jetzt möchte ich so schnell wie möglich alles zu Trisha ins Labor bringen.“

Als der Truck beladen war, umarmte sie Gooch kurz. „Danke!“, sagte sie nur – doch er wusste, was sie meinte.

Ben machte große Augen; vor drei Tagen hatte das noch ganz anders ausgesehen.

„Bis bald!“, winkte Joe noch aus dem Auto; dann fuhr sie zur Station.

„Hast du jetzt den Job als Kurator?“, wollte Ben wissen.

Gooch lächelte versonnen. „Nein – weil sie kein Museum ist. Wir sind Freunde.“

Ben sah seinen Cousin ungläubig an. „Das sind ja ganz neue Töne. Du wirst doch nicht etwa erwachsen?“

Gooch bedachte ihn mit einem strafenden Blick. Ben merkte, dass er nicht weiterbohren sollte.

„Kommst du mit zu uns? Taiya hat sicher schon das Abendessen fertig“, lud er Gooch ein.

Der schüttelte den Kopf. „Danke, aber lieber ein andermal. Nach dem Fertigfraß, den du eingepackt hast, brauche ich jetzt erst mal eine von Moms Pasteten und anschließend eine heiße Dusche.“ Schwungvoll kletterte er zurück ins Flugzeug.

Ben nickte verständnisvoll. Dann schaute er dem Flugzeug hinterher und ging nach Hause.

Joe brachte die Proben ins Labor, aber es war schon zu spät, um sie noch am selben Tag zu analysieren. Trisha machte gerade Feierabend. „Ich mache das morgen Früh als Erstes“, versprach sie. „Wie war es?“, wollte sie neugierig wissen.

„Kalt. Drei Gletscher in drei Tagen reichen vollkommen. Ich will erst einmal duschen. Ich stinke wie ein Skunk“, sagte Joe und rümpfte die Nase. Die Katzenwäsche mit Schnee war nicht angenehm gewesen.

Als sie aus der Dusche kam, verpflasterte sie ihre Hände neu und gesellte sich nach dem Abendessen zu den Anderen in den Aufenthaltsraum. Es war dunkel, und im Fernsehen lief ein Horrorfilm. Nicht gerade Joes Geschmack. Irgendein außerirdisches Killer-Gemüse fraß sich durch die Besatzung einer Polarstation. Ausgerechnet. Sie war nur froh, dass sie diesen Mist nicht vor der Exkursion gesehen hatte; auf dem Gletscher hätte sie nicht ein Auge zugemacht. Mit angezogenen Beinen hockte sie neben Barney auf dem Sofa und verschanzte sich sicherheitshalber hinter einem Sofakissen.

„Ist doch nur ein Film“, meinte Barney, als er bemerkte, dass sie sich wirklich gruselte.

„Das sagst du so. Die Natur rächt sich bestimmt irgendwann an uns!“, prophezeite sie düster und erklärte Veganer ausnahmsweise zu Helden des Alltags.

„Scht!“, zischte Marc amüsiert. „Da kommt es wieder!“

Joe zog sich das Kissen vors Gesicht. Um nichts in der Welt würde sie jetzt allein zurück in die Frauenunterkunft gehen. Sie musste unwillkürlich an die dunkle Gestalt denken, die vor ein paar Tagen im Gebüsch gelauert hatte.

„Iss deinen Brokkoli, bevor er dich isst!“, raunte irgendein Witzbold durch den Raum.

Gooch tat genau das und kratzte genießerisch die letzten Reste der Pastete vom Teller. „Danke, Mom. Davon habe ich die letzten drei Tage geträumt.“

„In deinem Alter solltest du von anderen Dingen träumen“, stellte Leah fest und legte ihr Besteck beiseite.

Gooch verdrehte im Geiste die Augen. „Ich wollte was Nettes sagen, und du machst es sofort wieder zu deinem Lieblingsthema. Ich will morgen fischen gehen. Soll ich dir welche mitbringen?“, bot er an, um sie abzulenken.

Doch Leah kannte all seine Tricks. „Ein paar Chinooks oder Cohos wären schön. Wie war die Party?“ Sie dachte gar nicht daran, ihn vom Haken zu lassen.

Aber auch Gooch hatte Übung im Umgang mit ihrer Neugier. „Nett“, lautete seine detaillierte Antwort.

Leah runzelte die Stirn und sah ihn zweifelnd an. Nur ‚nett‘ deckte sich nicht ganz mit dem, was Charlie ihr erzählt hatte. „Hast du jemanden kennengelernt?“, hakte sie nach.

Er wusste nur zu genau, worauf sie wieder hinauswollte, und hielt sich weiterhin bedeckt. „Die neuen Doktoranden.“

„Ich meine ein Mädchen?“, bohrte sie hartnäckig. Schließlich hatte sie von Charlie so einiges an Informationen erhalten, und da sie ihren Sohn kannte, wusste sie, dass es ein besonderes Mädchen sein musste – sonst hätte er es nicht zum Einkaufen begleitet.

Gooch war müde, sehnte sich nach einer Dusche und seinem Bett, und deswegen riss ihm der Geduldsfaden. „Oh bitte, Mom! Nicht schon wieder diese Diskussion über Enkelkinder“, wehrte er genervt ab.

„Was ist so schlimm daran, dass ich mir Enkel wünsche?“, fragte sie aufgebracht. Sie selbst hatte sich immer eine große Familie gewünscht, aber das Leben hatte andere Pläne mit ihr gehabt, und so war es bei diesem einen Kind geblieben. Sie konnte und wollte nicht verstehen, warum ihr Sohn den Gedanken an eine Familie so vehement von sich wies. Schließlich verdiente er gut und hätte – anders als sie damals – nicht die Probleme, eine Familie angemessen zu versorgen.

„Was ist so schlimm daran, dass ich keine Kinder will?“, gab er trotzig zurück und bemerkte wieder einmal nicht, dass er längst in ihren Krallen zappelte.

Leah nutzte diese Vorlage und schloss nun endgültig die Fänge. „Ich dachte, ich hätte dich zu einem verantwortungsvollen Mann erzogen. Vielleicht hast du längst ein Kind und weißt es nur nicht!“, warf sie ihm vorwurfsvoll an den Kopf.

Gooch wich das Blut aus dem Gesicht, als ihm klar wurde, dass sie über sein Privatleben Bescheid wusste. „Keine Angst, das hast du! Und weil ich verantwortungsvoll bin, trage ich Sorge dafür, dass nicht irgendwo ein Kind von mir herumläuft. Wenn du weißt, was ich meine.“ Das war viel mehr, als er jemals hatte preisgeben wollen, doch offenbar half hier nur die Holzhammer-Methode.

Langsam konnte er Joe verstehen. „Wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert! Verhütung ist mittlerweile auch Männersache!“, setzte er noch hinterher, um sie endgültig zu schockieren. Es zeigte die gewünschte Wirkung. Leah stand wortlos auf und begann den Tisch abzuräumen. Ihre Enttäuschung war ihr deutlich anzusehen, und nun plagte Gooch doch das schlechte Gewissen.

Er stellte sich neben sie und nahm sie in den Arm. „Mom! Ich liebe dich, und ich werde mich immer um dich kümmern, so wie du dich um mich gekümmert hast. Ich würde mein letztes Hemd für dich geben, das weißt du! Aber diese Sache ist einzig und allein meine Entscheidung! Wenn du Großmutter spielen möchtest, musst du eben öfter zu Ben und Taiya fahren“, sagte er versöhnlich.

Leah musste erkennen, dass ihr Sohn ihr entwachsen war. Er war mittlerweile ein erwachsener Mann, der seine eigenen Entscheidungen traf und sich nicht mehr hineinreden ließ. Das musste sie wohl akzeptieren, so ungern sie das auch tat. Trotzdem wollte sie die Hoffnung noch nicht ganz aufgeben. Sie nickte nur und diskutierte nicht weiter.

Er machte den Abwasch und verabschiedete sich danach. „Ich werde weiterhin von deinem Essen träumen!“, meinte er frech. „Gute Nacht.“ Gooch machte sich mit Keet auf den Weg nach Hause und fiel nach dem Duschen ins Bett.

Im Bett wäre Joe auch gern gewesen – allerdings wurde sie von dem blutrünstigen Brokkoli daran gehindert. Zwei Polarforscher waren noch übrig, und das Gemüsemonster hatte immer noch keine Wurzeln geschlagen. Als es letztendlich in Flammen aufging und sich die Überlebenden in den Armen lagen, übersahen sie in ihrer Euphorie leider die Ableger in einer dunklen Ecke. Damit waren Teil zwei bis zehn auch gesichert, und Joe ließ erleichtert das Kissen sinken. Barney erwies sich als Kavalier der alten Schule und geleitete die Frauen durch die Dunkelheit zurück zu ihrer Unterkunft. Auf dem Weg dorthin hielt Joe verstohlen nach dem Kooshdaakáa Ausschau, bis sie sicher ihr Zimmer erreicht hatten.

Joe schlüpfte in ihren Pyjama und sank aufs Bett. „Bin ich froh, dass ich nicht allein hier bin“, schauderte sie.

Trisha sah sie etwas ungläubig an. „Du hast wirklich Angst vor Horrorfilmen?“

Joe nickte verlegen. „Klingt albern – ich weiß. Als ich klein war, hat mein Bruder sich einen Spaß daraus gemacht, mir schreckliche Gruselgeschichten zu erzählen. Und wenn ich dann nachts Angst bekam, ist niemand gekommen, um unter das Bett zu gucken. Einmal habe ich versucht, zu meinen Eltern ins Bett zu kriechen. Sie haben mich wieder weggeschickt, und ich musste allein zurück in mein Zimmer. Ich habe noch nie so viel Angst gehabt. Das ist hängengeblieben.“

„Wie gemein!“, empörte sich Trisha.

„Und zu allem Überfluss hat Gooch mir vom Landotter-Mann erzählt. Jetzt bin ich umzingelt von Monstern!“, schauderte Joe.

Trisha fing an zu lachen. „Kann ich mir vorstellen! Die Tlingit haben viele Geschichten, und einige der Figuren auf den Totempfählen finde sogar ich unheimlich. Aber keine Sorge! Du bist ja nicht allein!“, tröstete Trisha, deren kleine Schwester auch immer zu ihr ins Bett gekrochen war, wenn sie sich gefürchtet hatte.

Das brachte Joe zu einer anderen Frage. „Nervt es dich nicht, dir ein Zimmer hier teilen zu müssen? Ich bin nur für ein Jahr hier, aber du bist fest angestellt. Fehlt dir nicht manchmal ein bisschen Privatsphäre?“

Trisha schüttelte den Kopf. „Ich bin mit drei Geschwistern aufgewachsen; das bin ich gewöhnt. Hier wohne ich umsonst und spare mein Geld für ein Haus in Gustavus. Zwei Jahre noch, dann reicht es“, erklärte sie und strahlte. „Wie lief es mit Gooch? Ich hatte eigentlich damit gerechnet, dass du giftig wie eine Kobra vom Gletscher zurückkommst“, erkundigte sich Trisha.

Joe lächelte verschmitzt. „Dachte ich anfangs auch, aber er ist ganz in Ordnung. Wir haben uns auf Freundschaft geeinigt. In den nächsten Wochen sehe ich ihn sowieso nicht. Barney und ich werden mit dem Boot unterwegs sein. Er macht seine Echolot- und Strömungsmessungen, und ich sammle Wasserproben. Am Wochenende geht es los.“

„Schade! Ich dachte, wir könnten am Wochenende mit der Fähre nach Hoonahlulu fahren und uns von meinem Wettgewinn ein paar Cocktails gönnen“, meinte Trisha enttäuscht.

Joe warf ihr einen amüsierten Blick zu und fing an zu lachen. „Hoonahlulu?“

„Das sagen viele der Einheimischen scherzhaft. Schließlich liegt es auch auf einer Insel im Pazifik – mit Kreuzfahrtschiffen und Touristen. Nur die braungebrannten Surfer fehlen eindeutig, aber mit ein paar Cocktails mit bunten Schirmchen kann man sich die hiesigen Jungs ja schönsaufen!“ Trisha kicherte ausgelassen.

Joe zog skeptisch die Stirn kraus. Danach zu urteilen, was sie von den „hiesigen Jungs“ schon zu sehen bekommen hatte, drohte hier eher die ein oder andere Leberzirrhose.

„Das holen wir nach“, versprach sie, kuschelte sich in ihre Kissen und schlief ein.

Früh am nächsten Morgen fuhr Gooch mit seinem Boot hinaus zu den Fischgründen seiner Familie. Jede Familie hatte ihr eigenes Gebiet, das von Generation zu Generation weitervererbt wurde. Nun war er noch nie besonders traditionell gewesen – auch die Sprache seines Volkes sprach er nicht fließend; aber wenn er zum Fischen hinausfuhr, wurde er immer ein wenig sentimental. Seit Hunderten von Jahren fuhren die Männer seiner Familie dorthin um Lachse zu fischen – und daran hatten weder Russen noch Amerikaner oder eingeschleppte Pockenepidemien etwas ändern können. Damals fuhren sie noch mit Kanus aus Zedernholz hinaus, heute waren es Boote aus Aluminium mit Außenbordmotor. Die mächtigen Kriegskanus der Tlingit, die bis zu vierzig Kriegern Platz geboten hatten, waren in vergangenen Zeiten ein gefürchteter Anblick gewesen, der andere Stämme in Panik versetzt hatte. Denn nicht immer kamen sie nur zum Handeln – sie waren auch auf Beute aus. Felle, Waffen und Sklaven mehrten den Besitz und hoben das Prestige. Ihre Beutezüge hatten die erfahrenen Seeleute bis zu den Küstenregionen des heutigen Kalifornien geführt. Heutzutage brachte man die Kanus für Feierlichkeiten zu Wasser oder für die Touristen – ein Versuch, die Tradition am Leben zu erhalten. Auch Gooch griff regelmäßig zum Paddel, denn es erforderte Kraft, die schweren Boote vorwärtszubringen, und er war für jede Art von Sport zu haben.

Dann hatte er die Fischgründe erreicht. Zu dieser Jahreszeit lebten die verschiedenen Arten der Lachse noch in den küstennahen Gewässern und sammelten sich. Erst später würden sie sich zu großen Schwärmen zusammenfinden und ihre Wanderung flussaufwärts beginnen. Er legte die Netze schräg zur Strömung aus und fuhr wieder nach Hoonah. Am Nachmittag wollte er zurückkehren, um den Fang an Bord zu ziehen.

Joe schlurfte in ihrem üblichen Aggregatzustand – halb schlafend, halb kaffeetrinkend, zu Trisha ins Labor und war schon sehr gespannt auf die Messwerte. „Meinst du, das reicht für eine repräsentative Verteilungskurve?“, fragte sie.

Trisha nickte. „Sieht gut aus. Hier sind zwei oder drei Ausreißer dabei, aber die gehören schließlich dazu.“

„Klasse! Kannst du mir das ausdrucken?“, bat Joe.

„Sicher, aber das ist nicht notwendig. Alle Analysewerte werden vom Computer abgespeichert, damit sie nicht verlorengehen. Wenn du deine Personalnummer und dein Passwort eingibst, hast du Zugriff auf all deine Messdaten. Wir haben dieses System eingeführt, weil einige Doktoranden ihren Papierstapel nicht mehr im Griff hatten und etliche Messungen dann wiederholt werden mussten“, erklärte Trisha.

Joe bettelte mit Dackelblick. „Ich habe mal eine Hausarbeit in Hydrologie geschrieben, und dann stürzte mein Computer ab. Alles war weg, und ich musste wieder von vorn anfangen. Seitdem drucke ich alles aus. Sicherheitshalber.“

„Kein Problem! Ich mache dir von allem einen Ausdruck, bevor es abgespeichert wird“, versprach Trisha und griff nach ihrer Kaffeetasse, die Joe ihr mitgebracht hatte. Das war inzwischen ein kleines Ritual geworden. Trish brachte Joe einen Kaffee ans Bett, und Joe revanchierte sich später mit Kaffee im Labor, damit Trish nicht extra in die Teeküche rüberlaufen musste.

„Danke! Du bist ein Schatz!“, freute sich Joe und nahm den Ausdruck entgegen.

Am frühen Nachmittag machten sich die Festangestellten und alle, die keine Exkursionen auf dem Plan hatten auf den Weg ins Wochenende. Nur Trisha, Barney, Joe und eine Gruppe von Meeresbiologen, die für Walbeobachtungen ein paar Wochen zu Gast waren, hielten die Stellung. Das bedeutete auch, dass sie selbst kochen mussten. Die Walforscher hatten beschlossen, zum Essen ins Hotel zu fahren, und so machten sich Barney und Trisha ans Werk. Joe hatte sich zum Abwaschen verpflichtet.

„Ich habe mal versucht, Weihnachtsplätzchen zu backen. Die waren ungenießbar“, sagte Joe entschuldigend und machte sich an ihre Portion Spaghetti mit Tomatensoße.

Barney blinzelte ungläubig über den Rand seiner Brille hinweg. „Und sonst kannst du nichts kochen?“

„Doch! Kaffee!“, erklärte Joe überzeugt, und die anderen fingen an zu lachen.

Hochzufrieden holte Gooch die Netze ein und befreite seinen Fang aus den Maschen. Reichlich Ketalachse für Keet, etliche Cohos – Silberlachse – und sogar zwei große Chinooks hatten sich verfangen und landeten nun auf dem Boden des Bootes. Tagsüber hatte er wieder Rundflüge für ein paar Touristen gemacht und dabei noch einen weiteren Fang an Land gezogen: ein Date für den Abend. Nun beeilte er sich, nach Hause zu kommen um die Fische auszunehmen und die Ketalachse zum Räuchern im Schuppen aufzuhängen. Zwei Wochen lang blieben sie dort hängen, wurden regelmäßig gewendet und getrocknet und waren danach für lange Zeit haltbar. Keet begrüßte ihn begeistert am Strand und verzog sich dann mit einem Fisch hinters Haus. Ein paar Silberlachse behielt Gooch für sich selbst, den großen Rest legte er ausgenommen und gewaschen in eine Kühlbox für seine Mutter. Als er damit fertig war, ging er duschen, zog sich um und fuhr zum Icy Strait-Point um den Fang im Restaurant abzuliefern.

„Wunderbar!“, lobte Leah die Ausbeute und verstaute die Fische, in Eis verpackt, im Kühlraum. „Willst du was essen? Ich habe noch frischen Eintopf da“, fragte sie Gooch.

Der schüttelte den Kopf. „Nein, danke! Ich bin noch verabredet.“ Leah ahnte, was das bedeutete, schwieg aber. Er gab seiner Mutter zum Dank einen Kuss auf die Wange und machte sich auf den Weg zur Office Bar, wo sein Date hoffentlich schon auf ihn wartete.

Auch Trisha, Barney und Joe waren auf dem Weg dorthin. Gleich nach dem Essen hatte Ben angerufen und die Exkursion wegen einer aufziehenden Schlechtwetterfront auf Montag verschoben. Trisha war begeistert und hatte die beiden Anderen dazu überredet, spontan nach Hoonah zu fahren. Da die Fähre schon weg war, nahmen sie den Kutter, mit dem Joe und Barney auch auf ihre Exkursion hätten fahren sollen. Das Boot mit dem schönen Namen „Sea Gull“ war recht groß, verfügte über einen geschlossenen Fahrstand und war unter Deck noch mit einer winzigen Kombüse, einer Essecke und vier Kojen ausgestattet. Die Mitarbeiter der Station waren berechtigt, dieses Boot auch für private Zwecke zu nutzen. Vorausgesetzt, es wurde nicht für Exkursionen gebraucht, und nach Gebrauch wieder vollgetankt.

Joe hatte anfangs noch gezögert. „Ist das nicht gefährlich, wenn uns der Sturm erwischt?“

„Der Sturm kommt erst morgen. Hoonahs Hafen ist gut geschützt, und wir können an Bord übernachten“, überzeugte Trisha die beiden.

Kurzentschlossen hatten sie Klamotten zum Wechseln und ein bisschen Wegzehrung eingepackt, waren zur Ranger-Station gelaufen und hatten Ben informiert. Nun schipperten sie mit zwölf Knoten über die Icy Srait und näherten sich Hoonah.

„Cocktails, wir kommen!“, rief Trisha begeistert, als sie in der Marina anlegten. Die Office Bar lag direkt am Hafen.

Wenig später hatten sie einen der letzten freien Tische ergattert. Trisha orderte Cocktails, Barney bevorzugte ein Pale Ale aus der benachbarten Icy Strait Brauerei, und Joe liebäugelte mit den hausgemachten Fish & Chips. Frischem Heilbutt konnte sie einfach nicht widerstehen. Ihre Bestellungen wurden gerade an den Tisch gebracht, da betrat Gooch die Bar. Er trug wieder seine „Aufreißer-Montur“ – Lederjacke und Jeans, dazu offene Haare. Trisha hatte ihn sofort auf ihrem Schirm und winkte ihm zu.

„Hey, Gooch!“, rief sie. Auch Joe und Barney drehten sich zu ihm um.

Er sah in ihre Richtung und ging kurz zu ihrem Tisch. „Hallo! Wie kommt ihr denn hierher?“

„Mit dem Boot der Station. Setz dich doch“, bot Trisha an.

Gooch hob ablehnend die Hand. „Nein, vielen Dank. Ich bin verabredet. Schönen Abend noch“, sagte er, vermied den Augenkontakt mit Joe und steuerte den Tresen an, wo schon eine junge Frau wartete und ihn mit einem strahlenden Lächeln begrüßte.

Joe nahm einen kräftigen Schluck von ihrem Tequila Sunrise und fischte die Cocktailkirsche aus dem Glas. Es wurmte sie, dass Gooch sie nicht mal angesehen hatte. Behandelte man so Freunde? Und dass er mit einer anderen flirtete, stieß ihr irgendwie auch sauer auf. Joe spülte den säuerlichen Geschmack, den dieser Gedanke hinterließ, mit einem weiteren Schluck von ihrem Cocktail hinunter.

Barney hatte feine Antennen und bemerkte die leichte Spannung. „Ich freue mich schon auf Montag. Fangen wir draußen am Cross Sound an und arbeiten uns nach innen vor?“, fragte er, um das Thema zu wechseln.

Joe lächelte dankbar. „Gute Idee, dann kann ich noch Basisdaten vom Meerwasser sammeln, das noch nicht durch Schmelzwasser verdünnt ist.“

„Wer fährt euch eigentlich?“, erkundigte sich Trisha.

„Beatrice“, antwortete Barney.

Trisha grinste breit und pfiff anzüglich durch die Zähne. „Wer hätte das gedacht! Die Platzhirsche blitzen ab, und unser Barney kriegt sie beide.“

Barney bekam wieder hektische Flecken im Gesicht, und Joe kicherte albern. Der Tequila stieg ihr langsam zu Kopf. Sie fachsimpelten noch eine Weile, futterten gemeinsam Fish & Chips und leerten ihre Gläser.

„Die nächste Runde geht auf mich“, verkündete Joe.

„Das musst du nicht. Wir wollten doch meinen Gewinn verjubeln“, protestierte Trisha.

Doch Joe bestand darauf und winkte ab. „Damit sichere ich mir die Kaffeeversorgung morgen Früh!“

„Das kann ja noch heiter werden!“, prophezeite Barney und lachte. Trisha und Joe stimmten mit ein, während sie aufstand und die leeren Gläser einsammelte.

Gooch hörte sie lachen und wagte einen kurzen Blick. Offenbar amüsierte sie sich köstlich, ganz im Gegensatz zu ihm. Er fühlte sich beobachtet und hoffte, bald mit seiner Eroberung verschwinden zu können. Er warf seiner Begleitung einen feurigen Blick zu und strich ihr zärtlich über den Hals.

Sie lächelte lasziv, nahm seine Hand und betrachtete sein Handgelenk. „Ich steh auf Tattoos. Hast du noch mehr davon?“

„Möchtest du das nicht lieber selbst herausfinden?“, flüsterte er ihr ins Ohr. Er hatte sie fast so weit. Fehlten nur noch ein paar Komplimente.

Joe brachte die leeren Gläser zum Tresen und orderte neue Drinks. Gooch stand ganz in der Nähe, mit dem Rücken zu ihr und küsste seiner Begleitung sacht aufs Ohr – was nun wiederum Joe in ihrem angeheiterten Zustand zu dem Entschluss brachte, es so richtig krachen zu lassen.

„Du hast wunderschöne Augen“, hörte sie Goochs rauchige Stimme säuseln.

Dieser Spruch kam ihr doch sehr bekannt vor. ‚Sag bloß!‘, dachte Joe ernüchtert und bestellte sich statt eines weiteren Tequila Sunrise, einen Long Island Ice Tea. Nun hatte das Zeug mit Tee nicht viel zu tun. Stattdessen enthielt es Rum, Gin, Tequila, Wodka und Curaçao – sah nur aufgrund der ebenfalls enthaltenen Cola aus wie Tee. Oh ja, sie würde es krachen lassen! Joe balancierte die Drinks zurück zum Tisch und brachte einen Toast aus: „Auf deinen Sieg über die Platzhirsche!“ Sie lachte und hob ihr Glas.

„Wie hatte Ben das noch so schön formuliert? Paarungsbereite Bullen im Hormonrausch?“, wiederholte Trisha und gackerte.

Joe prustete in ihren Drink, und Barney verschluckte sich fast. Trisha sah zu Gooch rüber und grinste spöttisch. „Sie sieht in ihm wohl eher den Traumprinzen.“

„Sie vergisst dabei nur, dass das Leben kein Märchen ist. Wenn du um Mitternacht deinen Schuh verlierst, bist du nicht Cinderella, sondern nur besoffen“, philosophierte Joe und deutete auf ihre Füße. „Deswegen trage ich Gummistiefel“, erklärte sie grinsend und schlürfte genüsslich ihren Longdrink.

„Hinterher ist man immer klüger … oder schwanger!“, bemerkte Trisha staubtrocken, was die anderen beiden wieder dazu brachte, Tränen zu lachen.

„Schade, dass du am Montag nicht mitkommst“, meinte Joe zu Trisha, nachdem sie sich wieder beruhigt hatten.

Barney lächelte Trish verträumt an. „Ja, das ist wirklich schade!“

Etwa zehn Minuten später verließ Gooch die Bar – Arm in Arm mit seiner Eroberung, die ihn anhimmelte wie Aphrodite seinerzeit Adonis.

Barney sah den beiden entgeistert hinterher. „Hat er nur eine Stunde gebraucht, um sie abzuschleppen? Ich verstehe die Frauen einfach nicht!“

„Ich verrate dir jetzt mal ein Geheimnis: Auch wir Frauen verstehen Frauen nicht“, offenbarte Joe mit einem alkoholseligen Unterton.

„Ich glaube, der Trick ist, ihr keine Zeit zum Nachdenken zu lassen“, meinte Trisha und dozierte noch weiter über die Wirkung von Hormonen und wie lange ihre Wirkung anhielt.

Joe hörte nur mit einem Ohr hin und beobachtete durch das Fenster, wie Gooch das Mädchen küsste und dann mit ihr davonfuhr. Irgendwie versetzte es ihr einen kleinen Stich, und das ärgerte sie maßlos. „Ich glaube, Cinderella wollte gar keinen Prinzen – nur mal einen Abend feiern und ein paar Drinks. Aber sie hatte die falschen Schuhe dabei!“, prostete sie den anderen zu und nahm einen großen Schluck.

Der säuerliche Nachgeschmack blieb.

Am nächsten Morgen rüttelte Barney vorsichtig an Joes Schulter. „Wach auf, es ist schon neun Uhr!“

Joe stöhnte ungnädig und zog sich das Kissen über das Gesicht. „Sag die magischen drei Worte!“, kam es gedämpft unter dem Kissen hervor.

Barney sah etwas ratlos auf die sprechende Kopfunterlage. Die vielzitierten magischen drei Worte konnte sie wohl kaum meinen.

„Kaffee. Ist. Fertig!“, klärte Trisha ihn auf und stellte eine Tasse mit extra starkem Kaffee auf den Boden neben Joes Koje.

Joe rappelte sich gequält hoch und kniff die Augen zusammen. „Wenn du ein Mann wärst, würde ich dich sofort heiraten“, versicherte sie Trisha und fasste sich an den Kopf. „Mir brummt der Schädel.“

„Wundert mich nicht, nach drei von diesen alkoholischen Atombomben“, bemerkte Trisha mit einem mütterlich-mahnenden Unterton und reichte auch Barney eine Tasse. Joe hatte sich aufgesetzt und inhalierte stumm das schwarze Gebräu.

„Wir brauchen Milch“, stellte Barney fest und verzog angewidert das Gesicht.

„Und Kopfschmerztabletten!“, fügte Joe hinzu.

Eine Stunde später kämpften sie sich gegen den Wind die Front Street entlang. Vorbei an einem für die Tlingit-Kultur so typischen Totempfahl. Die Kunst der Küstenstämme war unverwechselbar.

Abstrakt stilisierte Menschen- und Tierfiguren, die kunstvoll in Holz geschnitzt worden waren, prangten überall in Hoonah. Auf Schildern über dem Eingang von Geschäften oder sogar als Firmenlogo. Oft klassisch in Rot, Schwarz und Weiß, aber auch in anderen Farben, wirkte diese alte, traditionelle Kunstform fast schon wieder modern. Joe betrachtete den Pfahl einen Moment lang. Die grinsenden Fratzen der mystischen Wesen schienen sie auszulachen – aber vielleicht lag es auch nur an ihren Kopfschmerzen.

Tiefenentspannt stieg Gooch aus der Dusche, schlang sich ein Handtuch um die Hüften und durchstöberte seinen Kühlschrank nach etwas Essbarem. Die vergangene Nacht war voll und ganz nach seinem Geschmack gewesen, und nun hatte er Hunger. Die Bestandsaufnahme erwies sich allerdings als enttäuschend. Die letzte Milch war sauer, Joghurt war auch keiner mehr da – und bis auf ein bisschen Salat herrschte im Kühlschrank gähnende Leere. Einkaufen war dringend notwendig. Er blickte aus dem Fenster auf die Schaumkronen, die der Wind den Wellen aufgesetzt hatte. Fliegen fiel bis auf Weiteres aus, und er beschloss, die freie Zeit für notwendige Hausarbeiten zu nutzen. Er lief hoch ins Schlafzimmer, zog sich an, sammelte schmutzige Wäsche zusammen und zog die Bettwäsche ab. Alles zusammen stopfte er in einen Kissenbezug und schleppte ihn hinunter zur Tür. Gooch besaß keine Waschmaschine, und so nutzte er die von seiner Mutter. Keet hatte sich in seine Hütte verkrümelt. Gooch gab ihm etwas zu fressen, lud die Wäsche ins Auto und fuhr los.

Bei Leah angekommen, ging er ins Haus. „Hey, Mom!“, rief er, doch niemand antwortete. Sie war also entweder schon im Restaurant oder irgendwo unterwegs. Er stopfte die Wäsche in die Waschmaschine. Das überließ er ohnehin niemals seiner Mutter. Zu groß war die Gefahr, dass sie ein pikantes Souvenir entdecken könnte, das sich unter seine Klamotten gemogelt hatte. Er füllte Waschmittel ein und drückte auf Start. Dann machte er sich daran, die weiteren Punkte auf seiner Liste abzuarbeiten.

Mit einem Einkaufskorb in der Hand bummelte Joe durch die Gänge des Supermarktes. Tabletten hatte sie schon gefunden, nun standen sie vor dem Obstregal.

„Was hältst du von Ananas?“, fragte Barney und hielt ihr die Frucht vor die Nase.

„Hilft das gegen Kater?“

„Nein, ich glaube, das waren saure Gurken!“, gab Barney zurück und legte die Ananas in seinen Korb.

„Ich brauch mehr Kaffee!“, jammerte Joe und wendete sich einem anderen Regal zu. Nun hatte sich ausgerechnet Alaska als das Mekka der Kaffeeliebhaber entpuppt oder, wie in Joes Fall, als das Shangri-La der Koffeinsüchtigen. Es gab hier mehr Kaffeeröstereien, als man vermuten würde, und Joe stand gerade vor der Produktpalette einer Rösterei in Juneau mit dem schönen Namen Heritage. Das Logo dieser Firma, wie konnte es auch anders sein, war ein Braunbär im Tlingit Style. Sie bot frisch geröstete ganze Bohnen an, die man dann im Supermarkt selbst mahlen konnte – je nach Geschmack, von grob bis sehr fein. Angesichts des verführerischen Dufts der braunen Bohnen bekam Joe leuchtende Augen wie ein Kind vor dem Weihnachtsbaum und durchstöberte die unterschiedlichen Röstungen auf der Suche nach ihrem neuen Lieblingskaffee. Da gab es French Vanilla, toasted Coconut, Hazelnut Creme, Klondike Blend und viele andere. Im Augenwinkel registrierte sie eine Gestalt und vermutete Barney mit dem nächsten Stück Obst.

„Sieh mal! Hier gibt es Braunbär-Smoothies!“, verkündete sie triumphierend und drehte sich strahlend zu ihm um.

„Hallo, Kleines!“, raunte Gooch mit verführerisch dunkler Stimme und strahlte zurück.

Joes Lächeln geriet ins Wanken, rutschte aus, schlitterte am Zahnfleisch vorbei und versuchte noch, sich an den Zähnen festzukrallen, bevor es den Halt verlor und abstürzte.

Er griff nach einer Packung Kaffee. „Ich kann diesen empfehlen“, meinte er und hielt ihr die Sorte Black Wolf vor die Nase. Ein Kaffee zum Heulen, stand darunter – und anders als die anderen war er verziert mit einem Tlingit-Wolf.

Als ob er selbst nicht schon perfekt gewesen wäre, gab es auch noch den passenden Kaffee zum Mann, dachte Joe spöttisch.

„Hast du Ausgang, oder ist Cinderella schon mit der Kürbis-Kutsche abgerauscht?“, fragte sie etwas bissig; die stechenden Kopfschmerzen machten sie übellaunig.

Gooch lächelte schief und zog kritisch eine Augenbraue hoch. „Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, du bist eifersüchtig!“

Joe schnappte empört nach Luft. „Das hättest du wohl gern! Aber ich dachte, wir wären Freunde, und du hast es gestern nicht einmal fertiggebracht, mir in die Augen zu sehen! Schlechtes Gewissen?“, bot sie ihm Paroli.

„Warum sollte ich?“, heuchelte er unschuldig. „Wie du soeben richtig festgestellt hast, sind wir schließlich nur Freunde, und deswegen geht es dich rein gar nichts an, mit wem ich die Nacht verbringe!“, wies er sie zurecht.

Joe fühlte sich ertappt und schluckte trocken. Er hatte ja recht. Noch bevor sie ihre Entgleisung auf den Restalkohol schieben konnte, nahte die vermeindliche Rettung in Form einer Frau mittleren Alters.

„Theodore! Das trifft sich gut, dann muss ich die Einkäufe nicht nach Hause tragen“, sagte sie lächelnd, und Joe hätte jeden Eid darauf geschworen, dass eine Spur Genugtuung in ihrer Stimme mitschwang.

Gooch zuckte bei diesen Worten zusammen, als hätte ihn etwas gebissen. Herzlich willkommen im falschen Film, schoss es ihm durch den Kopf. Er hoffte, die Erde würde sich unter ihm auftun und ihn verschlucken. Doch die war gerade anderweitig beschäftigt. Er musste also notgedrungen stehenbleiben und sich den drohenden Peinlichkeiten stellen.

„Hallo, Mom!“, erwiderte er mit einem verzweifelten Blick zum Notausgang.

Joe hatte fast schon Mitleid mit ihm. Fast! Deswegen folgte die Strafe auf dem Fuß.

Leah musterte sie wohlwollend. „Willst du mir diese junge Dame denn nicht vorstellen?“, fragte sie ihren Sohn vorwurfsvoll.

„Sicher!“, seufzte Gooch. „Mom, das ist Joe Cunningham von der Forschungsstation. Joe, das ist meine Mutter Leah.“

„Hallo, Mrs. McKenzie“, sagte Joe artig, versuchte sich an einem Lächeln und reichte seiner Mutter die Hand.

Und wer jetzt dachte, dass es nicht mehr schlimmer kommen konnte, lag falsch.

„Joe?“, hakte Leah verwundert nach und wartete höchst aufmerksam auf die Antwort. Joe war der Name des Mädchens, von dem Charlie ihr berichtet hatte. Joe bedachte Gooch mit einem drohenden Blick, doch offenbar hatte er vor seiner Mutter mehr Angst als vor ihr. Oder es war Rache, jedenfalls fügte er „Josephine“ erklärend hinzu.

Leah strahlte sie an. „Was für ein schöner Name!“, rief sie entzückt.

‚Kein Wunder! Wer sein eigenes, unschuldiges Kind mit dem Namen Theodore brandmarkte, musste Josephine unweigerlich auch schön finden‘, dachte Joe und kochte auf kleiner Flamme still vor sich hin.

Und während nun mittlerweile beide noch fieberhaft darüber nachdachten, wie sie aus dieser Situation flüchten konnten, hatte Leah ihre Beute schon eingekreist und schlug zu. „Kommt doch heute Abend zum Essen ins Restaurant“, schlug sie vor. Genauer gesagt, sie ordnete es an, und um Ausreden vorzubeugen, fügte sie noch hinzu: „Bei diesem Wetter könnt ihr sowieso nirgendwo hin.“ Zumindest nicht weg, da hatte sie leider recht. „Hat mich sehr gefreut, Josephine – bis heute Abend!“ Leah lächelte, diesmal ohne eine Antwort abzuwarten, dann sah sie ihren Sohn an. „Kommst du?“

„Ich bin noch nicht fertig – warte doch im Auto auf mich“, bat er sie genervt, und so schwebte Mrs. McKenzie huldvoll in Richtung Kasse und hatte dabei ein hämisches Grinsen im Gesicht. Nach dieser Schrecksekunde und der damit verbundenen Ruhe war Joe nicht mehr zu halten. „Theodore?“, platzte es spöttisch aus ihr heraus, als Leah weg war.

„Josephine!“, konterte Gooch völlig entnervt.

„Wage das ja nicht noch mal!“, drohte sie halbherzig, denn eigentlich hätte sie lieber gelacht.

Er verschränkte die Arme und maulte. „Du auch nicht!“

Joe erkannte, dass sie wohl oder übel im selben Boot saßen, und versuchte, diplomatisch zu sein. „Und wie kommen wir aus der Nummer wieder raus?“

„Gar nicht! Wir sitzen in der Falle. Da hilft nur: Augen zu und durch – sonst gibt sie nie Ruhe!“, knurrte Gooch. Er legte den Kaffee, den er die ganze Zeit in den Händen gehalten hatte, in seinen Korb.

Joe entschied sich für French Vanilla.

„Keinen Black Wolf?“, fragte er beleidigt.

Joe grinste zweideutig. „Ich stehe mehr auf süße Kuschelteddys als auf Wölfe.“

„Werde ich Keet ausrichten!“, entgegnete Gooch, der ihre Anspielung durchaus verstanden hatte, aber nicht bereit war, sich diesen Schuh anzuziehen.

„Etwas unpässlich?“, fragte er schnippisch, als er die Kopfschmerztabletten bemerkte.

„Ein ausgewachsener Kater! Ich habe gestern schwer gesoffen!“, gab sie zur Antwort.

Gooch amüsierte sich wie immer über ihre direkte Art. Wenn seine Mutter wüsste, wen sie da zum Essen eingeladen hatte, würde sie nicht mehr so strahlen.

„Ich hole dich gegen sieben ab“, sagte er und verschwand im nächsten Gang.

Wenig später saß er im Auto und fuhr Leah nach Hause. „Was sollte das?“, fragte er verärgert.

Sie sah ihn entgeistert an. „Ich weiß gar nicht, was du schon wieder hast. Ihr wart doch gestern auch aus. Was schadet es, wenn ich euch zum Essen einlade?“

„Weil es kein „Euch“ gibt! Ich war gestern nicht mit ihr verabredet. Ich habe sie vorhin nur zufällig im Supermarkt getroffen!“, echauffierte er sich. „Abgesehen davon bin ich durchaus in der Lage, mich selbst zu verabreden. Ich brauche auch keine elterliche Aufsicht beim Essen mehr!“

Leah biss sich auf die Unterlippe und erkannte, dass sie ein klein wenig über das Ziel hinausgeschossen war. Aber ihr fiel auch auf, dass er nicht so wütend war, wie er es eigentlich hätte sein müssen.

„Und nenne sie nicht Josephine – es sei denn, du willst dich bei ihr unbeliebt machen. Obwohl ich glaube, dass sich das kaum noch toppen lässt“, stellte er mürrisch fest.

Joes Kopf dröhnte immer noch, und sie lief durch die Gänge auf der Suche nach Trisha und Barney. Sie entdeckte die beiden bei den Fertiggerichten an der Kühltruhe.

„Was willst du heute Abend essen?“, erkundigte sich Trisha.

Langsam drang die Erkenntnis, dass sie ein Date mit Gooch hatte, durch die alkoholgetränkten Nervenbahnen von Joes Hirn. „Nichts!“ Sie schüttelte missmutig den Kopf und bereute es sofort wieder, weil das Pochen in den Schläfen jetzt wieder stärker wurde. „Ich bin zum Essen eingeladen.“

Trisha und Barney schauten sie mit großen Augen an und warteten auf eine Erklärung. Joe winkte ab. „Erzähle ich später. Zuerst brauche ich mehr Kaffee und Pillen!“

Pünktlich um sieben kletterte Gooch an Deck und klopfte an der Kabinentür. Joe war den ganzen Tag Zielscheibe für den gutmütigen Spott ihrer Freunde gewesen, nachdem sie ihnen berichtet hatte, welche Risiken der Erwerb von Kaffee in sich bergen konnte. Wenigstens hatte der Kater sich verzogen. Sie hatte mit Barney über den Seekarten des Gebietes gebrütet und Messpunkte für die erste Exkursion festgelegt; Trisha hatte zwischendurch eine Freundin besucht, und der Wind rüttelte immer noch mit unverminderter Stärke an den Aufbauten des umgerüsteten Kutters. Nun stand Gooch in der Kabine, und nicht nur Joe bemerkte die deutliche Veränderung seines Aussehens. Das Aufreißer-Outfit fehlte – stattdessen trug er Shirt und Parka, dazu Jeans und Gummistiefel. Außerdem war er frisch rasiert, und die lange Mähne verschwand, zum festen Zopf geflochten, unter seiner Jacke. Plötzlich wirkte er nicht mehr wie das überbezahlte Unterhosenmodel vom Vorabend, sondern eher wie Muttis Liebling. Die Gummistiefel waren Joe besonders sympathisch, denn sie hatte auch nichts anderes dabei. „Hey! Können wir los?“

Joe nickte und schlüpfte in ihre Xtratufs. Als sie ihren Parka überzog, konnte sie sich eine kleine Rache für den erlittenen Spott nicht verkneifen.

„Ihr benehmt euch, während ich weg bin! Macht keinen Unsinn, und um neun seid ihr im Bett!“, ordnete sie mit dem Tonfall einer Gouvernante an.

Barney und Trisha grinsten nur vielsagend.

Als sie im Auto saßen und zum Icy Strait-Point fuhren, blickte Joe zu Gooch rüber und musste lächeln.

„Was ist?“, fragte er.

„Nichts weiter. Ohne das Testosteron Tuning gefällst du mir besser“, schmunzelte sie.

Er glaubte sich verhört zu haben und machte große Augen. „Testosteron-Tuning?“, fragte er noch mal nach, weil er sich nicht sicher war, ob sie ihm tatsächlich ein Kompliment gemacht oder nur die Selbstschussanlage in Betrieb genommen hatte.

Joe versuchte sich an einer Erklärung. „Na, die Bartstoppeln und die Lederjacke. Sieht besser aus, wenn du es weglässt.“

Gooch lachte leise in sich hinein. Selbst wenn sie versuchte, nett zu sein, behielt sie den Holzhammer in der Hand. „Danke für das Kompliment! Aber die wohldosierte Verwendung von Charme üben wir noch mal!“

Das Wort ‚Charme‘ überhörte Joe geflissentlich. „Stimmt aber! Warum diese Kostümierung? Hast du doch gar nicht nötig“, stellte sie fest.

„Ihr Frauen macht euch doch auch zurecht, wenn ihr ausgeht!“, rechtfertigte er sich.

Sie wiegelte energisch ab. „Ich nicht. Wozu auch? Entweder mag man mich, so wie ich bin – oder man lässt es bleiben!“ Bisher war sie zwar noch nie in Gummistiefeln in ein Restaurant gegangen; das hatte aber mehr an den mangelnden Stiefeln gelegen – und weniger an ihrem Trotzkopf.

„Und wenn du unvermutet deinem Traummann begegnest und dann aussiehst wie eine Vogelscheuche?“, fragte er mit einem schalen Beigeschmack, als er sich an ihre Begegnung am Flughafen erinnerte.

Scheinbar erinnerte sich auch Joe an diesen Tag, denn sie begann zu kichern. „Wenn ihn Vogelscheuchen nicht heiß machen, ist er nicht mein Traummann. Abgesehen davon gibt es den sowieso nicht!“

Gooch wurde hellhörig und bohrte nach. „Wie würde der denn aussehen?“, fragte er und versuchte dabei, nicht allzu neugierig zu wirken.

Er hatte mit der Basketball-Shorts zwar einen erbärmlichen Start hingelegt und sich mit ihr auf Freundschaft geeinigt – aber das bedeutete nicht, dass sich sein Jagdinstinkt vollständig unterdrücken ließ.

Joe grinste verschlagen und dachte nicht im Traum daran, ihm ihre Geheimnisse anzuvertrauen. Stattdessen proklamierte sie theatralisch: „Ein wettergegerbter Öko-Ritter im strahlend braunen Jutesack – bereit, sich heroisch vor die Harpune eines Walfängers zu werfen, um die Mutter des kleinen Babywals zu retten.“

„War so klar, dass ein weißes Pferd nicht reicht“, dachte Gooch desillusioniert. „Harpunen sind aber schlecht für die Gesundheit“, gab er zu bedenken.

„Deswegen gibt es ihn ja auch nicht!“, schlussfolgerte Joe trocken und lachte.

Gooch dachte kurz darüber nach, wie viele ihrer Verehrer wohl schon, von einer Harpune durchbohrt, tot durch die Weltmeere trieben. Er parkte vor den roten Gebäuden am Icy Strait Point und musste beim Aussteigen die Tür festhalten. Der Wind wehte an der Landzunge deutlich stärker als in Hoonah.

Joe versuchte ihren Parka zu schließen, während der Wind an ihrem Haar zerrte und die Haarnadel schließlich den Kampf aufgab und davonflog. Die langen, zimtfarbenen Strähnen flatterten in großen Wellen um ihr Gesicht, und ihre grünen Augen leuchteten, als sie das schäumende Meer betrachtete.

„Was für ein Anblick!“, schwärmte sie.

„Allerdings!“, dachte Gooch und meinte damit nicht das Meer. „Bevor wir was essen, muss ich noch mal kurz ins Büro. Du kannst ja so lange deine Giftzähnchen anspitzen.“

„Warum?“, fragte sie erstaunt.

„Um meine Mutter in die Flucht zu schlagen!“

Joe fing an zu lachen. „Dafür brauche ich keine Giftzähne, das kann ich mit geschlossenen Augen! Aber deine Mom ist doch ganz nett.“

„Meine Mom versucht gerade, uns zu verkuppeln! Und jetzt spitz die Zähne!“, wiederholte er mit Nachdruck und öffnete die Tür zu seinem Büro.

„Keine Sorge! Das hat nicht mal meine Mutter geschafft!“, kicherte Joe gutgelaunt und zog interessiert einen Flyer seiner Firma aus dem Wandhalter an der Tür.

„Vielleicht verstärkt sie ja ihre Bemühungen, wenn sie mich sieht“, frotzelte Gooch, der dieses Spielchen überhaupt nicht lustig fand.

Joe las den Flyer und war gerade etwas abgelenkt. „Wenn sie dich sieht, ruft sie die Kavallerie“, rutschte es ihr unbedacht raus, und biss sich sofort danach auf die Zunge. Für einen Moment war alles still, und sie sah ihn schuldbewusst und erschrocken an.

Er warf ihr einen prüfenden Blick zu, dann fing er an zu lachen. „Blöd nur, dass die immer noch kein Telefon haben!“

Joe ging zu ihm und bat um Verzeihung. „Tut mir leid. Das ist mir so rausgerutscht. Ich bin schrecklich, ich weiß. Ich sortiere alle Menschen in Schubladen – aber nicht nach Farben“, versuchte sie verzweifelt zu erklären.

Gooch stand von seinem Schreibtisch auf, schob sanft mit zwei Fingern ihr Kinn hoch, so dass sie ihm in die Augen sah, und sagte lächelnd: „Das weiß ich doch!“ Sein Blick hing noch einen Moment an ihren grünen Augen, dann strich er ihr sacht über die Wange.

„Da seid ihr ja!“, schnurrte Leah, zufrieden wie eine satte Katze.

Gooch bat erneut um ein Loch, doch Mütterchen Erde erbarmte sich auch diesmal nicht. Für funktionierende Senklöcher musste er wohl nach Florida ziehen, aber das war ihm zu warm – und so blieb er stehen. „Mom!“, brummte er. „Lautlos wie immer!“

Das Restaurant war so ganz anders, als Joe es sich vorgestellt hatte. Alles war aus Holz. Tische, Bänke, Wände. Die Fenster boten einen atemberaubenden Ausblick auf die Icy Strait, und offenbar war Leah der Meinung, dass mehr Dekoration nicht nötig war. Funktional und schnörkellos. In Alaska war eben alles ein bisschen anders. Die Gummistiefel fielen dementsprechend auch nicht unangenehm auf, was Joe fast ein bisschen enttäuschte. Bei schönem Wetter hätten sie auch auf der großen überdachten Terrasse sitzen können. Joe steuerte zielsicher einen der Tische am Fenster an. Nachdem sie die Karte studiert hatte, entschied sie sich für eine Schüssel Rentier-Chili mit Brot und dazu noch einen Salat. Gooch nahm den Lachs-Eintopf.

„Jetzt erzähl doch mal, wem du deinen Namen verdankst“, forderte Joe ihn auf und legte damit den Finger in die Wunde.

Gooch runzelte die Stirn, rang sich aber doch zu einer Erklärung durch. „Mom liebt Jazz. Ganz besonders den Pianisten Theodore Shaw Wilson. Als mein Vater sie sitzen ließ, hörte sie viele Platten von Luis Armstrong und Wilson; das hat sie getröstet, sagt sie.“

Joe lächelte verständnisvoll, teilten sie doch das gleiche Schicksal. „Dann ist Gooch nur dein Spitzname?“

Er schüttelte den Kopf. „Nein. Gooch Guwakaan ist mein Tlingit- Name. Das bedeutet –grob übersetzt – so viel wie Wolf, der Frieden stiftet.“

Joe hob erstaunt die Augenbrauen. Nun hatte sie zwar nicht viel Ahnung von der Kultur der Tlingit, aber ihr war trotzdem klar, dass man einen solchen Namen nicht bekam, weil man als Baby so putzig ausgesehen hatte. „Wie bist du zu diesem Namen gekommen?“, fragte sie ihn interessiert.

Gooch hob bescheiden die Schultern. „Ich bin ein friedliebender Mensch. Ich mochte schon als Kind nicht, wenn Freunde von mir gestritten haben, also bin ich dazwischengegangen. Das ist bis heute so geblieben. Wenn Leute Streit haben, kommen sie zu mir, und wir suchen zusammen einen Kompromiss. Bei uns sucht der Onkel den Namen aus. Meist sind das Namen von altehrwürdigen Vorfahren, aber manchmal beschreiben sie auch eine besondere Eigenschaft oder eine verdienstvolle Tat. Bei einem Potlach gab man mir vor ein paar Jahren offiziell den Namen Guwakaan.“

Joe betrachtete ihn mit einem kleinen Lächeln im Gesicht, weil ihr klar wurde, wie sehr sie der erste Eindruck von ihm getäuscht hatte.

Gooch riss sie aus ihren Gedanken. „Ist bei dir auch ein Promi schuld?“, wollte er von ihr wissen.

Joe nickte. „Könnte man so sagen. Josephine Marie, nach Marie Josephe Rose de Tascher de la Pagerie, die spätere Frau von Napoleon Bonaparte, Kaiserin von Frankreich.“

Gooch schmunzelte. „Dann könnte ich dich ja auch Mary nennen“, meinte er belustigt.

Joe zog angewidert die Nase kraus. „Marie mit ie, Mary klingt provinziell. Das würde zwar meine Mutter ärgern, aber Joe tut das auch – und nein, du kannst mich nicht Mary nennen!“, empörte sie sich, aber nur ein kleines Bisschen.

„Bescheidenheit liegt bei euch nicht unbedingt in der Familie, oder?“, stellte er fest.

Sie fing an zu lachen. „Dieses Wort existiert nicht im Wortschatz meiner Eltern, aber ich arbeite jeden Tag daran, dieses Manko auszumerzen.“ Joe ließ ihren Blick durch den Raum schweifen und grinste breit. „Uuh, da naht auch schon der nächste Blaublüter“, raunte sie Gooch warnend zu.

Er sah sie irritiert an. Cinderella vom Vorabend hatte ihn entdeckt und steuerte direkt auf ihren Tisch zu. Ihr Gesichtsausdruck ließ nichts Gutes erahnen.

‚Die Kürbis-Kutsche war wohl nicht ganz pünktlich‘, vermutete Joe, und weidete sich ein wenig an seinem entsetzten Gesichtsausdruck. Für Gooch wurde gerade ein Katastrophenszenario, für das er keinen Notfallplan hatte, zur bitteren Realität.

„Du hast dich ja schnell getröstet!“, fauchte Cinderella leise, als sie den Tisch erreicht hatte, und maß Joe mit einem abschätzenden Blick.

„Hallo, April, hat euer Schiff Verspätung?“, versuchte er auszuweichen und war heilfroh, dass er sich noch an ihren Namen erinnern konnte. Ihm war deutlich anzusehen, wie unwohl er sich fühlte – und Joe lehnte sich entspannt zurück, in Erwartung einer interessanten Vorstellung. Aufs Stichwort erschien dann auch noch Leah mit dem Essen auf der Bühne der Peinlichkeiten. Nicht ganz zufällig, vermutete Joe, denn vom Küchenbereich aus hatte sie einen guten Überblick auf den Gastraum.

„Ist etwas nicht in Ordnung?“, erkundigte sie sich und stellte die Schüsseln samt Salat auf den Tisch.

Gooch brach förmlich der Angstschweiß aus, und er wand sich in der Falle, die hinter ihm zugeschnappt war. Heute hatte sich einfach alles gegen ihn verschworen.

Cinderella ließ sich nicht beirren. „Kaum denkst du, ich bin weg, kommt die Nächste dran?“, fragte sie beleidigt.

Joe schnappte empört nach Luft. Wenn Gooch sich mit seinen Weibergeschichten in Schwierigkeiten brachte, ging sie das nichts an. Aber sie war nicht willens, die Hauptdarstellerin in einem Schmierentheater zu werden. Schon gar nicht vor Publikum. „Moment mal! Bevor es hier zu weiteren Missverständnissen kommt: Ich bin wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungsstation des Glacier Bay Nationalparks. Mr. McKenzie arbeitet für uns, und bevor Sie uns gestört haben, wollten wir die nächsten Flüge zum Eisfeld besprechen!“, erklärte sie mit Nachdruck und schlug gleich zwei Fliegen mit einer Klappe – denn Leah stand auch immer noch am Tisch. Die Gummistiefel und der Flyer, den Joe aus dem Büro mitgenommen hatte, bekräftigten ihre Aussage.

Cinderella sah betreten zu Boden und versuchte sich an einer Entschuldigung: „Oh, ich dachte …“

„Das halte ich für unwahrscheinlich!“, unterbrach Joe das Gestammel und bemerkte ein amüsiertes Blitzen in den Augen von Leah.

„Kann ich Ihnen noch etwas bringen?“, fragte sie Cinderella und spielte weiterhin die Ahnungslose.

„Nein, danke!“, meinte diese und verschwand, ohne Gooch auch nur eines weiteren Blickes zu würdigen.

„Lasst es euch schmecken. Ich habe noch zu tun“, erklärte Leah und ging zurück in die Küche, nicht ohne ihren Sohn vorher noch mit einem missbilligenden Blick zu strafen.

Gooch sackte erleichtert in sich zusammen und ließ die angehaltene Luft entweichen.

Joe musterte ihn amüsiert und konnte es nicht lassen, ihn noch ein bisschen zu piesacken. „Passiert dir das öfter?“

„Erst seit ich dich kenne!“, maulte er zurück und rührte mit mäßigem Appetit in seinem Eintopf.

„Aha! Dann bin ich also schuld daran, dass du dich in Schwierigkeiten bringst?“, fragte sie mit gespielter Empörung.

Er lachte und deutete einen Heiligenschein an. „Klar bist du schuld! Wenn du mit mir geflirtet hättest, wäre ich nicht mit April ausgegangen. Du hättest nicht schwer gesoffen und anschließend einen Kater gehabt. Dann wären wir auch nicht meiner Mutter begegnet und würden jetzt nicht in der Patsche sitzen, sondern bei mir zu Hause.“ Er grinste anzüglich.

Joe sah ihn vorwurfsvoll an und griff im Geiste wieder zu ihrem Holzhammer. Doch eine leise Stimme in ihrem Hinterkopf sagte ihr, dass er das nicht ernst gemeint hatte, und so ließ sie den Hammer wieder sinken und sagte stattdessen: „Du weißt schon, dass Heiligenscheine entstehen, wenn sich schmutzige Gedanken rasend schnell in Kreis drehen?“

„Und weshalb hast du dann keinen?“, gab er amüsiert zurück.

„Musste ich abnehmen. Hat immer an den Hörnern gescheuert!“, konterte sie frech.

Gooch gab es auf und schüttelte resigniert den Kopf. „Das hätte ich mir auch denken können!“

Etwas später ging er in die Küche, um noch zwei Tassen Kaffee zu holen. Leah schmunzelte vielsagend. „Sie hat Zähne und Krallen. Gefällt mir!“

Gooch verdrehte nur genervt die Augen und zog wortlos mit dem Kaffee wieder ab.

„Hier gibt es nur ‚Black Wolf‘ – vielleicht schmeckt er dir ja trotzdem“, bemerkte er augenzwinkernd, als er Joe die Tasse reichte. „Bestimmt“, erklärte sie versöhnlich.

Er blickte nachdenklich in seine Kaffeetasse. „Danke, dass du mir vorhin den Hals gerettet hast. Du hast was gut bei mir!“

„Keine Ursache! Leute vergraulen ist ein Hobby von mir“, kicherte Joe.

„Oh ja! Das kannst du gut!“, stellte er fest, musste aber zugeben, dass diese Eigenschaft durchaus auch ihre Vorteile hatte. Nach dem Kaffee bedankte sich Joe bei Leah für das Essen, und sie verabschiedeten sich.

„Gehen wir noch in die Bar auf einen Drink?“, fragte Gooch in der Hoffnung, dass es vielleicht doch noch ein schöner Abend werden könnte.

„Nein. Ich möchte gern in mein eigenes Bett“, frotzelte sie.

Er schüttelte lachend den Kopf. „So war das nicht gemeint!“

Joe blieb skeptisch. „Ein Kater reicht mir, außerdem habe ich morgen noch viel zu tun“, erklärte sie ungewohnt diplomatisch. Kurz danach parkte Gooch den Wagen an der Marina und brachte Joe bis zum Boot. Er wünschte ihr eine gute Nacht und fuhr dann nach Hause, um sicherzugehen, dass er April nicht noch einmal begegnete.

Als Joe unter Deck kletterte, musste sie feststellen, dass Trisha und Barney nicht da waren. Sie vermutete die beiden in der Office Bar. Da sie aber vom Vorabend noch leicht angeschlagen war, beschloss sie, schlafen zu gehen. Allein schon der Gedanke an einen weiteren Long Island Ice Tea rief bei ihr Kopfschmerzen hervor. Doch der Schlaf ließ auf sich warten. Gooch geisterte durch ihre Gedanken, und je länger sie über ihn nachdachte, desto mehr wurde ihr klar, dass sie ihre Meinung über ihn gründlich revidieren musste. Er hatte ihren Stacheldrahtverhau niedergerissen und ihr Freundschaft angeboten, obwohl sie so unfreundlich und kratzbürstig gewesen war. Außerdem wurde ihr noch etwas anderes klar: Sie hatte ihn nach dem Einkauf in Hoonah nicht verärgert, als sie ihn in die Schranken gewiesen hatte. Sie hatte ihn verletzt. Schuldbewusst nagte sie auf ihrer Unterlippe herum, und im Geiste zog sie Gooch aus der untersten Macho-Schublade, und er wanderte gleich mehrere Etagen nach oben – vorbei an den Sport- und Lackaffen und der Schublade mit der Aufschrift ‚Neutrale Bekannte‘, zog er in die Schublade der Freunde, in der sich nur sehr wenige Menschen befanden, und bemerkenswerterweise waren alle hier. In Alaska.

Tlingit Moon

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