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LEKKER!

HAGELKÖRNER IM FRÜHSTÜCKSRAUM

Am nächsten Morgen wacht Anne schon früh auf. Sie reibt sich die Augen, blinzelt kurz, bis sie sich daran erinnert, wo sie eigentlich ist: im riesigen, weichen Bett in einem ganz und gar mit rosa Stoff ausgekleideten Hotelzimmer in Maastricht. Auf dem Nachttisch liegt ihr Skizzenbuch – sie hat abends im Bett liegend noch versucht, den niederländischen Löwen zu zeichnen. Eigentlich ist sie damit ganz zufrieden. Anne fügt noch ein paar Striche am Löwenkörper hinzu und schreibt dann mit kleinen Buchstaben unter das Bild: »Ankunft in Maastricht – mein erster Tag.« Dann klappt sie mit einem Schwung das Buch zu, hüpft aus dem Bett, öffnet das Fenster und sieht hinunter auf die kleine, gepflasterte Straße, die – wie der größte Teil der Maastrichter Innenstadt – nur von Fußgängern und Fahrrädern passiert werden darf.

Anne lehnt sich etwas weiter über das Fensterbrett und blickt in die enge Gasse hinab. Kaum jemand ist auf den Beinen, nur ein einzelner Fahrradfahrer ist zu sehen, alle Geschäfte haben an diesem Sonntagmorgen geschlossen. Aber in wenigen Stunden, das ahnt sie, wird es trotz der geschlossenen Läden mit der Ruhe vorbei sein. Die vielen Touristen, die sie gestern bemerkt hat, haben die Stadt ja wohl nicht über Nacht verlassen.

Anne springt deshalb schnell unter die Dusche, zieht ihr dunkelblaues Kleid von gestern wieder an und eilt die geschwungene Holztreppe zum Frühstücksraum des Hotels hinunter.

Am gestrigen Abend hat sie nicht mehr viel von Maastricht gesehen. Nach der leckeren Limburger Torte ist sie so satt und müde gewesen, dass sie auf schnellstem Weg in ihr Hotel gelaufen und dann gleich ins Bett gefallen ist. Das möchte sie nach dem Frühstück unbedingt nachholen. Sie hat nur einen knappen Tag Zeit, um Maastricht zu erkunden, denn schon kurz vor 18 Uhr fährt ihr Zug nach Amsterdam ab.

Im kleinen, sehr gemütlich eingerichteten Frühstücksraum mit rosa Tischdecken sitzt um diese Zeit an einem Sonntagmorgen noch kein Mensch. Doch, dahinten in der Ecke entdeckt Anne einen Gast, der etwas griesgrämig in seiner Zeitung blättert. Er nickt ihr kurz zu und vertieft sich dann wieder in seine Morgenlektüre.

Direkt an der Eingangstür steht ein großer Behälter mit heißem Tee. Aus einer Kanne daneben duftet es köstlich nach kräftigem schwarzem Kaffee. Anne füllt sich eine Tasse und bringt sie zu einem Tisch am Fenster. Dann steuert sie auf das Buffet zu. In drei Brotkörben findet sie frisches, noch warmes Brot. Es sieht fast wie Toastbrot aus und fühlt sich auch so an – ein Toaster ist aber nirgendwo zu entdecken. Anne nimmt sich drei Scheiben des weichen Brotes, zwei weiße und eine dunklere. In einem Gläschen findet sie Butter, daneben liegen verschiedene Sorten Käse und Wurst. Weiter hinten steht ein Glas mit einer cremigen Paste. Sie riecht daran: pindakaas (Erdnussbutter). Einen anderen süßen Brotaufstrich kann sie allerdings nirgendwo entdecken. Gibt es in den Niederlanden keine Marmelade? Keinen Honig? Oder zumindest Nutella? Nichts. Anne sieht sich ratlos um. Schließlich ist sie eine ausgemachte Süß-Frühstückerin.

In diesem Moment öffnet sich eine Tür und eine kleine, etwas rundliche Frau mit knallrot gefärbtem Lockenkopf kommt herein und ruft laut: »Goedemorgen!« Nach einem kurzen Blick auf Anne fragt sie: »Fehlt etwas? Orangensaft?«

Anne überlegt kurz, dann antwortet sie: »Haben Sie vielleicht ein bisschen Marmelade oder Honig?«

Nach einem kurzen prüfenden Blick auf das Frühstücksbuffet antwortet die Frau: »Die Marmelade ist leider alle. Aber im ganzen Raum findest du hagelslag. Guten Appetit!«

Sehr merkwürdig, denkt Anne. Keine Marmelade, dafür im ganzen Raum Hagelkörner? Sie hat wohl schon wieder etwas falsch verstanden. Nachfragen geht nicht, denn die Frau ist schon wieder weg. Nach kurzem Zögern setzt sie sich an ihren Tisch. Dann isst sie eben das Brot nur mit Butter – auf Käse oder Wurst hat sie heute Morgen absolut keinen Appetit.

Doch auch das ist nicht ganz einfach, bemerkt Anne. Das Brot ist sehr weich und sie hat Mühe, die Butter darauf zu verstreichen, ohne es zu zerreißen. Erst bei der zweiten Scheibe, als die Butter schon etwas wärmer ist, gelingt es ihr besser. Ein bisschen unzufrieden über den kargen Butteraufstrich beißt Anne Stück für Stück des süßlichen Brotes ab, da bleibt ihr Blick an etwas hängen: Auf ihrem Tisch stehen fünf kleine rechteckige Pappschachteln und auf diesen Schachteln sind Brotscheiben abgebildet, die mit Kuchenstreuseln in allen Farben und Formen bedeckt sind. Was soll das denn? Kuchenstreusel zum Frühstück? Das ist doch eher was zum Verzieren von Plätzchen!

Anne legt zögerlich die letzte Brotscheibe auf ihren Teller, greift zu der Packung mit der Aufschrift Chocoladehagelslag und streut die dunklen Schokokörner auf das Brot. Als alles schön bedeckt ist, nimmt sie vorsichtig die Scheibe in die Hand und versucht dabei, das Brot gerade zu halten. Dann hebt sie die Brotscheibe langsam zum Mund und beißt hinein. Oh je, schon ist es passiert! Schokokörner kullern und rieseln kreuz und quer über Teller und Tisch. Anne versucht noch, einige Körner aufzuhalten, doch das macht die Sache nur schlimmer. Schwupps, schon liegt die Brotscheibe falsch herum auf dem Tisch, die ganze rosa Tischdecke ist über und über mit braunen Krümeln bedeckt, auch auf den Boden hat es kräftig Schokolade gehagelt. Schnell wischt Anne mit dem Fuß über den Teppich – haben die hier denn keinen Hund, der schnell alles wegfressen kann? Anne sieht sich um. Anscheinend hat niemand ihr Missgeschick beobachtet.

Wie hat die Kellnerin es formuliert: »Du findest im ganzen Raum hagelslag.« Als hätte sie es geahnt!

Anne schüttelt weitere Schokokörner von ihrem Kleid und blickt zu dem Niederländer in der Ecke hinüber. Gerade lehnt er sich etwas zurück und hebt seine Zeitung höher. Anne hat freie Sicht auf seinen Teller: Darauf und auch daneben liegen einige wenige Schokoladenkrümel. Sehr wenige. In diesem Moment legt der Niederländer seine Zeitung ab, pickt mit den Fingern die restlichen Krümel auf, steckt sie sich in den Mund, hebt seinen Kopf, grinst Anne an und murmelt: »Lekker.«

Etwas irritiert und nach zweieinhalb Scheiben des weichen Brotes immer noch hungrig räumt Anne ihre Sachen zusammen und verlässt den Frühstücksraum.

Was ist da schiefgelaufen?

Mit ihrem Appetit auf etwas Süßes zum Frühstück lag Anne eigentlich goldrichtig, denn auf einen reich gedeckten niederländischen Frühstückstisch gehören neben Milch, Tee und Kaffee, verschiedenen Brotsorten, manchmal Pfannkuchen, Butter, Eiern, mehreren Käse- und Wurstsorten sowie Erdnussbutter unbedingt auch süße Brotbeläge oder Aufstriche, die sehr gut zu den weichen Broten passen, die mit dem deutschen Sauerteig- oder Schwarzbrot überhaupt nichts gemein haben. Absoluter Kult unter den süßen Brotbelägen ist dabei der sogenannte hagelslag. Die kleinen Schokoladen- oder Zuckerstreusel, die es in allen möglichen Variationen gibt, dürfen in den Niederlanden bei keinem Frühstück fehlen.

Anne hat zwar richtig erkannt, dass man den hagelslag auf das Brot streuen muss, allerdings benötigt man Butter auf dem Brot, damit die Streusel haften bleiben. Sie landen sonst nicht im Mund, sondern hageln auf Tisch und Boden. Selbst der geübteste hagelslag-Esser hätte damit seine Probleme.

So ist’s oranje

Beim nächsten Frühstück (ontbijt) sollte Anne ruhig etwas mutiger sein. Das Brot muss nur gut mit Butter bestrichen werden, erst dann wird es mit hagelslag bestreut. Der geübte Niederländer drückt den hagelslag danach mit dem Messer fest – dann kann nichts mehr schiefgehen. Na ja, fast nichts, denn eigentlich gehören ein paar Krümel auf Teller, Tisch und Boden dazu. Ein paar …

Wenn Anne das erste richtige hagelslag-Brot gegessen hat und auf den Geschmack gekommen ist, kann sie damit beginnen, sich durch alle Sorten hindurchzuprobieren: Sie kann den bekanntesten hagelslag aus Vollmilchschokolade oder den aus Zartbitterschokolade testen oder eine Mischung aus Vollmilch- und weißer Schokolade; sie kann hagelslag in Form von kleinen Flocken statt Körnern auf ihr Brot streuen oder Frucht-hagelslag (vruchtenhagel) aus gefärbtem Zucker, der süß auf der Zunge zergeht; oder sie hat Glück und erwischt eine Packung Überraschungs-hagelslag – hier rieseln neben den üblichen Streuseln auch verschiedene bunte Schokofiguren aus der Packung. Wenn allerdings Kinder in der Nähe sind, kann es passieren, dass die bunten Figuren auf mysteriöse Weise aus der Packung oder vom Brot verschwinden.

Trotz des einigermaßen gehaltvollen Belags wird Anne bald merken, dass drei Scheiben vom niederländischen brood nicht ausreichen, um satt zu werden. Denn der Unterschied zwischen deutschem und niederländischem Brot liegt nicht nur darin, dass es verhältnismäßig weich, für manchen Geschmack sogar ausgesprochen labberig und damit schwer zu bestreichen ist (zumal es nicht getoastet wird), sondern dass es auch deutlich weniger sättigt. Nach drei Scheiben deutschem Brot wäre Anne sehr gut für einen mehrstündigen Spaziergang durch Maastricht gerüstet gewesen. Nach drei niederländischen boterhammen (Butterbroten) wird sie hingegen bald der Hunger plagen.

DAS WÖRTCHEN LEKKER

Es gibt einige Begriffe, die für den Niederländer besonders wichtig sind – neben dem Wort gezellig (siehe Kapitel 7: »Ein Tässchen in Ehren« – sind das v. a. die vielseitig verwendbaren positiven Adjektive leuk (nett, reizend, schön – sprich »löök«), mooi (schön, hübsch) und v. a. das kleine Wörtchen lekker, das im Niederländischen besonders vielfältig und umfassend einsetzbar ist. Denn mit lekker drückt der Niederländer nicht nur sein Wohlgefallen über gutes Essen und Trinken aus (Dat ruikt lekker! – Das riecht lecker!), sondern er kann damit auch Eigenschaften von Konkretem oder Abstraktem aus vielen anderen Bereichen beschreiben und lekker sogar adverbial einsetzen: Der Niederländer kennt deshalb nicht nur lekker hapje (Leckerbissen), sondern auch lekker weer (gutes Wetter) oder ein lekker meisje (attraktives Mädchen). Und er kann auch lekker slapen/werken/ dromen (gut schlafen/arbeiten/träumen) oder sich niet lekker voelen (nicht gut fühlen).

Fettnäpfchenführer Niederlande

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