Читать книгу Flach gelegt und kalt gemacht - Katja Landmann - Страница 6
ОглавлениеDie Anfänge
Als ich 1992 meinen ersten Tag im Pflegeheim hatte, hätte ich nicht zu träumen gewagt, dass ich nach all den Jahren immer noch in dem Beruf arbeite. Voller Elan richteten wir vor 30 Jahren den Wohnbereich ein. Elisa und ich bezogen Betten, dekorierten die Nischen, machten Pläne was wir neben der Pflege veranstalten würden. Unsere Erwartungen waren groß. Bald zogen die ersten Bewohner ein. Mit Johann, einem der ersten bei uns, sehe ich mich und meine Kollegin heute noch am Tisch sitzen und frühstücken. Gemeinsame Mahlzeiten finden inzwischen nicht mehr statt. Dazu ist der Pflegeaufwand zu groß. Immer mehr bin ich in die Arbeit hinein gewachsen, habe gelernt mit Rollstuhlfahrern, Dementen und psychisch kranken Menschen umzugehen. Den Umgang mit den vielen liebenswürdigen alten Menschen, schwerkranken jüngeren Bewohnern, psychisch Kranken aber auch aggressiven Leuten möchte ich Ihnen jetzt näher bringen. Die Namen von Bewohnern und Personal wurden zum Schutz geändert.
Anfang der 90er Jahre waren wir Personaltechnisch gut besetzt. Bei sechs Pfleger/-innen im Frühdienst konnten wir oft mit den Bewohnern spazieren gehen, hatten Zeit für sie. Es war wie in einer großen Familie. Die zu Pflegenden waren damals zum großen Teil fitter als diejenigen die jetzt ins Haus kommen, das Personal sehr motiviert. Vielen von uns machte es nichts aus, länger zu arbeiten als der Dienstplan es vorsah. So war es möglich, größere Ausflüge zu unternehmen. Ich erinnere mich an unsere Dampferfahrt auf der Elbe. Mit Sack und Pack zogen wir los. Ein Körbchen mit Medizin, eins mit Inkontinenzmaterial und vielen freiwilligen Kollegen. Die alten Leute kamen heraus aus dem Alltag. Sie hatten sichtlich Freude bei der Fahrt ins blühende Pillnitz. Sogar eine Fahrt in den Spreewald war möglich. Eine heikle Angelegenheit war es, die Rollstuhlfahrer in das kleine Boot zu bekommen. Es hätte nicht viel gefehlt und Werner wäre über Bord gegangen. Die kleinen Ausflüge haben die Bewohner immer sehr genossen. Alles fühlte sich unbeschwert und leicht an. Auch heute finden Ausflüge statt, jedoch in kleinerem Rahmen. Mal eine Fahrt in den Zoo, mal ein Spaziergang zum Eiskaffee. Kleine Ausbrüche aus dem Alltag tun der Seele gut, heben die Stimmung und führen zu einem Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen Pflegern und Bewohnern. Obwohl unser Heim in einer Stadt ist, liegt es in ruhiger Umgebung. Das Haus hat drei Wohnbereiche mit insgesamt 96 Bewohnern. Ein großer Garten umgibt das Gebäude. Die Bewohner genießen es, auf einer der Bänke zu sitzen, die frischen Blüten im Frühling zu schnuppern und im Sommer Schatten unter den alten großen Bäumen zu finden. Eine bunte Blätterwelt können Bewohner und Angehörige im Herbst betrachten So manch einer tankt die klare kühle Luft im Winter. Viele der alten Menschen hatten früher selbst Haus und Hof, waren immer am ,,werkeln“. Wie schön ist es, wenn einer sich den Besen schnappt um zu kehren, eine andere fischt mit dem Kescher die Blätter aus dem Teich oder zupft Unkraut vom Hochbeet. Für alle ist etwas dabei. Sogar als ,,Jogging - Runde“ wird der Garten genutzt. Einen Bewohner aus dem betreuten Wohnen zieht es Früh und Abends raus, um mit seinem Rollator ein paar Runden zu drehen. So hält er sich fit. Frau Schuster liebte es, wenn draußen alles bunt war. Sie selbst hatte früher ein schönes altes Haus mit einem blühendem Obstgarten. Um ins Grüne zu kommen bedurfte es jedoch einiger Vorbereitungen. Ich wunderte mich, warum sie mit dem Anziehen nicht fertig wurde. Bis ich Frau Schuster eines Tages sah, wie Sie das vierte Paar Schlüpfer und das dritte Unterhemd anzog. ,,Ja, ich muss das alles anziehen“, sagte Frau Schuster, als Sie mich sah.
,,Wissen Sie, man weiß nie wer draußen herum spaziert,so bin ich vor einer Vergewaltigung sicher“,erzählte Sie weiter.