Читать книгу In den Fängen der Leidenschaft - Kat Martin - Страница 6

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Unberechenbar, unbeständig und unerwartet,

so zogen sie nach einem Plan,

den kein anderer erkennen konnte,

durch das Leben.

Kathryn Esty

Außerhalb von Sisteron, Frankreich 20. April 1806

Catherine zog das rauhe Wolltuch gegen die beißende Kälte des Windes enger um sich. Unter dem dünnen Stoff waren ihre Schultern über dem tiefen Ausschnitt ihrer schlichten weißen Bäuerinnenbluse nackt. Strähnen ihres dichten goldroten Haars peitschten ihre Wange, als der Wagen in ein Schlagloch rumpelte und sie gegen den korpulenten Mann mit der gewölbten Brust geworfen wurde, der neben ihr auf der harten Holzbank saß.

»Das Wetter wird sich bald ändern«, versprach Vaclav. »In ein paar Tagen wird es langsam wärmer werden.«

Catherine warf einen Blick auf die grauen Wolken über ihnen, die Sturmboten waren. »Und weshalb sollte das wohl so sein, wenn ich fragen darf?« bemerkte sie sarkastisch, denn sie hatte die Kälte und den Regen satt, aber noch mehr hingen ihr Vaclav, seine ungehobelten Manieren und seine lüsternen Blicke zum Hals heraus.

Der fette Mann zuckte nur mit den Schultern. »Ich sage dir nur, daß ich es fühlen kann. Bei uns sagt einem so was das eigene Gespür.«

Sie hätte gern gestritten und gesagt, er könne es unmöglich wissen, aber in den letzten acht Wochen hatte sie gelernt, daß es Dinge gab, die nur die Zigeuner wußten und sonst niemand, Dinge, die das Land und das Wetter betrafen. Dinge, die die Zukunft betrafen.

Catherine richtete sich auf der kalten Holzbank auf und zog an ihren weiten roten Röcken, schlang sie, so weit es ging, um ihre nackten Beine. Sie wünschte, sie hätte anstelle ihrer dünnen Ledersandalen kräftiges Schuhwerk besessen. Aber andererseits besaßen die meisten von ihnen überhaupt keine Schuhe.

»Wir werden mein Volk bald erreichen«, sagte Vaclav zu ihr und kratzte sich durch die Öffnung seines ausgefransten blauen Seidenhemds die behaarte Brust. Darüber trug er einen mottenzerfressenen Pullover, den er unterwegs gefunden hatte.

»Wir sind bald da?« Catherines Pulsschlag beschleunigte sich. Sie würde Pläne schmieden und Vorbereitungen treffen müssen. Sie würde wieder anfangen müssen, nach Fluchtmöglichkeiten Ausschau zu halten.

»Sie werden irgendwo am Fluß ihr Lager aufgeschlagen haben. Das ist alles, was ich weiß.«

Mehr ließ sich nicht aus ihm herausholen. Zigeuner kümmerten sich nie um genaue Zeit- oder Ortsangaben und verspürten kein Verlangen, auch nur zu wissen, welcher Monat war. Sie lebten in den Tag hinein, von einem Augenblick zum anderen. Sie seufzte bei dem Gedanken daran, wieviel sie bereits über sie gelernt hatte, seit jener Nacht vor acht Wochen, als jemand sich in ihr Schlafzimmer in ihrem Stadthaus eingeschlichen, sie bewußtlos geschlagen und sie fortgetragen hatte.

Catherine lehnte sich wieder zurück auf der Holzbank in dem Vardo, dem bunt angemalten Haus auf Rädern, in dem Vaclav lebte. Auf englisch, eine der vielen Sprachen, die die meisten von ihnen sprachen, nannte er es einen Wohnwagen, und er war so stolz darauf, daß er geradezu strahlte, wenn er ihn ansah. Er war einer der reicheren Zigeuner, die nicht mehr in Zelten lebten.

Immer mehr von seinen Leuten, hatte er ihr einmal erzählt, hatten begonnen, diese Wagen zu bauen und darin zu leben. Sie waren im Winter wärmer, und sie hielten den Regen besser ab. Sie sollte dankbar sein, hatte er zu ihr gesagt. Wenn sie erst einmal verheiratet waren, würde der Vardo ihnen ein breites bequemes Bett bieten.

Catherines Magen verkrampfte sich. Wie lange konnte es noch dauern, bis er hinter die Wahrheit kam? Nämlich die, daß sie nicht die Absicht hatte, ihn zu heiraten, und daß sie diese Absicht nie gehabt hatte. Es war lediglich ein Trick gewesen, eine Masche, um zu überleben. Es war nur eine von vielen, die sie in den letzten zermürbenden Wochen gelernt hatte.

Sie dachte an die Schläge, die sie eingesteckt hatte, an die vielen Meilen, die sie ohne Schuhe zu Fuß gelaufen war, an ihre empfindlichen Füße, die geblutet hatten und von den spitzen Steinen aufgeritzt worden waren, Füße, die es nicht gewohnt waren, schutzlos aufzutreten. Sie dachte an die Grausamkeit der Frauen, die sie als Ausgestoßene behandelten, als Dienstmädchen, kaum besser als eine Sklavin.

Die meiste Zeit über konnte sie sich kaum noch an ihr Leben als verhätschelte junge Dame erinnern oder die Gesichter von Menschen vor sich sehen, die früher einmal Angehörige und Freunde gewesen waren. Das hier war eine andere Zeit, eine andere Welt. Was zählt, ist nur die Gegenwart, sagte sie sich. Denk nicht an die Vergangenheit. Laß sie hinter dir.

Wieder und immer wieder hatte sie gegen die Tränen angekämpft, die anfangs unaufhörlich geflossen waren. Aber sie hatte schnell gelernt, daß sie ihr nichts anderes als Schläge einbrachten oder eine Nacht ohne Abendessen. Jetzt weigerten sie sich gänzlich zu fließen, und dafür war Catherine dankbar.

Sie würde überleben, hatte sie sich gelobt, während sie sich mit jedem qualvollen Tag weiter und immer weiter von ihrem Zuhause und der Familie entfernte, die sie liebte. Ganz gleich, was sie über sich ergehen lassen mußte, sie würde nach England zurückkehren. Sie würde dahinterkommen, wer für ihre Entführung verantwortlich war, für ihren Verkauf an die Zigeuner, und sie würde denjenigen dafür büßen lassen.

»Domini! Laß die Pferde stehen und komm rein zum Essen. Ich habe dir eine leckere Hasensuppe gekocht.«

Seine Mutter stand am Rande der seicht abfallenden Senke und hatte die kleinen verhutzelten Hände auf dem leuchtendgelben Rock liegen, der an ihrer winzigen und allzu schmächtigen Gestalt herunterhing. Sie wirkt soviel älter dieses Jahr, dachte er, und zum ersten Mal fragte er sich, wie viele Winter die zerbrechliche alte Frau noch überleben würde, und bei dem Gedanken spürte er, wie sich plötzlich seine Brust zusammenschnürte. Sie würde ihm fehlen, wenn sie nicht mehr da war. Er würde diese Lebensweise vermissen.

Dominic winkte in ihre Richtung und band die Apfelschimmelstute bei den anderen Pferden an, die am Rand der Wiese zwischen den Bäumen grasten. Dann ging er auf sie zu.

Die Abendluft war kühl und feucht, aber bald würden die Tage wärmer werden. Durch die dicken grauen Wolken konnte er bereits jetzt Sterne glitzern sehen. Wenigstens würde der Wetterumschlag bewirken, daß die Schmerzen seiner Mutter sich legten und daß die Mattigkeit nachließ, die er in ihren Augen sehen konnte.

»Gehst du heute nacht zu Yana?« fragte sie ihn, als er an ihrer Seite war und sie durch das hohe Gras zum Wagen zurückliefen.

Dominic zog eine dichte schwarze Augenbraue hoch. »Seit wann kümmern dich meine Nächte mit Yana?« Ein Anflug von Belustigung war aus seiner Stimme herauszuhören. Würde sie jemals in ihm nicht mehr den kleinen Jungen sehen, der sich an ihre Röcke klammerte?

»Yana will dich in die Falle locken. Sie ist nicht gut genug für dich.«

Dominic lächelte nachsichtig. »Immer dein Wunsch, mich zu beschützen. Du machst dir überflüssige Sorgen, Mutter. Die Frau wärmt mir das Bett, aber ich habe keine Roma im Sinne.«

»Das sagst du jetzt, aber sie will heiraten, und sie ist geschickt, das kann ich dir versichern. Du brauchst bloß Antal zu fragen, ihren ersten Mann.«

Dominics Lächeln wurde dünn. »So geschickt ist kein Weibsbild. Und außerdem weiß sie, daß ich bald abreisen werde.«

Das verhutzelte Gesicht seiner Mutter wirkte plötzlich älter, und über den faltenzerfurchten Bereichen um die Augen herum zogen sich ihre dünnen grauen Augenbrauen zusammen. »Du wirst mir fehlen, mein Sohn. Aber es ist wie immer das Beste so.«

Das sagte sie jetzt schon, seit er ein Kind von dreizehn Jahren war. Seit sein Vater gekommen war, um ihn zu holen. Sie hatte ihm immer wieder gesagt, das englische Blut des Marquis sei stärker als das seiner Zigeunermutter, und dieses Blut riefe ihn, und er müsse diesem Ruf Folge leisten.

Eine kurze Zeit hatte er sie dafür gehaßt.

Jetzt, fünfzehn Jahre später, erschien es Dominic, als hätte seine Mutter recht gehabt.

Er trat ans Feuer, das im Dunkel der Nacht orange und gelb loderte, wärmte sich einen Moment lang daran und setzte sich dann auf eine kleine Holzbank, die er vor etlichen Jahren aus einem umgestürzten Baum angefertigt hatte. Seine Mutter drückte ihm die dampfende Suppenschale in die Hände, und die Wärme ließ seine eiskalten steifen Finger auftauen.

In Gravenwold, dem palastartigen Gut seines Vaters in Buckingham, hatte man nie Probleme mit der Kälte. Und auch nicht mit einem leeren Magen oder damit, wie man sich gegen den Wind und den Regen schützte. Und doch verspürte Dominic hier, in der Kälte und der Feuchtigkeit der Provence, in diesem Lager, das unter der gewaltigen Granitzitadelle von Sisteron aufgeschlagen worden war, ein Gefühl von Frieden, das er in England nie empfand.

Er würde es vermissen, wenn er wieder zu Hause war.

Catherine entdeckte in der Ferne den flackernden Lichtschein von einem Dutzend Lagerfeuern, rote Glut, die sich gegen die Schwärze der Nacht abhob. Gelegentlich trieb der Wind das melancholische Seufzen einer Geige herüber. Zigeuner. Pindoros – Pferdehändler. Vaclav hatte ihr von seinem Stamm erzählt, als er sie dieser anderen Horde abgekauft hatte, die durch die Lande zog.

»Ich habe dich gekauft«, hatte er an jenem ersten Abend zu ihr gesagt. »Jetzt gehörst du mir.« Er hatte eine unförmige braune Hose aus rauhem Stoff und ein zerlumptes, ausrangiertes Leinenhemd getragen und einen seiner Wurstfinger über ihre Wange gleiten lassen, und Catherine war erschauert.

»Du bist voller Leidenschaft und Glut« – er streichelte ihr dickes, feuerrotes Haar – »wie Mithra, die Göttin des Feuers und des Wassers. Ich begehre dich mehr als alle andere – heute nacht werde ich dich in mein Bett mitnehmen.«

Catherine war vor ihm zurückgewichen. »Ich komme nicht in dein Bett«, sagte sie mit einer heldenhaften Tapferkeit, die sie zu ihrem Schutz einsetzte, aber keineswegs empfand.

Als Vaclav auf sie zugekommen war, hatte Catherine sich gewehrt –sie hatte gekämpft wie eine Tigerin. Sie hatte gekratzt und war mit Zähnen und Klauen auf ihn losgegangen, hatte um sich getreten und geschrien und ihn mit den undamenhaftesten Beschimpfungen bedacht, von denen sie noch wenige Wochen vorher niemals geglaubt hätte, daß sie sie je über die Lippen brächte. Vaclav hatte sie geohrfeigt und ihr Schläge angedroht, aber sie hatte sich trotzdem nicht gefügt.

»Ich denke gar nicht daran, mich zu dir zu legen wie irgendeine Hure, deren Gunst du gekauft hast. Ich werde nur mit dem Mann schlafen, den ich heirate.«

Seine Augen glitten über die Rundungen ihres Körpers, die ihre tief ausgeschnittene Bluse und der schlichte Rock nur zu deutlich zeigten. »Wenn es das ist, was du willst – einen Ehemann –, dann werde ich dich eben heiraten.«

»Du würdest eine Gadjo heiraten?« Eine Nichtzigeunerin. Das war ganz unerhört, soviel wußte sie. Die Roma waren eine Welt für sich. Außenseiter wurden nicht akzeptiert.

Vaclavs Gedanken schienen ihre eigenen widerzuspiegeln. Einen Moment lang schien er unsicher zu sein. Dann straffte sich sein breites Kinn, und seine Augen wurden dunkel. »Genau das werde ich tun, wenn du dann bereitwillig in mein Bett kommst.«

Catherine schwirrte der Kopf, als sie ihre Möglichkeiten erwog. Wenn sie in eine Heirat einwilligte, vielleicht konnte sie ihn sich dann noch etwas länger fernhalten und etwas mehr kostbare Zeit gewinnen. »Was ist mit deinen Eltern? Mit deiner Familie? Du willst doch sicher, daß sie zur Hochzeit kommen?«

»Wir sind jetzt schon auf dem Weg zu ihnen. Eine Reise von zwei, vielleicht auch drei Wochen. Die Hochzeit könnte in Sisteron stattfinden.«

Sisteron. Im Südwesten. Fern von den türkischen Paschas von Konstantinopel. Fern von der weißen Sklaverei, die ihr bestimmt gewesen war. Näher an England und an ihrer Heimat. »Wenn das so ist, nehme ich dein Angebot an. Sowie wir verheiratet sind, werde ich tun, was du wünschst. Aber du mußt mir versprechen, mich bis dahin nicht anzurühren.«

Vaclav hatte mißmutig eingewilligt. Die Tage waren vorübergegangen, und er hatte sein Wort gehalten. Wenn sie nur ihr Wort würde halten können.

»Pindoros«, sagte er und holte sie aus ihren Gedanken an diese früheren Vorfälle heraus. »Wir sind nahezu da.«

»Ja«, flüsterte Catherine. Was, um Gottes willen, würde sie jetzt bloß tun? Sie würde ihm die Wahrheit sagen müssen, ehe er seiner Familie seine Heiratspläne offenbarte. Er würde unbeschreiblich wütend werden, wenn er ihretwegen vor seinem Stamm sein Gesicht verlor.

Catherines Magen zog sich zu einem festen Knoten zusammen. Was würde er tun, wenn er hereingelegt worden war? Er würde böse werden. Vor Wut toben. Er würde sie nehmen, das stand für sie fest, ob mit ihrer Zustimmung oder ohne sie. Sie konnte seine plumpen Hände nahezu auf ihren Brüsten spüren, seinen dicken, behaarten Körper, wie er sich brutal zwischen ihre Beine stieß.

Hätte sie doch bloß fortlaufen können, eine Fluchtmöglichkeit finden können. Aber wohin hätte sie schon gehen sollen? Und er hatte sie im Auge behalten und sie nachts am Wagen festgebunden. Es hatte sich ihr keine Gelegenheit geboten. Aber auch jetzt bot sich ihr keine Gelegenheit.

Der Wagen rumpelte auf das Lager zu, und die hölzernen Räder wühlten Schlamm aus den Pfützen auf dem Weg auf. Ein Dutzend zerlumpter Kinder und etliche bellende Hunde kamen zur Begrüßung auf sie zugerast, ohne der eisigen Kälte, die in der Luft hing, oder der nassen schwarzen Erde unter ihren unbeschuhten Füßen Beachtung zu schenken. Von den Kochfeuern vor jedem der Wagen stiegen dünne weiße Rauchfahnen auf.

»Wir werden unser Lager zwischen den Bäumen aufschlagen, fern von den anderen«, sagte Vaclav mit einem Blick, den sie nur als ausgehungert bezeichnen konnte. »Sowie wir uns dort einquartiert haben, werden wir meine Familie aufsuchen und ihr die Neuigkeiten von unserer Hochzeit mitteilen.«

Sowie sie ihr Lager aufgeschlagen hatten, würde Catherine Vaclav andere Neuigkeiten mitteilen – daß es zu keiner Hochzeit kommen würde. Sie schaute auf seine stämmigen Arme und Schultern und erinnerte sich daran, wie seine schwere Hand sich angefühlt hatte, wenn sie ihn bisher erzürnt hatte. Diesmal würde er seine Wut nicht zügeln. Catherine erschauerte bei dem Gedanken.

Dominic streckte sich hinten in seinem Vardo auf seiner bequemen Eiderdaunenmatratze aus. Er und seine Mutter besaßen die besten Wagen, die man für Geld kaufen konnte. Genaugenommen hatten alle Angehörigen seines Stammes auf die eine oder andere Weise von seinem enormen Reichtum profitiert. Natürlich hatte er dabei mit größter Behutsamkeit vorgehen müssen. Sie hätten wohl kaum Almosen von ihm angenommen. Nur hier und da ein Geschenk, etwas, was jemand »fand« und als sein Eigentum beanspruchte.

Dafür bewunderte Dominic diese Menschen. Sie brauchten keine Reichtümer, um glücklich zu werden. Sie besaßen ihre Freiheit. Das war der größte aller Reichtümer.

Er rührte sich im Wagen, als er in der Ferne Geräusche hörte, die er nicht ganz einordnen konnte. Anfangs waren es nur leise Laute, ein angedeutetes Flüstern im Wind. Dann war es wieder zu vernehmen, diesmal lauter. Er hätte schwören können, daß es die Stimme einer Frau war.

Dominic schwang seine langen Beine auf den Boden, schnappte sich sein Hemd aus der selbstgesponnenen Wolle mit den weiten Ärmeln und zog die Stiefel über seine enge schwarze Reithose. Er riß die Tür des Wagens auf, stieg die Stufen zum Boden hinunter und bahnte sich einen Weg zwischen den Wagen hindurch, die nicht weit voneinander entfernt standen. Seine Mutter stand über dem Kochfeuer vor ihrem eigenen Wagen und rührte in einem großen schwarzen Topf Gulyds um, einen deftigen Fleischeintopf. Der Duft stieg ihm in die Nase, und sein Magen knurrte vor Hunger.

»Das Abendessen ist fast fertig«, sagte seine Mutter. Gewöhnlich aßen sie vor Einbruch der Dunkelheit, aber heute abend hatte sich Pearsa um ein krankes Kind gekümmert, und Dominic hatte eines seiner Pferde geritten.

»Hast du jemanden gehört?« fragte er. »Ich glaubte, Stimmen unten am Fluß gehört zu haben.«

»Vaclav ist zurückgekommen«, sagte seine Mutter schlichtweg und rührte das brodelnde Fleischgericht um. Es roch nach Kräutern und Gewürzen und dem Wildbret, das er ins Lager mitgebracht hatte.

»Normalerweise schlägt er sein Lager neben seinen Eltern auf. Warum...?«

Zornig erhobene Stimmen, eine männliche und eine ganz entschieden weibliche, trieben durch die kalte Nachtluft und schnitten ihm das Wort ab. »Er war allein, als er aufbrach«, sagte Dominic, und diese Äußerung enthielt eindeutig eine Frage.

Seine Mutter wandte den Blick ab. »Jetzt reist er mit einer Frau.« Von ihrer ausweichenden Art und dem abgewandten Blick ging etwas aus, was Dominic Unbehagen bereitete.

»Mit was für einer Frau?« fragte er. In genau dem Moment ertönte ihr schriller Schrei. Die Stimmen wurden lauter, eine flehentlich, die andere schrill und wutentbrannt. Das Geräusch einer Hand, die auf Fleisch klatschte, hallte über die Lichtung, und Dominics Körper spannte sich an. »Er schlägt sie.«

»Sie gehört ihm. Es ist sein Recht.«

In dem Moment ging ihm auf, daß sie Englisch miteinander redeten. Englisch, nicht etwa Französisch oder Romani, die Sprache seines Volkes. Dominic setzte sich in die Richtung in Bewegung, aus der die Laute kamen, fort von dem Kreis, den die Wagen bildeten, und hin zu der Stelle, an der seine Pferde festgebunden waren.

»Geh nicht hin, mein Sohn.« Ihre schmalen goldenen Armreifen klirrten, als Pearsa an seine Seite eilte und seinen Arm packte. »Das geht dich nichts an.«

»Wenn du mehr darüber weißt, dann sag es mir.«

»Sie ist eine Gadjo. Sie sagen, sie sei eine Hexe.«

Dominic setzte sich wieder in Bewegung. Pearsas kleine, gebeugte Gestalt rannte fast, um seinen langbeinigen Schritten folgen zu können.

»Denk an dein Versprechen. Du darfst dich nicht einmischen.« Dominic lief einfach weiter.

»Sie hat Vaclav schon verhext. Sie könnte dich auch verhexen.«

Darüber machte er sich unverhohlen lustig. Die endlosen Stunden seiner Erziehung hatten weitgehend mit seinem Aberglauben aufgeräumt. »Ich werde mich nicht einmischen. Ich will nur sehen, was dort vorgeht. Geh zu unserem Lager zurück. Ich bin bald wieder bei dir.«

Pearsa sah ihm nach und rang die schwieligen alten Hände, als er in die Dunkelheit schlenderte. Er konnte ihren Blick auf seinem Rücken spüren, ihre Mißbilligung wahrnehmen – und ihre Sorge –, aber er lief dennoch weiter. Ein echter Zigeuner hätte die Geräusche ignoriert, da Privatsphäre für jene, die sie nicht besaßen, von allergrößtem Wert war, und der Umstand, daß er die Geräusche nicht ignorieren konnte, verhärtete Dominics Gesichtszüge.

Er bewegte sich mit einer Lautlosigkeit, die ihm so natürlich wie das Atmen war, als er mit nicht mehr als ein oder zwei besänftigenden Worten an den Pferden vorbeilief und schließlich Vaclavs Wagen erreichte. Aus dem Dunkel neben dem Wagen starrte er auf die Lichtung, über das kleine Feuer hinweg, und das Geschehen, das sich vor seinen Augen entfaltete, zog ihn in seinen Bann.

Der korpulente, stark behaarte Zigeuner, den er seit seiner Kindheit kannte, stand über einer wunderschönen Frau mit flammendrotem Haar, die ihn mit einer Mischung aus Abscheu und Trotz anfunkelte. Vaclavs Hemd hing in Fetzen an ihm herunter, das Haar, das zottig und verfilzt war, fiel ihm in die finsteren dunklen Augen, und sein Gesicht mit der ausgeprägten Stirn war vor Wut verzerrt.

Nicht weit von ihm entfernt sah ihm die Frau fest ins Gesicht. Ihre kleinen Hände waren an den Handgelenken gefesselt, ihre Füße gespreizt, ihre Augen auf seine geheftet. Das feuerrote Haar wogte über ihre Schultern, und ihre Bluse, die zerrissen und schmutzig war, legte bis auf die Spitzen ihrer hochangesetzten, üppigen Brüste alles frei. Sogar der Abdruck von Vaclavs Hand auf ihrer Wange konnte die Schönheit ihres Gesichts nicht verbergen.

»Du hast mich belogen!« brüllte er. »Du wolltest mich von Anfang an um das betrügen, wofür ich mein Gold bis auf die letzte Unze ausgegeben habe!«

»Ich habe dir schon ein dutzendmal gesagt, daß ich dir Geld beschaffen kann, mehr Gold, als du tragen kannst, wenn du mich laufen läßt.«

»Für was für einen Dummkopf mußt du mich halten.« Vaclav ohrfeigte sie wieder; sie wankte, doch sie fiel nicht hin.

Dominics Magen schnürte sich zusammen, aber er rührte sich nicht vom Fleck. Er war zur Hälfte ein Zigeuner. Er mußte sich an die Gesetze der Zigeuner halten.

»Ich will dein Geld nicht haben!« schrie Vaclav. »Dein Körper ist es, wonach ich mich verzehre. Ich habe dir die Ehe angeboten. Du hast mich zurückgewiesen, mich vor meinem Stamm beschämt. Und jetzt wirst du lernen zu gehorchen.«

Er packte ihre gefesselten Handgelenke und schleifte die Frau zu einem Baum. Dominic stand wie versteinert da, als Vaclav ein Stück Seil über einen Ast warf, ihre Hände damit band und sie hochhievte, bis ihre Arme hoch über ihren Kopf gestreckt waren. Er packte die Rückseite ihrer Bluse, zerriß sie grob und legte die bleichste und zarteste Haut bloß, die Dominic je gesehen hatte.

»Du wirst lernen, meine Befehle zu befolgen. Du wirst lernen, dich zu unterwerfen. Wenn du dazu erst die Peitsche kosten mußte, dann soll es eben so sein.«

Dominics Mund wurde trocken. Wenn die Frau Vaclav gehörte, dann war es sein Recht, sie so zu züchtigen, wie er es für angemessen hielt. Dominics Hand klammerte sich um das Wagenrad, aber er rührte sich immer noch nicht von der Stelle.

Vaclav drehte sich um, um die lange Lederpeitsche zu holen, die er einsetzte, um seine Pferde anzutreiben; und die Augen der Frau, die klar und leuchtend grün waren, schienen sich so in seinen Rücken zu brennen, wie sich die Peitsche schon bald in ihren Rücken brennen würde.

»Ich werde mich niemals unterwerfen, hast du mich gehört? Ich verabscheue dich und jeden miesen Zigeuner, der mir je begegnet ist! Ihr seid Tiere! Ihr kennt nichts anderes als Grausamkeit und Gewalttätigkeit.« Beim letzten Wort brach ihre Stimme, doch sie versteifte ihre schmalen Schultern gegen den ersten zischenden Peitschenhieb.

Eine dünne Blutspur zeichnete sich ab und verunstaltete das makellose Weiß ihrer Haut, aber sie gab keinen Laut des Protestes von sich, sondern preßte ihr Gesicht nur mit einem resignierten Ausdruck gegen die rauhe Rinde des Baumes.

Als ihre Lider mit den dichten Wimpern sich gegen den Schmerz schlossen, von dem sie wußte, daß er zu erwarten war, war es vorbei mit Dominics Selbstbeherrschung. Er trat gerade noch rechtzeitig neben dem Wagen heraus, um den zweiten brutalen Hieb von Vaclavs Peitsche abzufangen.

Er zwang sich, sich zusammenzureißen. »Es scheint fast, mein Freund, als hättest du gewisse Schwierigkeiten damit, deine Frau zu bändigen.« Er sagte die Worte auf englisch, wie sie bisher auch miteinander geredet hatten. Es gelang ihm zwar, seiner Stimme einen freundlichen Tonfall zu geben, aber es kostete ihn eiserne Selbstbeherrschung, Vaclav die Peitsche nicht aus den Händen zu reißen.

Der korpulente Mann wirbelte zu ihm herum. »Halte dich raus, Domini, das ist nicht deine Angelegenheit.«

»Ich bin nur gekommen, um dich zu begrüßen. Es ist eine ganze Weile her, seit wir miteinander gereist sind.«

»Jetzt ist nicht der rechte Zeitpunkt für eine Begrüßung. Wie du selbst sehen kannst, habe ich mich um andere Angelegenheiten zu kümmern.«

»Es scheint so.« Aber er traf keine Anstalten zu gehen.

»Die Frau hat es verdient, ausgepeitscht zu werden«, fügte Vaclav hinzu, doch ein Teil von ihm schien unsicher zu sein.

»Das kann gut wahr sein. Wenn sie dir gehört, steht es dir von Rechts wegen zu, mit ihr zu verfahren, wie du es wünschst.«

»Warum mischst du dich dann ein?«

»Ich dachte, ich könnte unter Umständen behilflich sein. Vielleicht gibt es eine andere Möglichkeit, dein Problem zu lösen.« Dominic zuckte die Achseln in einer kaum verhohlenen Geste von Lässigkeit. »Aber an Gold hast du natürlich kein Interesse.«

Zum zweiten Mal schien Vaclav zu zögern. Er warf einen Blick auf die Frau, die an den Baum gebunden war, und Dominic konnte die widerstreitenden Gefühle in seinem Gesicht lesen. Er wollte ihr nicht wirklich weh tun, aber sie hatte ihm keine andere Wahl gelassen. Wenn er sie nicht Gehorsam lehrte, verlor er bei seinen Leuten das Gesicht.

»Ich dachte, vielleicht möchtest du dir – sehr gewinnbringend – deine Last vom Hals schaffen.«

Vaclav sah die Frau an, und die Gier, die er auf sie verspürte, funkelte in den Tiefen seiner Augen. Die Frau spuckte ihm vor die Füße.

»Wie gewinnbringend?« fragte Vaclav.

»Ich gebe dir das Doppelte von dem, was du für sie bezahlt hast.«

»Das Lösegeld eines Königs. Die rothaarige Hexe hat mich ein Vermögen in Gold gekostet.«

Sie machte den Eindruck, als sei sie es wert. »Das Dreifache«, sagte Dominic mit leiser Stimme.

»Du kaufst dir damit nur Ärger ein, Domini. Du weißt gar nicht, wieviel Ärger.«

»Das riskiere ich. Ich biete dir das Vierfache des Preises, den du bezahlt hast.«

Vaclavs Gesicht, das bereits vor Wut gerötet war, lief noch roter an. »Du und dein Geld. Du kannst dir alles kaufen, was du willst, was, Didikai

Das war ein gemeines Zigeunerwort – halb Gadjo, halb Roma. Immer ein Außenseiter, der darum kämpfen muß, akzeptiert zu werden, hatte Dominic es als Kind oft gehört, aber im Laufe der Jahre hatte er sich unter seinen Leuten einen Platz errungen und es nie mehr zu hören bekommen. Jetzt schnitt es wie eine Sichel in seine Eingeweide.

»Du willst die Frau?« höhnte Vaclav. »Ich verkaufe sie dir für das Sechsfache des Preises, den ich für sie bezahlt habe.«

Das war eine Provokation, eine grausame Erinnerung an seine Abstammung. Kein echter Zigeuner hätte sich einen solchen Preis leisten können. Dominic heftete den Blick auf das Mädchen. Sie sah ihn über eine bleiche Schulter mißtrauisch an. Blut von der Peitschenstrieme hatte das Wenige dunkel verfärbt, was von ihrer Bluse noch übrig war, und die Lederriemen schnitten brutal in ihre Handgelenke. Seine Mutter hatte recht gehabt – er hätte nicht herkommen sollen. Jetzt konnte er nicht einfach wieder gehen.

»Abgemacht«, sagte er. »Schneide die Frau herunter.«

Vaclav lächelte triumphierend, und Dominic spürte, wie große Erbitterung in ihm aufwogte. Vaclav hatte gewonnen, und beide wußten es.

»Dein Gadjo-Blut macht dich schwach«, stichelte er, denn er wußte, daß keiner der anderen ihm Einhalt geboten hätte. Die Roma-Männer glaubten an die absolute Herrschaft über ihre Frauen. Daran glaubte auch Dominic. Er hielt nur nichts von Gewalt, um sich durchzusetzen.

Vaclav warf ihm ein Messer zu, und die Klinge funkelte im Feuerschein. »Jetzt gehört sie dir. Du schneidest sie herunter.«

Dominic legte die Entfernung zwischen sich und der Frau zurück und benutzte das Messer, um ihre Fesseln durchzuschneiden. Sie taumelte und wankte gegen ihn. Dominics Arm legte sich um ihre zierliche Taille, um sie auf den Füßen zu halten.

»Rühr mich nicht an!« Sie riß sich los und wich zurück.

Dominic packte ihr Kinn und zwang sie, ihm ins Gesicht zu sehen. »Du solltest besser lernen, deine widerspenstige Zunge im Zaum zu halten«, sagte er und erinnerte sich an etliche der Flüche, mit denen sie Vaclav in seinem Beisein bedacht hatte. »Du hast hier nichts mehr zu sagen. Jetzt gehörst du mir. Du wirst lernen zu tun, was ich sage.«

»Scher dich zum Teufel!«

»Der wird mich höchstwahrscheinlich früher oder später holen. Aber du wirst nicht diejenige sein, die mich hinschickt.« Dominic wandte sich ab und wollte gehen. Als sie nicht hinter ihm herlief, blieb er stehen und sah sie an. »Du gehörst zwar mir, aber die Wahl liegt bei dir. Du kannst hier bei Vaclav bleiben, du kannst aber auch mit mir kommen.«

Catherines Blick glitt von dem rabenschwarzen Haar des Zigeuners bis zu den Spitzen seiner abgestoßenen schwarzen Stiefel. Augen, die die Farbe von Obsidian hatten, bohrten sich in sie. Er war so großgewachsen, daß sie sich den Hals verrenken mußte, um ihm ins Gesicht zu sehen. Und sie erkannte, was ihr bereits in dem Moment aufgefallen war, als er auf die Lichtung trat – daß sie, auch wenn er einen noch so harten Eindruck machte, noch nie einen attraktiveren Mann gesehen hatte.

Ohne eine Antwort abzuwarten, kehrte er ihr den Rücken zu und ging. Schultern, die so breit wie der Griff einer Axt waren, schmale Hüften und lange, muskulöse Beine verschwanden in der Dunkelheit, die den Wagen umgab. Catherine warf einen letzten Blick auf Vaclav, der immer noch die Peitsche mit einer plumpen, stark behaarten Hand umklammerte, dann eilte sie hinter ihm her zwischen die Bäume.

»Steig in den Wagen.«

Catherine musterte ihn mißtrauisch. »Mir ist ganz gleich, wieviel du für mich bezahlt hast. Ich werde mich ebensowenig zu dir legen, wie ich mich zu ihm gelegt hätte.«

Die Blicke des großen Zigeuners glitten über sie und brannten sich mit einer Glut in sie, die sie eine Hand auf ihre Brust heben ließ, um die zerrissene bäuerliche Bluse enger um sich zu ziehen.

»Wenn ich es wünsche, Kleines, dann wirst du bei mir liegen. Täusche dich in dem Punkt bloß nicht. Aber wenn du es tust, dann nicht, weil dir mit dem Auspeitschen gedroht wird.«

Dann wird es nie dazu kommen, dachte sie, sagte es aber nicht. Sie hatte auf die harte Tour gelernt, daß es ihr nichts nutzte, mit diesen Menschen zu diskutieren, ebensowenig, wie ihr Flehen oder Tränen halfen.

»Rein mit dir«, wiederholte er.

»Warum?«

»Damit ich die Strieme auf deinem Rücken verarzten kann.«

Es brannte wie die Feuer des Hades. Was für ein Schmerz wäre es erst gewesen, wenn Vaclav sie noch länger ausgepeitscht hätte?

Catherine stieg die hölzernen Stufen hinauf und setzte sich auf eine weiche, breite Eiderdaunenmatratze. »Vaclav hat dich Domini genannt. Ist das dein Name?«

Er drehte sie so um, daß ihr Rücken ihm zugewandt war. »Einer von ihnen. Ein anderer ist Dominic.« Nur dieses einzige Wort. Namen bedeuteten ihnen so wenig wie die Zeit oder der Ort. Die meisten hatten zwei oder drei Namen, die sie unter Umständen änderten, wenn jemand starb oder heiratete – oder vom Gesetz gesucht wurde. »Und du?« fragte er.

»Catherine.«

»Catherine«, wiederholte er. »Catrina. Ich glaube, das paßt zu dir.« Lange braune Finger glitten über ihren Rücken und verteilten etwas, was dickflüssig und klebrig war.

Der Schmerz ließ augenblicklich nach, und Catherine seufzte vor Erleichterung.

»Wie bist du an ihn geraten?« fragte er.

»Er hat mich von einer Karawane von Zigeunern gekauft, die nördlich von hier gereist sind. Vaclav hat ihnen einen enormen Preis geboten, und sie sind auf sein Angebot eingegangen.«

Seine Hand hielt in der Bewegung inne. »Du kannst dich gut ausdrücken; offensichtlich bist du keine Bäuerin. Was hatte eine Engländerin in Kriegszeiten allein in Nordfrankreich zu suchen?«

»Du bist auch kein Franzose. Und dein Englisch ist auffallend gut. Ich könnte dich dasselbe fragen.«

»Ich bin Zigeuner«, sagte er schlicht und einfach. »Wir führen mit niemandem Krieg. Für dich ist das etwas anderes.«

»Ich war nicht in Frankreich. Ich war in England.« Hätte sie ihm doch nur die Wahrheit erzählen und ihn um Hilfe bitten können. Aber das hatte sie schon öfter versucht. Für einen entsprechenden Preis hatten die Zigeuner aus dem Norden dem Mann, der sie entführt hatte, versprochen, sie würden sie weit von England fortbringen – sie dachten gar nicht daran, sie laufenzulassen.

Andere, denen sie die Wahrheit erzählt hatte – darunter auch Vaclav –, hatten ihr ihre Geschichte nicht geglaubt. Sie hatten sie ihre »hochherrschaftliche Hure« und ihre »herablassende Hoheit« genannt. Das hatte ihr das Leben nur wesentlich schwerer gemacht.

Sie dachte daran, wie sie in ihren zerlumpten bäuerlichen Kleidern und mit dem wüst zerzausten Haar aussah, mit einem nahezu entblößten Busen. Sie wies etwa soviel Ähnlichkeit mit einer Gräfin von Arondale auf wie die alte Frau, die draußen über das Kochfeuer gebeugt war. Sie konnte beinahe das Lachen des großgewachsenen Zigeuners hören, und der Gedanke daran bewirkte, daß sich ihr Magen zusammenschnürte.

»Ich bin von zu Hause fortgelaufen«, log sie. »Ein Mann hat mich gefangengenommen und an die Zigeuner verkauft.« Dieser Teil war wenigstens wahr. »Es gab einen Pascha in Konstantinopel, der eine Vorliebe für hellhäutige Frauen hatte, und anscheinend hat er sehr gut bezahlt.«

Weiße Sklaverei. Das war immer noch besser als der Tod – oder zumindest glaubte das der Mann, der sie entführt hatte. Er besaß sozusagen so etwas wie ein Gewissen. »Vaclav hatte Geld, viel Geld.« Wahrscheinlich gestohlen. »Er hat es ihnen angeboten, und sie haben es angenommen.« Wenn er sie an einen anderen Zigeuner verkaufte, dann war das nicht dasselbe, als ließe er sie laufen, hatten sie argumentiert.

»Und in all der Zeit ist es dir gelungen, ihn von deinem Bett fernzuhalten?« Dominic musterte sie auf eine Art und Weise, die die Glut in ihre Wangen strömen ließ. »Kein Wunder, daß er etwas durchgedreht ist.«

Sie ignorierte seine Bemerkung und weigerte sich, sich auf diese Wendung des Gesprächs einzulassen. »Die Zeiten mit Vaclav sind vorbei, und jetzt bist du derjenige, mit dem ich mich gezwungenermaßen auseinandersetzen muß. Was wird jetzt aus mir werden?«

Das ist allerdings eine gute Frage, dachte Dominic. Das allerletzte, was er gebrauchen konnte, war eine Frau. Jedenfalls eine, die ihm gehörte. Er würde in wenigen Wochen fortgehen und sein Leben in England wiederaufnehmen. Zu seinen Pflichten und Verantwortungen zurückkehren. Eine zusätzliche Verantwortung fehlte ihm gerade noch. »Das hängt von dir ab, nehme ich an. Für den Moment schlage ich vor, daß du dich ausschläfst. Du siehst so aus, als könntest du es gebrauchen.«

Sie beäugte ihn wie ein argwöhnisches Kätzchen. »Hier?«

»Ich glaube, du wirst feststellen, daß du es hier recht bequem hast.« »Und wo wirst du schlafen?«

»Auf dem Boden, neben dem Wagen.« Dominic musterte prüfend die glatte weiße Haut der Frau, ihre Wespentaille und ihre üppigen Brüste. »Es sei denn, du lädst mich ein, mit dir hier zu schlafen.«

Grüne Augen, die wie Smaragde funkelten, kniffen sich gereizt zusammen. »Ich habe dir doch schon gesagt, daß ich mich nicht freiwillig zu dir oder irgendeinem anderen Mann lege.«

Dominic lachte in sich hinein, denn ihr Trotz amüsierte ihn mehr, als gut für ihn war. Eine Frau wie sie hatte er noch nie gesehen – voller glühender Willenskraft und Entschlossenheit. Und von einer Engländerin kannte er das schon gar nicht. Sie war wahrhaftig eine enorme Versuchung, und sie faszinierte ihn von Minute zu Minute mehr.

»Das werden wir ja sehen, Feuerkätzchen. Wir werden es ja sehen.«

In dem Moment bewegte sie sich, und ihre zerrissene Bluse sprang auf und legte die Unterseite einer üppigen Brust frei. Sie wirkte schwer und weich, eine vollkommene Rundung, die der Hand eines Mannes genau angepaßt war. Dominics Lenden begannen zu pulsieren. Er würde auf dem Boden schlafen, dabei blieb es – aber erst nach einem wilden Techtelmechtel mit Yana, um den gewaltigen Schmerz zu lindern, der sich in ihm ausgebreitet hatte.

»Ich werde dafür sorgen, daß du etwas zu essen bekommst«, sagte er, und seine Stimme war ein klein wenig heiser.

»Danke.«

Dominic nahm einen Beutel mit Goldmünzen aus einer seiner Truhen und verließ den Wagen, um seine Schulden bei Vaclav zu begleichen. Seine Mutter hielt ihn am Rand des Lichtscheins auf, den das Feuer warf.

»Du hast Vaclav die Frau abgekauft.« Pearsa musterte den Beutel mit einem anklagenden Blick. »Was wirst du mit ihr anfangen?«

»Das habe ich noch nicht entschieden.«

»Sie wird Ärger machen. Das kann ich spüren. Du hättest dich nicht einmischen sollen.«

Dominics Kiefer spannte sich an. Er dachte an die wunderschöne Frau mit dem feuerroten Haar in seinem Wagen. Er dachte daran, was für ein gutes Gefühl es sein mußte, wenn sie sich unter ihm bewegte und ihre wohlgeformten Beine um ihn schlang. Er dachte daran, wie sehr sich Vaclav dasselbe gewünscht hatte.

»Ich weiß«, war alles, was er sagte.

In den Fängen der Leidenschaft

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