Читать книгу In den Fängen der Leidenschaft - Kat Martin - Страница 7

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Die ach so kleine Hand reiche mir,

in der ich dich weinen gewahrʼ,

Denn all der Träume Balsam hier

Würdʼ ich sammeln für immerdar.

Zigeunergedicht

George Borrow

Catherine aß den letzten Bissen des Fleischeintopfs, den die alte Frau ihr gebracht hatte, und sie war dankbar dafür, daß dem Knurren in ihrem Magen ein Ende bereitet worden war. Hinterher kroch sie unter die leuchtendbunte Patchworkdecke, die auf der weichen Eiderdaunenmatratze lag, und zum ersten Mal seit Wochen fühlte sie sich behaglich und warm.

Ihre Blicke durchsuchten das Wageninnere, das vom freundlichen Schein einer Kerze erhellt wurde. Schränke säumten beide Seitenwände des Vardo, und alles war ordentlich verstaut. Ein verschlissenes, selbstgewebtes Hemd mit weiten Ärmeln hing an einem Haken neben einem anderen aus schimmernder roter Seide. Ein gelber Seidenschal, eine abgetragene schwarze Reithose und eine Weste aus einem goldbestickten Wandbehang, die vorn mit einer Reihe von kleinen goldenen Ziermünzen bestickt war, hingen dicht daneben.

Der Vardo sah aus wie andere, die sie gesehen hatte, nur ordentlicher und sauberer und aus teureren Brettern gezimmert, deren Kanten dichter aufeinandertrafen. Das einzige, was unpassend zu sein schien, waren etliche in Leder gebundene Bücher, die neben der Schnitzerei eines winzigen Holzpferdchens in eine Lücke gezwängt waren.

Warum hatte er sie bloß gekauft, wenn Zigeuner doch ohnehin nicht lesen konnten? Oder, was wahrscheinlicher war, sie gestohlen? Sie fragte sich auch, ob dieser faszinierende Mann, den sie Domini nannten, das kleine Holzpferdchen selbst geschnitzt hatte.

Catherine blies die Kerze aus, rollte sich auf die Seite und starrte in das Dunkel. Ihre Lider waren schwer und ihr Körper matt, doch sie wagte nicht einzuschlafen. Statt dessen lauschte sie auf jeden kleinsten Laut, der von draußen hereindrang, und wartete auf die Schritte des Mannes, der mit Sicherheit kommen würde. Wozu hatte er sie gekauft, wenn nicht, um sich von ihr das Bett wärmen zu lassen?

Catherine zuckte beim Schrei einer Eule zusammen und legte sich dann mit einem Seufzer der Erleichterung zurück, als sie erkannte, was es war. Gelegentlich trieb aus anderen Wagen Gelächter durch das Lager, verstummte jedoch allmählich. Im Laufe der Nacht drang das Schnauben von Pferden an ihre Ohren, das Knistern der erlöschenden Glut der Feuer, aber nicht die Schritte eines Mannes. Kurz vor Anbruch der Dämmerung schlief sie endlich ein, wurde jedoch beim ersten Tageslicht von der heiseren Stimme des großen Zigeuners geweckt.

»Die Sonne steigt hoch, Catrina. Steh auf – es sei denn, du möchtest Gesellschaft haben.« Er riß die niedrige Holztür auf, und Catherine setzte sich ruckartig auf und zerrte sich die Zudecken bis ans Kinn.

»Platzt du immer unangemeldet herein, wenn eine Dame im Bett liegt?«

»Nicht immer«, erwiderte er mit einem kecken Lächeln, »aber oft genug, um diesem Zeitvertreib etwas abzugewinnen.« Seine Blicke glitten forschend über sie und nahmen ihr zerzaustes Haar wahr, die schwarzen Ränder unter den Augen, den angespannten Zug um den Mund, der lange, schlaflose Stunden verriet. »Du siehst schlechter aus als gestern abend. Mein Bett war dir wohl nicht genehm?«

Catherine schnaubte vor Wut und reckte das Kinn in die Luft, doch ihre Hand hob sich zögernd, um die Strähnen ihres schlafzerzausten Haars aus dem Gesicht zu streichen. »Ich hatte gefürchtet, du würdest versuchen... ich dachte, du würdest es dir vielleicht anders überlegen und dich nicht an unsere Abmachungen halten, wer wo schläft.«

Von ihm kann man jedenfalls nicht behaupten, daß er schlecht aussieht, fand sie. Er wirkte sogar ausgesprochen gut ausgeruht. Seine Gesichtszüge waren einfach unglaublich: eine gerade, gutgeschnittene Nase, glatte dunkle Haut und Obsidianaugen unter dichten Wimpern. Sein Mund hätte in Stein gemeißelt sein können, so klar gezeichnet und vollkommen geformt war er, und wenn er lächelte, blitzten die weißesten Zähne auf, die sie jemals gesehen hatte.

»Enttäuscht?« fragte er spöttisch und zog eine dichte schwarze Augenbraue hoch. Er sah gut aus, aber nicht im üblichen Sinne. Er strahlte Härte aus, etwas Gezügeltes und Beherrschtes, was sie von Anfang an wahrgenommen hatte. Das machte ihn nur um so attraktiver.

»Wohl kaum.«

Dominic lächelte, als glaubte er ihr kein Wort. Eine solche Arroganz! Aber schließlich war er Zigeuner.

»In dem Schrank links von dir stehen ein Wasserkrug und eine Schale.« Er warf ihr eine Bluse zu, die viel Ähnlichkeit mit der aufwies, die Vaclav zerrissen hatte, doch diese hier war mit buntem Garn bestickt. »Meine Mutter hat Kaffee, Brot und Brynza hingestellt – Schafskäse. Mach dich fertig und komm zu uns.«

Sie hielt die Bluse hoch. »Ist die von deiner Mutter?« Sie wirkte viel zu groß für eine so gebrechliche kleine Frau.

Dominic lächelte belustigt. Heute trug er einen silbernen Ohrring an einem Ohr. »Ich habe sie von einer Freundin geborgt. Möchtest du vielleicht, daß ich dir beim Anziehen behilflich bin?«

»Ganz bestimmt nicht!«

»Dann schlage ich vor, daß du dich eilst. Wenn ich meinen Kaffee getrunken habe und du noch nicht bei uns draußen bist, komme ich wieder in den Wagen!« Mit einem letzten dreisten Blick wandte er sich ab und verließ den Wagen.

Catherine wälzte sich eilig aus dem Bett, zog sich die Fetzen vom Leib, die von ihrer Bluse noch geblieben waren, und schlüpfte eilig in die frische, saubere Bluse. Anfangs war sie schockiert darüber gewesen, wie wenig Kleidungsstücke die Zigeunerinnen trugen, nur einen Rock und eine Bluse ohne jegliche Unterwäsche. Im Winter zogen sie lediglich mehrere Schichten Kleider übereinander, um sich warm zu halten. Inzwischen erschien ihr all das absolut vernünftig.

Mit den Fingern fuhr sie sich durch das verfilzte Haar, ehe sie sich das Gesicht wusch und ihr Bestes tat, um ihre zerknitterten roten Röcke glattzustreichen, und dann stieg sie die Stufen des Wagens hinunter.

»So ist es schon viel besser«, rief Dominic mit einem beifälligen Blick aus. »Dort drüben links bist du ungestört.« Er schaute in die entsprechende Richtung.

Catherine, die froh war, daß er ihre Bedürfnisse erriet, begab sich in diese Richtung und erleichterte sich. Sie war klug genug, gar nicht erst einen Fluchtversuch zu unternehmen. Allein und ohne einen Penny und noch dazu unsicher, welche Richtung sie überhaupt hätte einschlagen sollen, war das keine einfache Aufgabe. Statt dessen kehrte sie zum Lager zurück, und Dominic reichte ihr eine geschwärzte Blechschale mit dampfendheißem Kaffee.

»Am späteren Vormittag«, sagte er, »nachdem du meiner Mutter bei ihren Hausarbeiten geholfen hast, wirst du dich ausruhen. Morgen fühlst du dich dann besser.« Er lächelte die zerbrechliche alte Frau an. »Das ist Pearsa, meine Mutter. Ich erwarte von dir, daß du alles tust, was sie von dir verlangt.«

Pearsa sagte nichts, sondern bedachte sie nur mit einem Blick, der kalt genug war, um einen Stein einfrieren zu lassen. Schon wieder eine von diesen haßerfüllten alten Hexen, dachte Catherine. Sie konnte nahezu spüren, wie die Weidengerte in ihren Rücken schnitt.

Diesmal nicht, gelobte sie sich. Sie war jetzt stärker und nicht mehr so verängstigt, wie sie es am Anfang gewesen war. Damals war sie nichts weiter als ein unschuldiges junges Mädchen gewesen, das sich zu sehr fürchtete, um es gegen diese Menschen aufzunehmen. Aber in den Monaten, seit sie gezwungenermaßen ihr Zuhause verlassen hatte, hatte sie sich verändert. Sie hatte ihre Unschuld verloren, von diesem letzten kleinen Überbleibsel abgesehen, aber sie hatte gelernt zu überleben.

»Wenn sie versucht, mich zu schlagen, werde ich mich wehren«, warnte ihn Catherine, die an die anderen dachte, die sie schlecht behandelt hatten. Es war besser, wenn sie gleich wußten, woran sie mit ihr waren.

Dominic musterte sie einen Moment lang, und dann stellte er seine Kaffeetasse ab und stellte sich vor sie hin. Er bog ihr Kinn zu sich hoch.

»Niemand wird dir weh tun. Übernimm du nur deinen Anteil an der Arbeit und mach keinen Ärger. Nachts kannst du in Frieden schlafen.« Die langknochigen Finger unter ihrem Kinn glitten höher auf ihre Wange, die Handfläche umschloß ihre Wange, und ein warmer Schauer zuckte über ihr Rückgrat. »Wenn ich soweit bin, das für mich zu fordern, was mir gehört, dann wirst du es rechtzeitig wissen.«

Dominic nahm wahr, daß sie scharf Luft holte und eine rosige Röte in ihre Wangen stieg, und er fand ihre Reaktionen ganz bezaubernd. Fast hätte er gelächelt. Es war zwar nicht seine Absicht gewesen, als er sie gekauft hatte, doch er würde sie für sich fordern – früher oder später. Jedesmal, wenn er sie ansah, spürte er, daß sein Körper sich regte. Sie hatte etwas an sich. Etwas ganz anderes. Etwas Faszinierendes.

Letzte Nacht in Yanas Armen, als er in ihren Schoß eingedrungen war, hatte er an die Frau mit dem flammendroten Haar gedacht, die Frau mit dem flammendroten Haar begehrt. Woher mochte sie gekommen sein? Welche Geheimnisse hütete sie?

Es wurde immer deutlicher, daß sein Volk sie hatte leiden lassen. Manche Stämme waren brutaler als andere, manche stahlen mehr, manche entfernten sich weiter als andere vom Gesetz. Und nachdem die Roma Hunderte von Jahren unter Vorurteilen gelitten hatten, fürchteten und haßten sie alle Außenstehenden. Eine Gadjo-Frau, die sie gekauft und bezahlt hatten, konnte unter Umständen schlechter als eine Sklavin behandelt werden.

Jetzt sah er sie an, wie sie das Brot und den Käse aß, den süßen schwarzen Kaffee trank und ihn unter dichten Wimpern, die weit dunkler als ihr leuchtendes Haar waren, verstohlen musterte. Er konnte den oberen Ansatz ihrer hohen runden Brüste sehen, den schmalen Umfang ihrer Taille abschätzen und die Fülle ihres Hinterteils recht gut erahnen. Als ihre Lippen sich teilten, um einen Bissen Käse aufzunehmen, berührte ihre kleine rosa Zunge ihren Mundwinkel, und Dominic spürte, wie das Blut in seinen Adern rauschte. Sein Körper spannte sich an, und Begierde pochte in seinen Lenden.

Wie viele Männer hatten sie bereits genommen? Sie brutal benutzt, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, ihr Lust zu bereiten? Gewiß waren schon mehr als nur ein paar Männer einer derart prächtigen Versuchung zum Opfer gefallen.

Er würde behutsam mit ihr umgehen müssen, damit sie sich an die Vorstellung gewöhnen konnte, das Bett mit ihm zu teilen. Er würde ihr Zeit lassen, wenn auch nicht allzuviel, weil ihm nur noch so wenig Zeit blieb. Gerade genug Zeit, damit ihre Ängste sich legten und sie sich für ihn erwärmen konnte.

Dominic hatte nicht den geringsten Zweifel daran, daß er sie in sein Bett locken konnte – und zwar bereitwillig.

Schließlich war sie, ob Gadjo oder Zigeunerin, auch nur eine Frau.

Catherine arbeitete an der Seite der alten Zigeunerin, sammelte mit ihr Feuerholz, schrubbte Töpfe und Pfannen und flickte eine Handvoll abgenutzter Kleidungsstücke. Sie hatte nichts gegen diese Arbeiten einzuwenden, ganz im Gegenteil, sie hatte gelernt, ihren Spaß an diesen kleinen alltäglichen Arbeiten zu haben, die ihr das Gefühl gaben, sich nützlich zu machen. Sie streckte sich, weil sie Rückenschmerzen hatte, und dann beugte sie sich vor und pflückte eine kleine gelbe wildwachsende Blume aus einem ganzen Büschel, das dicht neben einem Baumstamm wuchs. Als sie sich wieder aufrichtete, sah sie, daß die alte Frau sie beobachtete.

»Wenn du magst, kannst du mehr davon pflücken«, sagte Pearsa. »Mein Sohn mag sie auch gern.« Es überraschte sie kaum, daß die Frau Englisch sprach, da die meisten von ihnen neben ihrer eigenen Sprache noch etliche andere sprachen.

»Das sind die ersten, die ich sehe.« Catherine schnupperte an den zarten Blütenblättern und bückte sich dann, um noch ein paar weitere Stengel zu pflücken.

Pearsa schnaubte nur und ging. Sie ließ Catherine allein, was ihr nur recht war, denn die Worte, die die alte Frau über ihren Sohn geäußert hatte, hatten Catherines Gedanken in diese Richtung gelenkt. Sie konnte sich nicht vorstellen, daß der gutaussehende arrogante Zigeuner Freude an einem Blumenstrauß hatte. Wahrscheinlich war er so hart und grausam wie die anderen, die sie kennengelernt hatte. Sie erinnerte sich wieder an die Worte, die er zu ihr gesagt hatte, und daran, wie er sie angesehen hatte. Wenn ich soweit bin, das für mich zu fordern, was mir gehört, dann wirst du es rechtzeitig wissen.

Catherine erschauerte, und zwar nicht vor Kälte. Als sie mit der Karawane nach Norden gereist war, hatte die Gier der Zigeuner auf Gold sie geschützt. Dem türkischen Pascha wäre eine bislang unberührte Frau ein kleines Vermögen wert gewesen, und sie waren entschlossen, die Belohnung in Empfang zu nehmen.

Und Vaclav hatte sich leicht zum Narren halten lassen, eine Leistung, auf die sie nicht wirklich stolz war, aber dennoch eine Notwendigkeit.

Dieser hier, dieser geheimnisvolle, undurchsichtige Zigeuner, war etwas ganz anderes. Heute morgen war ihr – ohne den leisesten Zweifel – klargeworden, daß er die Absicht hatte, mit ihr zu schlafen. So wie er hatte sie noch kein Mann angesehen. Kein Mann hatte je den Eindruck erweckt, es sei so einfach, sie seinem Willen zu beugen.

Und er war bei weitem zu intelligent, um auf ihre Tricks hereinzufallen. Das konnte sie in seinen kühnen dunklen Augen sehen, und sie konnte es daran spüren, wie er jede ihrer Bewegungen beobachtete.

Bis zu dieser letzten Wendung der Ereignisse hatte Catherine das Gefühl gehabt, gewissermaßen Glück gehabt zu haben. Sie war zwar grausam mißhandelt worden, aber immerhin war es ihr nicht mehr bestimmt, ihr Leben in der weißen Sklaverei zu verbringen, und ihre Tugend war intakt geblieben, ein Geschenk, das sie eines Tages ihrem Ehemann darbieten würde – sowie sie erst wieder in England war. Sie hatte Glück gehabt; Bahtalo, so nannten es die Zigeuner.

Aber ein einziger Blick über die Lichtung auf den gefährlich wirkenden Mann, den sie Domini nannten und der sich geduldig mit seinen Pferden befaßte, sagte Catherine, daß ihre Glückssträhne in absehbarer Zeit enden würde.

Wie Dominic befohlen hatte, schlief Catherine den ganzen Nachmittag, und als sie aufwachte, fühlte sie sich so kräftig wie schon seit Wochen nicht mehr. Sie aß das kalte Wildbret, das die alte Frau ihr vorsetzte, machte sich am Bach frisch und spürte, wie ihre Bereitschaft wuchs, sich der Herausforderung zu stellen, den Heimweg anzutreten.

Es würde schwierig werden, das wußte sie, sogar nahezu unmöglich. Aber sie wurde nicht mehr in jedem einzelnen Moment bewacht oder nachts am Wagen festgebunden. Wenn sie die Augen wachsam offenhielt, abwartete und betete, würde sich ihr gewiß früher oder später eine Fluchtmöglichkeit bieten.

Dazu kam es noch eher, als sie es erhofft hatte.

In der Abenddämmerung des nächsten Tages kam ein Kesselflicker in die Kumpania, das Wagenlager, da er hoffte, einige seiner Waren verkaufen oder ein paar Messer oder Scheren schleifen zu können. Grüne Farbe blätterte von den Seiten seines Wagens ab, und der einst leuchtende Schriftzug seines Gewerbes war jetzt alt, doch die Räder machten einen stabilen Eindruck, und das Maultier war gesund.

»Armand ist Romane Gadjo«, erklärte ihr Dominic, der auf sie zukam, als sie am Rand der Wiese stand und das Geschehen beobachtete. »Er und der alte Jozsef sind Freunde.« Die meisten Reisenden wagten sich nicht in die Nähe des Zigeunerlagers, aber dieser Mann reiste schon seit vielen Jahren durch die Gegend, und anscheinend kannte er ihren Anführer. »Komm. Sehen wir doch mal, was er anzubieten hat.«

Dominic bedachte sie mit seinem gewinnenden Lächeln und nahm Catherine an der Hand. Seine Finger, die lang und dunkel waren, packten ihre. Sie konnte die Wärme und die Kraft dieser Hände spüren, als er ihr half, über die Deichsel des Wagens zu steigen.

Als sie zu seinem Profil aufblickte, bemerkte sie, wie der Feuerschein den scharfen Schnitt seines Gesichts betonte und ihm dieses harte und gefährliche Aussehen verlieh, das ihr schon früher an ihm aufgefallen war. Seine Züge waren markanter als die der meisten Engländer, die ihr je begegnet waren, und seine Haut war dunkler und glatter. Tatsächlich schien alles an Dominic größer und kräftiger zu sein als an allen anderen Männern, die sie je kennengelernt hatte.

»Domini! Bring die Gadjo-Frau. Es ist an der Zeit, daß wir uns ansehen, was du erworben hast.«

Dominic führte sie in die Richtung, aus der die schrille Stimme des Mannes drang. Sie tauchten unter einer Leine durch, die zwischen zwei Wagen gespannt war und an der zerrissene, aber frisch gewaschene Kleidungsstücke hingen, und dann blieben sie vor einem Grüppchen von Menschen stehen, darunter ein großer, hagerer älterer Mann, eine korpulente Frau mit einem flachen Gesicht und einem leichten Schnurrbart und ein junges schwangeres Mädchen. Alle saßen um ein kleines, warmes Feuer herum, lachten und redeten miteinander.

»Catrina, das ist Joszef, unser Anführer«, sagte Dominic, »und das sind seine Frau Czinka und seine Schwiegertochter Medela.«

»Hallo.« Catherine zwang sich zu einem unsicheren Lächeln. Sie alle musterten sie stumm, und ihre dunklen Augen glitten von Kopf bis Fuß über sie und kehrten dann zu ihrem Gesicht zurück. Nein, nicht zu ihrem Gesicht, erkannte sie, sondern zu ihrem Haar.

»Bala kameskro«, sagte Joszef, und es schien beifällig zu klingen. »Vielleicht bringt sie uns Glück.«

»Was heißt bala kam... kam...«

»Bala kameskro«, wiederholte Dominic. »Übersetzt bedeutet es sonnenhaarig, aber bei uns bedeutet es rothaarig, eine rothaarige Frau. Es herrscht der Glaube, daß rothaarige Frauen Glück bringen.«

Ihr fiel wieder ein, daß sich in ihren Zeiten mit den Zigeunern aus dem Norden einmal jemand an sie herangeschlichen hatte, als sie schlief, um ihr eine Locke abzuschneiden. Jetzt verstand sie, daß sie ihm Glück hatte bringen sollen, doch zu dem Zeitpunkt war sie zwischen Wut und Angst hin- und hergerissen gewesen.

Das schwangere Mädchen trat vor und berührte ihre schwere goldrote Mähne nahezu mit Ehrfurcht, und ihre Hand strich langsam über die dicken schimmernden Strähnen. Das lange schwarze Haar der Frau war wie das ihrer Schwiegermutter und aller anderen verheirateten Frauen unter einem Kopftuch verborgen, einem Diklo, das sie sich im Nacken zusammengebunden hatte.

»Es ist sehr schön«, sagte Medela, als sich eine dicke rote Locke um ihren Finger wickelte. Sie lächelte sanft, fast scheu, ganz anders als jede andere Zigeunerin, die Catherine bisher begegnet war.

»Danke.« Catherine sah sich zu Dominic um. »Wenn sie es möchte, könnte ich eine Locke abschneiden und sie ihr geben.«

Ein freundliches Lächeln trat auf sein Gesicht. »Medela würde sich darüber freuen.« Dominic schien sich ebenfalls zu freuen, und seine Züge waren weniger streng, als er sie im Feuerschein ansah.

»Wenn du das tätest, würde ich sie hier tragen, an das Kind gepreßt«, sagte Medela und klopfte sich auf den dicken Bauch.

Dominic stemmte seinen Stiefel auf die Wagendeichsel, griff in den Schaft und zog ein schmales Messer mit einem Horngriff heraus. »Dreh dich um.«

Catherine gefiel das Funkeln der brutalen Klinge nicht, doch sie tat, was er gesagt hatte. Dominic hob die oberste Schicht ihres Haares an und schnitt eine kleine Locke darunter heraus. Er reichte das Haar Medela, die geradezu strahlte.

»Mandi pazzorrhus«, sagte sie. »Ich stehe in deiner Schuld.«

Czinka bewegte ihren massigen Körper, und die Glöckchen, die an ihren fetten Ohrläppchen hingen, bimmelten, und ihre weiten Röcke wogten um ihre Hüften. »Vielleicht könnte es doch sein, daß der Preis, den du für sie bezahlt hast, nicht zu hoch war«, sagte sie zu Dominic, dem diese Erinnerung unangenehm zu sein schien, der jedoch nichts darauf erwiderte.

Die vier redeten über das Wetter und die wärmeren Tage, die ihnen das Leben bald erleichtern würden, über den bevorstehenden Pferdemarkt und über das Eintreffen von Armand, dem Kesselflicker.

»Wie immer kommt er, um uns seine schlechten Waren zu einem zu hohen Preis zu verkaufen«, sagte Joszef, doch aus seiner Stimme war Zuneigung herauszuhören.

»Es wird schön sein, ihn wiederzusehen«, warf Dominic ein.

Sie verabschiedeten sich voneinander, und Dominic nahm wieder ihre Hand mit einem warmen, festen Griff, als er sie zum Kesselflicker führte. Der Wagen des Franzosen stand ein gutes Stück weit entfernt auf der Wiese und war von Zigeunern und Zigeunerinnen umgeben, die lebhaft handelten und feilschten. Etliche räudige Hunde kläfften in der Nähe und tollten herum.

»Domini!« rief der alte Mann ihm zu. »Es sind zu viele Jahre vergangen, mon ami.« Der kleine Mann grinste und legte dabei einen Mundvoll faulender Zähne frei, doch sein Lächeln drückte Freundschaft aus, und Dominic reagierte darauf mit einem warmen Lächeln.

»Du hast dich nicht verändert«, sagte Dominic auf französisch zu dem Kesselflicker. »Du bist immer noch der einzige Gadjo, der die Zigeuner jemals übertölpeln konnte.« Die beiden Männer lachten und redeten von der Vergangenheit, als seien seitdem nur Tage vergangen.

Catherine spürte Dominics Hand auf ihrer Taille, und seine Berührung schien einen leisen Besitzerstolz auszudrücken. Als sie versuchte, von ihm abzurücken, hielt er sie fester und bedachte sie mit einem kalten, warnenden Blick.

»Wie ich sehe, hast du dir eine Frau genommen«, sagte der Kesselflicker. »Das war aber auch höchste Zeit.«

Dominic ließ die Hand sinken. »Sie ist Engländerin«, sagte er, als sei damit alles erklärt. »Sie ist nicht meine Frau.«

Nur mein Besitz, lauteten die unausgesprochenen Worte, doch Catherine zuckte zusammen. Das glaubst du vielleicht, aber du irrst dich.

»Wie lange wirst du bei uns lagern?« fragte Dominic.

»Ich kann nicht bleiben. Ich werde mit Joszef essen und trinken und Ithal zuhören, wie er die Geige spielt, und dann werde ich weiterziehen. Ich habe Geschäfte in Arles zu erledigen, die nicht warten können.«

Dominic nickte lediglich. Zwischen den Metalltöpfen und Pfannen des Kesselflickers, den Glocken, Messern und dem übrigen Allerlei zog Dominic eine winzige herzförmige Blechdose heraus.

»Für dich«, sagte er leichthin, und seine gute Laune war wiederhergestellt. »Damit du die schönen Schleifen darin aufbewahren kannst, die ich dir kaufen werde.«

Catherine sah den Gegenstand an, den er ihr hinhielt. Sie hätte ihm am liebsten gesagt, er könnte seine dämlichen Geschenke selbst behalten. Wenn die Dose aus reinem Gold gewesen wäre, dann hätte das immer noch nicht ausgereicht, um ihre Gunst zu kaufen. Statt dessen lächelte sie reizend und nahm das kleine Blechherz entgegen.

»Danke.«

Dominics Hand legte sich wieder um ihre Taille. Catherine spürte die Glut dieser Hand, und das Gefühl ließ Hitze in ihrem Körper erwachen. Sie war sich nicht ganz sicher, wodurch sie hervorgerufen wurde, doch sie hatte ihren Verdacht, und der behagte ihr überhaupt nicht.

»Ich glaube, es wird mir Spaß machen, dir Geschenke zu kaufen, Feuerkätzchen.« Seine heisere Stimme strich über sie wie eine Liebkosung, und Catherines Herzschlag beschleunigte sich.

»Sollten wir jetzt nicht wieder zurückgehen? Deine Mutter wird meine Hilfe bei der Zubereitung des Abendessens brauchen.«

Sie wußte inzwischen, daß Dominic sich übermäßig zum Beschützer aufspielte, wenn es um seine Mutter ging. Es hatte ihn sehr gefreut, wieviel Arbeit Catherine ihr in den letzten Tagen abgenommen hatte. Und zu ihrem Erstaunen hatte er sich, wie seine Mutter es gesagt hatte, über die leuchtendgelben Blumen gefreut.

»Ich vermute, du hast recht.« Er warf dem alten französischen Kesselflicker für die herzförmige Dose eine Münze zu. »Au revoir, mein Freund. Ich wünsche dir bahtalo drom, bis wir uns das nächste Mal begegnen.«

Das hieß Glück unterwegs, ein Abschiedsgruß der Roma, den Vaclav oft benutzt hatte. Catherine seufzte sehnsüchtig und wünschte, sie wäre diejenige, die sich auf den Weg zur Küste machte – England und ihrem Zuhause entgegen.

Das war der Augenblick, in dem sie auf den Gedanken kam. Die Idee war so einfach, so erstaunlich unkompliziert, daß es wirklich klappen konnte.

Sie mußte ihre gesamte Willenskraft aufbieten, um ihre Gedanken im Zaum zu halten, die sich überschlugen, als sie sich von Dominic zum Wagen zurückführen ließ. Auf dem Weg rannten ein paar kleine Kinder neben seinen langen Beinen her. Er bückte sich, um eins von ihnen hochzuheben und es sich auf die breiten Schultern zu setzen.

»Janos, das ist Catrina«, sagte er zu dem barfüßigen Jungen ohne Hemd. Es war erstaunlich, daß Kinder die Kälte nie wahrzunehmen schienen.

»Hallo.« Der Junge lächelte schüchtern.

»Hallo, Janos«, sagte Catherine. Sie liebte Kinder, hatte sie schon immer geliebt. Zu Hause hatte sie in einer Gruppe mitgearbeitet, die sich »Gesellschaft zur Verbesserung der Lebensumstände der Armen« nannte und daran arbeitete, Kinder der unteren Klassen auszubilden. Dank ihrer Bemühungen und der ihres Vaters vor seinem Tod besuchten die Kinder der Dorfbewohner von Arondale regelmäßig die Schule. Sie hatte oft dort vorbeigeschaut. Als sie jetzt den kleinen Jungen sah, wurde sie an ihr Heimatland erinnert, an die Familie, die sie seit Wochen nicht gesehen hatte, und ein harter Kloß schwoll in ihrer Kehle.

Sie wandte den Blick von dem Kind ab, das auf Dominics breiten Schultern ritt und mit einer Hand sein welliges dunkles Haar gegrapscht hatte. Als sie den großen dunkelhäutigen Zigeuner wieder ansah, beobachtete er sie mit einem merkwürdigen Ausdruck in den Augen.

Er stellte den Jungen auf die Füße, und das Kind raste mit den anderen los. »Du magst Kinder?«

»Ja«, sagte sie leise. »Sogar sehr gern.«

Mehr sagte Dominic nicht dazu.

Zum Abendessen gab es Bratkartoffeln, Kohl und gebratenes Huhn – eines der Hühner aus dem Käfig unter Pearsas Wagen. Catherine hatte gelernt, daß Zigeuner Hühner in allen Farben hielten, damit ein Bauer aus der Umgebung, der auf der Suche nach einem gestohlenen Huhn zu ihnen kam, das gestohlene nicht von den anderen unterscheiden konnte, denen es ähnelte.

Dominic saß neben ihr – etwas zu dicht für ihren Geschmack – und redete munter über das Wetter, das sich, genau wie Vaclav es vorhergesagt hatte, erwärmt hatte, obwohl die Nächte noch kalt waren. Er redete von seinen Pferden, die seine große Leidenschaft zu sein schienen, und von den Geschäften, die er auf dem bevorstehenden Pferdemarkt machen würde.

»Ich glaube, das wird dir Spaß machen«, sagte er. »Dort herrscht ein buntes Treiben.«

Er spricht wahrhaft gutes Englisch für einen Zigeuner, dachte sie vage, doch in Wahrheit bereitete es ihr Schwierigkeiten, dem Gespräch zu folgen. Sie überlegte, welcher genau der richtige Augenblick war, um sich heimlich zum Wagen des Kesselflickers davonzustehlen, und sie betete nur, sie würde nicht zu spät kommen, und gleichzeitig strengte sie sich an, den muskulösen Schenkel nicht zu spüren, der sich viel zu kühn an ihren preßte.

»Ich bin immer noch ein wenig müde«, sagte sie schließlich. »Wenn du nichts dagegen hast, würde ich mich gern schlafen legen.«

»Bist du ganz sicher, daß du keine Gesellschaft haben willst?« neckte er sie. Pechschwarze Augen glitten über sie, und ein Flattern regte sich in Catherines Bauch.

»Ganz sicher.«

Er hob die Hand und strich ihr eine schwere Locke aus dem Gesicht, und dabei berührte sein Finger kaum ihre Haut. Catherine nahm ihn wie einen Schmetterlingsflügel wahr, und ihr Herzschlag beschleunigte sich noch mehr.

»Gute Nacht, Kleines«, sagte er. Mit einem letzten allzu forschenden Blick wandte er sich ab und ging.

Catherine eilte die Stufen hinauf, öffnete die Tür des Wagens, trat in den Kerzenschein und suchte den dürftigen Schutz, den das Wageninnere ihr bieten konnte, wenn sie auch nicht ganz sicher war, wovor sie Schutz suchte.

Ein Weilchen später blies sie die Kerze aus und legte sich hin, um zu warten und schweigend zu lauschen. Sie glaubte nicht, daß der große Zigeuner kommen würde. Er war kein Mann von der Sorte, die ihr Wort brachen. Er würde ihr zu verstehen geben, wann er sie zu nehmen gedachte – nur würde Catherine dann nicht mehr da sein.

Das Warten darauf, daß die langen Minuten verstrichen, stellte eine große nervliche Belastung für Catherine dar. Hunde bellten, Pferde wieherten, Kinder huschten umher, aber schließlich begannen die Nachtschwärmer unter den Zigeunern zu verstummen. Sie hatte das Klappern und Klirren des Wagens des Kesselflickers beim Verlassen des Lagers nicht gehört, und daher rechnete sie sich aus, daß sie noch Zeit hatte, sich heimlich hineinzustehlen. Sie würde mit dem Wagen fahren, so weit sie es wagte, und dann würde sie abspringen und sich ein neues Transportmittel suchen.

Catherine verließ nicht ohne Widerstreben die Wärme von Dominics weichem Bett und lief durch die kühle Nachtluft zu der niedrigen Holztruhe an der rechten Wand des Wagens. Sie hatte gesehen, daß er dort die Münzen herausgeholt hatte, die er brauchte, um seine Schulden bei Vaclav zu begleichen – sie betete, sie würde dort noch weitere Münzen finden.

Sie wühlte in einer Ansammlung von Decken, Trensen, Zaumzeug, Striegeln und anderen Dingen herum, die er für seine Pferde benutzte, und sie fand einen weiteren schweren Beutel mit Münzen, mehr Geld, als sie sich je erträumt hätte.

Sie wünschte, sie hätte es nicht stehlen müssen, aber ihr blieb wirklich nichts anderes übrig. Wenn sie erst einmal zu Hause angekommen war, würde sie eine Möglichkeit finden, ihm das Geld wieder zukommen zu lassen. Sie nahm nur soviel Gold, wie sie brauchte, steckte die Münzen in ihre Rocktasche, packte dann ihren löchrigen Wollschal und schlang ihn sich um die Schultern. Sie lauschte, um sicherzugehen, daß niemand in der Nähe war, ehe sie die Wagentür öffnete und leise die Stufen hinunterstieg.

Pearsa schlief in einem Wagen auf der anderen Seite des Feuers, aber Dominic war nirgends zu sehen. Mit einem Seufzer der Erleichterung, von der sie sich erhoffte, sie möge nicht kurzlebig sein, überquerte Catherine den freien Platz zwischen den Wagen, machte Bögen um die ersterbende Glut der glimmenden Feuer und schlich sich im Schatten voran.

Der Wagen des Kesselflickers stand am Rand des Lagers, und das hohe Gras verbarg ihn von einer Seite nahezu. Catherine näherte sich dem Wagen von hinten, kauerte sich tief zwischen die steifen Halme, hob die Plane hoch und kletterte hinein.

Sie nahm auf dem kalten Holzboden eine unbequeme Haltung hinter einer Lattenkiste ein und konnte in der Ferne hören, wie der alte Armand auf französisch mit Jozsef sprach. Die Musik der Geige war vor einer Weile verklungen. Hoffentlich würde er bald aufbrechen. Catherine, die wünschte, sie hätte die Voraussicht besessen, eine Decke mitzubringen, stützte das Kinn auf die Knie, schlang die Arme gegen die Kälte eng um sich und bereitete sich auf das Warten vor.

Dominic stand im Schatten neben Yanas Wagen. Erst hatte ihn Catherines Auftauchen verblüfft, doch nachdem er sie einen Moment lang beobachtet hatte, wurden ihm ihre Absichten nur zu klar.

»Domini?« Yanas Stimme drang aus ihrem Wagen. Sie streckte den hübschen Kopf durch die Öffnung der Plane, und ihre mandelförmigen Augen, die so schwarz waren wie die Dunkelheit um sie herum, richteten sich auf sein Gesicht. »Warum kommst du nicht rein? Du hast mich ohnehin schon viel zu lange warten lassen.«

Schimmerndes schwarzes Haar hing schwer um ihre Schultern, die über dem tiefen Ausschnitt ihrer Bluse nackt waren. Ihre Brüste hoben und senkten sich beim Atmen, und die rosigen Brustwarzen bildeten in der Kälte steife, feste Spitzen.

»Ich fürchte, du wirst noch etwas länger warten müssen«, sagte Dominic. »Mir kommt gerade etwas hoch.«

Yana lächelte verführerisch. »So sollte es auch sein. Komm rein, mein Geliebter. Laß dir von Yana Freude bereiten.« Sie streckte die Arme anmutig und einladend aus, doch Dominic ignorierte sie.

»Später.« Er wandte sich ab und ging. In Wirklichkeit hatte er schon eine ganze Weile neben ihrem Wagen gestanden, um zu entscheiden, ob er zu ihr gehen sollte oder nicht. Er hatte vorgehabt, sie wie versprochen aufzusuchen, doch statt dessen hatte er es hinausgezögert und Palinka getrunken, einen starken Zigeunerschnaps, eine dünne Zigarre geraucht, nach den Pferden gesehen und sein Treffen mit der sinnlichen Zigeunerin hinausgeschoben, auf das er sich doch hätte freuen sollen.

Dominic fluchte leise, weil er wußte, daß er auch heute nacht wieder Catherine und nicht Yana begehrte. Catherine und nicht die Frau, die ihm seit Wochen schon das Bett wärmte. Catherine – das kleine Biest mit dem flammendroten Haar, das in eben diesem Augenblick versuchte, vor ihm zu fliehen.

Dominic lief über das offene Feld, riß die Tür zu seinem Wagen auf und trat in das dunkle Innere. Unter den Roma brauchte man sich keine Sorgen zu machen, man könnte bestohlen werden – ein Mann bestahl seine Brüder nicht. Aber die Gadjo-Frau, die er auf Kosten seines Stolzes gerettet hatte, war etwas ganz anderes.

Er zündete die weiße Wachskerze auf dem Regal an, begab sich direkt zu seiner schweren Holztruhe und ließ den Deckel aufspringen. Seine Hand tastete auf dem Boden herum, erst von der einen Seite, dann von der anderen, aber in seinem Herzen wußte er, daß er das Gold nicht finden würde. Es war eine Dummheit gewesen, ihr zu trauen – und der Verrat der Frau hinterließ einen bitteren Geschmack in seinem Mund.

Er wühlte weiter, und sein Gesicht wurde von Sekunde zu Sekunde härter. Als er gerade seine Suche beenden wollte, schlossen sich seine Finger um den rauhen Lederbeutel. Er zog den Beutel heraus und wog ihn in der Hand. Er war leichter, aber nur ein wenig leichter. Warum hatte sie nicht alles genommen?

Darauf hatte er keine Antwort, doch der Umstand, daß sie es nicht getan hatte, hellte seine finstere Stimmung beträchtlich auf. Er holte tief Atem und sog ihren Duft ein, der noch in dem Wagen hing. Ein Duft, so sauber wie die Seife, die sie benutzt hatte, und doch von einer Honigsüße durchdrungen, die er nicht recht benennen konnte. Er malte sich aus, wie sie sich hinten auf dem Wagen des Kesselflickers versteckt hielt. Sie mußte frieren, und es mußte äußerst unbequem sein.

Gut so, dachte er, ertappte sich jedoch dabei, daß er lächelte, statt eine finstere Miene zu ziehen. Es erforderte Mut, die Wärme und Geborgenheit seines Vardo zu verlassen und sich ganz allein in die Nacht hinauszuschleichen.

Das hieß nicht etwa, daß er ihr keine Standpauke halten würde, wenn er sie hierher zurückgebracht hatte. Dennoch besaß sie Temperament, und eine Engländerin mit Mut und Temperament, wie sie es hatte, war ein kostbarer Schatz und den unerhörten Preis wert, den er für sie bezahlt hatte.

Dominic verließ den Vardo und sah, daß der Wagen des Kesselflickers sich bereits in Bewegung gesetzt hatte und auf seine Pferde zufuhr. Er malte sich genüßlich den Ausdruck auf Catherines hübschem Gesicht aus, wenn er sie einholte. Da er sich auf diese Herausforderung freute, konnte Dominic es kaum erwarten.

Töpfe und Pfannen klapperten, und der Wagen ächzte und schwankte, als sie über die staubige Straße der fernen Stadt Arles in der südfranzösischen Camargue entgegenrumpelten. Catherine bahnte sich einen Weg zur Rückseite des Wagens und schaute unter der Plane heraus, sah in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Die Lagerfeuer der Zigeuner glommen in der Ferne, aber schon bald würden sie aus der Sicht verschwunden sein. Bis zum Morgengrauen würden noch Stunden vergehen, und erst dann würde Dominic ihr Verschwinden bemerken. Dann war sie Stunden von dem Lager der Zigeuner und von dem Mann entfernt, dessen finsteres Äußeres etwas ganz Merkwürdiges in ihr wachrief, was sie lieber nicht näher ergründen wollte.

Catherine lehnte sich wieder an die rauhe Holzwand des Wagens und ließ den ersten echten Vorgeschmack auf die Freiheit über sie hinwegspülen. Die Luft roch süßer, und die nächtlichen Geräusche waren fröhlicher. Zum ersten Mal seit Wochen gestattete sie sich, Hoffnung zu empfinden, und schläfrig lehnte sie sich zurück, um die Stunden bis zum Morgen vergehen zu lassen.

In den Fängen der Leidenschaft

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