Читать книгу In den Fängen der Leidenschaft - Kat Martin - Страница 9

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Als Catherine erwachte, war ein warmer Frühlingsmorgen angebrochen, der weit strahlender als ihre Stimmung war. Draußen zwitscherten Spatzen, und Insekten schwirrten über die ersten duftenden Frühjahrsblumen. Unter den Steinmauern der alten Festung von Sisteron machte die Welt einen sonnigen und einladenden Eindruck, doch davon nahm Catherine kaum etwas wahr.

Sie hatte die Nacht damit zugebracht, sich von einer Seite auf die andere zu werfen, und dabei waren immer wieder die Konflikte mit Yana und Dominics Kuß zwischen den Bäumen vor ihren Augen abgelaufen.

Zu Hause in Arondale war sie bisher nur einmal geküßt worden, von dem Sohn eines Freundes ihres Vaters. Es war ein süßer und wohltuender Kuß gewesen, und sie hatte sich überlegt, wie schön es sein mußte, jeden Abend vor dem Einschlafen einen solchen Kuß von ihrem Ehemann zu bekommen. Dominics kühne Invasion hatte weitaus verruchtere Gedanken in ihr aufkeimen lassen.

Es hatte sie einige Stunden und eine Menge Willenskraft gekostet, aber endlich hatte Catherine diese Gedanken unterdrückt und sich den Vorfall damit erklärt und ihn aus der Welt geschafft, daß sie ihn auf nichts weiter als einen plötzlichen Anfall von Neugier zurückführte. Amelia hatte angedeutet, daß es zwischen Mann und Frau Leidenschaften gab, und unter den Zigeunern aus dem Norden, mit denen sie gereist war, hatte Catherine Kostproben so ungehörigen Benehmens erhalten.

Als Dominic sie geküßt hatte, war sie schlichtweg von den unvertrauten Empfindungen fasziniert gewesen. Die Neugier hatte wider besseres Wissen gesiegt. Dazu würde es nicht noch einmal kommen.

Catherine gähnte hinter vorgehaltener Hand und strich sich vom Schlaf zerzauste Strähnen ihres schweren goldroten Haars hinter die Ohren, stieg aus dem Bett und versuchte, ihre Kleider glattzustreichen. Da sie nichts anderes besaß, worin sie hätte schlafen können, war ihr Rock verknittert und schmutzig, und ihre Bluse war so krumplig, daß sich kaum noch etwas dagegen ausrichten ließ, aber sie dachte gar nicht daran, sich nackt in Dominics Bett zu legen.

Catherine stand an der Tür des Vardo und hörte die Geräusche eines erwachenden Lagers: Reisig wurde kleingehackt, um die Feuer in Gang zu bringen, Wasser schwappte in den Eimern, in denen es vom Fluß heraufgebracht wurde, Kinder lachten, während sie ihr Bettzeug zusammenrollten oder aus den Wagen stiegen. Schon jetzt wärmte die Sonne die Fenster; bald würde Pearsa die Bohnen für den süßen schwarzen Frühstückskaffee mahlen.

Catherine stieg die schmalen Holzstufen herunter, und ihre ledernen Sandalen berührten Erde, die viel trockener als am Vortag war. Das Feuer war zwar schon entfacht worden, doch weder Pearsa noch Dominic waren irgendwo zu sehen, und das war Catherine nur recht so. Sie war entschlossen zu baden, ganz gleich, wie kalt der Fluß war.

In den Tagen, die auf ihre Ankunft im ersten Zigeunerlager gefolgt waren, hatten die Roma sie mit ihren strikten Hygienevorschriften vertraut gemacht. Die Bereiche für das Trinkwasser und das Wasser zum Kochen lagen weiter flußaufwärts, als nächstes kam das Wasser, in dem sie ihre Utensilien reinigten, dann kam das Wasser für die Pferde, dann das Badewasser – das der Männer und das der Frauen – und dann das Wasser, das von schwangeren Frauen und denjenigen benutzt wurde, die ihre Monatsblutungen hatten. Sie wurden Marimay genannt. Die Unreinen.

Catherine lief flußabwärts zu einer Stelle zwischen Felsblöcken, die den Frauen zum Baden zugeteilt worden war. Sie ließ ihre Sandalen am Rand stehen und watete vollständig angekleidet in das kühle, träge fließende Wasser. Sie ignorierte die Gänsehaut, die sie überzog, wusch sich mit einem kleinen Stück Seife, das sie im Wagen gefunden hatte, das Haar und benutzte die Seife dann, um ihre Kleider zu schrubben. Als sie damit fertig war, hatte der weite Rock wieder ein leuchtendes Rot, und die Bluse war wieder weiß und roch sauber.

Als sie zu ihrer Zufriedenheit feststellte, daß sie wieder vorzeigbar aussah, kletterte sie auf einen Felsen, auf den die Sonne schien, und wartete, bis ihre Sachen soweit getrocknet waren, daß sie ins Lager zurückkehren konnte. Die Sonne war so warm und wohltuend, und Catherine hatte so schlecht geschlafen, daß sie ein wenig vor sich hin döste und die Wärme und die wenigen Wattewölkchen über ihrem Kopf genoß. Dann fiel ein Schatten über ihre Augen, und sie setzte sich abrupt auf.

»Tut mir leid«, sagte Dominic. »Ich wollte dich nicht erschrecken.«

»Ich... ich muß wohl eingeschlafen sein.« Sie warf einen Blick auf ihre Bluse, die jetzt soweit getrocknet war, daß sie ihren Anstandsbegriffen Genüge tat. »Ich wollte nur bleiben, bis meine Kleider trocken sind.«

»Wer könnte dir das an einem Tag wie heute vorwerfen?« Er reichte ihr einen dampfenden Zinnbecher. »Ich bin baden gegangen, und als ich fertig war, habe ich festgestellt, daß du dieselben Absichten gehabt hast. Ich dachte, vielleicht bist du jetzt soweit, daß du eine Tasse Kaffee trinken möchtest.«

Catherine wollte sich gerade bei ihm bedanken, doch ein einziger Blick in diese unbeirrten schwarzen Augen genügte, um die gräßliche Szene im Lager in der vergangenen Nacht wieder vor ihr auferstehen zu lassen. Sie dachte an Yana, das schöne Zigeunermädchen, dachte an Dominics gemeinen Verrat und an all die Feindseligkeit, die sie letzte Nacht wie eine riesige Bestie empfunden hatte, die zum Sprung ansetzte.

Sie wollte ihm gerade ganz genau sagen, was sie von einem Mann hielt, der so etwas tat, doch ihr Blick fiel auf seine breite entblößte Brust, auf der er nur die mit Goldmünzen besetzte Teppichweste trug, die sie in seinem Wagen gesehen hatte, und die Worte erstarben irgendwo in ihrer Kehle.

Catherine schluckte schwer. Sie arbeitete zwar hart daran, die glühende Röte ihrer Wangen zu ignorieren und sich etwas Schneidendes einfallen zu lassen, was sie hätte sagen können, doch der einzige Gedanke, den sie fassen konnte, war der, daß sie noch nie so glatte oder so braune Haut gesehen hatte und daß sie sich danach verzehrte, diese Haut zu berühren, in Erfahrung zu bringen, ob der kräftige Körper, der über ihr aufragte, wirklich so stark gebaut war, wie er aussah.

»Es tut mir leid, daß es zu diesem Zwischenfall mit Yana gekommen ist«, sagte er, und dieses eine Mal war sie glücklich darüber, daß sein Blick auf ihren Körper und nicht auf ihr Gesicht gerichtet war. »Ich hätte schon früher mit ihr reden sollen.«

Als sie den Namen der Frau hörte, war der Bann gebrochen. Catherine warf ihr noch feuchtes Haar zurück, und die dichte Mähne fiel ihr bis weit über die Schultern. »Du meinst wohl, du hättest sie dir eher vom Hals schaffen sollen, stimmtʼs? Ehe sie dich in Verlegenheit bringt? Bist du mit dieser Frau verheiratet?«

Seine Lippen verzogen sich zu einem unangenehmen Lächeln. »Keineswegs. Yana und ich kennen uns seit unserer Kindheit. Unter den gegebenen Umständen lag es nur allzu nahe, daß es früher oder später so kommt, wie es gekommen ist.«

Catherine nahm eine aufrechtere Haltung auf dem Felsen ein und umklammerte den Becher fester. Die Geräusche, mit denen das Wasser über die Felsen sprudelte, schienen plötzlich leiser geworden zu sein. »Welche Umstände?«

»Yana ist eine Frau mit... wie soll ich das sagen... mit eher unstillbaren Gelüsten. Antal, ihr Mann, hat diese kleine Schwäche kürzlich an ihr entdeckt und sich von ihr scheiden lassen. Zu einer Zeit, zu der sie es brauchte, hat sie bei mir einen gewissen Trost gefunden.«

»Willst du damit sagen, du hättest sie nicht ausgenutzt?«

»Nicht im entferntesten. Tatsächlich war es auch so, daß Yana auf mich zugekommen ist, und nicht etwa umgekehrt.«

Es war schwer, gegen diese Form von Logik etwas einzuwenden. Wenn das Benehmen der Frau so schamlos war, daß ihr Mann sich von ihr hatte scheiden lassen, war es schwierig, viel Mitgefühl wegen Dominics Verhalten für sie aufzubringen. »Ich nehme an, wenn sie sich dir selbst großzügig angeboten hat...«

»Endlich – eine vernünftige und einsichtige Frau! Ich dachte schon, so etwas gäbe es nicht. Heißt das, daß du nicht mehr wütend auf mich bist?«

»Es heißt, daß ich glaube, es war ein großer Fehler von dir, sie aufzugeben. Falls du nicht vorhast, Gewalt anzuwenden, hast du jetzt niemanden mehr, der dir das Bett wärmt.«

Dominics Augen glitten über sie. »Ich brauche dich nur anzusehen, Catrina, und schon wird mir von Kopf bis Fuß warm. Kannst du dir nicht vorstellen, wie schön es für uns beide wäre?«

Er beugte sich zu ihr vor, und Catherine wich instinktiv zurück. »Laß das! Rede nicht so mit mir. So etwas darfst du noch nicht einmal denken!«

»Und warum nicht? Wäre das denn so furchtbar?«

»Natürlich wäre es das!« Aber ihr Mund war schon allein bei dem Gedanken daran trocken geworden, und die Hand, die die Kaffeetasse hielt, hatte zu zittern begonnen.

Dominic lachte leise und nahm ihr den Becher aus den Fingern. »Du wirst dich sonst noch verbrennen.« Seine mitternachtsschwarzen Augen deuteten an, das Feuer, das er entfachen konnte, würde weit heißer als der Kaffee sein.

»Dominic, bitte...«

»Bitte was, Catrina? Bittest du mich darum, dich zu küssen, damit du wieder fühlst, was du letzte Nacht gefühlt hast?«

Catherine reckte das Kinn in die Luft. »Ich meinte, bitte – laß uns über etwas Gehöriges reden.«

Seine Mundwinkel zogen sich nach oben. Er sah sie noch einen Moment lang an, stellte den Zinnbecher auf den Felsen und trat zurück. »Morgen brechen wir zum Pferdemarkt auf. Heute packen wir und machen die Wagen bereit. Wenn wir damit fertig sind, möchte ich dir Sisteron zeigen.«

Tagelang hatte sie sich den Hals verrenkt, um zu den Felsmauern der Festung aufzublicken, die zwischen den von Geröll übersäten Hügeln wie ein Granitriese aufragte. »Das würde mir Spaß machen«, hörte sie sich sagen, und der Umstand, daß sie es ernst meinte, wühlte Catherine innerlich auf.

Dominic berührte zart ihre Wange, und eine Gänsehaut überlief sie. »Wir sollten jetzt besser zum Lager zurückgehen«, sagte er freundlich und leise.

»Ich brauche noch einen Moment«, sagte sie ausweichend. Ihr war alles recht, solange er bloß fortging.

»In Ordnung. Wir sehen uns dann vor dem Wagen.« Mit einem letzten freundlichen Blick wandte er sich zum Lager um, und seine langen Beine trugen ihn von den Felsblöcken fort und zwischen die Bäume am Rand der Wiese.

Catherine sah ihm betäubt nach und bemühte sich, seine breiten Schultern und die kräftige Muskulatur seiner Arme nicht wahrzunehmen. Gütiger Jesus – wie in Himmels Namen konnte der Mann bloß eine solche Wirkung auf sie ausüben?

Sie dachte an England und an ihr Zuhause. Sie dachte an Arondale und an die Söhne, die sie für ihren Vater gebären mußte, an den Titel, den er ihr mit solcher Mühe abgetreten hatte. Sie malte sich Edmund als den neuernannten Earl aus, und das Gefühl von Verrat versetzte ihr einen scharfen Stich, und darauf folgte ein scharfer Stich des Schuldbewußtseins, weil sie ihn verdächtigte. Ob Edmund ihre Entführung geplant hatte oder nicht, es wäre so oder so an ihr und nicht an ihm gewesen, den Titel Arondale zu tragen. Es war das, was ihr Vater gewollt hatte, das, was sie sich mehr als alles andere wünschte.

Dann dachte sie an den großgewachsenen dunkelhäutigen Zigeuner, der ihr Herz mit einem einzigen gierigen Blick zum Pochen brachte. Jeder Tag, der verging, brachte sie dem Zeitpunkt näher, an dem er fordern würde, was ihm zustand.

Catherine gelobte sich, es nicht dazu kommen zu lassen – es war an der Zeit, daß sie sich auf den Heimweg machte.

Catherine arbeitete an Pearsas Seite. Sie räumten die Wagen auf und beluden sie und sammelten dann Beeren und schnitten für das Abendessen Kartoffeln in Scheiben. Dominic reinigte und verstaute das Geschirr und das Zaumzeug seiner Pferde. Da sie soviel zu tun hatten, verging der Tag schnell. Sie nahmen eine frühe Mahlzeit zu sich, die Frauen spülten und verstauten das Blechgeschirr, und dann kam Dominic zurück – Gott sei Dank hatte er sein Hemd angezogen – und nahm Catherines Hand.

»Wir sollten hochsteigen, solange wir noch genug Licht haben«, sagte er und drängte sie, sich zu eilen. Sie liefen über einen ausgetretenen Pfad, der zu den Granitmauern der alten Zitadelle führte, und Dominic ging voran.

»Ist das, was ich da oben sehe, eine Kirche?«

»Eine romanische Kathedrale aus dem zwölften Jahrhundert. Sie ist geplündert worden, aber sie ist teilweise restauriert worden und wird heute noch benutzt.«

Catherine musterte ihn mit einer Mischung aus Erstaunen und Interesse. Ein Zigeuner, der sich in französischer Geschichte auskannte? Wie konnte das sein? Dann dachte sie an die Bücher, die in seinem Vardo auf den Regalen standen, und sie blieb abrupt stehen. »Du kannst lesen!« Es war schon beinahe eine Anschuldigung.

Dominic lächelte trocken. »Hast du geglaubt, wir hätten etwas im Blut, was uns das Lernen nicht erlaubt?«

»Nein... es ist nur einfach so, daß ich noch nie einem Zigeuner mit normaler Schulbildung begegnet bin. Ich dachte, sie glauben nicht an das Schulwesen. Kann deine Mutter auch lesen?«

Dominic schüttelte den Kopf und zog sie weiter mit sich.

»Wie kommt es dann, daß du es kannst?«

Mit einem resignierten Seufzer blieb er stehen und drehte sich zu ihr um. Sie bemerkte, daß sein vorhin noch unbeschwerter Gesichtsausdruck von einer finsteren Miene abgelöst worden war. »Ich vermute, früher oder später wird es dir ja doch jemand erzählen, also kann ich es dir ebensogut auch selbst sagen. Ich bin nur ein halber Zigeuner. Mein Vater – ein Gadjo – hat darauf beharrt, daß ich eine Ausbildung erhalte. Unter den Roma ist das nichts, worauf man stolz ist, und daher wäre es mir lieber, wenn du das Thema nicht ansprichst.«

Zigeuner haßten jedes Eindringen der Außenwelt, das wußte sie. Das Lesen hätte es ihnen erlaubt, Einblicke in andere Lebensform zu gewinnen, in die Ziele und Träume anderer Menschen. Wahrscheinlich sahen sie darin eine Bedrohung. »Von dem Moment an, in dem ich dich das erste Mal gesehen habe, wußte ich, daß du anders bist.«

Dominics schwarze Augenbrauen zogen sich noch finsterer zusammen. »Das hat man mir mein Leben lang erzählt, Catrina. Ich brauche mir das wirklich nicht auch noch von dir anzuhören.« Seine Finger spannten sich fester um ihre Hand, und er schritt auf dem Weg voran, als könnte er die unangenehme Erinnerung an seine Abstammung dort hinter sich zurücklassen, und dabei zerrte er Catherine regelrecht hinter sich her.

»Dominic, bitte«, sagte sie schließlich und grub die Fersen in den Boden, bis er gezwungen war, stehenzubleiben. »Ich dachte, dieser Spaziergang sollte mir Spaß machen.«

Er drehte sich abrupt zu ihr um, sah die Röte der Anstrengung auf ihren Wangen und verzog seine finstere Miene zu einem bedächtigen Lächeln. »Entschuldige. Meine Vergangenheit ist wirklich nicht dein Problem. Sie gehört nur nicht gerade zu meinen Lieblingsthemen.«

»Ich werde es mir merken.« Aber schon jetzt versuchte sie, sich etwas einfallen zu lassen, wie sie mehr über ihn in Erfahrung bringen konnte. Wenn er es ihr nicht erzählen wollte, würden es vielleicht seine Mutter oder die anderen tun.

Catherine rüttelte sich innerlich auf. Was, um Himmels willen, dachte sie sich bloß? Sie würde hier nicht länger bleiben, als es sein mußte – je weniger sie über ihn wußte, desto besser.

Dominic half ihr über einen Geröllbrocken, der auf den Pfad gerollt war, und seine Hand legte sich fest und kräftig auf ihre Taille. Catherine löste sich schnell von ihm und betete, er würde ihren beschleunigten Herzschlag für eine Folge des steilen Aufstiegs halten.

Sie folgten dem Pfad weiter zur Festung, und die Durance wand sich unter ihnen. Sie umrundeten das kleine Städtchen und folgten schmalen Steingassen, die sie unter Strebebögen durchführten, die Steinhäuser am Wegesrand stützten.

»Die spanischen Zigeuner nennen diese Pfade Andrones«, erzählte ihr Dominic, als er wieder stehenblieb, damit sie sich ausruhen konnte. Seine muskulösen Beine bewältigten die steile Steigung mit einer Leichtigkeit und Anmut, die ihm so selbstverständlich zu sein schien wie seine Art, im Sattel zu sitzen.

»Was für eine kraftvolle Sprache«, sagte Catherine.

»Sprichst du sie?«

»Nein.«

Er bedachte sie mit einem vielsagenden Blick. »Aber du sprichst Französisch, nʼest-ce pas

Catherines Kopf schnellte in die Höhe. »Ja, aber woher weißt du das...?«

»Der Kesselflicker, erinnerst du dich noch? Du hättest nicht gewußt, wann er aufbricht, wenn du ihn nicht verstanden hättest.«

Catherine lächelte. Sie hatte recht gehabt, was ihn anging. Er war kein Mann, der sich leicht zum Narren halten ließ.

»Welche Geheimnisse bewahrst du sonst noch für dich, Catrina?«

Mehr, als du je ahnen würdest. »Was bringt dich auf den Gedanken, daß ich Geheimnisse für mich bewahre?«

Er lachte. »Du bist leicht zu durchschauen, Kleines. Ich glaube, du hast weit mehr zu erzählen, als du mich wissen lassen willst.«

Catherine antwortete nichts darauf. Ihr gefiel nicht, wie forschend er sie ansah, und ihr paßte auch das Gefühl nicht, er könnte irgendwie ihre Gedanken kennen.

Als die Abenddämmerung einsetzte, brachen sie von dem Ort auf und stiegen zu der alten Zitadelle hoch. Sie kamen über grasbewachsene Hochebenen und dann über steile Steintreppen, die bis in den Himmel aufzusteigen schienen. Unter ihnen wirkte der Fluß nur noch wie ein schmales blaues Band.

Endlich erreichten sie den Gipfel – eine Plattform aus Granit, ummauert und lang, und an einem Ende erhob sich eine kleine Kirche mit einem spitzen Turm. Steinige Gipfel umgaben sie, als die letzten Sonnenstrahlen in die dunklen Schatten fielen. Sie standen stumm im verblassenden Licht und beobachteten, wie winzige Stecknadelköpfe den Himmel zu erhellen begannen.

»Sieh nur!« Catherine deutete über sich. »Da ist eine Sternschnuppe.«

Dominic packte ihre Hand und zog sie auf seine Brust herunter. »Die Zigeuner glauben, daß eine Sternschnuppe ein Dieb auf der Flucht ist. Wenn man darauf zeigt, dann heißt das, daß der Mann geschnappt wird.«

Catherine sah in sein Gesicht und bemerkte, wie sein Kiefer im Schatten seiner Wangenknochen lag. Seine Lippen hatten sich zu einer so weichen Form verzogen, daß es ihr den Atem verschlug. Er war anders als jeder andere Mann, der ihr je begegnet war. Anders – und absolut unpassend.

»Dein Volk denkt so ungeheuer anders als meines. Wir würden uns wünschen, daß ein Dieb geschnappt wird. Der Zigeuner sieht in dem Schuldigen das Opfer.«

»Sie stellen sich immer auf die Seite des Benachteiligten«, sagte Dominic schlicht und einfach. »Sie wissen, wie schwer das Leben ist... was ein Mann tun muß, um zu überleben.«

»Selbst dann, wenn seine Handlungen einem anderen schaden?«

Er hob die breiten Schultern zu einem Achselzucken. »Für sie ist es ein Spiel. Dabei wird selten jemandem weh getan.«

»Genau da täuschst du dich, Dominic. Die Zigeuner, mit denen ich gereist bin, waren hartherzig und brutal. Es hat ihnen Spaß gemacht, mir weh zu tun und mich leiden zu lassen, weil meine Haut heller als ihre ist.«

»Mir sind solche Menschen begegnet, aber mein Stamm ist nicht so. Die Roma haben viele Jahre unter großen Vorurteilen leiden müssen. Seit sie im fünfzehnten Jahrhundert nach Europa gekommen sind, sind sie versklavt und als Zauberer verdammt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt und sogar wegen Kannibalismus verfolgt worden.«

»Kannibalismus!« Ein Schauer lief Catherine über den Rücken.

Dominic wirkte resigniert. »Manche Stämme haben Schlimmeres als andere erlitten, und das könnte der Grund dafür gewesen sein, daß sie dich so schlecht behandelt haben. In Wahrheit verhält es sich wie bei jeder Gruppe von Menschen – manche sind brutaler, manche freundlicher. Solange du hier bist, brauchst du dir darüber keine Sorgen zu machen.« Er hob ihre Finger an seine Lippen.

Catherine spürte die Wärme und den Trost und ein Versprechen auf mehr. »Es wird schrecklich spät«, sagte sie und löste ihre Hand aus seiner. »Werden wir in der Dunkelheit den Abstieg finden?« Dominic stand neben ihr, und sein Körper berührte ihren nicht, aber er war doch so nahe, daß sie seine starke Ausstrahlung deutlich spürte.

»Der Abstieg ist einfacher als der Aufstieg. Wir werden keine Mühe damit haben.«

Catherine schaute auf die winzigen gelben Lichter hinunter, die in den Fenstern der Stadt unter ihnen funkelten. »Es ist wunderschön hier.«

»Mein Stamm unternimmt diese Reise jedes Jahr. Jedesmal, wenn ich herkomme, gefällt es mir hier noch besser als beim vorigen Mal.«

»Dieser Ort kommt einem nahezu geweiht vor«, stimmte ihm Catherine zu. »Zeitlos. Als wollte er nur denjenigen von uns Freude bereiten, die zwischen seinen Mauern schreiten.«

Er lächelte sie an. »Ich hatte gehofft, es würde dir hier gefallen.« Seine Blicke glitten über ihr Gesicht. Catherine sah ihm in die Augen. In diesen bodenlosen Tiefen stand Verlangen und noch etwas anderes, was sie nicht ganz benennen konnte. Dennoch schreckte sie nicht davor zurück.

»Ich will dich«, sagte er und kam näher. »Seit dem Moment, in dem ich dich gesehen habe, habe ich keine andere Frau mehr gewollt.« Sein heiserer Tonfall glitt über sie wie eine Brise.

Catherines Kehle wurde trocken. »Was du forderst, darf nicht sein. Weder jetzt noch irgendwann sonst.«

Dominic zog eine Augenbraue hoch und sah sie belustigt an. »Hast du es so schnell vergessen, Kleines? Sollte ich beschließen, daß der rechte Zeitpunkt gekommen ist, dann wirst du in dieser Angelegenheit sehr wenig zu sagen haben.«

Catherine feuchtete sich die Lippen an, die ihr so trocken wie ihre Kehle vorkamen. Er konnte es tun, das wußte sie. Er besaß die Kraft und den Willen. Sie hätte sich vor ihm fürchten müssen, doch sie fürchtete sich nur vor sich selbst. »Du hast gesagt, du würdest mich nicht zwingen.«

Er drehte ihr Gesicht zu sich um und zog sie noch enger an sich. Eine Hand legte sich auf ihre Taille, während die andere in ihr Haar hinaufglitt und dann über ihren Hals, bis seine Handfläche auf ihrer Wange lag. Sein Daumen fuhr über ihren Kiefer, neckte sie, streichelte sie, verlockte sie.

Catherines Knie wurden weich.

»Glaubst du wirklich, das wäre nötig?« Onyxaugen glitten glühend über sie, wissende Augen, denen die Röte ihrer Wangen und ihr beschleunigter Herzschlag nicht entgingen. Ihre Brüste hoben und senkten sich bei jedem zu schnellen Atemzug.

»Wenn du glaubst, ich würde mich dir beugen, dann bist du im Irrtum. Es gibt nichts, was du tun oder sagen kannst, um es dazu kommen zu lassen.«

»Nein?« Er betrachtete sie noch einen Moment lang, sah ihr fest in die Augen und forderte sie dazu heraus, den Blick abzuwenden. Catherine stand gebannt da. Dominics Mund senkte sich auf ihre Lippen, so zart wie eine Feder und schmelzend sanft. Seine Zunge streifte ihre Lippen und wärmte sie, ohne jedoch Einlaß zu fordern. In dem Moment, in dem Catherine sich schwankend an ihn lehnte, löste er sich von ihr.

»Wie du bereits sagtest, mein kleines Kätzchen, es wird spät. Wir haben einen langen Abstieg vor uns, und morgen folgt ein harter Tag.« Catherine war aufgebracht. Dominic wandte sich ab, und sein Gesicht tauchte im Schatten unter, aber sie zweifelte nicht an dem, was sie dort gesehen hätte. Er spielte mit ihr! So selbstsicher war er also, und ihre Reaktion sandte neuerlich Glut in ihre Wangen.

Dieser verfluchte Kerl! Glaubte er wirklich, ihre Überzeugungen seien so leicht ins Wanken zu bringen? So bereitwillig würde sie die Pläne und Träume eines ganzen Lebens über Bord werfen? Und wofür? Für einen Moment der Leidenschaft in den Armen eines Mannes, den sie kaum kannte. Das war doch Irrsinn!

Was spielte es für eine Rolle, daß Dominic sie anzog, wie noch kein Mann sie je angezogen hatte? Sie Dinge fühlen ließ, von denen sie im Traum nicht geglaubt hätte, daß sie sie empfinden könnte? Sie trug Verantwortung, hatte Verpflichtungen. Außerdem war sie für ihn ja doch nur ein Spielzeug, nichts weiter als eine unter vielen Frauen, die ihm das Bett wärmten. Sie hatte nicht vor, sich wie alle übrigen benutzen und dann ablegen zu lassen.

Sein Arm legte sich um ihre Schultern, und er führte sie zu den steilen Steintreppen zurück. Diesmal fühlte sie nichts anderes als bittere Ablehnung. Heute abend hatte er ihr wieder einmal gezeigt, welche Macht er über sie zu haben glaubte. Catherine hatte ihm bisher noch nicht die Macht ihres Widerstands bewiesen.

Dominic lächelte selbstgefällig und zufrieden mit dem Verlauf des Abends in sich hinein, als er den steilen Steinpfad hinunterstieg. Sein Verführungsfeldzug lief genau plangemäß ab. Er gewann ihr Vertrauen, und Catherines Verlangen nach ihm war noch heftiger, als er erwartet hatte. Sie hatte zwar nicht gewollt, daß er es erfuhr, aber die unverhohlene Bewunderung, mit der sie ihn angeblickt hatte, und ihr atemloser Tonfall hatten sie verraten.

Er fand ihre Arglosigkeit faszinierend und erfrischend, und es war etwas, was in seinem Leben schon seit einer ganzen Weile fehlte. Die meisten Frauen, die er kannte, wollten etwas von ihm – sein Geld, seinen Titel, die Leidenschaft, die er in ihnen wachrufen konnte. Catherine wußte nichts von seinem Reichtum und von seinem Status, und sie tat ihr Bestes, um zu leugnen, daß sie sich von ihm angezogen fühlte.

Aber andererseits versuchte sie vielleicht, ihn hinters Licht zu führen, wie seine Mutter es gesagt hatte, und sie schwenkte ihren süßen kleinen Po in der Hoffnung vor seinen Augen, seine Aufmerksamkeit längerfristig zu fesseln oder gar seinen Namen zu bekommen.

Er beobachtete sie, wie sie neben ihm herlief, und er bemerkte ihr stur in die Luft gerecktes Kinn. Sie sah jetzt anders aus als noch vor wenigen Minuten oben auf dem Berg. Härter und entschlossener. Wenn das ein Spiel war, das sie spielte, würde er bald ihren nächsten Zug wahrnehmen, und dann war er vorbereitet.

Dominic ertappte sich dabei, daß er lächelte und die Vorfreude auskostete. Sie stellte eine Herausforderung dar, war enigmatisch. Er würde mehr über sie herausfinden, den Schlüssel zu ihren Leidenschaften finden und sie umwerben, bis er sie in seinem Bett hatte.

Seine Augen glitten über sie und nahmen ihre schlichte Kleidung wahr, die tief ausgeschnittene, lose sitzende Bluse und den leuchtend-roten Baumwollrock. Wie sie wohl in kostspieligen Kleidern aus Seidenstoffen ausgesehen hätte, fragte er sich, das flammendrote Haar kunstvoll frisiert? Wunderschön, daran hegte er gar keinen Zweifel, und äußerst damenhaft. In dem Augenblick wünschte er sich, er könnte sie so sehen, und dann verfluchte er sich für den Gedanken. Wie sehr er sich doch verändert hatte, seit er sich von dem einfachen Leben seines Stammes verabschiedet hatte. Und keineswegs nur zum Besseren.

Er dachte an die Worte, die er zu Catherine gesagt hatte, was seine Abstammung betraf, und er fragte sich, ob ihre Haltung ihm gegenüber sich erweichen würde, wenn sie erfuhr, daß er zur Hälfte Engländer war – und noch dazu ein Adliger. Natürlich würde er ihr das nicht sagen. Allein schon die Vorstellung, das könnte ihr Verhalten ihm gegenüber beeinflussen, hinterließ einen sauren Geschmack in seinem Mund.

»Was bedeutet Didikai?« fragte sie plötzlich, und die Überlegung, eine Engländerin könnte seine Gedanken ebensogut lesen, wie die Zigeuner glaubten, die Gedanken anderer lesen zu können, ließ seine Miene finster werden.

»Wo hast du das gehört?«

»Vaclav hat es in der Nacht gesagt, in der du zu seinem Wagen gekommen bist.«

Dominic verspürte denselben Widerwillen wie sonst auch immer, wenn er dieses Wort hörte. »So nennen die Roma einen Mann mit gemischtem Blut. Er wollte mich daran erinnern, was ich bin. Und mir damit sagen, daß ein echter Zigeuner sich nicht um deinetwillen eingemischt hätte.«

Catherine entging die Bitterkeit nicht, die sich in seinen Tonfall eingeschlichen hatte. »Ich bin dir dankbar für das, was du getan hast. Jetzt um so mehr, da ich weiß, was es dich gekostet haben muß.« Um ihr zu helfen, hatte er gegen die Ordnung verstoßen, an die die Zigeuner glaubten, und das in dem Wissen, daß er mit ihrer Verachtung rechnen mußte. Warum hat er das bloß getan, fragte sie sich, doch sie stellte ihm die Frage nicht. Als Dominic nichts mehr dazu sagte, fragte sie: »Spielt deine Herkunft wirklich eine so große Rolle?«

Er warf den Stein, mit dem er herumgespielt hatte, fort, und dieser Stein traf auf einen anderen, und ein leiser Hall zog durch die Nacht. »Wahrscheinlich sollte es nicht so sein. Vielleicht würde es für manche Leute nicht viel ändern, aber in meinem Fall...«

Aber daß es für ihn von allergrößter Bedeutung war, konnte Catherine daran ersehen, daß seine breiten Schultern, die er gewöhnlich so entschieden gestrafft hielt, plötzlich herunterfielen und ein harter Zug um seinen Mund spielte.

»Was ist mit der Familie deines Vaters? Hättest du dort nicht bleiben können?«

Das tat er hämisch ab. »Ich habe dort gelebt – mein Dasein gefristet, das käme dem Tatbestand wohl näher. Sie haben Zigeuner fast so sehr gehaßt wie ich sie.«

Catherines Herz strömte ihm entgegen. Sie konnte sich mühelos vorstellen, wie er als Kind ausgesehen haben mußte, mit seinem rabenschwarzen Haar und den prachtvollen dunklen Augen. Unter seinem kalten Äußeren verbarg sich etwas, was auf Verletzbarkeit hinwies. Ob er nun Zigeuner war oder nicht, wie hatte jemand einen kleinen Jungen derart hassen können? »Und deshalb hast du deinen Vater verlassen und bist wieder hergekommen.«

Einen Moment lang flackerte ein Zögern in seinen Augen auf, doch es war gleich wieder verflogen. »Im großen und ganzen werde ich von diesen Menschen hier akzeptiert. Solange ich nach ihren Vorstellungen lebe.«

Sein harter Blick erinnerte sie wieder daran, daß er gegen diese Regeln verstoßen hatte, als er sie vor Vaclav beschützt hatte. Wenn sie auch noch so neugierig darauf war, mehr über ihn zu erfahren, dann warnten sie sein Schweigen und dieser letzte glühende Blick doch davor, weitere Fragen zu stellen.

Sie liefen auf dem Weg weiter, und als sie endlich das Lager erreichten, stellten sie fest, daß das Feuer gelöscht worden war und daß Pearsa sich in ihr Bett zurückgezogen hatte. Dominic begleitete Catherine zu seinem Wagen, beugte sich herunter und streifte ihre Lippen mit einem Kuß, ehe sie sich losreißen konnte.

»Gute Nacht, Feuerkätzchen.«

»Gute Nacht, Dominic.« Er wartete am Fuß der Stufen, bis sie in den Wagen gegangen war. Sie konnte seine Blicke fast auf ihrem Rücken spüren, und ihr Mund prickelte noch von seinem kurzen, zarten Kuß. Catherine betrat den Vardo, schloß die niedrige Holztür hinter sich und lehnte sich daran. Gott im Himmel, sie würde froh sein, wenn sie erst einmal zu Hause war.

In den Fängen der Leidenschaft

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