Читать книгу In den Fängen der Leidenschaft - Kat Martin - Страница 8
4
ОглавлениеLöse dich nicht von den Brüdern.
Die Brüder müssen sich auf dich verlassen können.
Zahle deine Schulden an die Brüder.
Zigeunergesetz
George Borrow
Catherine war nicht sicher, ob sie Stunden oder nur Minuten geschlafen hatte, so tief und angenehm waren ihre Träume gewesen. Sie kam nur langsam zu sich und brauchte einen Moment, ehe sie erkannte, daß der Wagen sich nicht mehr voranbewegte, und dann noch einen weiteren Moment, um zu spüren, daß etwas Weiches und Warmes ihre Haut streifte.
Catherine schnappte nach Luft, als sie die Anwesenheit des großen Zigeuners an ihrer Seite wahrnahm und spürte, wie sein Mund zart über ihren Nacken glitt.
»Du bist in Sicherheit, Feuerkätzchen«, sagte er beschwichtigend, als sie versuchte, sich ihm zu entwinden. »Ich bin gekommen, um dich aus den lüsternen Klauen des alten Armand zu erretten.«
»Du!«
»Du hast doch bestimmt nicht etwa deinen alten Freund Vaclav erwartet?«
»Laß mich los!« Sie versuchte, sich loszureißen, doch seine Arme umschlangen sie wie Fangarme. Sie konnte nirgends hinlaufen, und er hob sie ohnehin bereits hoch und trug sie zum hinteren Ende des Wagens. Mit eleganter Leichtigkeit sprang er auf den Boden und hielt sie dabei fest an seine Brust gepreßt.
»Soll ich meinen alten Freund zum Duell herausfordern?« höhnte er. »Ihn dafür töten, daß er mir dich gestohlen hat? So hat es sich doch sicher abgespielt – Armand ist in meinen Wagen gekommen und hat dich gezwungen, mit ihm fortzugehen?«
Catherine versteifte sich und preßte die Handflächen gegen die Muskelstränge seiner Brust. »Der Kesselflicker hat keine Ahnung. Es war mein Werk, aus dem Lager zu verschwinden. Nur allein mein Werk.«
Diese Aufrichtigkeit entlockte ihm einen Blick, der Erstaunen oder Beifall hätte ausdrücken können. »Hast du wirklich geglaubt, ich würde eine solche Beute entkommen lassen? Ich finde es alles andere als schmeichelhaft, daß du die Gesellschaft eines zahnlosen alten Kesselflickers meiner Gesellschaft vorziehst.«
Dominic stellte sie ab, ließ aber einen Arm fest um ihre Taille liegen. Catherine errötete, als sie langsam an seinem festen, muskulösen Körper hinunterglitt.
»Was hast du denn erwartet? Du bist ein Zigeuner.«
Daraufhin schaute er finster, und Catherine war froh. Ihr gefiel nicht, wie er sie angesehen hatte. Auch die Wärme und die Unbeschwertheit, die sie in seiner Nähe fühlte, gefielen ihr nicht.
»Merci beaucoup, mon ami«, rief er dem Kesselflicker zu.
»Au revoir, Domini.« Der alte Mann winkte und schnalzte mit der Zunge, damit sein Maultier weitertrottete, und der Wagen holperte auf der Straße weiter.
Dominic nahm Catherine am Arm und führte sie zu einem großen Grauschimmel, einem Hengst, der an einen Baum neben der Straße gebunden war. Er holte eine Decke hinter seinem flachen Ledersattel heraus, hing sie ihr um die Schultern, hob sie dann hoch und setzte sie seitlich auf das Pferd. Als er sich hinter ihr aufschwang, fragte sich Catherine mit einem Anflug von Verzweiflung, wie er sie so schnell gefunden hatte. Sie schaute in die sternenhelle Schwärze, von der sie umgeben waren. Nicht ein Schimmer des Morgengrauens war zu sehen. Es hätte noch Stunden dauern müssen, bis er ihr Verschwinden bemerkte.
»Hast du nichts zu deiner Verteidigung vorzubringen, kleiner Tschor?«
»Was heißt das?« fragte sie verdrossen, denn sie war zwischen Wut und Niedergeschlagenheit hin- und hergerissen. Sie strengte sich nach Kräften an, sich nicht an ihn zu lehnen, was durch die schwankenden Bewegungen des Pferdes, das über die Lehmstraße trabte, nahezu unmöglich war.
»Tschor heißt Dieb. Das heißt, ich weiß von dem Geld, das du mir gestohlen hast.«
»Ich habe nur genommen, was ich brauchte, um fortzukommen. Ich hatte vor, es dir so bald wie möglich zurückzubezahlen.«
»Warum wolltest du fortgehen? Bist du mißhandelt worden? Habe ich dich hungern lassen? Dich geschlagen?«
Catherine ging nicht auf seine Scherze ein. »Wenn es hier jemand verdient hat, mit Schimpfnamen bedacht zu werden, dann bist du das. Wenn du mein Verschwinden so schnell bemerkt hast, dann mußt du in meinen Wagen gekommen sein. Wenn du in den Wagen gegangen bist –und damit dein Wort gebrochen hast –, dann wissen wir beide, in welcher Absicht du gekommen bist – und exakt das ist der Grund dafür, daß ich fortgehen wollte.«
Darüber lachte er, und sie fragte sich, warum er nicht wütend zu sein schien.
»Ich habe dich gesehen, als du gegangen bist«, sagte er schlichtweg. »Ich stand im Dunkeln.«
»Ich glaube dir nicht.«
»Und warum nicht? Ich glaube dir schließlich auch.«
Warum nicht, das war hier wirklich die Frage. Er hatte sie bisher nie belogen. Dieser Gedanke war irgendwie tröstlich, und ein kleiner Teil der Spannung wich aus ihrem Körper. Sie lehnte sich an ihn und nahm die Wärme und die Kraft der harten Arme um sich wahr, hörte sogar seinen Herzschlag.
Als er sich auf dem Sattel bewegte, spannten sich die Muskeln auf seiner Brust, und Catherines Herzschlag beschleunigte sich. Gegen ihren Willen malte sie sich aus, wie sich seine glatte dunkle Haut wohl unter ihren Fingern angefühlt hätte, und eine sachte Glut begann, in ihrer Magengrube zu schwelen.
Catherine holte hörbar Atem und war verblüfft über die ungewohnten Empfindungen und erstaunt über die Richtung, die ihre Gedanken eingeschlagen hatten. Sie versuchte, von ihm abzurücken, und dabei hätte sie sie fast beide aus dem Sattel geworfen.
»Bleib ganz ruhig, Catrina. Es ist nicht weit zum Lager, aber ich ziehe das Reiten dem Laufen bei weitem vor.« Er zog sie wieder an seine Brust, und mürrisch lehnte sich Catherine an seine schützende Wärme.
»Hattest du wirklich so große Angst vor mir, daß du dich deshalb entschlossen hast fortzulaufen?« fragte er ein Weilchen später. »Oder gab es einen anderen Grund, aus dem du gehen wolltest?«
Catherine dachte an ihr Heimatland, an Arondale und an ihre Freunde im Schloß. Sie dachte an ihren Onkel, den Herzog, und an Edmund. Den lieben, guten Edmund, der ihr wie ein Bruder gewesen war. Edmund, der jetzt der Earl von Arondale war – der Mann, der höchstwahrscheinlich für ihre Entführung verantwortlich war. Oder gab es einen anderen Schuldigen? Konnten Edmund und Amelia sie so sehr vermissen, wie sie die beiden vermißte?
»Ich wollte nach Hause«, sagte sie leise, und ein schmerzhafter Kloß schwoll in ihrer Kehle. Sie hatte sich Hoffnung gestattet. Jetzt war diese Hoffnung dahin.
»Aber du hast mir doch erzählt, daß du von zu Hause fortgelaufen bist. Erzählst du mir jetzt, daß du dorthin wieder zurück willst?«
»Ich... ich habe einen Fehler gemacht«, sagte sie ausweichend. »Das einzige, was ich mir wünsche, ist, meine Familie wiederzusehen.«
»Wenn du nach England zurückkehren wolltest, Catrina, dann hättest du mir das bloß sagen müssen.«
Catherine drehte das Gesicht abrupt zu ihm um, doch im Schatten der herabhängenden Äste eines Baumes konnte sie seinen Ausdruck nicht erkennen. »Du würdest mich nach Hause gehen lassen?«
Lange braune Finger hoben sich, um sich auf ihre Wange zu legen. »Ich werde sogar etwas noch Besseres tun. Ich werde dich persönlich hinbringen.«
Catherine musterte ihn argwöhnisch. »Weshalb solltest du das tun? Du hast ein Vermögen für mich bezahlt.«
»Meine Gründe sind meine Privatangelegenheit. Wenn du nach Hause möchtest, werde ich dafür sorgen, daß du dort ankommst.« »Sagst du die Wahrheit?«
Er lächelte. »Ich schwöre es beim Grabe von Sara-la-kali – dem Schutzheiligen der Zigeuner.«
»Wann?«
»Schon sehr bald.« Dominic beobachtete das Wechselspiel der Emotionen auf Catherines hübschem Gesicht. Er sah die Unsicherheit, die Verzweiflung, die einem winzigen Hoffnungsschimmer wich, und etwas regte sich in seiner Brust.
Seine Hand fuhr durch die Strähnen ihres leuchtenden, goldroten Haars, und seine Arme schlangen sich enger um sie. Der Mondschein fiel auf den Schwung ihrer Lippen und auf ihre dichten Wimpern, die sich dunkel gegen ihre bleiche Haut absetzten. Nur eine kleine violette Verfärbung, ein Überbleibsel ihrer Auseinandersetzung mit Vaclav, verunstaltete ihre vollkommene Pfirsichhaut.
Dominics Kiefer spannte sich ein wenig an, und gleichzeitig schlossen sich seine Arme etwas fester um ihre Taille. Das Gewicht von Catherines üppiger Brust schmiegte sich weich an seinen Arm, und ihr frischer, süßer Duft stieg aus ihrem Haar auf. Dominic rutschte auf dem Sattel herum und bemühte sich, gegen die unangenehme Schwellung zwischen seinen Schenkeln anzugehen.
Ein Blick nach vorn zeigte den Schein der erlöschenden Feuer der Zigeuner, und er griff in die Zügel.
»Wir werden die restliche Wegstrecke laufen, um die anderen nicht zu wecken.« Er schwang ein langes Bein über den Rumpf des Pferdes, sprang auf den Boden und hob Catherine herunter. Seine Hände konnten ihre schmale Taille nahezu umfassen.
Sie liefen auf der Straße weiter und tauchten dann zwischen den Bäumen unter, wo seine anderen Pferde festgebunden waren. Er nahm dem Grauschimmel den Sattel ab und band ihm die Füße zusammen, und dann ging er wieder dorthin, wo Catherine ihn unter einer schlanken Pappel erwartete.
Er verflocht seine Finger mit ihren, lief aber nicht los. »Da ich diaversprochen habe, dich nach Hause zu bringen, erscheint es mir nur gerecht, daß du dich angemessen bei mir bedankst.«
Catherines Blick wurde wachsam. Dumm war diese Frau wahrhaftig nicht.
»Und wie sollte das aussehen? Kannst du mir das vielleicht verraten?«
»Ich verlange keinen höheren Preis als einen Kuß dafür.«
Grüne Augen richteten sich fest auf sein Gesicht und forschten nach der Wahrheit.
»Nur einen Kuß«, wiederholte er. »Das ist doch gewiß nicht zuviel verlangt.«
»Nein, ich glaube kaum, falls du dein Versprechen wahr machst.« Sie beugte sich vor und küßte ihn auf die Wange.
Dominic lächelte wider Willen. »Das ist nicht direkt das, was ich im Sinne hatte.« Wie konnte es möglich sein, daß sie solches Feuer besaß und gleichzeitig doch so unschuldig wirkte? Aber vielleicht war sie es ja in gewisser Weise. Es war etwas ganz anderes, ob man benutzt oder verführt wurde. Dominic hatte letzteres vor.
»Ein Kuß von der Sorte, wie ich ihn haben möchte, kostet etwas mehr Anstrengung«, sagte er. »Mach einfach die Augen zu, und den Rest übernehme ich.« Sie zögerte einen Moment lang, und er nahm ihre Unsicherheit wahr. »Bist du sicher, daß du wirklich wieder nach Hause gehen willst?«
Catherine zog die Schultern zurück, und ihre Augen schlossen sich langsam. Dominic bewunderte die Vollkommenheit ihrer Gesichtszüge, als sie dort im Mondschein stand, aber er tat es nur einen Moment lang. Dann nahm er ihre Wangen zwischen seine Hände und ließ seinen Mund erst sachte und dann mit einer Eindringlichkeit über ihre Lippen gleiten, die eine neuerliche Woge von Wärme in seine Lenden sandte. Catherine riß die großen grünen Augen auf und versuchte, ihn von sich zu stoßen, doch er setzte seinen Angriff unbeeinträchtigt fort. Als sie den Mund aufmachte, um zu protestieren, drang seine Zunge in das warme Innere ein. Sie schmeckt so süß, wie sie duftet, dachte er einen flüchtigen Moment lang und wünschte, er hätte sie von Kopf bis Fuß überall kosten können.
Catherine versuchte, sich loszureißen, aber etwas schien ihren Willen zu lähmen. Von dem Augenblick ihrer ersten Begegnung an hatte sie sich von Dominics dunkler Schönheit angezogen gefühlt. Diese Anziehungskraft war dadurch noch verstärkt worden, daß er zu ihrer Rettung gekommen war, und in der kurzen Zeit, die seitdem vergangen war, hatte sie seine atemberaubende Männlichkeit wahrgenommen wie noch bei keinem anderen Mann. Sie spürte diese Kraft auch jetzt, als seine Lippen sich sachte über ihre bewegten und seine Zunge sie kostete, in ihren Mund vordrang und sie zwang, ihn zu akzeptieren.
Als läge ihr Herz direkt unter ihrer Haut, nahm Catherine jeden seiner zu schnellen Schläge wahr, das Flattern, das Blut, das in ihren Adern zu rauschen schien. Sie konnte nicht klar denken, konnte sich kaum noch darauf konzentrieren zu atmen. Dominic umfaßte jetzt ihre Handgelenke und keilte sie unentrinnbar zwischen einem kräftigen Baumstamm und seinem muskulösen, großgewachsenen Körper ein.
Als er ihre immer noch starren Arme um seinen Hals schlang, spielten sehnige Muskelstränge unter ihren Händen. Seine Zunge fühlte sich seidig an, seine Hände wie samtenes Feuer, als sie über ihren Körper glitten. Lange, sehnige Schenkel preßten sich an sie und ließen sie beben, und ihre Brüste drückten gegen seine muskulöse Brust.
Catherine stöhnte. Lieber Gott, das durfte nicht passieren! Sie durfte unter keinen Umständen zulassen, daß dies passierte. Und doch wollte ein ihr kaum bekannter Teil ihres Wesens, ihre Weiblichkeit, daß es dazu kam.
Ihre Arme spannten sich um seinen Nacken, und ihre Zunge berührte seine, erst zaghaft, dann kühner. Durch ein benebeltes Bewußtsein, das gänzlich zu schwinden drohte, spürte sie, daß sich eine Hand über der dünnen Baumwollbluse auf ihre Brust legte, während eine andere ihren Po koste, als er sie eng an sich schmiegte.
Als Catherine seine entschieden männliche Erregung fühlte, hätte sie nicht mehr zusammenzucken können, wenn ein Eimer kaltes Wasser über ihr ausgegossen worden wäre. Sie riß sich abrupt von ihm los, und ihre Augen glühten vor Empörung, als sie zurückwich und ihn ohrfeigte.
Dominic wirkte benommen. »Wie kannst du es wagen, dir solche Freiheiten herauszunehmen!« Jetzt sprach die Gräfin von Arondale. Eine Dame von klarem Verstand und guter Herkunft. Eine Dame mit klaren Anstandsvorstellungen, die es einem gewöhnlichen Zigeuner ohnehin nie auch nur gestattet hätte, sie zu küssen, und die sich gelobte, es nie mehr dazu kommen zu lassen.
Dominic betrachtete sie nachdenklich und rieb sich dabei mit einer Hand die Wange. »Dafür könnte ich dich schlagen«, erinnerte er sie, doch aus seiner Stimme war kein Zorn herauszuhören, nur Enttäuschung. »Das wäre mein Recht.«
»Warum tust du es dann nicht? Falls du das brauchst, um dich als Mann zu fühlen.«
Auf Dominics Lippen trat ein dünnes Lächeln. »Was ich dafür brauche, Feuerkätzchen, wollte ich dir gerade zeigen. Und das, wie ich noch hinzufügen könnte, nicht ohne eine gewisse Ermutigung deinerseits.«
Catherine errötete bis zu den Wurzeln ihres flammendroten Haares. Gütiger Jesus, der Mann hatte recht! Warum hatte sie ihn nicht zurückgehalten? Warum hatte sie sich überhaupt erst von ihm küssen lassen? Wie hatte sie sich so benehmen können? Es kostete sie eisernen Willen, in diese pechschwarzen Augen zu sehen.
»Du hast natürlich recht. Mein Benehmen war unverzeihlich. Ich hoffe, du wirst mir den falschen Eindruck verzeihen, den ich bei dir erweckt haben muß. Ich habe nie... ich meine, ich habe mich einfach überrumpeln lassen.«
Dominics schwarze Augenbrauen schossen in die Höhe. Er betrachtete sie einen Moment lang und schien sie abschätzen zu wollen. Dann zog sich einer seiner Mundwinkel hoch. »Du überraschst mich ständig aufs neue, Catrina. Das allerletzte, was ich erwartet habe, war eine Entschuldigung von deiner Seite.«
»Eine Entschuldigung von deiner Seite wäre auch nicht fehl am Platz.«
Belustigung flackerte in seinen Augen auf, und dann verbeugte er sich übertrieben. »Nehmen Sie bitte meine demütigsten Entschuldigungen entgegen, Mylady.« Er führte ihre Hand an seine Lippen und streifte sie auf eine so vornehme Art, daß er damit sogar am königlichen Hofe hätte bestehen können. »Ich fürchte, das ist alles, was ich tun kann, da ich den Kuß durch und durch genossen habe.«
Catherine kämpfte gegen ein Lächeln an. Ihr ging es genauso, wenigstens weitgehend, doch es hätte ihr abgrundtief widerstrebt, das zuzugeben. Sie dachte an seine Entschuldigung. Mylady, so hatte er sie angesprochen, ohne auch nur einen Augenblick zu ahnen, wie nahe er der Wahrheit gekommen war. Innerlich machte sie sich über sich selbst lustig. Sie sah wahrhaftig nicht aus wie eine Dame – und sie hatte sich auch nicht wie eine Dame benommen.
In der Hoffnung, daß er die Röte nicht sehen konnte, die sich in ihre Wangen schlich, nahm sie den Arm, den er ihr reichte, und lief mit ihm zum Wagen. Der Mond war hinter einer Wolke herausgekommen, nicht mehr als eine silberne Sichel, doch das Licht reichte aus, um ihnen den Weg zu weisen und den Pfad zwischen den Bäumen zu erhellen. Dominic blieb am Rand des Feuerscheins stehen, und Catherine fiel auf, daß das Feuer wieder angezündet worden war. Wenige Meter entfernt stand eine schwarzhaarige Frau mit verschränkten Armen und schien ihre Ankunft zu erwarten.
»Guten Abend, Yana«, sagte Dominic freundlich, doch eine Spur von Gereiztheit war aus seiner Stimme herauszuhören. »Du wolltest mich sprechen?«
»Dann ist das also die Gadjo-Frau, die du Vaclav abgekauft hast. Wie dumm ich doch war, daß ich nicht schon viel eher gekommen bin.«
»Das ist Catherine«, sagte er, und sie fühlte eine Woge von Dankbarkeit in sich aufsteigen, weil er ihren englischen Namen benutzt hatte. Von der Frau, die ihnen so drohend gegenüberstand und deren Wut direkt unter der Oberfläche siedete, ging etwas Beunruhigendes aus.
»Catherine«, wiederholte Yana mit einem so giftigen und finsteren Blick, daß Catherine ein Schauer über den Rücken lief. »Ein hochgestochener Name für eine Frau, die nicht mehr als eine Sklavin ist.«
»Warum gehst du nicht wieder in deinen Wagen, nachdem du sie jetzt gesehen hast?« schlug Dominic vor, und die Worte waren entschieden eine Warnung.
»Ohne dich? Du hast doch gewiß vor, mit mir zu kommen, in meinen Armen zu liegen und dir von mir Lust verschaffen zu lassen, wie du es jede Nacht getan hast, seit du hergekommen bist.«
»Du hast von Anfang an gewußt, daß dieser Zeitpunkt kommen wird.«
»Das ist wahr. Du warst schon immer ein Mann, der seine Frauen genießt. Dennoch überrascht mich, daß du dieses bleiche Wesen mehr begehrst als mich. Sie kann dein Blut doch bestimmt nicht so aufheizen, wie ich es kann. Im Moment sieht sie sogar so aus, als könnte sie sich kaum noch auf den Füßen halten.«
Die Worte waren nur zu wahr. Wenn sie nicht das Gefühl gehabt hätte, am Fleck angewurzelt zu sein, wäre sie bestimmt ohnmächtig geworden, soviel stand für Catherine fest. War das Dominics Ehefrau? Seine Geliebte? Welchen Platz diese Frau auch innehaben mochte, Dominic hatte sie offensichtlich hinters Licht geführt.
»Keine Angst, ich werde schon dafür sorgen, daß du reichlich entlohnt wirst.«
»Geld ist doch immer dein Ausweg, stimmtʼs, Domini?«
»Ich meinte damit nur, daß gut für dich gesorgt wird.«
Yana wandte sich an Catherine. »Du glaubst, du hast gewonnen, aber ich warne dich – er wird deiner müde werden, genauso wie es ihm bei mir auch ergangen ist.«
Dominic trat drohend einen Schritt vor. »Ich habe genug von deinem Keifen, Yana. Geh wieder in deinen Wagen, ehe ich dich persönlich hinschleife.«
Catherine sah von der schönen Zigeunerin zu Dominic, dessen Gesicht sich vor Wut verfinstert hatte. Er wird deiner müde werden, genauso wie es ihm bei mir auch ergangen ist. Galle stieg in ihre Kehle auf. Dominic würde sie nach England zurückbringen, ja, klar, nachdem er seinen Spaß mit ihr gehabt hatte. Wenn sein Hunger erst einmal gestillt war, würde er sie mit Freuden ablegen. Oder vielleicht auch weiterverkaufen.
»Wenn ihr mich jetzt entschuldigen würdet«, sagte Catherine und bot all ihre Willenskraft auf, um das Kinn in die Luft zu recken. »Ich muß sagen, daß ich wirklich sehr müde bin.«
Yana sah sie mit einem solchen Abscheu an, daß Catherine sich nur mit Mühe zwingen konnte, sich vom Fleck zu rühren. Das Zigeunermädchen glaubte offensichtlich, Dominic sei mit ihr im Bett gewesen, sie hätte das zugelassen und es vielleicht sogar genossen! Die Glut der Demütigung spülte über sie hinweg. Dominics Hand packte ihren Arm, hinderte sie am Gehen und ließ sie dann los.
»Darüber reden wir morgen früh«, sagte er.
Catherine lief einfach weiter. Um zu den Stufen des Wagens zu gelangen, mußte sie dicht an dem Zigeunermädchen vorbeigehen. Als sie das tat, gruben sich die Finger der Frau in ihren Arm. Yana drehte sie zu sich um und schlug ihr fest ins Gesicht.
»Yana!« Dominic ging auf die beiden zu.
Vor zwei Monaten wäre Catherine vor Entsetzen erstarrt, und sie wäre so bestürzt und entrüstet gewesen, daß sie sich nicht von der Stelle hätte rühren können. Jetzt packte sie das dichte schwarze Haar der Frau, riß ihren Kopf zurück und ohrfeigte sie noch kräftiger, als sie geohrfeigt worden war. Mit ungläubigem Gesicht taumelte Yana rückwärts und landete auf dem Hintern. Ihre leuchtendgrünen Röcke glitten bis zu ihren Oberschenkeln hinauf und entblößten wohlgeformte Beine, während das lange dunkle Haar ihr in die Augen fiel.
»Ich will weder ihn noch irgendeinen anderen Mann«, sagte Catherine zu ihr und sah dabei Dominic scharf an. »Ich will nichts weiter als von hier verschwinden, nichts anderes als meine Ruhe.«
»Du Lügnerin!« Yana sprang auf und klopfte sich Erde und kleine Zweige von der Kleidung. Sie hatte noch keine zwei Schritte nach vorn gemacht, als sie stolperte und wieder auf den Boden fiel.
Pearsa kam aus dem Schatten hinzu. »Das Mädchen hat dir nichts getan. Mein Sohn hat seine eigene Meinung. Wenn er ihre Gesellschaft deiner vorzieht, dann liegt die Entscheidung ganz allein bei ihm.«
»Halte dich da raus, Alte.«
»Geh nach Hause, Yana«, warnte Dominic sie leise. »Ich hatte vor, mich in Freundschaft von dir zu trennen. Wenn du jetzt gehst, ist das immer noch möglich.«
»Ich bin nicht wie die Gadjo – du kannst mich nicht herumkommandieren.«
»Geh in deinen Wagen«, befahl ihr Pearsa, »ehe ich dich mit einem Fluch belege. Wie würde es dir gefallen, all dieses schöne schwarze Haar zu verlieren?«
Yana umklammerte die schimmernden Strähnen und schoß eilig davon. »Du hast mich schon immer gehaßt. Aber ich hätte niemals geglaubt, daß du dich gegen mich und auf die Seite einer Gadjo stellst.«
»Verschwinde!« schrie Pearsa und schwenkte ein verschrumpeltes Hühnerbein, das sie aus der Tasche gezogen hatte. Die langen schwarzen Krallen blinkten im Feuerschein. Yana sprang auf und wollte das Lager verlassen.
Sie sah Dominic fest an. »Das wirst du mir büßen – und es wird dich weit mehr kosten, als du für das Mädchen bezahlt hast. Ihr werdet alle dafür büßen.« In einer Woge leuchtendgrüner Röcke und zum Klang von klirrenden Perlen rannte sie in die Dunkelheit.
Dominic wandte seine Aufmerksamkeit Catherine zu. Sie wirkte bleich und erschüttert, und doch wich sie nicht zurück. Er ging auf sie zu, doch sie hob die Hand, als wollte sie ihn abwehren.
»Bitte... ich würde mich jetzt wirklich gern hinlegen.«
»Laß sie gehen«, sagte Pearsa zu ihm, und schließlich erbarmte er sich. Hölzern wandte sich Catherine ab und stieg die Stufen hinauf.
»Sie macht jetzt schon Schwierigkeiten«, sagte Pearsa, die dasaß und eine langstielige Messingpfeife rauchte, während Dominic an einer dünnen Zigarre zog und aus einem Zinnbecher Palinka trank. Der Geruch des Rauchs vermischte sich mit der brennenden Rinde von Pappeln, die die späte Nachtluft versüßte. Über ihnen in den Bäumen schrie eine kleine weiße Eule.
»Was mit Yana passiert ist, war nicht Catherines Schuld.«
»Nein, es war deine Schuld. Wann wirst du endlich seßhaft werden, mein Sohn?«
»Darüber haben wir bereits geredet. Ich weigere mich, noch einmal darüber zu diskutieren.«
Eine Zeitlang saßen sie schweigend da, anfangs mürrisch, doch schon bald so entspannt wie gewöhnlich.
»Sie ist nicht so wie die anderen Frauen deines Bluts, die ich kennengelernt habe«, sagte Pearsa und riß ihn aus seinen Gedanken.
Dominics Mundwinkel zogen sich nach oben. »Sie ist auch nicht wie irgendeine andere Frau, die ich je kennengelernt habe.«
»Sie arbeitet hart und klagt nicht darüber.«
Dominic zog eine kühn geschwungene schwarze Augenbraue hoch. Aus dem Mund seiner Mutter war das allerdings ein großes Lob. »Du magst sie?«
Pearsa höhnte. »Sie ist eine Gadjo. Das allein reicht mir schon aus, um sie zu verabscheuen.«
Dominic starrte in die Flammen und dachte, wie nahe die Farbe doch Catherines leuchtendem Haar kam. »Sie hat Medela eine Locke von ihrem Haar für das Baby gegeben.«
»Sie hat gewußt, daß es ihr Glück bringen wird?«
Dominic nickte.
»Medela muß sich sehr gefreut haben.« Sie zog an ihrer langstieligen Pfeife und paffte den süß riechenden Rauch in die dicke Nachtluft. »Warum ist sie fortgelaufen? Wir haben sie nicht schlecht behandelt.«
Er lehnte sich an die Seitenwand des bunten Vardos seiner Mutter. Rote und gelbe Schlangen kletterten an einem Spalier mit grünem Laub hinauf, das um die Tür herum gemalt war. »Sie will nach Hause.«
»Zurück nach England?«
»Ja.«
»Dann wirst du sie mitnehmen, wenn du fortgehst. Nach dem Pferdemarkt.«
Er nickte. »Ich werde dafür sorgen, daß sie wieder nach Hause kommt.« Früher oder später, dachte er. »Ich spiele mit dem Gedanken, noch etwas länger hierzubleiben.« Pearsa warf ihm einen argwöhnischen Blick zu, verfolgte jedoch das Thema zu Dominics großer Erleichterung nicht weiter. Es gab Dinge in Gravenwold zu erledigen, die seine Anwesenheit erforderten: Er mußte sich um die Ländereien seines Vaters kümmern, um die Leute, die für ihn arbeiteten, um die Pferde, die er züchtete. Bis zu Catherines Eintreffen war er immer unruhiger geworden und hatte es eilig gehabt, dorthin zurückzukehren – ein Umstand, den er erbittert ablehnte.
Wenn er als Junge zum Volk seiner Mutter zurückgekehrt war, hatte ihm jedes Jahr bei dem Gedanken an seine Abreise gegraut. Aber inzwischen ertappte er sich von Jahr zu Jahr mehr dabei, daß er sich auf die Bücher freute, die zu lesen er gelernt hatte, auf die weite neue Welt, die sein Vater ihm eröffnet hatte.
Der Preis für sein neues Leben war hoch gewesen. Jahre der Einsamkeit, fern von den Menschen, die er liebte. Eine Jugend, verfinstert von dem geflüsterten Hohn derjenigen, denen sein Vater das Geheimnis seiner Geburt anvertraut hatte – seinem Hauslehrer, seinem Kindermädchen, den Dienstboten, die auf dem fernen Landsitz des Marquis lebten –, aber auch durch die Beschimpfungen eines Vaters, dem er es nie auch nur annähernd hatte recht machen können.
Und von dem Schmerz, den sein Fortgehen seiner Mutter beschert hatte.
Wie immer schmeckte Dominic die Bitterkeit des Hasses auf den Mann, der ihm soviel Verzweiflung bereitet hatte. Auf den Mann, der ihm immer noch Kummer bereitete, wann immer sich ihm die Gelegenheit dazu bot.
»Wenn du die Frau willst«, sagte Pearsa, »und ich kann sehen, daß du sie willst, warum schläfst du dann auf dem Boden, und sie schläft in deinem Bett?«
Dominic lachte leise in sich hinein. »Es hat ganz den Anschein, daß meine Catherine ihre Tugend hochschätzt, wenn sie auch noch so angekratzt sein mag. Sie ist mißhandelt worden. Sie braucht ein wenig Zeit, um sich an den Gedanken zu gewöhnen.«
Pearsa schien überrascht zu sein. »Sie hat Vaclav mit Geschichten über ihre Tugend zum Narren gehalten, aber mich überrascht, daß sich ein Mann mit deiner Erfahrung so leicht für dumm verkaufen läßt.«
War es möglich? Dominic dachte an ihren Kuß, der von einer so süßen Leidenschaft gewesen war, und daran, wie sie errötete, wenn er sie berührte oder sie begehrlich ansah. Ihr mochte zwar die Jungfernschaft geraubt worden sein, aber sie war keine erfahrene Frau. Darauf hätte er sein Leben gewettet.
»Ein paar Tage mehr oder weniger werden nichts ändern. Das Ergebnis wird schließlich dasselbe sein. Die Frau gehört mir. Wenn der rechte Zeitpunkt gekommen ist, werde ich für mich fordern, was mir zusteht.«
Pearsa paffte an ihrer Pfeife und betrachtete ihren Sohn durch den dichten schwarzen Rauch, der in Schwaden um sie herum wogte. Hatte die Frau ihn verhext, wie sie schon Vaclav verhext hatte? Oder war es etwas anderes?
Wenigstens hatte das Mädchen Domini von Yanas sündigen Manipulationen befreit, und wenn ihre Anwesenheit im Lager bedeutete, daß ihr Sohn ein Weilchen länger bleiben würde, dann würde sich Pearsa eben mit ihr abfinden. Außerdem arbeitete das Mädchen hart und hatte sich bisher nicht beklagt.