Читать книгу Allein zu zweit - Katrin Bentley - Страница 13

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Die erste Zeit verbrachte ich bei Freunden meiner Eltern in Perth, die mich ins australische Leben einführten. Eines Tages fuhren wir mit ihren bereits erwachsenen Kindern in die Nähe von St. Margaret River und campierten dort in der Wildnis. Ich fand das toll, und als sie mich fragten, ob ich mit ihnen an den Strand spazieren wolle, war ich sofort begeistert. Alle trugen feste Schuhe, da es aber bloß ans Meer ging, zog ich meine Sandalen an. Bald stellte ich fest, dass das kein Spaziergang war, sondern eine dreistündige Wanderung. Es war unheimlich heiß, und wir mussten über etliche Stacheldrahtzäune klettern, bevor wir endlich ans Meer gelangten. Am Strand fragten mich die andern, ob ich mich ins Wasser traue. »Aber sicher«, lachte ich verwundert. Was dachten denn diese Australier! Wir Schweizer können doch auch schwimmen!

Alle Mädchen trugen Badeanzüge, ich selber hatte nur einen Bikini dabei; aber das war egal, Hauptsache, ich konnte mich abkühlen. Fröhlich rannte ich ins Wasser, wo ich wenig später von einem lauten Dröhnen überrascht wurde. Entsetzt sah ich, dass sich über mir eine haushohe Welle auftürmte und mich zu verschlingen drohte. Ich machte augenblicklich kehrt und versuchte, den Strand zu erreichen, aber schon riss mich die Welle unter Wasser. Als ich endlich prustend wieder an die Oberfläche kam, konnte ich gerade noch meine Bikinihose retten, die hilflos an meinen Knöcheln hing. Auf wackligen Beinen taumelte ich ans Ufer und setzte mich erschöpft in den Sand. Von dort aus sah ich bewundernd zu, wie meine australischen Freunde unbesorgt und selbstsicher durch die riesigen Wellen schwammen. Erst hinterher sagten sie mir, dass das Meer bei St. Margaret für seine Wildheit bekannt sei.

An jenem Tag merkte ich, dass Australien kein Land für Schwächlinge ist. Hier muss man die Natur ernst nehmen. Die Hitze ist extrem, die Distanzen sind riesig, und das Meer ist wild. Später am Lagerfeuer lachten wir noch lange über meine Bikinihose.

Nach drei tollen Wochen in Perth flog ich weiter in den Südosten nach Adelaide, wo drei Tage später, wie verabredet, meine Freundin aus Deutschland eintraf. Zusammen mieteten wir ein Auto und fuhren 2231 Kilometer der Küste entlang, über Melbourne, Sydney, Brisbane bis nach Noosa. Es war eine tolle Zeit! Die schöne, wilde Natur Australiens faszinierte uns immer wieder. Wir schwammen im Meer, wanderten durch Regenwälder und erforschten Nationalparks. Nachts schliefen wir auf Campingplätzen oder in Jugendherbergen, wo wir viele interessante Leute aus anderen Ländern trafen. Mit ihnen gingen wir hin und wieder auch im Busch campen, was ein ganz besonderes Abenteuer war. Es gab für mich nichts Schöneres, als morgens unter freiem Himmel vom Gezwitscher der Rosellas oder vom Lachen der Kookaburras geweckt zu werden. Da wir die meiste Zeit draußen verbrachten, war ich bald einmal schokoladebraun.

Die frische Luft und die Freiheit taten mir gut, aber die Zeit verging viel zu schnell. Bald musste meine Freundin wieder zurück nach Deutschland, und mir blieb nur noch eine Woche. Ich beschloss, meine Ferien in Byron Bay abzuschließen, wo wir zuvor schon ein paar Tage verbracht hatten. In dem romantischen Dörfchen mit dem weißen Leuchtturm und den wunderschönen Sandstränden hatte ich mich auf Anhieb wohlgefühlt, und die relaxte, alternative Lebensweise der Bewohner verlieh diesem südöstlichsten Punkt Australiens einen ganz besonderen Reiz.

Da meine Freundin und ich das gemietete Auto bereits abgegeben hatten, erkundigte ich mich in der Jugendherberge in Coolangatta nach dem Busfahrplan nach Byron Bay. Anschließend ging ich in den Aufenthaltsraum, um den andern von meinen Plänen zu berichten. »Warum willst du den Bus nehmen?«, fragte mich ein Kanadier. »Ich kenne einen jungen Australier, der morgen mit dem Auto nach Byron fährt. Frag ihn doch, ob er dich mitnimmt.« Sein Vorschlag interessierte mich wenig, da ich am Abend zuvor in einem Nachtklub unliebsame Bekanntschaft mit ein paar aufdringlichen Australiern gemacht hatte. Der Gedanke, mich den ganzen Tag mit einem mühsamen Reisegefährten herumzuschlagen, war mir höchst unangenehm.

»Ich fahr gern mit dem Bus«, antwortete ich, »aber danke, dass du es mir gesagt hast.« »Sei doch nicht so«, drängte der Kanadier, »er ist sehr nett und würde dir sicher gern helfen.« »Das kann schon sein, aber ich fahre nicht gern mit Männern, die ich nicht kenne«, sagte ich und machte mich auf den Weg in mein Zimmer. Aber der Kanadier gab nicht auf: »So viel ich weiß, schläft er in Nummer 22. Klopf doch mal an die Tür und frag, ob er dich mitnehmen kann.« Nun musste ich lachen. Was dachte er bloß? Als ob ich nachts einen Fremden wecken würde, um ihn um eine Mitfahrgelegenheit zu bitten!

»Warte mal, dort ist er ja!«, rief da mein selbsternannter Helfer plötzlich und zeigte auf einen jungen, sehr attraktiven Mann, der auf dem Sofa im Aufenthaltsraum saß und intensiv fernschaute. Der braun gebrannte, blonde Australier mit den schönen grünen Augen war mir schon am Vortag aufgefallen. Er hatte etwas Geheimnisvolles an sich und erinnerte mich mit seinem perfekten Aussehen an Barbies Ken. Durch seine distanzierte und jungenhafte Ausstrahlung machte er einen harmlosen Eindruck, und ich entschied mich, ihn doch zu fragen.

Ich ging auf ihn zu, aber er ignorierte mich, bis ich direkt vor ihm stand. Mein freundliches »Hi« beantwortete er gleichgültig und wandte seine Augen sofort wieder dem Bildschirm zu. Nach kurzem Zögern setzte ich mich neben ihn und fragte in einer Werbepause, ob ich am nächsten Tag mit ihm nach Byron Bay fahren könne. Ohne mich anzuschauen, sagte er »Okay«, schien aber kein Interesse zu haben, mich näher kennen zu lernen. Das Geschehen auf dem Bildschirm faszinierte ihn deutlich mehr. So beschloss ich, einfach ruhig neben ihm sitzen zu bleiben und das Ende des Films abzuwarten. Ehrlich gesagt, war ich plötzlich sehr angetan von diesem hübschen Fremden, und der Gedanke, mehrere Stunden neben ihm im Auto zu sitzen, gefiel mir immer besser.

Von Zeit zu Zeit lachte er laut über einen Gag, und ich lachte mit, obwohl ich kaum etwas verstand. Schließlich sollte er ja nicht merken, dass ich mehr an ihm als am Film interessiert war. Ein wenig blieb ich aber auch aus Anstand sitzen, da ich ihm nicht das Gefühl geben wollte, dass ich ihn nur als eine günstige Mitfahrgelegenheit betrachtete. Der Film schien kein Ende zu nehmen, aber schließlich wurde meine Geduld belohnt, und »Ken« fing an, sich mit mir zu unterhalten. Er hieß Gavin und schien nun aufgeschlossen und nett zu sein. Wir fanden heraus, dass wir am selben Tag Geburtstag hatten, er aber sieben Jahre jünger war. Später in meinem Bett freute ich mich unheimlich auf unsere gemeinsame Reise.

Am nächsten Tag fuhren wir zusammen nach Byron Bay. Dort angekommen, buchte ich ein Zimmer in einem Backpacker-Hostel und war begeistert, dass Gavin sich entschloss, auch eine Woche dort zu bleiben. Auf der Fahrt hatten wir uns besser kennen gelernt, und ich war erstaunt, dass der wortkarge und distanzierte junge Mann auch eine gesprächige Seite hatte. Ich verstand zwar längst nicht alles, was er sagte, da er unheimlich schnell redete und sich meine Englischkenntnisse immer noch im Anfangsstadium befanden; aber am Ende des Tages wusste ich, dass er aus Melbourne kam, drei Geschwister hatte, als Buchhalter arbeitete und auf der Rückfahrt von einer Schaffarm war, wo er kurze Zeit als Gehilfe gearbeitet hatte, da er einmal etwas anderes ausprobieren wollte. Nach einer Woche war ihm das Farmleben aber zu eintönig geworden, und er hatte gekündigt, um stattdessen Ferien an der Küste zu machen. Bei einer rasanten Fahrt durch die Wildnis war dann die Ölwanne kaputt gegangen, und sein Auto musste zur Reparatur. Wäre er nicht stecken geblieben, hätten wir uns nie in Coolangatta getroffen.

Ich hörte ihm gern zu und genoss es, einen solch hübschen, lustigen, originellen und netten Gefährten für meine letzte Woche zu haben. Unsere gemeinsame Zeit in Byron Bay war wunderschön. Wir verbrachten die meiste Zeit am Strand, aßen Eis und spazierten am Meer entlang. Gavin half mir, mein Englisch zu verbessern, und erzählte mir abends beim Pizzaessen von seinen Zukunftsplänen. Er sagte, er wünsche sich, einmal ein erfolgreicher Steuerberater zu sein, ein eigenes Haus zu haben, eine liebe Frau zu finden und mit ihr vier Kinder großzuziehen. Ich musste lachen; für einen Neunzehnjährigen hatte er meiner Meinung nach sehr konventionelle Lebensvorstellungen. »Möchtest du denn nicht erst ein wenig das Leben genießen, bevor du eine Familie gründest?«, fragte ich. Gavin war verwirrt und hatte keine Ahnung, was ich mit meiner Frage meinte. Für ihn gab es keine bessere Art, das Leben zu genießen, als einen gut durchdachten Plan in die Tat umzusetzen.

Obwohl ich selbst ein Gefühlsmensch bin, bewunderte ich seine handfesten Pläne, zeigte er doch damit, dass er etwas mit seinem Leben anfangen wollte und nicht bloß auf der Suche nach schnellen Abenteuern war wie so viele andere Männer. Gavin schenkte mir jeden Tag seine volle Aufmerksamkeit und war nie ungeduldig oder schlecht gelaunt. Er machte mich zum Mittelpunkt seines Lebens und schien nur an mir interessiert zu sein.

So etwas hatte ich noch nie erlebt, und bevor ich es merkte, hatte ich mich in ihn verliebt. Eigentlich war das absurd, da ich ja in ein paar Tagen in die Schweiz zurückreisen würde und dort einen lieben Freund hatte, der auf mich wartete. Aber wie der französische Mathematiker und Philosoph Blaise Pascal einmal sagte: »Das Herz hat Gründe, die das Denken nicht versteht.«

Dass Gavin kein Experte war in zwischenmenschlichen Gesprächen, merkte ich damals nicht. Wann immer es ein Missverständnis gab, führte ich das auf meine schlechten Englischkenntnisse zurück. Sein Verhalten erschien mir damals nicht ungewöhnlich. Das Einzige, was mir auffiel, war, dass sich seine Stimmung nie änderte. Er schien weder extrem fröhlich noch traurig, sondern einfach immer cool und nett. »Wirst du eigentlich nie wütend?«, fragte ich einmal ganz verwirrt. »Doch«, sagte er – aber ich konnte mir das nicht vorstellen. Irgendwie konnte ich seine Persönlichkeit gar nie richtig erfassen, aber das änderte nichts an meinen Gefühlen. Ich genoss jede Minute unseres Zusammenseins. Jahre später, als alles so schwierig wurde, versuchte ich mich immer wieder an diese schönen Tage mit Gavin zu erinnern. Er war damals ein ganz anderer Mensch gewesen, immer nett, nie kritisch oder wütend, immer nur aufmerksam und lieb.

Eines Abends gingen wir nach dem Essen noch ein wenig im Mondschein spazieren. Der Strand, der tagsüber voller Leute war, schien plötzlich einsam und verlassen. Ich genoss es, den weißen Sand zwischen meinen Zehen zu spüren und das Rauschen der Wellen zu hören. Es war unheimlich romantisch. Ohne viel zu überlegen, ergriff ich Gavins Hand und drückte sie zärtlich. Dann setzten wir uns in den Sand und schauten aufs Meer. Wir wussten beide, dass ich in der Schweiz einen Freund hatte; aber das, was wir in diesem Moment füreinander spürten, war stärker. Ich lehnte meinen Kopf an Gavins Schulter und dachte traurig daran, dass ich ihn in ein paar Tagen für immer verlassen musste. Da legte er liebevoll seinen Arm um mich und küsste mich zart auf die Lippen. Obwohl ich ein schlechtes Gewissen wegen meines Freundes hatte, konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, seinen Kuss zu erwidern. Es war wie ein Traum, mit diesem hübschen Australier im Mondschein am Meer zu sitzen. Solche Momente sind selten, dachte ich und ergab mich meinen Gefühlen.

Wir küssten uns an diesem Abend noch lange. Dann lagen wir eng umschlungen am Strand, bis wir so müde waren, dass wir uns auf den Heimweg machten. Hand in Hand und total verliebt liefen wir zum Hostel zurück, wo Gavin in seinen Schlafraum ging und ich in meinen. Ein paar Küsse, ein paar Zärtlichkeiten, eine endlose Umarmung – mehr war an diesem Abend nicht passiert. Mir war das recht. Ich wollte unsere Freundschaft nicht in eine billige Liebesaffäre verwandeln, und ihm schien es gleich zu gehen. Er war in keiner Weise aufdringlich. Ich fand das schön. Das war ich nicht von allen Männern gewohnt.

Unsere Woche in Byron Bay ging viel zu schnell vorbei, und bald war es Zeit für mich, heimzufliegen. Gavin fuhr mich zum Flughafen, und obwohl er absolut nicht in mein Leben passte, brach es mir fast das Herz, mich von ihm zu verabschieden. Nach einer letzten Umarmung war es dann so weit. Bevor ich durch den Zoll ging, lächelte ich ihm unter Tränen noch einmal zu und sah ihn winken, dann drehte er sich um und verschwand in der Menge. Während des Flugs versuchte ich mir klarzumachen, dass meine Hoffnung auf eine echte, tiefe Beziehung mit meinem grünäugigen Australier total unrealistisch war. Aber bald einmal gab ich auf, mich gegen meine Gefühle zu wehren, schloss die Augen und durchlebte in Gedanken noch einmal die wunderschöne Zeit mit Gavin.

Später in der Schweiz versuchte ich, den hübschen, aufmerksamen, seltsam distanzierten Mann mit den ungewöhnlichen Augen erneut zu vergessen, aber es gelang mir nicht. Da sich meine Gedanken nur noch um meine Ferienliebe drehten, beschloss ich eines Tages, die Beziehung mit meinem Freund zu beenden. Gavin schrieb mir mindestens drei Briefe in der Woche, deren Inhalt mich tief berührte. Überrascht stellte ich fest, dass er seine Gefühle schriftlich viel besser ausdrücken konnte als mündlich. Ich hatte bis dahin keine Ahnung gehabt, wie viel ich ihm bedeutete.

»Ob du gesund bist oder krank, fröhlich oder traurig, wach bist oder schläfst, allein bist oder mit Freunden – ich werde immer für Dich da sein und Dir Liebe und Sicherheit geben.« Nie zuvor hatte ich solch wunderschöne Liebesbriefe erhalten. Mithilfe meines Wörterbuchs antwortete ich, und durch den regen Briefwechsel gelang es uns, unsere Beziehung aufrechtzuerhalten. Eines Tages schrieb Gavin, er habe jetzt genug Geld beisammen und könne für drei Monate in die Schweiz kommen. Ich freute mich unheimlich. Am 2. Juli 1987, zweieinhalb Monate nach unserer ersten Begegnung, holte ich meinen Traummann vom Flugplatz ab.

Allein zu zweit

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