Читать книгу Aufgespürt - Katrin Fölck - Страница 5
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ОглавлениеNach getaner Arbeit lassen wir den Tag in unserem Lieblingsklub ausklingen.
Ich spüre meine Blase schon eine geraume Weile. Ihr Völlegefühl kann ich nicht mehr lange ignorieren. Alle Anderen scheinen mehr zu vertragen als ich oder hatten sich wahrscheinlich schon vor mir erleichtert.
Ich erhebe mich. Stick blickt mich fragend an. „Ich muss pinkeln.“
Ich schaue kurz in die Runde.
Mir fällt auf, dass Dexter schon eine ganze Weile verschwunden ist, und ich mache mich auf den Weg zu den Toiletten.
Im schummrigen Licht des Klubs sehe ich, wie einige mit dem Finger auf mich zeigen und höre sie hinter mir noch tuscheln. „Ist das nicht…?“ Doch das ist nichts Ungewöhnliches.
Als ich endlich bei den Toiletten angekommen bin, stelle ich mich ans Pissbecken und knöpfe mir meine Jeans auf.
Ich empfinde Erleichterung, als der warme Strahl sich ins Becken ergießt und lausche dem Plätschern nach.
Als ich mir die Hände wasche und im Spiegel die Haare richte, vernehme ich ein Wimmern.
Und dann ein Schluchzen, wieder gefolgt von einem Wimmern.
Wo kommt das her?
Ich blicke hinüber zu den Toiletten. Eine der Türen ist nicht geschlossen und ich kann halb hinein sehen. Ich sehe einen Schuh an einem Fuß an einer Jeans. Da scheint jemand auf dem Boden zu sitzen oder zu liegen.
Ich gehe näher und versuche, die Tür aufzustoßen, sie bewegt sich, aber nur bis zu dem Bein. An dem bekommt sie neuen Schwung und kommt wieder zurück.
Ich höre mich sagen: „Hallo? Ist alles in Ordnung da drin?“
Nichts passiert.
„Brauchen Sie vielleicht Hilfe?“
Keine Antwort.
Ich schiebe die Tür wieder einen Spalt auf und blicke um die Ecke.
Ich hatte weder vor, nach Dexter zu suchen, geschweige denn erwartet, ihn jetzt hier auf dieser Toilette vorzufinden und ganz und gar nicht in diesem Mitleid erregenden Zustand.
Ich brauche einen Moment, um die Situation zu erfassen.
Was ich sehe, verschlägt mir den Atem.
Dexter kauert zusammengesunken auf dem Fliesenboden und heult wie ein Schlosshund. Seine Augen sind rot. Unaufhörlich rinnen Tränen aus ihnen, und Rotz läuft ihm aus der Nase.
Ich bin völlig überfordert, weiß nicht, was ich sagen soll.
Er scheint so verloren. Wirkt unheimlich hilflos. So verletzlich.
Es ist ein Anblick des Jammers.
Ich stehe einfach da und starre ihn an.
Was war der Grund für seinen Zusammenbruch? Hatte er Liebeskummer? Schulden? Wieso war er so fertig?
In dem Moment wird mir klar, dass ich so gar nichts von ihm oder über ihn weiß. Wie kann ich ihm dann helfen?
Das schockiert mich.
Seit wann bin ich so oberflächlich? So gleichgültig? Wann bin ich so geworden? Wann habe ich mich verändert?
Auf einmal scheint Leben in ihn zu fahren, er rafft sich auf und beugt sich übers Klobecken, bevor er sich in einem Schwall in selbiges übergibt.
Ich weiche einen Schritt zurück. Mir ist nicht klar, ob es des Geruchs oder der Erkenntnis wegen ist, dass ich gerade seine Privatsphäre verletze.
Als er mich bemerkt, sagt er in völlig gleich bleibendem Ton, ohne auch nur eine einzige Silbe zu betonen: „Mir ist bloß schlecht. Hab wohl zu viel getrunken…“
Das ist alles.
Kein Geständnis. Kein weiterer Kommentar. Keine Erklärung für seinen Zusammenbruch.
Unschlüssig warte ich noch eine Weile, bis er von selbst rauskommt.
„Geht’s wieder?“, frage ich.
„ Ja. Komm gleich. Nur noch etwas frisch machen“, nuschelt er mir zu.
„Geh schon mal vor zu den anderen, nicht dass die sich noch Gedanken machen…“
„Geht klar.“, sage ich, schiebe meine Fäuste in die Hosentaschen und versuche, total cool zu wirken, während ich zurück an unseren Tisch schlendere, so, als wäre nichts gewesen.
Und dann weiß ich, was es ist, was mich so beunruhigt. Nicht, dass er sich heimlich an diesen Ort zurückgezogen hatte, um zu heulen. Nein, diese eigenartige Kälte in seiner Stimme und diese unheimliche Leere in seinen Augen. Das war es, was mir richtig Angst machte.
Zu diesem Zeitpunkt war mir noch nicht klar, dass er Hilfe gebraucht hätte. Von einem Freund. Vielleicht sogar meine.
Ich habe ihn später nie wieder so gesehen und mir schön geredet, was ich an diesem Abend in unserem Klub zu sehen bekam, war wirklich nur dem vielen Alkohol geschuldet.
Jeder hatte schließlich mal ein Tief.
Andererseits kann ich mich der Tatsache nicht verschließen, dass er in letzter Zeit ziemlich viel an Gewicht verloren hat und immer irgendwie zu blass ist. Im Gegensatz dazu ist er jedoch stets aufgekratzt oder wie aufgezogen.
Manchmal, wenn er sich unbeobachtet wähnt, ist es, als komme einen kleinen Moment sein wahres Ich zum Vorschein. Dann scheint er der Welt unendlich fern, entrückt, in sich selbst gefangen. Sein Lachen aufgesetzt.
Ich habe dabei oft das Gefühl, er hat keinen Spaß mehr daran, mit uns Musik zu machen.
Demgegenüber sind wir alle irgendwann mal müde, erschöpft, ausgebrannt, was ja kein Wunder ist bei dem Stress.
Auch aus diesem Grund gehe ich dem nicht weiter nach.
Wir machen weiter wie bisher.
Unser Leben kann nicht besser sein.
Wir werden umschwärmt: Unsere Downloads und CD-Verkäufe laufen prächtig.
Radio- und Fernsehstationen wollen uns interviewen, die Hochglanzmagazine verlangen Homestories von uns über die verrückten Sachen, die wir angeblich so machen.
Die Mädels liegen uns zu Füßen.
Wir verdienen viel Geld, fliegen um die Welt, geben Konzerte.
Und immer wieder Alkohol, Drogen, Partys.