Читать книгу Seawalkers (2). Rettung für Shari - Катя Брандис - Страница 9

Оглавление

Ein Referat und ein Zwischenfall

Am nächsten Tag schlief Jasper als Gürteltier unter seinem Bett, halb in einem seiner Erdhaufen vergraben, und ließ sich nicht mal vom Wecker aus seinen Träumen reißen. War wohl spät geworden gestern. Weil noch recht viel Zeit war bis Unterrichtsbeginn, ließ ich ihn in Ruhe und ging allein zum Frühstück in die Cafeteria, wo bestimmt schon meine anderen Freunde warteten. Nach dem hässlichen Zwischenfall gestern Abend sehnte ich mich danach, bei Leuten zu sein, die mich mochten. Auf dem Weg sah ich, dass Miss White wie so oft am Morgen eine Runde laufen ging. Kurz blickte ich ihr nach, dann setzte ich mich zu meinen Freunden.

»Ist das nicht meerig, dass wir in Menschenkunde einen Stadtausflug machen werden? Ich war noch nie in der Stadt!« Es war Shari, die das sagte. Ihre braunen Augen leuchteten vor Begeisterung und ihre blonden Locken waren noch ein bisschen feucht, weil sie die Nacht als Großer Tümmler im Meer verbracht hatte. Mein Herz schmolz jedes Mal, wenn ich sie so sah, aber ich ließ es mir natürlich nie anmerken.

»Bist du dir sicher, dass du das schaffst?«, fragte ich stattdessen und kam damit Noah – einem Schwarzdelfin aus Neuseeland – knapp zuvor. Falls ich seinen skeptischen Blick und die Art, wie er gerade den Mund aufmachte, richtig interpretierte.

»Klar, wieso nicht?«, sagte Shari sofort. Sie blickte auf diese Art unternehmungslustig drein, vor der ich ein bisschen Angst hatte, weil sie nicht selten zu Ereignissen führte, die a) riskant und b) verboten waren.

»Weil ein Delfin nicht in die Stadt gehört?«, fragte Noah. »Oder weil Verwandlung nicht so dein Lieblingsfach ist?«

»Ach, stell dich doch nicht so an«, sagte Blue, das zweite Delfinmädchen an der Schule. Sie hatte sich möglichst weit von mir weggesetzt, weil sie immer noch Angst vor mir hatte. Dadurch saß sie neben Noah und konnte ihn prima in die Rippen knuffen. »Ich bin auch total neugierig auf Miami! Viele Menschen leben nun mal in Städten, wie sollen wir sie besser kennenlernen, wenn wir nicht hindürfen? Aber bist du sicher, Shari, dass du überhaupt mitdarfst?«

»Bestimmt. Meine Verwandlungen sind schon viel besser geworden.« Shari schlürfte lautstark eine Maracuja-Schorle. Erst vor Kurzem hatte sie Obstsäfte für sich entdeckt und probierte sich nun durch alles, was die Cafeteria zu bieten hatte.

»Wir sprechen bestimmt noch mal in Menschenkunde darüber, wer mitdarf«, meinte ich. »Vielleicht kann ich sogar Guide spielen, ich komme ja aus Miami.«

»Das wäre cool! Vielleicht darfst du uns dann zeigen, wo du wohnst.« Shari strahlte mich an.

Ich schaffte nur ein schwaches Antwortlächeln, denn mein Herz fühlte sich an, als hätte jemand es mit einer dicken Schicht Blei umhüllt. Soweit wir wussten, war es Ellas Mutter Lydia Lennox gewesen, die dafür gesorgt hatte, dass es außer dieser Schule kein »Zuhause« mehr für mich gab. Onkel Johnny und ich waren aus unserem Apartment geworfen worden und Johnny wohnte bei einer alten Freundin, solange er keine neue Wohnung für uns gefunden hatte. Ich hatte keine Ahnung, ob ich dort auch willkommen war.

Von den Delfinen wusste das mit unserer Wohnung keiner, sie merkten nichts davon, wie mir zumute war, und zogen lachend und schwatzend ab.

»Bis später, Tiago«, meinte Shari.

Ich winkte ihr zu und blieb sitzen, um auf Jasper zu warten. Ah, da kam er schon, ein kleiner, etwas molliger Junge mit Brille. Er sah noch immer nicht richtig wach aus, als er durchs knietiefe Wasser der Cafeteria zum Frühstücksbuffet watete.

»Schnell, los, beeil dich!«, feuerte ich ihn an, denn schon kam unser Koch und Hausmeister Joshua, um die Reste abzuräumen. Darin war er leider richtig gut, mehr als dreißig Sekunden brauchte er selten.

Jasper pflügte schneller durchs Wasser, er bekam sogar eine Bugwelle hin. Aber ich sah, dass es trotzdem nicht reichen würde. »Buffet geschlossen«, verkündete unser Koch, drei Sekunden bevor sein letzter Kunde ankam.

»Aber Sie haben noch gar nicht abgeräumt«, wagte Jasper einzuwenden und schaffte es, an Joshua vorbeizuwitschen und eine Portion Rührei und Bacon auf seinen Teller zu befördern.

»Das liegt daran, dass ich gerade dabei bin«, brummte unser Koch. Er teilverwandelte seine Arme – als Krake hatte er acht davon – und packte damit Käse- und Wurstplatten, Joghurts und Brotkörbe. Mit dem Mut der Verzweiflung stürzte sich Jasper auf die Platte mit Lachsbagels, bevor ein Fangarm sie ihm vor der Nase wegziehen konnte. Na also, ging doch!

Triumphierend zeigte mir Jasper seinen erbeuteten Bagel, als er in das zum Tisch umgebaute rot-weiße Boot kletterte, und biss ein Stück ab, während er mit der anderen Hand seinen Teller abstellte. »Wieso hast du mich nicht geweckt? Nächstes Mal könntest du mich ruhig wecken, damit ich nicht zu spät komme.«

»Okay, mach ich«, versprach ich ihm.

Wir zuckten beide zusammen, als sich jemand an unsere Bordwand lehnte.

»Hi, ihr beiden!«, sagte Shari. »Du hast so seltsam geschaut, als wir eben gegangen sind, Tiago. Alles in Ordnung?«

Mir wurde warm ums Herz. Sie war zurückgekommen – wegen mir. »Ja. Nein. Nicht wirklich.«

Ich erzählte ihr und Jasper, was ich gestern Abend mit Ella erlebt hatte, und die beiden verzogen die Gesichter. Leider hatten wir keine Zeit, länger darüber zu reden, denn in fünf Minuten fing der Unterricht an.

Montags hatten wir als erste Stunde Mathe bei Mr García, einem der strengsten Lehrer der Schule. Obwohl er sehr nett sein konnte und ich ihm und dem Pumajungen Carag mein Rats-Stipendium verdankte, hatte ich immer noch eine Scheu vor ihm. Ich machte einen Bogen um ihn, wenn er nach der Schule am Bootshaus an seinem blauen Kleintransporter oder dem Schnellboot der Schule herumbastelte. Doch diesmal konnte ich ihm nicht ausweichen, er fing mich vor dem Klassenzimmer ab und signalisierte mir, ein paar Schritte zur Seite zu geben. Das fühlte sich ungefähr so gut an, wie von der Polizei an den Randstreifen gewinkt zu werden.

»Guten Morgen, Tiago«, begann er. »Sag mal … du warst mehrere Tage lang mit Shari auf dieser Lernexpedition in den Everglades-Sümpfen. Wie ist sie da deinem Eindruck nach mit ihren Verwandlungen zurechtgekommen?«

Mir war sofort klar, was das bedeutete. Und dass ich jetzt ein Problem hatte. Wenn ich die Wahrheit sagte und erzählte, dass Shari als Mädchen auf einen Baum geklettert und dann als Delfin von einem Ast gefallen war, dann war’s das mit ihrem Stadtausflug, auf den sie sich so freute. Wenn ich schwindelte und sagte, dass alles prima gelaufen war, dann war das ebenso mies. Dann war ich vielleicht dafür verantwortlich, wenn bei diesem Ausflug etwas schiefging.

Ich atmete tief durch und dachte an Sharis strahlende Augen, als sie mir heute Morgen von dem Trip nach Miami erzählt hatte. Dann antwortete ich: »Äh … es … es war natürlich nicht einfach für sie, aber sie hat sich ganz gut geschlagen.«

»Okay, danke«, sagte Mr García.

Erleichtert flüchtete ich ins Klassenzimmer und hatte in den nächsten Stunden nicht viel Zeit zum Nachdenken, weil wir nach Mathe gleich Sei dein Tier bei Miss White hatten. Wir erfuhren jede Menge Dinge über Seekühe wie Mara, die gerade als rundliches Mädchen mit langen blonden Haaren und freundlichen honigbraunen Augen neben ihrer besten Freundin Juna saß. Zum Beispiel erfuhren wir, dass sie in zweiter Gestalt nicht mit Walen, sondern mit Elefanten verwandt waren, am Grund von Gewässern Seegras abweideten wie – äh, ja –, wie Kühe eben und in Florida das Problem hatten, dass ihnen Schiffsschrauben den Rücken aufschlitzten.

»Das ist so schlimm! Einer Tante von mir ist das passiert. Können die Leute nicht vorsichtiger fahren?« Mara weinte fast.

»Könnt ihr nicht einfach aus dem Weg schwimmen?« Ella verdrehte die Augen. Wie Mara trug sie einen Minirock – der war praktisch in einem kniehoch gefluteten Klassenzimmer –, aber ihr Outfit und Styling wirkten, als hätte sie sich für ein Fotoshooting zurechtgemacht und nicht für eine Lektion im Tiersein.

»Ja, eigentlich schon, aber …«, begann Mara.

»Das ist doch wirklich keine Kunst, so ein Boot hört man unter Wasser, wenn es noch eine Meile entfernt ist!« Ella deutete auf ihre Ohren.

»Genau!« Barry, ihr treuer Bewunderer mit Zweitgestalt Barrakuda, war wie immer ihrer Meinung – und der rothaarige Alligator-Wandler Toco sowieso.

»Wir können nicht schnell genug schwimmen, um den Booten auszuweichen.« Ein bisschen hilflos blickte Mara die drei an.

Ich hatte genug. »Kapierst du nicht, wie daneben das ist?«, fragte ich Ella Lennox.

Shari fügte hinzu: »Das ist so, als würde dir jemand als Python vorwerfen, dass du keine Beine und zu viele Hautflecken hast!«

Ein paar Leute aus der Klasse mussten lachen. Blue hatte ein süßes, fiependes Lachen, Finny dagegen – unser Teufelsrochenmädchen – klang wie eine Dampflok.

Auch Ellas Kumpels kicherten los, doch sie hörten schnell wieder damit auf, als sie den bitterbösen Blick sahen, den Ella mir und Shari zuwarf. »Natürlich haben Schlangen keine Beine, das sieht man ja.« Ihre Stimme war kalt. »Wer so blöd ist, so was zu sagen, lebt in den Sümpfen nicht lange.«

Na super, Tiago. Kaum ein paar Stunden, nachdem Ella wegen mir auf den Bootssteg gekracht war, hatte ich schon wieder voll ins Schwarze getroffen. Ich fragte mich, was ihre Mutter mir diesmal antun würde. Das letzte Mal wäre ich ihretwegen beinahe von der Schule geflogen und hatte mein Zuhause in Miami verloren. Einerseits war ich stolz darauf, dass Shari sich ebenfalls eingemischt hatte, andererseits bekam ich nun auch Angst um sie.

»Schluss jetzt«, unterbrach uns Miss White ärgerlich. »Dürfte ich dich an die Schulregeln erinnern, Ella? Jeder respektiert die Besonderheit der anderen, weißt du noch?«

Ella nickte mit genervter Miene und hielt dann zum Glück den Mund. Vor Miss White hatten alle an der Schule Respekt, selbst diejenigen, die sonst mit Begeisterung Ärger machten.

Die kleine, uralte Mrs Pelagius hatte es da schon schwerer. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie sie unsere Klasse ruhig halten wollte, wenn all die prolligen Alligator- und Python-Wandler, die Ella bei unserer Sumpfexpedition eingeladen hatte, wirklich zu uns an die Blue Reef Highschool kamen. Aber in den letzten Tagen war niemand eingetroffen – hofften wir mal, dass das so blieb!

Ella, Barry und Toco wirkten tödlich gelangweilt, als unsere Lehrerin für Gewässerkunde, Geografie, Geschichte und Musik jemanden aus der Klasse bat, einen Stapel Zettel zu verteilen, und ankündigte: So, heute bekommt ihr die Themen für eure Gewässerkunde-Referate am Donnerstag nächste Woche. Sprecht euch bitte mit euren Partnern ab und bereitet euch gründlich vor, die Referatnote zählt doppelt so viel wie eine mündliche Note.

Die Pantherin Noemi, die als Tier aufgewachsen war, brauchte ein paar Momente, um ihren Zettel zu entziffern. Sie bekam von ihrer Tutorin Shelby, einer Zweitjahresschülerin und Seeschwalbe, Nachhilfe im Lesen und Schreiben, damit sie besser in der Klasse mitkam.

Oh, das ist praktisch, ich soll ein Referat über das Wasser in den Everglades halten, sagte Noemi erfreut. Schließlich war ich dort ganz schön lang vermisst!

Ich musste lächeln. Dass sie dieses Thema bekommen hatte, war bestimmt kein Zufall. Auch die anderen wirkten halbwegs zufrieden – wie ich mitbekam, sollten die Delfine etwas über Plastikmüll im Ozean vortragen und unsere Falterfisch-Klassensprecherin Juna zusammen mit Barry etwas über Fischschwärme. Nur Olivia, das Doktorfischmädchen, wirkte unzufrieden. »Plankton? Das ist ein total langweiliges Thema! Kann ich kein anderes haben?«

Nein, kannst du nicht, kam sofort zur Antwort und Olivia seufzte.

In meiner alten Schule war das mit den Referaten so abgelaufen, dass einer sich ein paar Infos aus dem Internet zog, dann vorne stand und mit gesenktem Kopf etwas von seinem Notizzettel ablas. Üblicherweise konnte es derjenige kaum erwarten, bis er wieder auf seinen Platz zurückwieseln durfte. Aber das hier war keine normale Schule, sondern ein geheimes Internat für Gestaltwandler, und ich hatte keine Ahnung, was es bedeutete, hier ein Referat zu halten. Ich wusste nur, dass mir nicht wohl zumute war, als Mrs Pelagius mir den wasserfesten Zettel mit meinem Referatsthema und meinen Partnern gab. Die anderen schauten nur kurz auf ihren Zettel und machten sich dann auf den Weg in die Bibliothek, um Bücher zu ihrem Thema rauszusuchen. Aber ich stutzte, nachdem ich meinen Auftrag gelesen hatte. »Moment mal … ich soll … aber …«

Was aber?, fragte Mrs Pelagius, die sich als Meeresschildkröte vor mir im Wasser treiben ließ. Sie streckte ihren hornigen Kopf über die Oberfläche. Gefällt dir das Thema Korallenriffe nicht?


Ich zwang mich zu einem Lächeln. »Doch, doch, ich verstehe zwar nichts davon, aber das lässt sich ja ändern.«

Oder sagen dir deine Partner nicht zu?

»Doch, äh … aber Nox ist ein Fisch«, sagte ich hilflos.

Du in zweiter Gestalt auch, wandte Mrs Pelagius ein. »Ja, aber er lebt als Fisch … in einem Aquarium«, versuchte ich zu argumentieren. »Und Chris … na ja, Sie wissen schon.«


Kalifornische Seelöwen sind manchmal ein bisschen unberechenbar, sagte Nola Pelagius un-

gerührt. Aber ihr kommt bestimmt miteinander klar.

Ich gab auf. »Bestimmt«, antwortete ich.

Draußen gab es irgendeinen Aufruhr. Mrs Pelagius wandte ihren hornigen Kopf und auch ich wollte wissen, was dort passierte, also machten wir uns auf den Weg dorthin. Ein Junge und eine Meeresschildkröte, die in der trockenen Eingangshalle mühsam vorankroch.

Völlig aufgelöst, stand Shelby, die zierliche Seeschwalben-Wandlerin aus dem zweiten Schuljahr, in der Eingangshalle und sprach, umringt von ein paar anderen Schülern, mit unserer Schulsekretärin. »Sie müssen schnell das Krankenzimmer bereit machen! Auf unserem Biologieausflug ist was passiert. Ich bin schon vorausgeflogen, die anderen kommen bald nach … und ich fürchte, ein paar von ihnen geht es nicht besonders gut.«

Seawalkers (2). Rettung für Shari

Подняться наверх