Читать книгу Feuerblüte III - Катя Брандис - Страница 3
Abschied von Gilmor
ОглавлениеEinen frisch verliebten Vater zu haben, war ein eigenartiges Gefühl. Alena gönnte ihm sein Glück und freute sich, dass Tavian so viel heiterer wirkte als sonst. Doch manchmal musste sie all ihre Geduld aufbringen, um den ungewohnten Alltag in Gilmor hinzunehmen. In der Schmiede durfte Tavians neue Gefährtin Sukie jeden Tag die Glut in der Esse entzünden, was in der Feuer-Gilde eine hohe Ehre für einen Gast war, tagsüber umarmten und küssten sie und Tavian sich ständig, und abends wurden der Reihe nach Sukies Lieblingsgerichte gekocht. Eigentlich war das alles nur erträglich, weil Alena inzwischen wusste, wie sich so was anfühlte. Sie musste auch ständig an Jorak denken und hätte am liebsten jeden Tag mit ihm verbracht. Was leider nicht immer möglich war – heute hatte ihr Vater ihn zum Beispiel zum nächsten Handelsposten mitgenommen.
„Kann es sein, dass Liebe so eine Art vorübergehende Geistesstörung ist?“, fragte Alena ihren besten Freund Cchraskar. Vielleicht war ein Iltismensch für solche Fragen nicht der beste Ansprechpartner, aber andere waren gerade nicht in Sicht.
„Sssieht fast so aus, fast“, maunzte Cchraskar amüsiert. „Du und Jorak, ihr tut ja so, als wolltet ihr euccch auffressen. Das kann nicht normal sein!“
„Ach, was weißt du schon“, grinste Alena, zog eine Schutzhaube über die Augen und setzte mit dem Fußpedal den Schleifstein in Gang, um einem Kurzschwert den ersten Schliff zu verpassen. Sonnenhelle Funken sprühten auf und erhellten die Schmiede einen Moment lang. Es war dunkel und warm und gemütlich hier, nur die heiße Glut der Kohlen erleuchtete die beiden Ambosse und die geschwärzten Wände, an denen Zangen, Hämmer und andere Werkzeuge hingen.
„Kann ich dir irgendwie helfen?“, fragte eine helle Stimme hinter ihr. Sukie!
Alena setzte das Schwert ab und blickte auf.
Zum Glück war Sukie wenigstens nett. Sie war erst zweiundzwanzig Winter alt, hatte heitere, rauchgraue Augen und rote Locken. So recht hatte Alena immer noch nicht verstanden, was sie mit einem Mann wie ihrem Vater wollte, einem Witwer, der doppelt so alt war wie sie und der als ehemalige rechte Hand des Propheten des Phönix den schlechtesten Ruf von ganz Tassos hatte. Musste wohl etwas mit der vorübergehenden Geistesstörung zu tun haben.
„Du könntest mir ein paar Klingen härten“, schlug Alena vor und deutete mit dem Kinn auf zwei fertig geformte Rohlinge. „Weißt du, wie das geht? Du erhitzt das Metall stark und gleichmäßig, dann löschst du es in dem Eimer mit Öl da hinten ab.“
„Mach ich gerne.“ Sukie legte die beiden Klingen in die Esse und murmelte eine Formel. Hell loderten die Flammen auf, fast eifrig gehorchten sie ihrem Befehl. Schon nach wenigen Atemzügen glühte das Metall im richtigen hellgelben Farbton. Mit der bloßen Hand nahm Sukie die Schwerter und trug sie zum Eimer. Zischend stieg Dampf auf, als die Klingen eintauchten.
Alena beobachtete Sukie fasziniert. Rostfraß, auch wenn sie selbst ebenfalls zur Feuer-Gilde gehörte, wäre ihr eine fette Brandwunde sicher gewesen, wenn sie das ohne Handschuhe und Zangen gemacht hätte! Eine so enge Beziehung zum Feuer wie Sukie hätte Alena auch gerne gehabt. Eine Waffe zu tragen wie alle anderen Menschen der Feuer-Gilde hatte sie nicht nötig. Wenn jemand Sukie dumm kam, röstete sie ihn wahrscheinlich einfach mit einer Salve blauen Feuers.
Am Nachmittag kehrten ihr Vater Tavian und Jorak zurück, schwer beladen mit Rohstahl und Barren von Kupfer, Telvarium, Silber und Caradium. Alena und Sukie hasteten aus der schwarzen Eisenpyramide, in der sich Schmiede und Wohnräume befanden, nach draußen, um den beiden Männern beim Einräumen ins Lager zu helfen.
„Puh.“ Jorak setzte seine Ladung ab und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Das reicht bestimmt wieder für ein paar Wochen, oder?“
Alena konnte nicht anders, sie musste einfach zu ihm gehen und ihn küssen. Jorak zog sie in seine Arme, und momentelang vergaß Alena die Welt um sich herum und alle anderen Menschen darin. Als sie und Jorak sich wieder voneinander lösten, waren ihr Vater und Sukie dabei, die Barren zu sortieren, und Cchraskar grinste von Ohr zu Ohr. Seine Fangzähne kamen dabei blendend zur Geltung.
Alena zog ihm eine Grimasse und fragte Jorak: „Wie war´s beim Handelsposten?“
„Toll war, dass mir dein Vater eine Menge über Metalle beigebracht hat. Aber sonst ... schrecklich. Niemand hat mit mir gesprochen und sie haben den Kopf über deinen Vater geschüttelt, dass er sich mit jemandem wie mir abgibt.“ Jorak seufzte und griff sich ein Bündel Kupferstäbe, um sie ins Lager zu bringen. „Hätte ich mit dem Händler – einem Kerl aus der Luft-Gilde – reden dürfen, hätte ich sicher einen besseren Preis für uns raushandeln können.“
Weil man normalerweise wegen eines schweren Verbrechens seine Mitgliedschaft in einer der vier Gilden verlor, wurden Gildenlose in Daresh behandelt wie Dreck. Die Leute konnten nicht wissen, dass Jorak aus einem anderen Grund gildenlos war. Trotzdem machte die Art, wie die Menschen mit ihm umgingen, Alena wütend. „Das ist bitter. Du kannst es wahrscheinlich kaum noch erwarten, nach Ekaterin zurückzukommen, was? Da hast du wenigstens Freunde.“
„Ja.“ Jorak blickte sie an. „Kommst du mit?“
Eine Woge tiefen Glücks stieg in Alena auf. Sie nahm sich einen Moment lang Zeit, Jorak einfach nur anzusehen. Sein schmales Gesicht mit den intelligenten grünbraunen Augen, seine dunkelbraunen Haare, die er sich selbst mehr schlecht als recht schnitt, seine einfache Tunika, die von einem Ledergürtel zusammengehalten wurde. Auf der Straße hätte niemand ihm einen zweiten Blick gegönnt. Und doch war er einzigartig, ein ganz besonderer Mensch.
„Ja, ich komme mit“, sagte Alena ernst, fast ein wenig feierlich.
„Mit mir reden sie auch nicht – zumindest hier in Gilmor“, bemerkte Sukie mit einem schiefen Lächeln. „Die Leute glotzen mich entweder an oder schauen schnell weg, wenn ich vorbeigehe. Ich bin eben die seltsame Fremde ...“
„Mach dir nichts draus, das wird schon noch“, sagte Alena und schnappte sich ein halbes Dutzend Iridium-Stahl-Stäbe, aus denen einmal kostbare Meisterschwerter entstehen würden. „So ist es eben in Dörfern. Ich wüsste nur zu gerne, was die Leute hier anfangen würden, wenn sie mich und meinen Vater nicht hätten, um sich über uns aufzuregen.“
„Wahrscheinlicch würden sie darüber diskutieren, wer sicch die schöneren Popel aus der Nase holt“, meinte Cchraskar und kratzte sich mit einer Pfotenhand hinter dem pelzigen Ohr.
Ihr Vater war aus dem Lager zurückgekehrt und hatte die letzten Sätze gehört. Er trug wie so oft die traditionelle schwarze Tracht der Feuer-Gilde, in der lockeren, aufrechten Haltung des erfahrenen Schwertkämpfers stand er da. „Wir sollten uns nichts vormachen“, sagte er und verschränkte die Arme. „Sukie und Jorak werden hier nie akzeptiert. Deshalb habe ich gestern mit Palek gesprochen. Er wäre daran interessiert, die Schmiede zu kaufen. Damit wäre der Weg frei, anderswo hinzuziehen. In eine größere Stadt, zum Beispiel nach Carradan. Was hältst du davon, Alena?“
Alena blieb vor Schreck beinahe der Mund offen stehen. Ihr Vater verkaufte ihr Zuhause, nach so vielen Wintern in Gilmor? Hier hatte sie mit Schwert, Hammer und Amboss umgehen gelernt, ihren allerersten Kuss bekommen, Gedichte geschrieben, im Phönixwäldchen ihren Tagträumen nachgehangen.
Das waren die guten Erinnerungen. Aber es gab auch schlechte. Den Streit mit vielen Nachbarn und Zarkos Bande, die Einsamkeit, die Langweile an einem Ort, in dem nie etwas zu geschehen schien. Ja, eigentlich hatte sie wegziehen wollen und keine große Lust gehabt, die Schmiede zu übernehmen. Und das wusste ihr Vater. Was wehtat, war, dass er sie erst jetzt in seine Pläne einweihte. Interessiert er sich überhaupt dafür, was ich darüber denke, wie ich mich fühle?, fragte sich Alena bitter. Oder dreht sich jetzt wirklich alles nur noch um seine neue Geliebte?
„Ich werde mal darüber nachdenken“, sagte sie und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, was ihr durch den Kopf ging. „Carradan ist schon etwas ganz anderes als Gilmor ... aber für Sukie wäre es natürlich viel besser, dorthin zu ziehen ...“
„Es tut mir leid, dass das alles jetzt so schnell geht – wir haben erst gestern Abend darüber gesprochen“, meinte Sukie mit einem entschuldigenden Blick zu Alena. „Ist nicht leicht, auf einmal eine Stiefmutter zu haben, was?“
Stiefmutter. Das Wort brannte in Alena. Sie hatte noch nie so über Sukie gedacht, und alles in ihr sträubte sich dagegen, es jetzt zu tun. Was bildete sich diese Frau eigentlich ein?
„Du könntest meine Mutter sowieso nie ersetzen“, sagte Alena mit spröder Stimme. Sie legte die Stahlstäbe wieder hin, drehte sich um und ging weg. Sie wollte jetzt nicht mit Sukie reden, nicht mit ihrem Vater, mit niemandem.
Instinktiv schlug sie den Weg zum Phönixwald ein, ihrem Lieblingsplatz. Doch sie hatte Pech. Ein Lehrlingsmädchen im Dorf, mit dem sie mal befreundet gewesen war, sah sie und fing sie ab.
„Sag mal, Alena – stimmt es, dass dieser Gildenlose dein Freund ist? Dass ihr zusammen seid und er sogar bei euch übernachten darf?“ Marvy sah gleichzeitig angeekelt und fasziniert aus. Ihre Stupsnase zuckte leicht und ihre Augen unter dem mausbraunen Haarschopf blickten fast schon gierig.
„Ja, es stimmt“, sagte Alena knapp. Wahrscheinlich würde Marvy als Nächstes fragen, ob es nicht unerträglich widerlich war, einen Ausgestoßenen zu küssen. Dabei war Alena sich ziemlich sicher, dass Marvy noch nie einen Jungen geküsst hatte und sowieso nicht beurteilen konnte, wie sich das anfühlte.
Alena wusste, dass ihr Vater damit, einen Gildenlosen zu beherbergen, ein großes Risiko einging. Sie war dankbar, dass er darüber nie ein Wort verlor. Bisher hatte noch niemand im Dorf sie beim Rat der Gilde angeschwärzt, und Alena hoffte, es möge auch so bleiben. Trotzdem schaffte sie nicht, richtig freundlich zu Marvy zu sein. „Ich muss los“, sagte sie nur, winkte Marvy zum Abschied zu und beschleunigte ihre Schritte, bis das Mädchen endlich aufgab und zum Dorf zurücktrottete. Endlich allein! Nur sie und die kargen schwarzen Silhouetten der Phönixbäume, die vor ihr aufragten.
Doch überrascht sah sie, dass an ihrem Lieblingsplatz schon jemand auf sie wartete. Cchraskar und Jorak! Die beiden hatten geahnt, wohin sie flüchten würde. Alena setzte sich zu ihnen und Jorak legte wortlos den Arm um sie. Es tat gut, so gehalten zu werden, und Alena spürte, wie der Tumult in ihrem Inneren sich allmählich legte.
„Eigentlich ein bisschen albern“, sagte Alena und wischte sich kurz über die Augen. Vor Jorak konnte sie weinen, das wusste sie. Aber sie tat es trotzdem nicht gerne, es war noch zu tief in ihr verwurzelt, dass man als Mensch der Feuer-Gilde auf gar keinen Fall Tränen vergoss. „Ich war ja noch klein, als meine Mutter starb. Ich kann mich überhaupt nicht an sie erinnern. Trotzdem ist es ein komisches Gefühl, dass Pa jetzt eine andere Frau hat. Glaubst du, er wird Alix vergessen?“
„Das glaube ich nicht“, sagte Jorak und strich ihr sanft über die Wange und über die schulterlangen, glatten rotbraunen Haare. „Sie war schließlich seine große Liebe, oder? Aber er hat vierzehn Winter um sie getrauert und irgendwann geht das Leben weiter. Ich glaube, dein Vater war ein sehr einsamer Mensch, bevor er Sukie getroffen hat.“
Alena seufzte tief. Sie war auch einsam gewesen, bevor sie Jorak richtig kennengelernt hatte. „Weißt du, was besonders schlimm ist? Dass ich nichts mehr habe, was mich an sie erinnert. Mein Umhang, der mal ihr gehört hat, ist mir ja in Rhiannon verlorengegangen.“
Sie hatten das eigenartige Reich Rhiannon bei ihrer gefährlichen Reise über die Grenzen von Daresh hinaus gefunden – seit die magische Grenze wieder belebt war, gab es keine Möglichkeit, dorthin zurückzukehren. Selbst, wenn sie das gewollt hätten.
„Deswegen musst du deine Mutter nicht aufgeben“, sagte Jorak. „Du könntest versuchen ihr näher zu kommen, sie wiederzuentdecken ...“
Was für eine seltsame Bemerkung. Wiederentdecken. Wie sollte das gehen bei jemandem, der längst tot war? Doch Alena fragte nicht nach. Vielleicht war das etwas, was sie selbst herausfinden musste. Sie spürte, wie die Trauer in ihr etwas von ihrer Schwere verlor. „Ich glaube, das hätte ich schon viel früher tun sollen. Hoffentlich ist es noch nicht zu spät dafür.“
Daran, dass es auch riskant sein könnte, dachte sie nicht.
Es war seltsam. Schon auf dem Rückweg zur Schmiede spürte Alena, dass sie dabei war, sich von Gilmor zu lösen. Die anderen Pyramiden des Dorfes, die Schänke, der große Versammlungsplatz, die Menschen, die sie im Vorbeigehen grüßten – das alles hatte nicht mehr wirklich etwas mit ihr zu tun, sie betrachtete es wie aus weiter Entfernung. Eigentlich habe ich mich schon entschieden, dachte Alena.
An diesem Abend wartete sie, bis ihr Vater eine Pause bei der Arbeit einlegte, und setzte sich dann neben ihn. „Ich bin einverstanden, dass du die Schmiede verkaufst.“
„Das ist gut“, sagte er, legte Alena den Arm um die Schultern und drückte sie kurz. „Glaub mir, der Abschied fällt mir auch nicht ganz leicht.“ Nur selten zeigte ihr Vater seine Freude so offen. Alena war nachträglich froh, dass sie ihm seine Pläne, die ihm so viel bedeuteten, nicht verdorben hatte.
„Ich muss nur noch ein paar Aufträge abschließen, hilfst du mir, die restlichen Schwerter zu schleifen?“, fuhr Tavian fort. „Und es gibt viel zusammenzupacken.“
„Natürlich helfen wir. Jorak ist gut im Packen, weil er schon viele Expeditionen vorbereitet hat.“
Doch Jorak musste schneller abreisen, als er gedacht hatte – am nächsten Tag kam eine Botschaft für ihn aus Ekaterin. Sein Kompagnon und bester Freund Kerrik würde schon in einer Woche zu einer längeren Expedition in den Lixantha-Dschungel aufbrechen, und vorher galt es noch einiges zu erledigen und zu planen.
Der Abschied fiel Alena furchtbar schwer. „Ich komme nach, sobald ich kann“, versprach sie. Doch das konnte noch ein paar Tage dauern – schließlich musste sie helfen, den Umzug nach Carradan vorzubereiten.
Traurig machte sie auch, dass sie sich von Kilian und Jelica verabschieden musste. Im Laufe des letzten Winters waren die Geschwister gute Freunde geworden.
Kilian seufzte tief, als er die Neuigkeiten hörte. „Ich würden auch gerne nach Carradan ziehen“, sagte er. „Da ist wenigstens was los! Aber ich fürchte, wir gehen erstmal nirgendwo hin, bis wir selbst Meister sind.“
„Ganz schön gemein, dass du uns hier alleine in Gilmor zurücklässt.“ Jelica tat, als würde sie schmollen. „Nein, im Ernst, wir werden dich vermissen.“
„Ja, allerdings“, schob Kilian nach. „Aber irgendwie war mir immer klar, dass du nicht lange in diesem mickrigen Dorf bleiben würdest. Du passt einfach nicht hierher.“
„Kann sein“, sagte Alena. „Aber ihr werdet mir fehlen!“
In den nächsten Tagen war sie düsterer Stimmung, sie vermisste Jorak und es half auch nicht, dass Sukie und sie nun verkrampft und vorsichtig miteinander umgingen. Schade eigentlich, dachte Alena. Wir hätten Freundinnen werden können. Habe ich das jetzt kaputtgemacht? Sie hoffte fast darauf, dass Sukie wieder in die Schmiede kommen und ihr helfen würde, vielleicht konnte Alena sich dann ... entschuldigen oder so etwas. Oder sie könnten einfach Seite an Seite miteinander arbeiten, ab und zu etwas reden, bis alles wieder in Ordnung war. Doch Sukie kam nicht.
Nur einen Tag darauf nahm ihr Vater sie beiseite. „Vielleicht ist es besser, wenn du schon morgen reist.“
Alena spürte, wie sich alles in ihr zusammenzog. Was sollte das – wollte er lieber mit Sukie allein sein? Oder hatte Sukie sich über sie beklagt? Heiße Wut auf Sukie, auf ihren Vater, auf die Welt brodelte in ihr hoch. „Und warum, wenn ich fragen darf?“
Falls Tavian ihre Wut spürte, dann ließ er sich das nicht anmerken. Ruhig blickte er sie mit seinen goldgefleckten Augen an. „Ich habe ein schlechtes Gefühl bei dem Gedanken, dass Jorak wieder in Ekaterin ist.“
Verdutzt blickte Alena ihn an. Sie spürte, dass er die Wahrheit sagte – er war immer ehrlich, selbst wenn es wehtat. Doch diesmal tat es nicht weh, es überraschte sie nur. „Ein schlechtes Gefühl? Was meinst du damit?“
Ihr Vater hielt das kostbare juwelenbesetzte Schwert, an dem er gerade arbeitete, waagrecht und spähte die Klinge entlang. Der blanke Stahl glänzte im Licht des Feuers. „Schwer zu sagen. Ich kenne ihn ja noch nicht so lange.“ Er wandte sich wieder ihr zu. „Aber ich weiß, dass man nicht zurückgehen sollte an einen Ort, den man einmal gekannt oder geliebt hat. Das bringt nur Kummer und Gefahr.“
Alena runzelte die Stirn. „Ich fürchte, das musst du mir erklären.“
„Ich habe dir doch mal erzählt, dass ich Söldner geworden bin, um aus meinem Dorf wegzukommen“, begann ihr Vater zögernd zu erzählen und legte das Schwert beiseite. „Dabei habe ich, als ich mal mit drei Dutzend Kameraden auf dem Weg zu einer Fehde war, durch Zufall ein Tal gefunden ... es war ein verzauberter Ort, völlig überwachsen mit blühenden Kletterpflanzen, mitten hindurch schlängelte sich ein kristallklarer Fluss. Wir lagerten nur eine Nacht dort und zogen in der Morgendämmerung weiter – doch ich beschloss irgendwann einmal zurückzukommen.“
„Und das hast du getan?“
„Ja. Aber erst zehn Winter später. Da war von der wilden Schönheit des Tals schon nichts mehr übrig. Meine ehemaligen Kameraden hatten dort eine große Siedlung gegründet.“ Tavians Augen richteten sich in die Ferne, blickten ins Nichts. „Ich bekam bei einem einstigen Waffengefährten Quartier für die Nacht, doch wir merkten, dass unsere Ansichten sich sehr geändert hatten, und gerieten in Streit darüber, was mit dem Tal geschehen war. Um ein Haar hätten wir uns bei dem Duell gegenseitig getötet.“
Alena schwieg einen Moment lang. Jetzt verstand sie besser, warum ihr Vater sich Sorgen machte. „Na ja, aber du warst sehr lange weg, wir nur ein paar Wochen“, wandte sie schließlich ein. „Und Jorak lebt schon seit vielen Wintern in Ekaterin, er kennt es in- und auswendig und hat dort jede Menge Leute, die ihn unterstützen. Er kommt schon klar.“
„Ich hoffe beim Feuergeist, dass du recht hast“, sagte Tavian. „Aber es ist nicht immer so, dass der Ort sich verändert, während man weg ist. Es kann auch sein, dass man sich selbst verändert – dafür reichen schon ein paar Wochen aus. Und dann gibt es erst recht keinen Weg zurück.“