Читать книгу Vulkanjäger - Катя Брандис - Страница 7
Hawaii
ОглавлениеMeine Laune war noch immer trostlos, als wir endlich ins Flugzeug einsteigen durften. Wenigstens hatte André für uns beide Sitzplätze nebeneinander gewählt, ich hatte kurz befürchtet, er wolle im Flugzeug vielleicht neben seinem Kollegen sitzen. Wusste ja niemand, ob sie noch was zu besprechen hatten oder so. Doch Fred ließ sich nach dem Einsteigen auf der anderen Seite des Gangs nieder, schob sich die Ohrstöpsel seines Players rein und lehnte sich mit geschlossenen Augen im Sitz zurück. Ein paar Töne entwischten – er hörte klassische Musik.
André stopfte seinen Tablet-PC in die Tasche des Vordersitzes, streckte sich kurz und wandte sich dann mir zu. „Sag mal, Jan ... wäre es eigentlich okay für dich, wenn du im Film auftauchen würdest?“
„Ja, klar, das ist okay“, sagte ich spontan. Also doch ins Kino, meine Freunde hatten recht gehabt. „Aber wobei willst du mich denn filmen? Ich dachte, wir nehmen Lava auf und so was ...“
„Schon, aber der Film heißt ja Menschen und Vulkane. Den einen oder anderen Menschen hätte ich schon gerne im Bild.“ André grinste. „Ich könnte mir gut vorstellen, dass Fred dich und mich bei deiner ersten Begegnung mit fließender Lava filmt.“
„Kein Problem“, sagte ich überrascht. „Nur ... hoffentlich mache ich mich nicht zum Affen dabei.“
„Affen nehmen Reißaus, wenn sie es mit einem Ausbruch zu tun bekommen“, meinte mein Vater. „Menschen rennen hin und wollen das Ganze anschauen. Ein wichtiger Unterschied zwischen den Arten.“
Damit war klar, dass Weglaufen nicht infrage kam. Ich würde nur rennen, wenn André und Fred ebenfalls rannten. „Wenn ich eine Szene mit mir dämlich finde, kannst du sie ja rausschneiden, oder?“
„Genau. Es ist nicht live. Du brauchst nichts weiter zu tun, als die Kamera zu vergessen und Spaß zu haben.“
Klang gut. Ich nickte. „Schaff ich.“
Der Flug war lang – weit über zwanzig Stunden, mit Zwischenlandungen in London und Los Angeles. Das war reichlich Zeit, um Giulia zu vermissen, Wut auf das Schicksal zu entwickeln und mich mies zu fühlen, weil sie mich für ein Arschloch hielt. Als wir in Los Angeles ankamen, war ich ziemlich erschöpft vom Grübeln und vom langen Herumsitzen im Jet, aber sowohl André als auch Fred wirkten noch völlig frisch. André zog los, um sich im Duty-free-Shop eine Flasche Whisky zu besorgen, während ich mit Fred in einem chromglänzenden Café blieb und mir eine Zahnbürste wünschte, weil ich einen fiesen Geschmack im Mund hatte. Fred schlug die Beine übereinander, nippte an seinem Mineralwasser und beobachtete die Menschen um uns herum.
„Wie lange arbeiten Sie eigentlich schon mit meinem Vater zusammen, Federico?“, fragte ich ihn.
„Acht Jahre“, sagte er. „Haben uns mal auf einem Festival kennengelernt. Wir haben dort beide unsere Filme vorgestellt.“
„Und worum ging es in Ihrem Film?“
„Afghanistan.“
Das machte mich neugierig. „Sind Sie so eine Art ... Kriegsberichtserstatter?“
„War ich mal“, sagte Fred, holte seinen E-Reader raus und starrte auf den Bildschirm. Okay, okay, schon verstanden.
„Na, ich sehe schon, ihr seid dabei, euch anzufreunden“, sagte eine Stimme munter. André war mit seiner Duty-free-Beute zurück.
Stumm starrten Fred und ich ihn an.
„Los, Jungs, unser Flieger wird bald aufgerufen.“ André schwenkte unsere Bordkarten. „Wär toll, wenn ihr eure Hintern hochbekommen würdet.“
Als wir endlich auf der Hawaii-Insel Big Island landeten, wünschte ich mir nur noch eins: möglichst schnell ins Hotel und ins Bett zu dürfen. Aber das dauerte noch, denn erst mussten wir unsere Gepäckberge durch den Zoll bringen und uns einen Mietwagen beschaffen. Ich betrachtete währenddessen stumpfsinnig die Plakate mit Aloha!-Willkommensgrüßen und die gekühlten Plastikboxen mit frischen Blumenketten, die man im Souvenirshop kaufen konnte.
Draußen erwartete uns ein grauer Himmel, Regentropfen trafen mein Gesicht. Trotzdem war es warm, und in der Luft mischte sich ein dschungeliger Geruch mit Autoabgasen.
In unserem Hotel in Hilo bekamen wir von einer Hawaiianerin mit freundlichem Mondgesicht unseren Schlüssel ausgehändigt. Ich klimperte mit einer Hand auf dem Klavier herum, das in der Lobby stand, und hätte mir um ein Haar die Fingerspitzen amputiert, als der Deckel plötzlich von selbst herunterklappte. Wahrscheinlich fand das Klavier, dass ich zu schlecht spielte.
Schon beim Ausladen begann André, erste Telefongespräche zu führen. Ich hörte ihn lachen und mit jemandem in Englisch scherzen. „... ach komm, das machst du doch mit links, nein, du bist garantiert keine miese Schauspielerin! Und du bist nicht zu dick, deine Figur ist göttlich, da brauchst du dir wirklich keine Sorgen zu machen! Great, dann also bis morgen Abend.“
André sah wohl meinen fragenden Blick, denn als er seinen Communicator einsteckte, sagte er: „Das war Aolani. Ein tolles Mädchen, du wirst sie mögen. Wir filmen sie bei einer Zeremonie. Aber morgen bist erst mal du dran – du weißt schon, die Szene mit der fließenden Lava. Hier fließt nämlich fast immer welche.“
Beim Gedanken daran schlug mein Herz schon jetzt schneller. Zum ersten Mal echte Lava, und zum ersten Mal vor der Kamera!
Wir fanden ein Restaurant, das auch am Sonntag offen hatte, und aßen riesige Steaks. Hoffnungsvoll checkte ich meine Nachrichten und war enttäuscht – nichts von Giulia da, natürlich nicht. Ich schrieb meiner Mutter, dass wir gut angekommen waren, und fiel ins Bett wie ein Stein.
Am nächsten Morgen wollte ich wieder meine Jeans überstreifen, doch André schüttelte den Kopf, kramte in einer Tasche und zog einen braunen Overall hervor. „Hier, zieh das an. Feuerfester Stoff. Und heute brauchst du deine Wanderstiefel.“
Feuerfest! Es wurde ernst. Meine Finger schafften es kaum, die Schnürsenkel meiner Bergschuhe richtig festzuknoten. Zum ersten Mal rückten die Gedanken an Giulia ein Stück weiter weg.
Nach ein paar pappigen Bagels mit Zuckerguss und lauwarmem Kaffee machten wir uns auf den Weg. Es war noch früh am Morgen, aber schon ziemlich heiß, die Wolken von gestern waren verschwunden. Ich klebte am Autofenster: Sobald wir aus der Stadt raus waren, überwucherte üppiges Grün die Hänge. Palmen, blühende Kletterpflanzen, dichtes Buschwerk überall, doch je höher wir kamen, desto karger wurde die Landschaft. Und schließlich breitete sich raues Schwarz zu beiden Seiten der Straße aus. „Das sind Lavaströme, oder?“, jubelte ich. Kein Vergleich zu diesem überwachsenen, krümeligen Zeug am Vesuv! „Können wir mal anhalten?“
André schüttelte den Kopf. „Lohnt sich nicht – du wirst heute noch genug von dem Zeug sehen. Der Kilauea ist schon seit 1983 fast ohne Pause aktiv, der hat schon eine Menge ausgespuckt.“
Ich nickte und hielt die Klappe. Hätte ihn das wirklich so viel Zeit gekostet, mal kurz anzuhalten, damit ich ein bisschen herumglotzen konnte? Andererseits: Ich war nur ein Gast bei dieser Filmerei. Maskottchen, Teilzeitschauspieler, Packesel. Wahrscheinlich war der Deal, dass ich mich ganz nach ihm richtete.
Weiter ging es durch die kahle, grauschwarze Landschaft, bis zu einem flachen Gebäude mit einer Art verglastem Flughafen-Tower an einer Seite. „Das Vulkan-Observatorium“, verkündete André und parkte den Wagen.
Im Inneren begrüßte uns ein durchtrainiert wirkender, schlanker Afroamerikaner mit schwarzem T-Shirt und Basecap, herzlich drückte er André die Hand. „Schön, dass du mal wieder vorbeikommst – dein letzter Film war der Hammer, tolle Aufnahmen“, sagte er in Englisch, dann setzte er die Begrüßung bei Fred fort und blickte schließlich mich an. „Neuer Kameraassistent?“
„Das ist Jan, mein Sohn, er begleitet uns bei diesem Dreh“, sagte André und legte kurz den Arm um meine Schultern. Ein warmer Schauer lief durch meinen ganzen Körper. Noch nie hatte er mich so stolz vorgestellt.
„Herzlich willkommen – ich bin Jason Todd, Seismologe hier am Observatory“, sagte der Mann, und zwar auf Deutsch! Konnte das jeder, dem wir begegneten? „Nenn mich Jason.“
„Woher können Sie denn Deutsch?“, fragte ich beeindruckt.
Jason lächelte. „Hab zwei Semester in Hamburg Geologie studiert, dabei habe ich den hier kennengelernt.“ Er schlug meinem Vater auf die Schulter und in gespieltem Schmerz knickte André in den Knien ein. „Der da hat schon damals zu viel Zeit in Fitness-Studios zugebracht!“, ächzte er und zeigte auf Jason.
Dann wurden beide wieder ernst. Auf einem großen Bildschirm wurden verschiedene Landkarten eingeblendet, und André, Fred und ich hörten gespannt zu, während Jason skizzierte, wo der aktuelle Ausbruch des Kilauea stattfand, wie man bis dorthin vordringen konnte, wo unterirdische Lavaröhren bis zum Meer führten und welche Straßen gerade gesperrt waren. Konzentriert verfolgte André seine Ausführungen und nickte hin und wieder. Fast ohne dass ich es merkte, hatte sich eine Frau mit grauen Locken und langer, schmaler Nase hinzugesellt. Sie war sicher schon über sechzig, wirkte aber in ihrem Overall und einem Namensschild, auf dem CAMDEN stand, nicht wirklich wie die Großmutter von nebenan.
„Samantha, wie sieht´s aus, wettest du auf Lavafontänen in den nächsten Tagen?“, meinte Jason Todd zu ihr. Er sprach jetzt wieder Englisch, aber ich verstand ihn ganz gut.
Samantha lächelte, und um ihre Augen erschienen Dutzende von Lachfältchen. „Wenn du da bist, André, dann wird es garantiert welche geben – Pele liebt dich! Und ein bisschen was in die Luft zu schmeißen, ist für eine Vulkangöttin die einfachste Art, dir eine Freude zu machen.“
„Dagegen hätte ich nichts, mein Sohn hier ist auch schon ganz scharf auf die Show“, erwiderte André fröhlich. „Wo könnte das Zeug hochkommen?“
„Darauf haben wir schon einige Wetten laufen – ich tippe auf diese Stelle“, meinte Samantha und tippte mit dem Zeigefinger auf den Bildschirm. So genau konnte man das feststellen? Samantha sah meinen erstaunten Blick und erklärte: „Die Magma-Kammer des Kilauea ist ziemlich nah unter der Oberfläche. Wenn das Magma im Vulkan hochsteigt, pumpt es den Boden auf wie einen Ballon, wir kriegen das mit unseren Messinstrumenten natürlich mit.“
Währenddessen hatte Jason einiges ausgedruckt, jetzt reichte er André den Stapel Papier. „So, hier sind eure Genehmigungen und das Formular, das uns von jeder Haftung für eure Gesundheit freistellt. Ihr dürft filmen, wo ihr wollt. Aber seid vorsichtig, ja? Ich habe keine Lust, euch aus irgendeinem Lavatunnel rausziehen zu müssen.“
„Das mit dem Rausziehen mache ich dann schon“, sagte Fred trocken und Jason musste sich ein Lächeln verkneifen.
Dann ging es endlich los.