Читать книгу Vulkanjäger - Катя Брандис - Страница 9
Ohne Peles Gnade
Оглавление„Schönes Licht. Aber du hättest noch einen Tick näher rangehen können, Fred.“
Wir saßen im Hotelzimmer, umgeben von staubigen Overalls, silbernen Anzugteilen, Kamera-Akkus, die an Ladegeräten hingen, und jeder Menge anderer Ausrüstung. Gerade hatten André und Fred die Aufnahmen des Tages auf einen Laptop überspielt, damit wir sie anschauen konnten.
„Warum hast du hier nicht reingezoomt?“, meckerte mein Vater, und Fred sah aus, als hätte er in einen verdorbenen Hamburger gebissen.
„Morgen drehst du, Boss“, knurrte er.
„Immerhin, Jan war große Klasse.“ Mein Vater strahlte mich an. „Toll geworden. Das nehmen wir auf jeden Fall in die Endfassung rein.“
Etwas verlegen sah ich mir selbst zu, wie ich das flüssige Gestein mit den Händen schöpfte. Fred hatte mich mit dem Teleobjektiv gefilmt, und man sah, wie das Glühen der Lava einen rötlichen Schimmer auf mein andächtiges Gesicht warf.
„Du hast völlig vergessen, dass du gefilmt wirst, was?“, zog André mich auf. „Wir hätten dir die Kamera direkt neben die Backe halten können und du hättest nichts davon gemerkt.“
„Quatsch, ich bin einfach nur ein verdammt guter Schauspieler“, gab ich gespielt hochnäsig zurück. Jetzt kamen noch ein paar Nahaufnahmen der Lava. Sah aus wie ein schweres Leck in einer Fabrik für Orangenmarmelade. „Eins ist sicher – das ist das Coolste, was ich jemals machen durfte. Mit Abstand!“
„Im Ernst?“ Mein Vater sah ein bisschen gerührt aus.
„Im Ernst.“
„Freut mich, dass es dir gefallen hat.“ Vergnügt holte er eine Flasche aus dem Kühlschrank der Mini-Bar. Sekt, wie sich herausstellte. „So was habe ich mir fast gedacht. Ich würde sagen, stoßen wir gleich mal an auf deine Lavataufe und dein Kameradebüt!“
Wir hatten zwar keine Sektflöten, aber Zahnputzgläser taten es auch. Sogar Freds Mundwinkel bewegten sich nach oben, als André rief: „Auf den zukünftigen Vulkanbändiger Jan!“
Der Sekt schmeckte mir nicht besonders, aber das machte nichts, ich schwebte noch immer auf einer Glückswelle. Wir waren erst ein paar Tage unterwegs und schon hatte ich ein tolles Mädchen kennengelernt und Lava in der Hand gehalten. Keine Frage, das würden die besten Ferien der Welt werden, und sie hatten gerade erst angefangen!
„Wie bändigt man eigentlich einen Vulkan?“, fragte ich André.
„Durch Wasserreingießen jedenfalls nicht“, brummte Fred. „Das gibt nämlich ´ne Dampfexplosion.“
„Der wahre Trick ist: Deckel drauf und zuhalten“, behauptete André und ich musste tatsächlich kichern. Holla, der Sekt ging schnell ins Blut!
Nachdem wir genug herumgealbert hatten, schauten wir uns den Rest unserer Lava-Aufnahmen an. „War das jetzt eigentlich gefährlich oder nicht, was wir gemacht haben?“, fragte ich.
„Ach, es kommen nicht viele Leute durch Lava um“, bemerkte mein Vater, den Blick wieder auf den Bildschirm gerichtet. „Weitaus mehr erwischt es durch Steine, die während eines Ausbruchs hochgeschleudert werden, durch vulkanische Schlammlawinen oder Glutwolken. Und ich war mal dabei, als ein russischer Student in Kamtschatka in eine Fumarole gefallen ist.“
Ich wusste schon, was eine Fumarole war – eine Öffnung im Vulkangestein, aus der heiße Gase aus dem Erdinneren hochfauchten. „Hat er es überlebt?“
„Nein. Er war einfach weg. Um die Fumarole herum war nämlich so eine Art Schlamm, in dem ist er verschwunden wie in Treibsand.“
Uäh – der arme Student!
„Aber unser Fred hier“, fuhr André ungerührt fort, „ist schon mal von Lavaströmen eingeschlossen worden.“
Ich starrte Fred an, der neben uns den Bildschirm beobachtete. „Wie bist du da wieder rausgekommen?“
„Bin über einen der Ströme drübergelaufen“, erklärte er. „Hast ja gesehen, dass die Lava ziemlich fest ist. Hat mich getragen.“
„Aber ... hast du dich dabei nicht verletzt?“
„No. Nur meine Schuhsohlen sind geschmolzen.“
Allmählich wurde mir klar, warum mein Vater mich gebeten hatte, drei Paar Wanderschuhe mitzubringen. Hatte er vor, mich für den Film über frische Lava zu hetzen?
Mein Communicator klingelte und ich blickte auf die Anruferkennung. Meine Mutter! „Hi, Mama“, sagte ich betont munter. „Wie geht´s?“
„Das wollte ich eigentlich dich fragen! Alles klar bei euch? Was habt ihr heute gemacht?“
Mein Hirn schaltete kurz in den Panik-Modus. Eins war klar, es gab Dinge, die meine Mutter besser nicht wusste – sonst war´s vorbei mit ihrem Seelenfrieden. Aber im Lügen war ich nicht besonders gut. „Wir haben einen Lavastrom gefilmt“, gestand ich.
„O je! Du hast doch hoffentlich Abstand gehalten?“
„Äh, ja! Klar!“
Mein Vater und Fred grinsten sich an. Ich zog eine Grimasse.
Schon erzählte meine Mutter weiter, von ihrem neuen Auftrag, von einer Kollegin, die unerwartet schwanger geworden war, und dass meine Katze Lucky mich vermisste. „Knuddel sie ordentlich von mir“, sagte ich und war froh, als ich auflegen konnte.
„Ich fürchte, irgendwann kommt es raus, was wir heute wirklich gemacht haben“, meinte mein Vater und deutete auf den Bildschirm. „Und zwar allerspätestens dann, wenn es gesendet wird.“
Verdammt! Daran hatte ich nicht gedacht. Mir wurde ganz heiß. „Wann wird das denn sein?“
„Dauert noch mindestens ein Jahr“, beruhigte mich Fred. „Allein der Schnitt des Films dauert locker ein paar Monate.“
Ich atmete auf. „Bis dahin bin ich wirklich volljährig und meine Mutter kann mir zumindest keinen Hausarrest erteilen oder so was.“
Mein Vater reagierte überhaupt nicht, schaute einfach weiter auf den Bildschirm. Vielleicht hatte er schon vergessen, was er der Frau gegenüber behauptet hatte. Und wahrscheinlich betrachtete er sich als nicht zuständig für Erziehungsmaßnahmen.
Nachdem wir die Aufnahmen fertig gesichtet hatten, kam ich endlich dazu, meine Nachrichten durchzugehen. Nichts Besonderes. Doch dann setzte mein Herzschlag einen Moment lang aus – ich hatte eine Freundschaftsanfrage von einer Giulia Pasotti! Konnte das sein, war das meine Giulia? O mein Gott, und eine Nachricht hatte sie auch geschickt.
Hi Jan,
bestimmt bist du jetzt in Hawaii. Hast du gewusst, dass wir nicht mal gleichzeitig den Mond anschauen können? Wenn er bei mir am Himmel steht, ist er bei euch schon längst vorbeigekommen. Oder umgekehrt. Ist das nicht schade?
Ciao!
Giulia Pasotti
PS: Es fühlte sich ein bisschen komisch an, heute im Geschäft zu stehen. Weil ich ja wusste, dass du nicht vorbeikommen würdest.
PPS: Für diese bescheuerte Nachricht habe ich eine Stunde gebraucht! Ich weiß ja nicht mal, wer du wirklich bist!
Meine Finger flogen über die Tasten.
Buon giorno Giulia,
natürlich kennst du mich nicht wirklich. Ich habe noch ein Dutzend düstere Geheimnisse, die ich dir auf keinen Fall anvertrauen werde. Nicht geheim ist, dass ich heute mit den Händen Lava geknetet habe. Die kam ganz frisch aus dem Kilauea und war noch richtig schön weich.
Ciao,
Jan
PS: Ja, das mit dem Mond nervt, ich hatte schon auf ihn gezählt. Ich denke einfach so an dich, okay?
Dann lag ich mit einem seligen Grinsen auf meinem Hotelbett und war froh, dass mein Vater mal wieder telefonierte und es nicht bemerkte. Wie kam es, dass Giulia mir über Facebook schrieb? Die Serviette hatte sie ja liegen lassen. Aber wahrscheinlich hatte sie darauf meinen Namen gelesen und dann auf FB nach mir gesucht. Ihre Nachricht klang irgendwie romantisch! Hieß das, sie hielt mich nicht mehr für einen Arsch?
Am Abend trafen wir uns in einem Restaurant mit Aolani, die mein Vater schon bei einem seiner letzten Besuche auf den Inseln kennengelernt hatte.
„Und, willst du etwa auch Vulkanologe werden wie André?“ Aolani, die neben meinem Vater saß, strahlte mich an und wartete auf meine Antwort. Sie war etwa Mitte zwanzig, hatte ein rundes Gesicht und strahlend weiße Zähne. Die langen schwarzen Haare fielen ihr bis über den Rücken. Man hätte sie sich prima mit einer Ukulele und einem Blumenkranz vorstellen können, aber hier im Restaurant trug sie einfach ein Flower-Top aus Hibiscusblüten und dazu Jeans. Keine Ahnung, warum sie am Telefon wegen ihrer Figur herumgejammert hatte, ich fand sie genau richtig.
Ich warf meinem Vater einen Blick zu. Er nahm gerade einen Schluck von seinem Bier und ließ den Blick durch das Restaurant schweifen, doch ich wusste, dass er zuhörte.
„Nein“, antwortete ich Aolani. „Vulkane sind zwar total interessant, aber ... ich weiß nicht. Wahrscheinlich werde ich Biologe. Ich habe schon als Kind im Wald Käfer gefangen.“
Aolani lachte. „Biologe? Das ist ja was ganz anderes.“ Es klang ein bisschen abfällig.
„Stimmt“, sagte ich knapp. Klar, ich war anders als mein Vater, aber was genau war daran so furchtbar lustig? Hatte sie eine Miniaturausgabe von André erwartet?
„Pflanzen sind dazu da, gegessen zu werden“, sagte mein Vater und pikte ein Stück überbackene Aubergine auf die Gabel. „Vulkane dagegen ... das sind Urgewalten.“ Sein Gesicht begann zu leuchten, und die Aubergine strandete auf halbem Weg zum Mund, er hatte sein Essen völlig vergessen. „Solche Berge sind nicht einfach totes Gestein, sie leben! Und es gibt nichts auf der Welt, das eine solche unglaubliche Kraft hat wie ein Vulkan.“
„Ja“, sagte Aolani und ein Mona-Lisa-Lächeln schwebte um ihre Lippen. „Deshalb ist es gut, wenn man Ehrfurcht vor ihnen hat. Sonst straft einen Pele. Sie ist keine Göttin, die leicht verzeiht.“
Wieder diese Vulkangöttin, jeder hier schien über sie zu reden. „Glaubst du wirklich an so was?“, entfuhr es mir und Aolanis Lächeln schwand.
„Ja – was ist dabei, wenn ich fragen darf?“
Wenn diese Frau an irgendwelche komischen Götter glauben wollte, dann sollte sie doch! „Blöde Bemerkung. Sorry“, sagte ich und beugte mich über meinen Teller, ohne Aolani oder meinen Vater noch einmal anzusehen. Okay, ich hatte eine taktlose Frage gestellt, aber was mein Vater gesagt hatte, war nicht weniger dämlich. Pflanzen sind dazu da, gegessen zu werden, o Mann! Er war doch so viel herumgekommen … hatte er noch nie im Leben über eine Orchidee gestaunt, die auf einem Ast im Regenwald blühte? Oder einen gewaltigen, jahrhundertealten Baum bewundert?
André schien nicht zu bemerken, dass ich mich unwohl fühlte, oder vielleicht interessierte es ihn auch nicht. Stattdessen lächelte er Aolani an und begann mit ihr abzusprechen, was er morgen filmen wollte. Moment mal, was genau würde er aufnehmen – eine Zeremonie, in der wir der Vulkangöttin opferten?
„Ich habe eigentlich keine Lust, irgendwelche Götter zu beschenken“, mischte ich mich ein.
Diesmal war es mein Vater, der lachte. „Du musst das auch nicht machen, da hast du nicht richtig zugehört. Aolani macht das schon, dafür braucht sie unsere Hilfe nicht.“
„Gut“, sagte ich, legte mein Besteck hin und beschloss, mit dieser Frau nicht mehr als nötig zu reden. Es passte einfach nicht zwischen uns dreien. Ich hoffte, dass diese dämliche Opferzeremonie ein Fiasko werden würde und sie wirklich eine so schlechte Schauspielerin war, wie sie befürchtete.
Zum Abschied küssten André und Aolani sich auf den Mund. War sie seine Freundin? Gut möglich. Seltsames Gefühl. Wenn er mit ihr Kinder bekam, waren das meine Halbgeschwister. Ich konnte nur hoffen, dass es nichts Ernstes war zwischen den beiden.
Hi Jan,
du hast Lava geknetet? Pazza idea – völlig verrückt! Wo ist das Beweisfoto?
Mit meinem kleinen Bruder war ich heute angeln. Aber wir haben nicht mal eine winzige Sardine erwischt.
Ich habe leider nicht von dir geträumt, sondern von meinem verstorbenen Opa. Meine Tante Assunta hat mir ganz genau erklärt, welche Lottozahlen es bedeutet, was er im Traum getan und gesagt hat. Für alle Fälle gebe ich mal einen Lottoschein ab.
Ciao,
Giulia
PS: Du fehlst mir!
Hi Giulia,
du fehlst mir auch. Ich würde zu gerne sagen, dass ich bald wiederkomme und dir dann einen zwei Zentner schweren Thunfisch für die Pfanne mitbringe, aber ich glaube, das klappt nicht. Wieso konnten wir uns nicht einfach in Deutschland begegnen (wo ich in ein paar Wochen wieder bin)? In einem Laden mit Souvenirs aus Bayern womöglich?
Ciao, Jan
PS: Meint ihr das ernst mit den Lottozahlen?
Am nächsten Morgen, noch vor Sonnenaufgang, holten wir Aolani mit dem Auto ab. Im Halbdunkel der Innenbeleuchtung sah ich, dass sie diesmal Sandalen, ein bodenlanges rotes Kleid und eine Hibiscusblüte im Haar trug. Der Lederrucksack über ihrer Schulter passte nicht ganz ins Bild, aber auch so sah sie leider fantastisch aus. Als sie mich anlächelte und mit ihrer melodischen Stimme „Hi“ sagte, hätte das neunundneunzig Prozent aller Jungs zerfließen lassen. Bei mir funktionierte es natürlich nicht, weil ich sowieso nur an Giulia denken konnte, und ich grunzte irgendetwas zurück. Mein Vater küsste Aolani zur Begrüßung, dann kehrten wir ins Reich des Kilauea zurück. Ohne Fred diesmal, er war im Hotel geblieben, um eins seiner Geräte zu reparieren.
Für den Marsch bis zum Kraterrand zog sich Aolani Sneaker an, die sie aus ihrem Rucksack holte. Klaglos wanderte sie in ihren schicken Sachen durch die stille dunkle Landschaft und der Lichtkegel ihrer Taschenlampe strich über den Boden vor uns.
Als wir am Rand des Kraters angekommen waren, sog ich beeindruckt die Luft ein. Es war zwar noch nicht richtig hell, aber man konnte schon erkennen, dass hier in der tellerflachen Ebene ein riesiges Loch klaffte. Ganz plötzlich, ohne Übergang, ging es steil nach unten. Der andere Rand des Kraters war bestimmt einen Kilometer entfernt.
Mein Vater begann, seine Kamera aufzubauen. „So, jetzt bist du dran. Weißt du noch, wie es geht? Erst das Objektiv anschrauben, dann den Akku anflanschen ...“
Ich folgte seinen Anweisungen und beobachtete aus den Augenwinkeln Aolani, die aus ihrem Rucksack eine Tüte mit Murmeln – oder waren das Beeren? – und eine Flasche zum Vorschein brachte. Verdutzt wandte ich mich um und versuchte, das Etikett zu erkennen. „Gin“, erklärte Aolani, als sie meinen Blick bemerkte. „Pele mag Gin. Und Ohelo-Beeren sind ihr heilig, man darf sie nicht essen, ohne ihr die ersten zu schenken.“
Eine versoffene Göttin. Das wurde ja immer besser. Unwillkürlich musste ich grinsen. Leider sah es Aolani und mit unbewegtem Gesicht wandte sie sich ab. O je. Sofort tat es mir leid. So war ich doch sonst nicht.
„Okay, konzentriert euch jetzt bitte“, mahnte mein Vater. „Gleich ist die High-Speed-Kamera warm und wir können drehen.“ Keinen Moment zu früh, schon ging die Sonne auf. Aolani schritt den Krater entlang, bis mein Vater „Stopp“ sagte. Dann hieß es: „Okay, Action, bitte!“
Und Aolani verwandelte sich. Im Gegenlicht wurde sie zu einer leuchtenden Gestalt, die ihre Arme dem Himmel entgegenstreckte. Ihre hawaiianischen Beschwörungformeln klangen weich und geheimnisvoll und ihr Körper bewegte sich im Rhythmus einer unhörbaren Melodie. Fasziniert beobachtete ich sie. Kein einziges Mal sah sie zu uns herüber, wir waren nicht mehr wichtig, sie war allein mit ihrer Göttin.
Feierlich warf Aolani eine Handvoll der roten Beeren in den Krater. Ich schaute so gebannt zu, dass ich zusammenzuckte, als die junge Hawaiianerin die Flasche Gin hinterherschleuderte.
Der Communicator meines Vaters gab einen schrillen Sirenenton von sich. „Stopp!“, knurrte André in unsere Richtung, dann zog er das Gerät hervor. „Ja?“, sagte er ungeduldig – doch dann veränderte sich seine Stimme. „Wo? Seit wann? Danke, Jason, bin gleich vor Ort!“
„Was ist?“, fragte ich aufgeregt, aber als ich sein leuchtendes Gesicht sah, ahnte ich schon, was los war.
„Eine Lavafontäne. Etwa acht Kilometer von hier.“
War das Zufall? Glück? Hatte Pele den Gin nicht vertragen oder war das ihr Dankeschön dafür?
Hastig begann mein Vater, die Kamera abzubauen, und schnauzte mir Befehle zu. Ich half, so gut ich konnte, und lud mir das Stativ auf, als wir uns eilig auf den Rückweg machten.
Mein Vater organisierte einen Hubschrauber und bestand darauf, dass der Pilot Gary – ein Typ mit schulterlangen Locken, der ohne Unterlass Kaugummi kaute – eine der Seitentüren aushängte. Kurz darauf flogen wir über die wüste schwarze Landschaft, auf etwas zu, das aussah, als wäre es nicht von dieser Welt. Der Fahrtwind brauste mir um die Ohren und ich verrenkte mir den Hals, um einen besseren Blick darauf zu bekommen. Dort vorne war ein langer Riss im Boden, dünnflüssige orangerote Lava sprühte vierzig, fünfzig Meter in die Höhe und stürzte wie in Zeitlupe auf den Boden zurück. Selbst über das Flappen des Helikopters konnte man den Lärm der Fontäne hören, sie röhrte wie ein Düsenjet. Es hätte auch ein verdammt guter Special Effect aus irgendeinem Film sein können, aber das war es nicht, das hier war echt! Der Wahnsinn! Es gab wahrscheinlich nur eine Handvoll von Menschen, die so etwas schon einmal gesehen hatten. Rasch schoss ich ein paar Fotos.
„Großartig“, murmelte mein Vater. Er klinkte ein Seil mit Karabinerhaken an seinen Gürtel, hob sich die Kamera auf die Schulter und begann zu filmen. Ich fand es ziemlich gruselig, dass er sich dabei halb aus der Tür hängte, besonders als der Hubschrauber in die Kurve ging.
„Nicht rausfallen, okay?“, sagte ich schwach, und mein Vater erwiderte gut gelaunt: „Keine Sorge“, ohne die Kamera abzusetzen. „Jetzt weiter nach links“, kommandierte er durch das Mikro an seinem Headset und der Heli zog zur Seite.
Auch Aolani staunte aus der Glaskanzel die Feuerfontäne an und knipste sie mit ihrer kleinen Kamera. Dann schaute sie ganz plötzlich zu mir herüber und rief mir über den Krach zu: „Na, wie findest du es? Schön, was?“
„Na ja, eher ein Springbrunnen aus der Hölle“, gab ich zurück und erwartete halb, dass sie das wieder in den falschen Hals bekommen würde. Doch Aolani lächelte nur und schoss noch ein paar Fotos von der Fontäne – und von André, der auf der Kufe des Hubschraubers balancierte wie Daniel Craig in irgendeiner James-Bond-Szene. Stolz quoll in mir hoch.
Ich hatte Aolani nicht ganz die Wahrheit gesagt. Ja, die Fontäne war auch schön. Ich hatte nicht geahnt, dass Vulkane so schön sein konnten ...
Mein Vater schob sich wieder auf seinen Sitz. „Hört mal zu, ihr beiden“, sagte er. „Ich würde gerne noch ein Stück weiter rangehen, aber vielleicht ist es besser, ihr seid dabei nicht an Bord. Mein Vorschlag: Wir setzen euch ein Stück entfernt ab, fliegen weiter und holen euch in einer halben Stunde oder so wieder ab. Okay?“
Aolani sah nicht sehr begeistert aus, doch mein Vater gab ihr einen Kuss, und schließlich nickte sie. Ich wollte fragen, was genau er mit „noch ein Stück weiter heran“ meinte, doch André hatte es eilig, ich sah, dass er ganz kribbelig war und endlich loswollte. Also sagte ich einfach: „Okay.“
Mein Vater redete kurz mit Gary, dem Piloten, dann drückte er mir ein Funkgerät in die Hand. Es hatte schon bessere Tage gesehen, an den Ecken war die Farbe abgewetzt und das blanke Metall schimmerte durch. „Hier, damit könnt ihr uns hören und wenn nötig rufen. Wir bleiben in Verbindung.“ Ich stopfte das Ding in die Tasche meiner Jeans.
Gary wollte auf dem mit Felsen übersäten Boden nicht landen, daher ließ er den Hubschrauber einen halben Meter über dem Boden schweben. Staub wirbelte auf und kratzte mir in den Augen. Aolani und ich kletterten auf die Kufe und hüpften von dort hinunter. Ich war mit einer schönen Frau aus einem Hubschrauber abgesprungen! Wenn ich das Noah und Finn erzählte!
Als der Hubschrauber mit ohrenbetäubendem Knattern wieder abgedüst war, blickte die schöne Frau an sich hinunter und sagte: „Fuck!“
„Was ist denn?“, fragte ich verwirrt.
„Ich hab den Rucksack mit meinen Sneakers an Bord vergessen“, stöhnte Aolani und strich sich ein paar in die Stirn gewirbelte Haarsträhnen hinters Ohr. „Mit Sandalen auf diesem Boden, das gibt zerschrammte Füße.“
„Wir könnten den Piloten rufen und sagen, dass er den Rucksack bei uns abwerfen soll.“
„Spinnst du? Da ist meine Kamera drin!“
Dann halt nicht. Ich blickte mich um. Wir waren völlig allein in einer schwarzen Wüste. Kein Baum, kein Grashalm, kein Tier, war in der Nähe, nicht mal eine Ameise sah ich auf dem rauen Boden. Auch Schatten gab es hier nicht. Mir war heiß und ich hätte gerne etwas getrunken, aber auch meine Wasserflasche war im Hubschrauber. Wir hatten nicht mal eine Bananenschale.
Schweigend beobachteten wir die Lavafontäne, die ich von hier aus mit der ausgestreckten Hand verdecken konnte, und sahen zu, wie der Hubschrauber sich ihr näherte. Aus dem Funkgerät drang der Soundtrack dazu.
„Jetzt umkreisen, bitte.“ Das war mein Vater.
„Roger.“ Die knappe Stimme von Gary.
„Mehr nach rechts. Und jetzt näher ran.“
„Ehrlich gesagt sind wir schon ganz schön nah. Die Turbulenzen sind übel …“
„Verdammt, gehen Sie näher! Sie versauen mir sonst die Aufnahme!“
Der Pilot murmelte etwas Unfreundliches, aber er tat wie geheißen.
Aolani seufzte tief. „Typisch André. Macht er das mit dir auch? Dich zu Sachen überreden, die dir gar nicht so recht sind?“
„Bisher ging´s noch“, meinte ich, und plötzlich mussten wir beide grinsen. „Meinst du diesen Auftritt am Krater?“
Sie verzog das Gesicht. „Na ja, dafür musste er mich nur ein bisschen überzeugen. Ich opfere Pele ja normalerweise auch, weißt du. Nur nicht in so einem Outfit.“
„Du hast es jedenfalls toll gemacht“, sagte ich verlegen, und Aolani strahlte. Ihre Zähne waren unglaublich weiß. „Danke. Ich bin schon in einem anderen seiner Dokumentarfilme. Aber nur zwei Sekunden lang, als Mädchen an der Hotelrezeption. Dort hab ich gearbeitet, als wir uns kennengelernt haben.“
Wir beobachteten wieder den Hubschrauber.
„Und jetzt ein bisschen tiefer.“
„Shit, nein! Wenn Lavastücke uns treffen, dann sehen wir verdammt alt aus!“
„Ach, halb so wild, ich zahle die Reparatur.“
Meine Hände verkrampften sich wie von selbst. Was machten die da? Warum hörte mein Vater nicht auf, den Pilot zu drängen? Ich blickte zu Aolani hinüber und konnte sehen, dass ihr das Ganze ähnlich unheimlich war wie mir. Sie hatte die Arme um den Körper geschlungen, als sei ihr kalt, und ließ den Blick nicht von der kleinen, gelb-weiß gestrichenen Maschine, deren Rotor in der Sonne flirrte.
Beunruhigt beobachteten wir, wie der Hubschrauber in den Turbulenzen der heißen, nach oben strömenden Luft schwankte. Von hier aus wirkte es so, als sei die Maschine schon direkt über der Feuerfontäne.
„Es geht mir nicht um die verfickte Reparatur – holy shit, ich will am Leben bleiben!“
„Ach, kommen Sie, da geht noch was. Noch ein bisschen tiefer…“
„Können Sie vergessen!“
Mein Daumen schwebte über der Sendetaste. Ich wollte ihn anschreien, vorsichtig zu sein, mit dem Mist aufzuhören, aber ich wusste, dass es nichts bewirken würde. Er hatte jetzt nur seinen Film im Kopf, bessere und noch bessere Bilder. Eigentlich hätte ich mir denken können, dass Vulkanologe ein verdammt gefährlicher Beruf war, aber so richtig klar wurde es mir jetzt erst.
„Gut, dass sich Gary weigert. Er wird bestimmt gleich umkehren“, sagte Aolani und zwang sich ein Lächeln ab, das mich wohl beruhigen sollte. Immer wieder blickte sie sich um. Was war los? Fühlte sie sich unwohl hier?
„Besser, wir gehen schon mal zu einer Stelle, wo der Heli landen kann“, sagte die junge Hawaiianerin schließlich.
„Gute Idee“, meinte ich grimmig und trat gegen einen der Lava-brocken, die in der Gegend herumlagen. „Welche Richtung?“
Aolani zuckte die Schultern und so setzte ich mich einfach in Bewegung. Eigenartig, diese Lava hier. Sie bestand aus einer dünnen schwarzen Kruste, und wenn ich darauf ging, klang es, als würden unter meinen Füßen Eierschalen zerbrechen ...
„Stop!“ Aolanis Stimme klang erschrocken und ich reagierte instinktiv mit einem Schritt zurück.
„Was ist?“
„Das ist Muschelschalen-Lava! Ich kann es gar nicht glauben, Gary hat uns mitten in einem Gebiet mit diesem verdammten Zeug abgesetzt! Dieser Idiot!“
„Was ist daran so schlimm?“, fragte ich besorgt und blickte mich um. Die schwarze Ebene verriet nichts.
„Man kann einbrechen“, sagte Aolani gepresst, während sie hin- und herging und den Boden erkundete. „In eine Lavaröhre.“
Mein Puls beschleunigte sich. Jetzt fiel mir das Gespräch mit Jason, dem Vulkanologen aus dem Observatorium, wieder ein. Auch er hatte irgendetwas von Lavaröhren gesagt. „Besser, wir geben André Bescheid.“ Ich zog das Funkgerät aus meiner Hosentasche und drückte den Sendeknopf. „André, hier ist Jan – hörst du mich?“, fragte ich auf Deutsch. „André, bitte kommen.“
Leises Knistern. Aber keine Antwort. Ich versuchte es noch einmal auf Englisch. „André and Gary, this is Jan, can you hear me?“
Nichts. Ein eisiger Gedanke fuhr in mein Herz, und ich hob den Kopf, suchte den Horizont nach dem Hubschrauber ab. Aber wir hätten doch den Krach gehört, jagte es durch meinen Kopf. Wir hätten es bestimmt gehört, wenn er ...
Uff. Da war er, noch immer umkreiste er die Lavafontäne, jetzt schwebte er auf der Stelle, ein winziges Insekt vor dem Hintergrund der orangeroten Masse. Aber immerhin, ein fliegendes Insekt.
Noch einmal versuchte ich, meinen Vater zu rufen. Wieder keine Antwort. Es musste am Gerät liegen. „Das Scheißding ist kaputt“, sagte ich zu Aolani. „Warum haben wir es vorhin nicht kurz getestet?“ Halb ärgerlich, halb besorgt, schob ich es zurück in meine Jeanstasche. „Sieht so aus, als müssten wir alleine klarkommen.“
Plötzlich war ich sehr, sehr froh, dass Aolani da war. Ohne ihre Warnung wäre ich einfach weitergelatscht, mitten durch diese Muschel-Lava hindurch. Sie kannte sich hier aus, und wenn sie tatsächlich eine Vulkangöttin als Verbündete hatte, dann war mir egal, wie viele blöde Bemerkungen sie machte.
„Also erst mal – keine Panik“, sagte Aolani und warf ihre Hibiscusblüte weg.
Panik? Sah ich aus, als wäre ich in Panik? Schließlich hatte ich schon den Haien im nächtlichen Golf von Neapel getrotzt. Leicht gekränkt, schlug ich vor: „Vielleicht wäre es besser, wenn wir hierbleiben und uns einfach nicht mehr bewegen. Wir müssen eigentlich nur warten, bis der Hubschrauber uns wieder aufnimmt.“
Aolani wirkte nicht überzeugt. Sie ging in die Knie und legte die Hand auf den Boden. „Ziemlich warm.“
Stimmt. Der Boden fühlte sich an wie eine Herdplatte und das konnte nicht von der Sonne kommen. Mit ihren Sandalenfüßen hatte Aolani das natürlich früher bemerkt als ich mit meinen Wanderschuhen.
Angespannt sah Aolani sich um. „Bei diesem Licht ist es schwer zu sehen ... aber schau mal, ob du irgendeinen orangefarbenen Punkt im Boden erkennen kannst. Du checkst diese Seite ab, ich die andere.“
Ich fragte nicht weiter, was das zu bedeuten hätte, stattdessen suchte ich systematisch die Umgebung ab. Ließ den Blick von einer Seite zur anderen schweifen ... und entdeckte eine Stelle, über der die Luft flimmerte. Als ich genau hinsah, sah ich an dieser Stelle ein eigenartiges Leuchten. „Aolani“, sagte ich. „Da vorne. Schau mal.“
Aolani schaute in die Richtung, in die mein Finger zeigte, beugte sich näher an den Boden heran und lauschte. Dann atmete sie tief durch. „Wir sollten hier weg“, sagte sie. „Jetzt.“