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Tut. Tut. Tut. Es ist Montagmorgen. Savannah zieht im Halbschlaf ihren Arm unter der kuschelig warmen Bettdecke hervor und tastet, ohne zu schauen, den Nachttisch nach dem Wecker ab.

Tut. Tut. Tut.

Dann drückt sie auf die Snooze-Taste am Wecker. Nur noch fünf Minuten… Für einen kurzen Moment fühlt sich dieser Morgen für sie an wie immer, doch dann trifft es sie plötzlich wieder wie ein Stich ins Herz. Eric ist seit Freitag weg. Sie dreht sich traurig zur Seite und schließt schnell wieder ihre Augen.

Tut. Tut. Tut.

Sie tastet erneut nach dem Wecker und kippt dabei die Flasche Wasser auf dem Nachttisch um. Der Deckel löst sich und das Wasser plätschert vom Tisch hinunter auf den Holzboden.

Tut. Tut. Tut.

Lucy kommt angerannt und schaut sich den kleinen Wasserfall von allen Seiten genau an. Mist! Savannah springt fluchend aus dem Bett und flitzt ins Bad, um ein Handtuch zu holen. Noch vor dem dritten Tuten des Weckers kniet sie hellwach am Boden und wischt das Wasser auf.

Ich muss mir dringend angewöhnen, die tolle Erfindung des Schraubverschlusses zu nutzen. Dann müsste ich jetzt nicht hier auf dem Boden knien, sondern könnte noch fünf kostbare Minuten vor mich hindösen und das Dilemma mit Eric ausblenden.

Sie faltet das Handtuch in der Mitte zusammen und wischt weiter.

Ich muss einfach nur diese Woche hinter mich bringen. Nächste Woche um diese Zeit hat Eric sich wieder eingekriegt.

Nachdem sie sich dreimal umgezogen hat, um am Ende doch mit dem ersten Outfit, bestehend aus einer Jeans und einem dunkelgrünen Strickpulli, das Haus zu verlassen, rennt sie zur S-Bahn-Station in Davisville. Während der Fahrt in die Innenstadt schaut sie aus dem Fenster und denkt an Eric.

Immer wieder hat sie das Bild vor Augen, wie er mitten in der Nacht im Computerzimmer mit dem Rücken zu ihr stand und – ohne ein Wort zu sagen – seinen Rucksack gepackt hat. Danach hörte sie seine Schritte, als er die geflieste Treppe hinunter rannte. Es war ein schrecklicher Moment, als die Haustür geräuschvoll ins Schloss fiel und es danach im Haus totenstill wurde und das ganze Wochenende auch blieb.

Wo ist er? Noch nie hat einer von uns beiden die Tasche gepackt und ist gegangen. Sonst haben wir uns doch auch nach einem Streit schnell wieder eingekriegt und über den Grund gelacht.

Sie versucht, den großen Kloß im Hals herunterzuschlucken und fragt sich, was der Grund für seine verletzenden Worte am Freitag war.

Eine helle Frauenstimme dröhnt aus den Lautsprechern und reißt Savannah im rechten Moment aus ihren Gedanken. „Nächste Station – St. Andrews – Ausstieg in Fahrtrichtung rechts.“ So kurz kam ihr die 20-minütige Fahrt schon lange nicht mehr vor.

Auf dem Weg zum Royal Trust Tower holt sich Savannah – wie jeden Morgen – auf der King Street, Ecke University, im Cozy Coffee Club einen Kaffee mit heißer Milch und fährt mit dem Aufzug in die 24. Etage ins Büro. Sie schaltet ihren Computer ein, holt die Wiedervorlagenmappe aus dem Sideboard und kramt in der Stiftbox nach ihrem Lieblingskugelschreiber. Dann nimmt sie ihren Kaffeebecher wieder zur Hand und checkt wie gewohnt alle neuen E-Mails. Bevor sie sich näher mit dem Inhalt der Mails befasst, schweift ihr Blick über alle Absender – in der Hoffnung Erics Namen zu entdecken. Nichts.

Sie holt die Handtasche vom Boden hoch und kramt nach ihrem pinkfarbenen Handy. Betrübt stellt sie fest, dass auch hier keine neue Nachricht auf sie wartet. Sie regelt die Lautstärke hoch und legt es direkt neben die Tastatur, um es in Sichtweite zu haben. Anschließend verstaut sie ihre Handtasche im Rollcontainer unter dem Schreibtisch.

Als das Telefon klingelt, hat sie bereits einige wichtige Mails ausgedruckt, die passenden Akten gezogen und alles auf dem Schreibtisch ihres Chefs in Stapeln vorsortiert.

„Kanzlei Barkley & Bradford, Brooks ist mein Name, guten Morgen.“

„Guten Morgen, Miss Brooks, Bradford hier. Ich fahre heute von zu Hause aus direkt zum Gericht. In welchem Raum findet noch mal der 10-Uhr-Termin statt?“

Sie klemmt den Hörer zwischen Ohr und Schulter ein, wendet sich dem Bildschirm zu und klickt mit der Maus durch Bradfords Kalender.

„Raum 505. Der große Saal direkt neben dem Raum, mit den Postfächern. Wissen Sie, welchen ich meine?“

„Ja, besten Dank! Bis später… Ach, Miss Brooks?“

„Ja?“

„Machen Sie bitte die Abrechnung für Mr. Smith. Er wollte gegen 12 Uhr reinschauen. Ach ja, und tippen Sie dann noch den Schriftsatz in Sachen Griffith fertig, damit ich ihn nachher mit dem Mandanten durchsprechen kann. Er wird langsam ungeduldig. Die Kassette ist noch im Diktiergerät auf meinem Schreibtisch.“

Sie wünscht ihrem Chef gutes Gelingen, notiert alle Aufgaben in ihrem Notizbuch und macht sich an die Arbeit. Die traurigen Gedanken an Eric verlieren sich nach und nach in dem Schriftsatz, der sie zum Schmunzeln bringt. Ich würde ja zu gerne wissen, wie Barkley es immer schafft, Bradford diese verrückten Fälle aufzudrücken.

Savannah speichert die Datei auf dem allgemeinen Laufwerk ab, betätigt mit ihrem Fuß das kleine Pedal unter dem Tisch und tippt weiter.

Wie kommt man auf die Idee, ein Hotel wegen der Bettengröße zu verklagen? Ein frisch vermähltes Paar sollte selbst im kleinsten Bett in den Flitterwochen Spaß haben. Wenn das nicht so ist, kann das Hotel wohl am wenigsten dafür!

Während sie den fertigen Schriftsatz noch einmal überfliegt, klopft jemand an die Glastür zum Büro.

„Hey, Süße! Hast du unsere Pause vergessen?“

Amy kommt um den Schreibtisch herum und nimmt Savannah in die Arme. Ihre langen, leicht gelockten braunen Haare bilden einen tollen Kontrast zu der übergroßen weißen Sonnenbrille. An ihrem Handgelenk baumelt eine lilafarbene Glitzertüte mit einer üppigen weißen Schleife.

„Ich habe dir etwas aus L.A. mitgebracht. Schnell, schau nach, gefällt dir bestimmt!“

Amy nimmt ihre Sonnenbrille ab und schaut Savannah beunruhigt an.

„Alles klar bei dir? So still kenne ich dich gar nicht!“

Savannah greift nach dem Tütchen und setzt sich auf die Tischkante.

„Hi, Amy. Ich hab total verschwitzt, dass du diese Woche in Toronto bist. Sorry. Mann, was freue ich mich, dich zu sehen!“

Sie löst vorsichtig die Schleife, bis etwas Rosafarbenes zum Vorschein kommt. Dann zieht sie einen Thermo-Kaffeebecher hervor, der rundherum mit kleinen weißen Hello-Kitty-Köpfen bedruckt ist.

„Wow, wie süß! Du bist echt ein Schatz. Jetzt habe ich gar nichts für dich…“

Amy unterbricht Savannah und klopft ihr leicht auf die Schulter.

„Alles klar bei dir? Komm, wir gehen jetzt erstmal im CCC ’nen großen Eiskaffee trinken und du erzählst mir, warum du so aussiehst, als hättest du heute früh bei einem Casting für einen Zombiefilm die Hauptrolle ergattert!“

Ohne etwas zu sagen, schaltet Savannah den Anrufbeantworter ein, holt ihre Handtasche aus dem Rollcontainer, wirft das Handy hinein und geht mit Amy zum Aufzug.

Der Cozy Coffee Club ist ein Café im Finanzdistrikt in unmittelbarer Nähe zum Royal Trust Tower. Die großen Glasscheiben der Fenster sind durch feine Holzstreben in Quadrate unterteilt, die bis zum Boden reichen. Für die urigen Tische wurden breite Baumstämme in dicke Scheiben geschnitten und mit Naturbeize geölt. An den Kanten sieht und fühlt man noch die unebene Baumrinde. Auf jedem der ovalen Holztische steht ein eckiges Glas; gefüllt mit grobem weißem Kies und dicken Kerzen in allen erdenklichen Farben. Die Tische sind von dunklen Korbsesseln mit beigen Samtpolstern umzingelt. Alles ist asymmetrisch im Raum verteilt und passt perfekt zu den abgewetzten Pinien-Holzdielen, mit denen der Boden ausgelegt ist.

Die Theke befindet sich gegenüber vom Eingang und besteht aus einer dezent beleuchteten gläsernen Vitrine. Die abgeschrägte Glasfront gibt den Blick auf eine Auswahl extravaganter Kuchen- und Tortenstückchen frei, welche appetitlich auf weißen Tellern drapiert sind. Hinter dem Thekentresen befindet sich eine große grünschwarze Tafel, auf der Preise und Angebote für die Gäste in bunter Kreide sichtbar sind. Alle Wände sind mit grobkörnigen Klinkersteinen in hellen Erdtönen verziert. Hinten links geht der Klinker in vier weiße Bücherregale über, die in die Wand eingelassen wurden und bis zur Decke reichen. Am oberen Rand ist eine schlichte Holzleiter eingerastet, die sich nach links und rechts verschieben lässt. Jeder Regalboden ist bis auf den letzten Zentimeter mit unzählig vielen Reise-Bildbänden in allen Formen und Farben aufgefüllt.

Sie liebt dieses Café und gönnt sich mittags oft einen gedanklichen Kurzurlaub mit einem wohlriechenden heißen Kaffee in den Händen. Zur Mittagszeit nutzen Geschäftsleute die Pause, um bei einem Gespräch unter Freunden abzuschalten oder über die drahtlose Verbindung mit ihrem Notebook durchs Internet zu surfen. Doch ist sie gedanklich erst einmal abgetaucht, bekommt sie nichts mehr von dem Gemurmel der anderen mit.

Amy bittet Savannah, nach einem Platz bei den Bücherregalen zu suchen, damit sie in Ruhe sprechen können. Kaum sitzt sie auf dem Sessel, schaut sie direkt wieder auf ihr Handydisplay. Immer noch keine Nachricht von Eric. Savannah ist froh, dass Amy gleich Zeit für sie hat.

Amy kommt mit zwei großen Eiskaffees mit extra viel Sahne und Karamellsoße zurück.

„Wow, ich dachte, solche schnuckeligen Kellner gibt’s nur in sunny L.A. Egal. Hey, Süße, nun sag schon… Was bedrückt dich?“

Savannah rührt mit dem Strohhalm durch die Sahnehaube des Eiskaffees und bemüht sich um eine feste Stimme.

„Eric ist weg.“

„Was meinst du mit weg? Verreist?“

Savannah schüttelt ihren Kopf und knickt das geriffelte Ende ihres Strohhalms hörbar vor und zurück.

„Er hat Freitag seinen Rucksack gepackt und ist gegangen. Wir hatten letzte Woche Streit …“

Amy streichelt Savannah über den Arm.

„Mensch Süße, das kommt in den besten Beziehungen vor. Der kommt schon wieder.“

„Also eigentlich war es kein Streit. Er kam vom Joggen wieder und sagte mir, dass er nicht mehr mit mir zusammen sein will.“

Und schon wieder hat Savannah diesen salzigen Geschmack im Mund. Halbherzig wischt sie die Träne mit dem Pulloverärmel aus dem Gesicht.

„Ich wusste gar nicht, was ich sagen sollte. Irgendwie endete es dann in einem Streit…“

„Was? Er wollte mit dir Schluss machen? Ohne Vorwarnung? Das glaube ich jetzt nicht! Ihr wart doch gerade erst gemeinsam im Urlaub. Ihr wolltet doch nächstes Jahr heiraten! Das begreife ich echt nicht. Hattest du ihm nicht erst letzte Woche noch das Fotobuch von euren Rundreisen geschenkt?“

„Ja. Wir haben es auch gemeinsam durchgeschaut. Seite für Seite. Und weißt du, was er dabei noch gesagt hat?“

Amy schüttelt ihren Kopf.

„Es waren echt schöne Rundreisen. Was geht es uns beiden doch gut.“

Erneut rollen Tränen über ihre Wangen. Sie stützt ihre Stirn mit den Händen ab und versucht, sich zu fangen.

„Bei unserem letzten gemeinsamen Einkauf nach dem Urlaub musste ich noch so lachen, weil er den Einkaufswagen mit dreizehn Säcken Grillkohle zugestopft hatte. Dreizehn Säcke! Auf der Heimfahrt zählte er mir dann sämtliche Rezepte auf, die er im Winter noch alle auf dem Grill für uns zubereiten wollte… und jetzt will er nicht mehr mit mir zusammen sein?!“

„Hat er dir das wirklich so gesagt? Also nicht die Grillrezepte, sondern dass er nicht mehr mit dir zusammen sein will? Vielleicht interpretierst du bloß zu viel rein… wie wir Frauen das leider so oft machen.“

„Er sagte, er müsse herausfinden, ob sein Leben nicht mehr zu bieten hat, als für immer mit ein und derselben Frau in so einem Haus zu leben und… nach so vielen Jahren wäre er vermutlich nur noch aus Gewohnheit und nicht mehr aus Liebe mit mir zusammen.“

Savannah schüttelt langsam, enttäuscht ihren Kopf.

„Und dann fragte er mich noch, woher man wüsste, ob man einen Menschen genug liebt, um sein Leben mit ihm zu verbringen.“

Amy trinkt einen Schluck und gibt Savannah Zeit, sich die Tränen aus dem Gesicht zu wischen.

„Was hast du dazu gesagt?“

„Ich sagte ihm, dass ich von Herzen gehofft hatte, dass er sich diese Frage schon vor Jahren beantwortet hätte, spätestens bei unserem Hauskauf.“

Amy hält Savannah den Eiskaffee vor die Nase.

„Mann, das tut mir alles so leid für dich. Der hat wohl kalte Füße bekommen. Trink einen Schluck! Der Zucker hilft bei Liebeskummer und die Karamellsoße ist ein Geheimtipp. Falls du noch mehr Zucker brauchst, schau mal dezent zur Theke rüber, von wo aus der Kellner ständig zuckersüß rüber lächelt.“

Savannah lässt ihren Kaffee nicht aus den Augen.

„Ich brauche Tonnen von Karamell, wenn ich diesen Kummer überleben soll. Und der Typ flirtet nur, weil es Teil seines Jobs ist, wetten wir?!“

Amy löffelt einen Klecks Sahne aus ihrem Becher.

„Ich bin mir sicher, dass Eric nur so eine typische Ich-weiß-nicht-was-ich-will-Männerphase hat und bald wieder zu Hause auftaucht. Du wirst schon sehen.“

Savannah vermischt die restliche Sahne und den Karamellsirup mit dem Strohhalm und nimmt einen großen Schluck aus dem Becher zu sich. Der Karamellgeschmack gefällt ihr.

„Tja, ich möchte dir glauben, aber ich weiß ja nicht einmal, wo er ist! Was ist, wenn ihm was passiert ist? Das ganze Wochenende habe ich zu Hause gesessen, keinen Bissen runter bekommen und mein Handy angestarrt. Ich habe auch versucht, ihn anzurufen. Er geht nicht dran und ruft auch nicht zurück.“

„Ihm wird schon nichts passiert sein. Allerdings ist es ’ne harte Nummer, dass er dich so völlig dir selbst überlässt, ohne auch nur ein Lebenszeichen von sich zu geben. Glaubst du denn, er hat schon ’ne Neue?“

„Das habe ich ihn Freitag auch gefragt, aber er hat mir mehrfach beteuert, dass es da keine andere Frau gibt. Und das möchte ich ihm glauben. Ich weiß auch nicht, Mitte dreißig ist für Männer wohl ein schwieriges Alter. Hat Dennis auch so eine Phase durchgemacht?“

„Nein, nicht wirklich. Nun sind wir auch schon viel länger zusammen als ihr zwei. Wie lange läuft das mit euch schon? Sieben Jahre?“

Savannah schüttelt den Kopf.

„Neun. Nächstes Jahr im April sind es zehn Jahre… da wollten wir heiraten.“

Savannah wischt sich die warmen Tränen von ihren Wangen und umklammert den Eiskaffee ganz fest mit beiden Händen, als würde der Becher ihr den Halt bieten, den sie jetzt braucht. Amy versichert ihr, dass wenigstens auf die wasserfeste Schminke Verlass sei. Kurz darauf piept Savannahs Handy laut auf. Sie hievt ihre Tasche auf den Schoß und wühlt aufgeregt drin herum. Im Display wird eine neue Nachricht angezeigt.

Hallo, Savannah, wie geht es dir heute? Ist Eric wieder zu Hause? Liebe Grüße, Mum, Dad, Grandma und alle Vierbeiner

„Meine Eltern. Mit denen habe ich Freitagnacht noch ganz viel telefoniert, weil ich nicht schlafen konnte.“

„Sind sie zurzeit wieder in Florida?“

„Ja, sind sie, aber sie haben mir gesagt, dass sie sofort hier sind, wenn ich sie brauche und ich immer zu ihnen kommen kann, wenn mir danach ist. Die Sache nimmt sie ganz schön mit.“

Amy schüttelt nachdenklich ihren Kopf.

„Es ist schon verrückt, wie schnell sich das Leben verändern kann. Ich drücke dir jedenfalls ganz fest die Daumen, dass er seinen Hintern hoch bekommt und so viele Jahre mit dir nicht einfach wegwirft! Falls er es doch tut, Süße, dann hat er dich ganz klar nicht verdient, hörst du?!“

„Danke, das ist lieb von dir. Ich muss mal schauen, was jetzt wird.“

Savannah atmet tief durch und schaut Amy an.

„Wie geht es dir eigentlich? Wie lange wirst du in Toronto sein?“

„Nur noch morgen. Mir geht es ganz gut. Ich wäre gerne öfters hier, aber in Kalifornien fühle ich mich mittlerweile auch ganz wohl. Bei Dennis geht es beruflich auch vorwärts und unsere winzige Wohnung wird immer gemütlicher. Mittlerweile durfte ich meine archäologischen Kollegen auch schon mehrmals in Mexiko zu Ausgrabungen begleiten. Die Arbeit im Museum gefällt mir und ist etwas ganz anderes im Vergleich zu meinem Bürojob in Toronto. Weißt du was? Du musst uns unbedingt besuchen kommen, wenn es dir wieder besser geht, okay? Dann nehme ich dich mal mit zur Arbeit und zeige dir, was ich meine.“

Vor dem Café nimmt Amy Savannah fest in den Arm und wünscht ihr viel Glück. Savannah bedankt sich noch einmal für den niedlichen Hello-Kitty-Kaffeebecher und bemüht sich, dabei zu lächeln. Der Nachmittag im Büro geht schnell vorüber. Damit ihre vielen Gedanken ihr nicht allzu sehr auf den Magen schlagen, kümmert sie sich überwiegend um die Diktate. Das lenkt ab. Gegen 18 Uhr macht sie sich langsam auf den Heimweg. In der S-Bahn gehen ihr so viele Gedanken durch den Kopf. Nicht einmal die zwei schrägen älteren Damen, die wie Teenies kichernd neben ihr sitzen, muntern sie auf. Auf der einen Seite möchte sie nach Hause, um alleine zu sein. Auf der anderen Seite macht sie der Gedanke daran, gleich wieder ein leeres Haus vorzufinden, fix und fertig.

Von der Bahnstation in Davisville sind es nur wenige Minuten zu Fuß bis zum Haus. Jeder blaue Buick Impala, der an der Straße parkt, fällt ihr ins Auge. Aber keiner dieser Wagen trägt das Kennzeichen von Eric. Der Stellplatz vor dem Haus ist leer. Die Haustür ist noch zweifach verschlossen. Wie heute früh.

Coco und Lucy sitzen im Flur und schauen sie erwartungsvoll an. Das Magenknurren steht buchstäblich auf ihren kleinen, haarigen Stirnen geschrieben. Im Haus ist es still. Sie legt das Handy auf den Esstisch, öffnet eine Dose und löffelt alles in zwei Katzenschälchen am Boden. Dann legt sie auf den Esstisch neben das Handy ein orangefarbenes Platzdeckchen aus Stoff, holt ein Brötchen aus dem Weidenkorb und die Butter mit dem Aufschnitt aus dem Kühlschrank. Doch als sie am Tisch sitzt und auf ihren Teller hinabschaut, kommen all die Tränen heraus, die sie auf der Arbeit mühsam unterdrückt hatte. So heftig, dass sie laut nach Luft schnappt und alles um sie herum nur noch verschwommen wahrnimmt. Ihr wird übel. Im Kopf beginnt ein leichtes Pochen.

Alleine an diesem langen Tisch Abendbrot zu essen, bricht ihr das Herz. Eric, wo bist du nur?

Eine knappe halbe Stunde später sitzt sie immer noch am Tisch und starrt geistesabwesend auf den leeren Teller. Sie streift mit dem Zeigefinger über jede einzelne Linie des aufgedruckten Musters. Grüne Stängel mit roten Tulpenköpfen. Für dieses Geschirr sind sie damals spät nach der Arbeit extra nach Kingston gefahren. Ihre Eltern hatten es in Florida deren Nachbarn für beide im Auto mitgegeben. Für den Flieger war es zu schwer. Als sie erneut zu weinen beginnt, hüpft Coco auf den Stuhl gegenüber von ihr, wo sonst Eric sitzt. Sein kleiner rotweiß getigerter Kopf ragt gerade so über die Tischkante. Mit großen gelben Kulleraugen starrt er sie an und rührt sich erst wieder vom Fleck, als sie aufsteht.

Gegen 20 Uhr räumt sie den Tisch ab, legt das unbenutzte Geschirr zurück in den Schrank, schmeißt das Brötchen in den Müll und mümmelt sich unter die Wolldecke aufs Sofa. Mit angewinkelten Armen und Beinen umklammert sie das große cremefarbene Sofakissen so fest wie heute Mittag im CCC den Kaffeebecher. Doch auch das Kissen gibt ihr nicht ansatzweise den Halt, den sie jetzt sucht. Coco kuschelt sich zu ihr und schnurrt laut vor sich hin. Um sich so klein zu machen, wie sie sich in diesem Moment fühlt, müsste sie nahezu unsichtbar sein. Es tut unglaublich weh, nicht zu verstehen, was da gerade in ihrem Leben passiert. Vor wenigen Wochen stand sie im Kiosk vor einem Zeitschriftenständer und blätterte strahlend in einem Brautmodenkatalog herum. Die farbenprächtigen, seidig schimmernden Kleider von Rembo Styling konnte sie sich besonders gut mit ihrer braunen Haut vorstellen. Auch weil die Kollektion einen dezenten indischen Touch hatte, der ihr gefiel. Ständig stellt sie sich dieselben Fragen: Wird er wiederkommen? Was ist mit unserem Haus? Noch nie war sie so glücklich wie die letzten zwei Jahre. Vorsichtig beugt sie sich vor und krault Coco hinter seinen Ohren. Er streckt alle Viere von sich und robbt dabei langsam näher zu ihrem Bein herüber.

Die Erinnerungen an die ersten Jahre mit Eric kommen ihr in den Sinn. Bei jeder einzelnen Bahnfahrt zu ihm hatte sie sich gewünscht, endlich mit ihm zusammenzuziehen. Vier Jahre lang sagte er ihr, er wäre noch nicht so weit und brauche seine Freiheit. Und sie hatte geduldig gewartet. Wieder laufen warme Tränen über ihre Wangen und versickern nach und nach in der Wolldecke. Was soll sie nur tun, wenn er sich ausgerechnet jetzt diese Freiheit zurückholt? Jetzt… wo das Haus und der Garten fertig sind und sie so glücklich ist, endlich mit ihm all das zu haben, wovon sie all die Jahre geträumt hatte. Als sie gegen Mitternacht mit einem steifen Nacken und von Tränen verklebten Wimpern auf dem Sofa wach wird, schleicht sie im Halbschlaf nach oben ins Schlafzimmer. Lucy folgt ihr und nimmt im Bett den gewohnten Platz am Fußende ein, während Coco wieder im Flur sitzt und die Haustür anstarrt.

Happy End vergriffen

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