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Lernen durch leiden

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„Die Größe des Hindernisses ist nicht Strafe, sondern Vertrauen.“

(aus: Die Antwort der Engel, Gitta Mallasz, Daimon Verlag)

Für einen eingekörperten Seelenteil ergeben sich in diversen Inkarnationen etliche Möglichkeiten, Erfahrungen zu machen, Erkenntnisse aus ihnen zu ziehen, und so im Laufe der Zeit dazuzulernen und das Bewusstsein zu erweitern. Denn jeder Seelenteil trachtet gemäß seiner eigenen Planung danach, zu wachsen, zu reifen und dadurch zur Gesamterfahrung der Seele beizutragen.

Fragen wir uns allerdings, an wem oder was wir in diesem Leben am meisten gelernt haben, fallen uns sicher als erstes unangenehme Menschen oder leidvolle Situationen ein. Obwohl uns kein geistiges Gesetz dazu zwingt, scheint es, als ob wir nur aus negativen Erfahrungen etwas lernen könnten. Dabei wäre es uns theoretisch durchaus möglich, aus freudvollen und nährenden Erlebnissen die nötigen Erkenntnisse abzuleiten. Warum also lernen wir zumeist durch Leid und Schmerz?

Da wir Menschen unabdingbar und existentiell auf Liebe angewiesen sind, bringt uns das zwangsläufig mit ihrem Gegenpol - der Angst - in Verbindung. Denn Angst und Liebe sind zwei Seiten derselben Medaille. So wie die Liebe uns das Gefühl von Einheit und Verschmelzung schenkt, so gibt es nur eine einzige Angst, die alle anderen Ängste bedingt: Die Angst vor dem Getrenntsein. Sie ist auch der Grund, warum nur wenige Seelen bereit sind, auf der Erde zu inkarnieren, denn nur hier gibt es einen physischen Körper, der uns vom ersten Atemzug an spüren lässt, dass wir allein sind; getrennt von der Mutter, von anderen Menschen und vom Göttlichen. Da wir aber aus der ungeteilten Einheit heraus unsere erste Inkarnation auf der Erde gewagt haben, ist die Gewissheit ihrer Existenz und die unbewusste Sehnsucht nach ihr tief in uns verwurzelt. Der Sinn all unserer Leben besteht letztlich darin, mit einem erweiterten Bewusstsein in die Einheit zurückzukehren, welches wiederum nur durch unser Erleben in der Polarität wachsen kann.

Die Erfahrung des Getrenntseins und die sich aus ihr ergebenden Ängste stellen den Motor unserer Entwicklung dar. Und es ist nicht nur eine Angst, von der wir getrieben werden, sondern es gibt eine ganze Reihe Ängste, die, je nach Stärke und Ausprägung, unser Verhalten mehr oder weniger beeinflussen. Sie verzerren und manipulieren unser Denken, Fühlen und Handeln und helfen uns, Erfahrungen zu kreieren, die wir ohne sie nicht machen könnten.

Angst macht feinsinnig und hypersensibel. Alle äußeren Eindrücke, jede Bewegung oder das, was von einem Menschen verbal oder nonverbal in Form einer Geste, Körperhaltung oder Miene an uns herangetragen wird, nehmen wir in einem von Angst geprägten Zustand viel intensiver wahr, als wenn wir uns der selben Situation angstfrei stellen würden. Gleichzeitig gehen mit dem Angstgefühl alle im Emotionalkörper ungelösten, gleichartigen Gefühle in Resonanz. Die Angst drückt auf den Hauptschalter einer großen Maschine in einer vollautomatischen Fabrik; mit dieser einzigen, kleinen Bewegung setzt sich ein ganzes Räderwerk in Gang. Die Situation wird dadurch von demjenigen, der von seiner Angst getrieben wird, viel extremer wahrgenommen und bewertet, als sie es dem äußeren Anschein nach eigentlich ist. Aufgrund dessen fällt die Reaktion des Ängstlichen auf einen bestimmten äußeren Reiz oft deutlich heftiger und unkontrollierter aus, als sie der Situation angemessen wäre. Durch die Aufmerksamkeit erhält nicht nur seine eigene Angst neue Energie, so dass sie sich noch verstärkt und weiter verfestigt, sondern er trägt durch sein Verhalten unter Umständen selbst zur Eskalation der Situation bei; eine Erfahrung, die seine Angst zusätzlich nährt. Hierzu einige Beispiele:

Nehmen wir an, jemand hat in diesem oder einem seiner vergangenen Leben einen Menschen, der ihm sehr wichtig war, plötzlich unwiederbringlich verloren. Vielleicht fiel der geliebte Vater im Krieg, brannte die Ehefrau mit einem Anderen durch, starb das eigene Kind bei einem Unfall, oder der Bruder nahm sich nach einem Streit das Leben. Konnten diese massiven Verlusterlebnisse nicht aufgearbeitet werden, wurden alle in Verbindung damit erzeugten Gefühle und Ängste als emotionale Kapseln, sog. Blockaden, im Emotionalkörper abgespeichert. Von seiner Angst vor Endgültigkeit und Kontrollverlust getrieben, wird sich dieser Mensch in bestimmten Situationen anders verhalten als jemand, der diese Ängste nicht kennt.

Derjenige, dessen Vater aus dem Krieg nicht mehr heimgekehrte, bringt einen Angehörigen, der nur eine Urlaubsreise antritt, mit einem anderen Gefühl zum Flughafen als der Unbelastete. Die Angst, den Angehörigen vielleicht nie wieder zu sehen, wird ihm den Abschied erschweren. Der Angstfreie bleibt unbeteiligt oder freut sich für den Urlauber.

Der, der von der Angst beherrscht wird, verlassen zu werden, wird womöglich mit einer Eifersuchtszene reagieren, wenn sich seine Freundin mit einem anderen Mann unterhält. Genau diese heftige Reaktion aber begünstigt, dass sich die Freundin mit Unverständnis oder gar Wut von ihm abwendet, was seine Angst zusätzlich schürt. Jemand, der in einer solchen Situation keine Eifersucht verspürt, nimmt die Unterhaltung seiner Freundin mit einem anderen Mann einfach nur zur Kenntnis.

Der Mensch, dessen Angst vor Kontrollverlust durch den Tod eines Kindes entstand, wird nun seinem Kind gegenüber versuchen, es vor jeder nur denkbaren Gefahr zu bewahren. Er wird alles kontrollieren und absichern wollen, und allein die Frage des Kindes, ob es auf der Straße mit Freunden spielen darf, wird unweigerlich seine tief sitzende Angst aktivieren. Aus überzogenen Sicherheitsbedürfnis beschränkt er die Freiheit und die Erfahrungsmöglichkeiten seines Kindes, so dass es sich spätestens in der Pubertät der Kontrolle entziehen und sich radikal über die Wünsche und Anordnungen des überängstlichen Elternteils hinwegsetzen wird. Genau dieses Verhalten wird wiederum die Angst vor Kontrollverlust verstärken. Ein Mensch, der von dieser Angst nicht beeinflusst ist, lässt seinen Kindern den nötigen Spielraum und verhindert somit deren extreme Gegenreaktion in der Pubertät.

Ist die Angst vor den tödlichen Folgen einer Auseinandersetzung als Blockade im Emotionalkörper eines Menschen abgespeichert, wird er in einer Beziehung möglichst alles tun, um Streit zu vermeiden. Wenn es dann doch zu einem Konflikt kommt, treibt seine Angst ihn dazu, jedes gesprochene oder gehörte Wort auf die Goldwaage zu legen und daraufhin zu untersuchen, ob irgendwelche Zwischen- oder Untertöne die eigene Befürchtung vor Endgültigkeit schüren. Sicher wird er aus seiner Angst heraus geneigt sein, immer wieder den ersten Schritt zu tun, um schnellstmöglich eine Versöhnung zu erzielen. Dieses manipulierte Verhalten macht ihn extrem verletzlich und begünstigt zudem ein erpresserisches Verhalten des Gegenübers. Hätte er diese Angst nicht, bliebe er gelassen im Augenblick, sachlich in der Auseinandersetzung und würde so dafür sorgen, dass von seiner Seite keine Unklarheiten oder Unstimmigkeiten entstehen können.

Was aber haben diese Ängste mit unserem seelisches Wachstum zu tun?

Wenn wir mit unserer Angst in Berührung kommen, leiden wir. Das Leiden fungiert als Katalysator, der uns die Angst spüren lässt. Sind wir uns aber ihrer bewusst, merken wir, wenn sie in einer bestimmten Situation auftritt und erkennen, wie sie unser Verhalten manipuliert. Wir lernen, der Angst nicht mehr nachzugeben, auch wenn wir sie verspüren. So entziehen wir ihr nach und nach die Kraft und erleben, wie freudvoll und leicht unser Leben wird, wenn wir uns von unserer Angst befreien und auf dieser Grundlage unser Verhalten bewusst verändern können. Und genau dieses erweiterte Bewusstsein bewirkt das angestrebte seelische Wachstum.

Um das Vorgenannte zu verdeutlichen, hier noch eine kleine Analogie:

Stellen Sie sich jede Angst als einen Baum vor. Die Vielzahl unserer Ängste bildet einen dichten Wald. Jedes Mal, wenn eine Angst in uns aktiviert wird, „düngen“ wir einen dieser Angst-Bäume mit der Energie unserer Aufmerksamkeit, so dass er schneller wächst und mehr Licht wegnimmt. So wird der Wald im Laufe der Zeit immer dichter und undurchdringlicher. Ein Erlebnis, das unsere Angst zum Vorschein bringt, so dass wir uns mit ihr auseinandersetzen können, zeigt uns den Weg zu einem dieser Angst-Bäume, den wir nun, dank unserer Bewusstheit, fällen können. Mit jedem gefällten Baum aber wird der „Wald unserer Angst“ lichter. Nach und nach werden sich nun am Boden andere Pflanzen ansiedeln können, die vom hellen Schein unserer Bewusstheit genährt werden, uns mit ihrer Schönheit erfreuen und Früchte tragen.

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