Читать книгу WEG - WEISE - R Spiritualität - Kerstin Reichl - Страница 12
Krisen und Extremsituationen
Оглавление„Wenn die Nacht am tiefsten ist, ist der Tag am nächsten“
(Rio Reiser / Ton Steine Scherben)
Jeder Mensch gerät früher oder später einmal in eine Krise. Diese Durchzustehen und dabei ihre Auswirkungen und deren Wichtigkeit für das eigene Leben zu erkennen, stellt einen entscheidenden Wachstumsimpuls für den seelischen Reifeprozess dar. Hochmütig urteilen Mitmenschen, die noch keine Erfahrungen mit einer Krise gemacht haben, über die, die gerade in einer solchen stecken. Aber nur so lange, bis sie selbst eine durchmachen. Eine Krise kann durch finanzielle, soziale oder gesundheitliche Schwierigkeiten, durch Depression, Arbeitslosigkeit, Abhängigkeit, Tod eines Angehörigen, Scheidung o. ä. ausgelöst werden. „Krise“ ist ein aus dem Griechischen stammendes Substantiv zum altgriechischen Verb krínein, welches „trennen“und „(unter-)scheiden“ bedeutet […]. Es bezeichnet „(Ent-)Scheidung“, „entscheidende Wendung“ (Duden) und bedeutet eine „schwierige Situation, Zeit, die den Höhe- und Wendepunkt einer gefährlichen Entwicklung darstellt“ (Duden).“ Quelle: Wikipedia. Sie stellt den Gipfel eines Problem-Berges auf einer Lebens-Wanderung dar. Von dort aus müssen wir die Richtung ändern, müssen entscheiden, uns wandeln. Eine Krise ist eine Extremsituation, die heftige Reaktionen in uns erzeugt. Das kann sich sehr positiv auf unser Leben auswirken, z. B. indem wir Entscheidungen treffen, uns endgültig von Abhängigkeiten lösen, alte Gewohnheiten hinter uns lassen, uns klar abgrenzen oder eine für uns schädliche Beziehung beenden. In schlimmen Fällen kann eine Krise jedoch auch dazu führen, dass wir uns in Drogen flüchten,
zum Dieb, Erpresser oder gar Mörder werden, anderen Gewalt antun oder Selbstmord begehen. Extreme Situationen in unserem Leben helfen uns, uns selbst zu erkennen. Wir wissen nur, wozu wir fähig sind, wenn eine Situation uns an unsere Grenzen bringt. Wir Menschen gleichen einem Instrument, auf dem ein Spieler die lieblichsten Melodien, aber auch die schrägsten Missklänge erzeugen kann; grundsätzlich ist alles Gute wie auch alles Schlechte potentiell in uns angelegt.
Auch Eltern, die ihre Kinder grundsätzlich liebevoll und mit viel Verständnis erziehen, kommen manchmal an Punkte im Umgang mit ihrem Nachwuchs, an denen die Grenzen der Geduld erreicht sind, an denen sie rumbrüllen, die Türen knallen oder pädagogisch wenig wertvolle Äußerungen von sich geben. Von heranwachsenden Gegenüber provokant gereizt, hat schon so mancher friedliebender Erziehungsberechtigte mit Geschirr geworfen, ist hysterisch oder sogar handgreiflich geworden. Ein in eine Krise geratener vermögender Mensch hat möglicherweise den Ballast seines Besitzes und all die damit verbundenen gesellschaftlichen Verpflichtungen verflucht, ein hoch gelobtes Fotomodell seine Schönheit als echte Behinderung für den eigenen Lebensweg empfunden. Gesundheitliche Krisen führen nicht selten dazu, das eigene Leben von Grund auf neu auszurichten, faule Kompromisse zu beenden und nunmehr seinen eigenen Wünschen und Bedürfnissen zu folgen.
Die finsteren Stunden des Lebens bringen uns mit unserem Schatten in Verbindung: mit Eifersucht, Zorn, Aggression, Ungeduld, Verurteilung, Ungerechtigkeit, Zerstörungswut, Kontrollverlust und vielem mehr. Sie führen uns überdeutlich unsere Hilflosigkeit, unser mangelndes Vertrauen und unsere Abhängigkeiten vor Augen.
Aber natürlich zeigt sich auch hier die Polarität, denn in einer extrem leidvollen, gewalttätigen oder Angst auslösenden Situation können wir ebenso uns selbst beobachten, wie wir einen kühlen Kopf bewahren, handlungsfähig, hilfsbereit oder diplomatisch sind, Blut sehen oder Streit schlichten können, Zivilcourage besitzen und bereit, sind Opfer zu bringen. All diese positiven Seiten in uns sind uns so lange unbekannt, wie sie nicht durch äußere Umstände dazu angeregt werden, sich zu offenbaren. Krisen und Extremsituationen machen uns demütig, sie lehren uns, niemals „nie“ zu sagen und auch, dass es uns nicht zusteht, über das, was andere Menschen tun, zu urteilen, da wir selbst nicht wissen, wozu wir in entsprechenden Situationen fähig sind. Krisen helfen uns, in scheinbar ausweglosen, festgefahrenen Situationen doch noch einen Ausweg zu suchen, erstarrte Gewohnheiten und Verhaltensmuster zu durchbrechen und unsere Wertevorstellungen grundlegend zu reformieren.
Krisen gleichen einem Waldbrand. Auf großer Fläche brennt innerhalb kürzester Zeit nieder, was über Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte gewachsen ist. Alles Abgestorbene und nicht mehr Lebensfähige fällt den Flammen zum Opfer, aber auch jenes, das noch in Saft und Blüte stand. Das Feuer macht keinen Unterschied. Aber es hinterlässt fruchtbare Asche, die den Boden anreichert und so zur Grundlage neuen Lebens wird. Pflanzen, die bislang auf dem zugewachsenen Boden nicht gedeihen konnten, haben nun reichlich Licht und Raum um zu wachsen und sich auszubreiten. Tierarten, die zuvor keinen Lebensraum hatten, siedeln sich an. Und genauso ist es auch mit einer Krise: Einem verheerenden Waldbrand gleich fressen die Flammen alles auf, was Grundlage aber auch Hindernis war und schaffen so Raum für ein neues Verhalten, Erfahrungen und Gefühle.