Читать книгу Novemberrosen - Kerstin Teschnigg - Страница 3

PROLOG

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Leise schließe ich das Gartentor hinter mir, es ist schon spät, sehr spät. Um ganz genau zu sein, ich bin zu spät, wie immer. Im Haus ist alles dunkel, es brennt kein Licht. Das ist gut. Ich überlege kurz, ob ich nicht besser den Hintereingang nehmen soll. Nein, keine gute Idee, Dad könnte noch in seinem Arbeitszimmer sein, und dann bin ich fällig. Ich schleiche weiter zur Tür und krame in meiner Jeansjacke um meinen Hausschlüssel heraus zu holen. Mist. Diese Scheißstufen. Ich stolpere über die erste Stufe vor dem Hauseingang hinauf, dabei fällt mir auch noch der Schlüssel, gefolgt von einem Scheppern in der nächtlichen Stille, aus der Hand. Schnell hebe ich ihn wieder auf und versuche ihn möglichst leise ins Schloss zu stecken. Bevor mir das gelingt geht die Tür auch schon mit Schwung auf. Ich stolpere erschrocken die Stufen welche ich gerade so mühsam erklommen habe wieder hinunter. Upps. Dad sieht gar nicht erfreut aus, ich muss grinsen, seine Miene sieht zu lustig aus. Ich warte auf meine Standpauke, je schneller er anfängt, desto schneller ist es vorbei. Erfahrungssache.

„Kannst du mir sagen was es zu lachen gibt? Es ist nach Mitternacht, morgen musst du zur Schule.“

Er zeigt wütend auf seine Armbanduhr. Ja, ich weiß wie spät es ist. Ich beiße mir auf die Unterlippe und verdrehe die Augen. Ich nehme die Stufen wieder in Angriff und versuche ihn zu ignorieren. Eins, zwei, drei, hopp ich bin oben, geht doch. Ich stehe dicht vor ihm, er lässt mich nicht durch und baut sich einschüchternd vor mir auf. Ich versuche nicht zu wackeln, es ist ein komisches Schauspiel.

„Du bist betrunken.“

Er schüttelt den Kopf, seine Worte klingen abwertend, was mich aber absolut kalt lässt. Seine Augen verengen sich zusehends. Ich nehme eine Haarsträhne, die sich aus meinem Zopf gelöst hat zwischen meine Zähne und kaue darauf herum, ich muss noch immer grinsen, ich kann einfach nicht aufhören, ich bemühe mich ja, aber wenn ich ihn ansehe, muss ich noch mehr lachen. Er packt mich am Ärmel meiner Jacke, zieht mich in den Flur und wirft die Tür hinter mir zu. Ich zucke kurz zusammen.

„Du glaubst du kannst machen was du willst? Du glaubst ich lasse mir das von dir gefallen? Da täuscht du dich! Für dein Verhalten wird es Konsequenzen geben, das habe ich dir schon vor ein paar Tagen gesagt, aber scheinbar interessiert dich das nicht! Mir reicht es jetzt!“ Seine Stimme erhebt sich, es ist mir egal, ich lehne mich lässig an den Türstock und lasse ihn reden. Bla, bla, bla, immer dasselbe Geplänkel, jedes Mal.

„Ehrlich, ich weiß nicht mehr was ich mit dir machen soll Luisa. Du bist fünfzehn. Ich kann dein Verhalten nicht verantworten.“ Er schüttelt verzweifelt den Kopf.

Ja ich weiß, ich bin fünfzehn, fast. Ich liebe es ihn zur Verzweiflung zu bringen, es ist wie ein Spiel. Wie lange dauert es heute bis er ausrastet? Ich bevorzuge es keine Antwort zu geben, er weiß sowieso alles besser und mein Schweigen bringt ihn noch mehr in Rage.

„Warst du wieder mit diesem Ben zusammen?“, fährt er indes fort.

Ich finde er hat genug gefragt, über Ben spreche ich sowieso nicht mit ihm, daher setze ich zum Rückzug an und versuche mich an ihm vorbei zu drängen. Ich will auf mein Zimmer gehen, er hält mich unsanft am Arm fest und schüttelt mich ein wenig, als wolle er mich zur Vernunft zwingen.

„Du bleibst hier. Wir sind noch nicht fertig.“

„Doch sind wir, lange schon. DAD.“

Ich versuche erneut an ihm vorbei zu kommen, was wieder nicht glückt.

„Ich verbiete dir jeglichen Kontakt mit diesem Jungen, er ist kein Umgang für dich. Ich werde diesen Typen anzeigen! Du bist minderjährig und er achtzehn! Sieh nur was aus dir geworden ist. “

Er mustert mich mit einem abfälligen Blick, als würde ich ihn anekeln. Ich stemme meine Hände in meine Hüften.

„Ja, was ist aus mir geworden? Ich bin nicht mehr dein süßes Mädchen und ich will es auch nicht sein. Ich scheiße auf diese falsche Familienidylle! Zeig ihn doch an, wenn dich das glücklich macht, aber dann bin ich weg. Für immer!“

Trotz allem was ich intus habe, meine ich das ganz ernst, ich lasse mir von ihm nichts mehr gefallen.

„Luisa! Deine Mutter würde…“

Seine Stimme wird immer lauter, das beeindruckt mich immer noch nicht, aber mit Mum lasse ich mir nicht drohen.

„Lass Mum da raus, sie hat damit nichts zu tun!“

Jedes Wort über meine Mutter klingt wie eine Lüge aus seinem Mund. Wenn sie nur hier wäre, sie würde mich verstehen. Er sieht mich weiterhin mit böser Mine an, sagt aber kein Wort mehr. Am liebsten würde ich ihm vor die Füße spucken, aber das ist wohl keine so gute Idee. Mein Tonfall ist scharf, auch wenn ich mich in Anbetracht meines momentanen Zustandes schwer tue einen ordentlichen Satz zu sprechen, fauche ich ihn an.

„Geh doch zu deiner geliebten Alice.“

Er schüttelt verzweifelt den Kopf, ich boxe mich endgültig an ihm vorbei und laufe die Treppe hoch in mein Zimmer, wo ich die Tür hinter mir zuwerfe, sie versperre und mich aufs Bett schmeiße. Ich hasse ihn, er ist so ein Ignorant. Es dauert nicht lange und es klopft an meiner Tür, ich reagiere nicht.

„Es ist spät. Heute lasse ich dich in Ruhe, aber es geht so nicht weiter, wir sprechen uns morgen.“

Er kann mich mal, ich will kein Wort mehr von ihm hören, nicht heute und nicht sonst irgendwann. Ich stecke meinen Kopf unters Kissen und warte. Nach einiger Zeit lausche ich, ob ich ihn noch hören kann. Alles ist ganz leise, er scheint zu Bett gegangen zu sein. Ich stehe auf und öffne vorsichtig die Tür. Alles mucksmäuschenstill. Ich schließe die Tür wieder, gehe zum Fenster und mache es mit so wenig Geräusch wie nur möglich auf. Ich setze mich auf die Fensterbank und schwenke meine Beine galant nach draußen. Geht doch, so betrunken bin ich also wirklich nicht. Dad hat wie immer übertrieben, aber er übertreibt ständig. Mit ein wenig Schwung springe auf das Vordach der Veranda und klettere das Rosengitter hinunter. Au, Scheiße, die Rosen sind ganz schön stachelig, ich springe lieber ab, bevor ich mich noch weiter piekse und lande unsanft auf meinem Allerwertesten im Gras. Na bitte, geht doch, man könnte zwar eleganter landen, aber was soll´s. Ich steige auf mein Fahrrad das in der Auffahrt steht und fahre die dunkle Straße entlang, die nur durch den Mond in ein sanftes grau getaucht schimmert. Gut, dass ich ein paar Seitenstraßen kenne, die eine Abkürzung zu Bens Haus sind. Mein Fahrrad lehne ich an den weißen Gartenzaun und öffne das Gartentürchen. Es quietscht ein bisschen. Im Haus ist alles finster, aber in Bens Zimmer leuchtet ein schwaches Licht. Rufen kann ich um diese Zeit schlecht, wenn ich nicht die ganze Straße wecken will. Ich überlege, dann hebe ich ein paar kleine Kieselsteine aus dem Rosenbeet auf und werfe den ersten an Bens Fensterscheibe und warte kurz. Keine Reaktion. Ich versuche es noch einmal und gleich noch einmal. Ah, da ist er ja, er öffnet das Fenster und schaut suchend in die Dunkelheit. Ich gehe einen Schritt näher und winke ihm.

„Luisa?“, flüstert er und sieht mich überrascht an.

Ich fuchtle wortlos mit meinen Händen, ob er nicht vielleicht herunter kommen kann. Er signalisiert mir, dass ich leise sein soll und er gleicht komme. Ein paar Augenblicke später öffnet er auch schon die Tür und steht vor mir. Er ist ganz zerzaust und trägt nur Boxershorts und ein weißes Shirt.

„Mensch Luisa…Was machst du hier? Warum bist du nicht nach Hause gegangen? Du weckst noch Mum.“

Ich dachte er freut sich, wenn ich noch zu ihm komme, sieht aber nicht so aus, meine Mundwinkel verziehen sich gekränkt.

„Ich kann auch wieder gehen…“, schmolle ich.

„Nein…sei nicht albern.“

Er kommt heraus und schließt ganz leise die Tür hinter sich, dann nimmt er meine Hand und wir gehen durch den Garten, wo zwischen Blumenbeeten idyllisch eine Hollywoodschaukel steht.

„Setzt dich. Was ist los? Ist etwas passiert?“ Er sieht mich fragend an.

„Ich dachte du freust dich, wenn ich komme.“

„Es ist ein Uhr morgens, dein Vater wird mich umbringen, wenn er merkt, dass du hier bist.

„Merkt er doch nicht. Ich war vorhin zu Hause, er hat eine Megaszene gemacht, ich bleibe keinen Tag mehr in diesem Haus. Ich habe mich rausgeschlichen.“

Ben lehnt sich seufzend auf der Schaukel zurück. Er nimmt meine Hand und zieht mich zu sich zurück und legt seinen Arm um mich.

„Du kannst nicht hierbleiben.“

Ich sehe ihn ungläubig an, das ist jetzt nicht sein ernst.

„Soll ich mitten in der Nacht wieder mit dem Fahrrad zurück?“

Er zuckt mit den Schultern.

„So bist du ja auch hergekommen, oder?“

„Gut, verstehe, wenn ich dich wirklich brauche, dann kneifst du.“

Ich springe von der Schaukel wie eine aufgescheuchte Tarantel.

Er packt mich am Zipfel meines T-Shirts und zieht mich zurück, ich stolpere dabei fast und plumpse wieder hin.

„Psssssst, wenn meine Mum wach wird, haben wir beide ein Problem.“

Ich schmolle noch immer.

„Es war ein Fehler herzukommen, ich bin eben nur irgendein Mädchen für dich, hätte ich mir denken können.“

Aus mir spricht eine leicht betrunkene fast fünfzehnjährige, ich bereue den Satz, nachdem ich ihn ausgesprochen habe, so werde ich ihm wohl kaum imponieren.

„Blödsinn, du weißt genau dass das nicht stimmt und natürlich kneife ich nicht, aber bitte benimm dich nicht wie ein launischer Teenager.“

Er sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an, dann greift er in die Tasche seiner Boxershorts und holt einen Joint heraus, und kratzt sich hinterm Ohr, das macht er immer wenn er nachdenkt. Unter dem Sitzpolster der Schaukel zieht er eine Schachtel Streichhölzer hervor.

„Wie gut dass ich die letztens hier versteckt habe.“

Er grinst zufrieden, dann zündet er den Joint an und nimmt einen langen Zug den er genussvoll durchzieht. Er lehnt sich wieder zurück und zieht ein weiteres Mal daran, bevor er ihn mir reicht. Es ist nicht das erste Mal, dass ich etwas rauche, und trotzdem nimmt er mir den Joint nach zwei tiefen Zügen aus der Hand.

„Übertreib es nicht...“

Seine dunklen Augen funkeln im Mondlicht, ich lehne mich an ihn und lege meinen Kopf auf seine Brust. Ich fühle mich leicht wie eine Feder im Wind, da ist nur mehr er und alles andere drängt sich weit in den Hintergrund meiner Gedanken. Das gefällt mir, ich schließe meine Augen und lächle. Er streicht mir die Haarsträhne die sich aus meinem Zopf gelöst hat aus dem Gesicht und schiebt sie hinter mein Ohr. Dann beugt er sich zu mir und küsst mich. „Gehen wir rein, es ist ganz schön frisch.“

„Ich dachte ich kann nicht hier bleiben?“

Er steht auf, nimmt meine Hand, drückt den Rest des Joints in der Wiese aus und wirft ihn in den Kanaldeckel neben der Tür als wir daran vorbei gehen.

„Dein Dad bringt mich sowieso um, also was soll es, aber sei bloß leise dass meine Mutter nicht wach wird.“

Er legt mahnend den Zeigefinger auf seine Lippen. Ich ziehe meine Schuhe aus und schleiche fast geräuschlos hinter ihm die Stiege hoch. Wir verschwinden in seinem Zimmer. Die kleine Nachttischlampe brennt und hüllt das Zimmer in ein schummrig warmes Licht. Der Joint hat seine Wirkung nicht verfehlt, ich fühle mich ganz leicht und locker. Ich ziehe meine Jacke aus und lege sie auf den Stuhl vor dem Schreibtisch. Ben lehnt an der Tür und verfolgt mich mit seinen Blicken.

„Was soll ich nur mit dir machen?“

Er flüstert und seine Stimme klingt anders als sonst, ich zucke nur mit den Schultern. Dann kommt er auf mich zu und küsst mich.

„Es ist spät und du solltest längst schlafen.“

Ich nicke, sollte ich, aber jetzt bin ich hier. Er löst meinen Haargummi vom Zopf und wuschelt meine Haare ein bisschen durch, bevor er auf das Bett deutet, so als wolle er mir zeigen ich soll hingehen, was ich tue und mich darauf setze. Währenddessen zieht er sein Shirt aus und steht nur noch mit seiner Boxershorts bekleidet vor mir, danach legt er sich aufs Bett und zieht mich zu sich. Ich schnappe kurz nach Luft, mein Hals fühlt sich wie zugeschnürt an. Was soll das werden? Was hat er vor? Er streicht sanft über meine Haare und sieht mir tief in die Augen, bevor er mir mein Shirt über den Kopf zieht. Ich wehre mich nicht, aber ich habe ein bisschen Angst, ich merke wie meine Knie von selbst zu zittern beginnen und mir ein Schauer über den Rücken läuft. Er drückt seine Nase an meine Wange und streicht sanft damit darüber.

„Du brauchst keine Angst haben…“

Er flüstert mir die Worte ganz ruhig in mein Ohr, während er meinen Hals küsst und mit seiner Hand meinen BH Träger hinunter fährt. Ich stoppe ihn und er lässt sofort von mir ab. Ich setzte mich ein wenig auf. Ich weiß nicht ob ich das gerade wirklich will.

„Stimmt etwas nicht?“

Seine Stimme klingt jetzt ernster, ich schäme mich ein wenig, aber ich habe wirklich Angst.

„Ja…Nein…“ Ich stottere vor mich her. „Ich… Ich … Habe noch nie…Ich habe keine Ahnung was ich machen soll…“

Betreten sehe ich auf meine Hände, die sich zittrig und feucht anfühlen. Ich merke wie ich rot werde, jetzt lacht er mich bestimmt aus, ich blicke vor Scham weg.

„Vielleicht sollte ich doch besser gehen“, murmle ich beschämt, ohne ihn anzusehen.

Er fasst mein Kinn und hebt mein Gesicht, sodass ich ihm direkt in die Augen schauen muss und gibt mir einen langen Kuss.

„Bleib hier…“ Er streicht über meine Wange. „Ich mache nichts was du nicht auch willst.“

Will ich? Keine Ahnung, aber es fühlt sich nicht falsch an, wenn dann mit ihm. Plötzlich sind meine Gedanken wieder ganz klar, trotz Alkohol und Joint. Ich lege mich wieder aufs Bett und ziehe ihn zu mir. Während ich tief in seine Augen schaue, nicke ich ihm unmissverständlich zu. Ich lege meine Arme um seinen Hals, und er presst sich fest an mich. Seine Haut auf meiner fühlt sich unglaublich gut an, auch wenn ich vor Angst, oder ist es Aufregung, keine Ahnung, kaum noch atmen kann. Ich schließe meine Augen und schmiege meine Nase an seinen Hals. Kann es sein, dass er einfach nur wundervoll ist? Kann es sein, dass er der Eine ist? Kann es sein, dass ich nie wieder auch nur eine Sekunde ohne ihn sein will? Kann es sein, dass ich ihn liebe? Ich versinke ihn ihm, er in mir, wir ineinander. Niemals werde ich ihn mehr loslassen, niemals. Ich bin wie in Trance und vergesse meine ganze Angst und alles um mich herum. Irgendwann liege ich nur noch in seinen Armen und bereue nichts.

„Ben…“

Ich bin müde und aufgedreht zugleich, aber überglücklich nicht gegangen zu sein.

„Ja?“

Er gibt mir einen Kuss auf die Stirn, ich kuschle mich noch fester an seine Brust.

„Ich muss gehen, es wird bald hell, wenn Dad….“

Er lässt mich nicht ausreden und legt seinen Zeigefinger auf meine Lippen.

„Jetzt noch nicht, komm her, ich lasse mein Mädchen nicht mitten in der Nacht allein draußen herumspazieren, da kann dein Dad machen und sagen was er will.“

Er zieht mich noch ein wenig fester an sich. Er zeichnet meine Lippen mit dem Finger nach und gibt mir anschließend einen langen Kuss.

Ich verlasse ihm Morgengrauen das Haus, Ben begleitet mich ein Stück, bevor ich auf mein Fahrrad steige und nach Hause fahre. Meine Haare wehen im frischen Morgenwind, vor Glück schließe ich kurz meine Augen. Ja, ich bin glücklich, mir geht es richtig gut, ich kann alles tun was ich will. Nein, ab jetzt mache ich nur mehr WAS ICH WILL. Mit ihm. Wir beide gemeinsam.

Novemberrosen

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