Читать книгу Novemberrosen - Kerstin Teschnigg - Страница 5
Kapitel 2
Оглавление„Guten Morgen Süße, gut geschlafen?“
Lizzy hopst mir mit bester Laune entgegen. Ich schleppe mich unmotiviert und verschlafen in die Küche. Der Frühstückstisch ist schon gedeckt und Andy, Lizzys Verlobter, packt gerade frische Croissants aus einer Papiertüte. Der Duft des frischen Gebäcks umschmeichelt meine Nase. Durch das Küchenfenster strahlt angenehm die Sonne, die sich heute durch den New Yorker Nebel gekämpft hat auf meine Rosen.
„Guten Morgen, Andy, ich dachte, du kommst erst morgen von deiner Geschäftsreise zurück?“
Er arbeitet für eine große Telekommunikationsfirma, die gerade eine riesige Fusion anstrebt und ist deshalb viel unterwegs. Er sieht mich müde an und schnauft kurz durch.
„Ja die Verhandlungen gestalten sich doch schwieriger als gedacht, wir mussten den Termin leider erfolglos abrechen, aber dafür bin ich schon einen Tag früher wieder zurück.“
Heute ist Freitag, ich habe meinen letzten Nachdienst für diese Woche, am Wochenende hab ich zum Glück frei. Ich muss an meine Verabredung denken, mein leerer Magen zieht sich zusammen, die Angelegenheit macht mich weiterhin unglaublich nervös.
„Dein Tee ist fertig, und es gibt deine Lieblingscroissants!“
Lizzy schiebt mich zu meinem Stuhl.
„Wir haben heute noch viel vor bis zum Nachmittag, schließlich hat Luisa heute ein Date!“ Lizzy grinst Andy an, der verwundert seine Lippen kräuselt. Richtig zu interessieren scheint ihn das aber nicht, er liest weiter in seiner Zeitung.
Ich verdrehe meine Augen und seufze. „Ich gehe auf keinen Ball Lizzy, ich gehe nur Kaffee trinken.“
„Trotzdem. Ich hab heute gegoogelt.“
„Was hast du gegoogelt?“, frage ich an meinem Tee nippend nach.
„Max Deveraux. Na da hast du ja einen dicken Fisch an Land gezogen!“
Sie steht auf und holt ihr Tablet an den Frühstückstisch.
„Ich habe gar nichts an Land gezogen.“
Ich bin mir nicht sicher, ob ich wissen will was sie gefunden hat. Sie hat einen Artikel in einem Wirtschaftsblatt herausgesucht. Unter dem Titel „Die TOP 100 Aufsteiger des Jahres“ ist ein Portrait von Max, daneben noch ein anderer Mann, beide sehr bussinesslike.
Lizzy liest mit sichtlicher Bewunderung vor:
„Max Deveraux, 45 Jahre und Richard Menson, 46 Jahre, führen ihr Unternehmen seit zehn Jahren sehr erfolgreich und konnten auch in diesem Jahr wieder eine Spitzenplatzierung im Ranking der besten Unternehmen in New York einnehmen. Deveraux und Menson haben sich auf die Verwertung insolventer Großbetriebe spezialisiert und erwirtschaften damit jährlich Millionengewinne.“
Sogar Andy hat sich von seiner Zeitung abgewandt und lauscht aufmerksam. Na toll! Jetzt ist er auch noch Spitzenunternehmer und ich trinke Tee aus meiner Kindertasse mit kleinen Blumen und Herzen drauf.
„Sonst steht nichts da? Familienstand? Kinder? Allergien? Haustiere?“, frage ich spitz.
Jetzt verdreht sie die Augen. „Jetzt hör doch bitte endlich auf so skeptisch zu sein, du erstickst ja jede Romantik im Keim. Wirst du schon noch herausfinden.“
Ich lasse ihre Worte unkommentiert, denn ich finde es nicht besonders toll, wenn ich während ich mich schon verliebt habe herausfinde, dass ich es mit einem verheirateten Mann zu tun habe. Wäre nicht das erste Mal dass mir das passiert. Soviel zur Romantik. Lizzy erklärt mir beim Abräumen des Frühstücksgeschirrs, dass Manager bestimmt sehr aufs Äußere einer Frau wertlegen. Sie schlägt mir etwas schadenfroh ein totales Umstyling vor. Genervt höre ich mir ihre Vorschläge an. Ich soll doch ihr dunkelblaues Kostüm, das sie zu ihrer Approbation getragen hat ausborgen und meine weiße Spitzenbluse dazu anziehen. Am besten noch die schwarzen High Heels dazu, das wäre bestimmt unglaublich chic.
„Lizzy, ich gehe einen Kaffee trinken. Ich ziehe ganz bestimmt dazu kein Kostüm mit High Heels an, ganz egal, ob das gut ankommt oder nicht. Ich werde mich mit Sicherheit für niemanden verkleiden und wenn er der Präsident ist. Wenn ihm nicht gefällt wie ich aussehe, soll er sich eine Rechtsantwaltstussi aufreißen.“
„Ja, ja, da hast du wohl recht. Du bist wie du bist. Außerdem hast du ihn bestimmt schon längst mit deinem süßen Lächeln und deinen strahlend grünen Augen verzaubert.“
So wie ich gestern aussah, kann ich mir das zwar nicht vorstellen, aber zumindest hab ich heute die Chance ihm eine halbwegs passable Frisur zu präsentieren. Ich bin ganz froh darüber, dass Lizzy und Andy den Tag bei Lizzys Eltern verbringen wollen und ich ein paar Stunden für mich allein habe.
„Macht es dir wirklich nichts aus wenn wir jetzt fahren?“, fragt sie mich, während sie Ihren Mantel anzieht.
„Nein, alles ok.“
Ich drücke sie zum Abschied noch kurz und sie flüstert mir noch viel Glück ins Ohr. Sie ist ganz aus dem Häuschen wegen der Sache, obwohl ich mir nicht allzu viele Hoffnungen mache. Trotzdem stehe ich jetzt vor meinem Schrank und überlege was ich anziehen soll. Ich entscheide mich doch für die weiße Spitzenbluse, aber in Kombination mit einer Strickjacke, Jeans und Stiefelletten. Das passt meiner Meinung nach perfekt zum französischen Café. Meine frisch gewaschenen Haare haben sich wieder einmal erfolgreich gegen meine Rundbürste gewehrt, und für das Glätteisen ist jetzt keine Zeit mehr, ich bin sowieso schon spät dran. Nun fallen sie in leichten, weichen Wellen über meine Schultern. Ich stehe vor dem Spiegel meiner Garderobe und begutachte mich noch einmal kritisch, bevor ich meinen schwarzen Mantel überziehe.
„Sei immer du selbst!“, hat meine Mutter immer zu mir gesagt. Ich habe ihre Stimme ganz klar in meinem Ohr, als ich die Tür hinter mir zuziehe. Sie war so eine schöne, kluge Frau, in diesem Moment wäre ich gerne ein kleinwenig mehr wie sie. Das kleine Café liegt ganz unscheinbar in einer Seitengasse an der Ecke eines nostalgisch anmutenden Hauses. Draußen ist es leicht dämmrig geworden und das sanfte Licht aus dem Café scheint einladend auf die Straße hinaus. Ich bleibe kurz stehen. Warum mache ich das eigentlich? Das ist doch alles Irrsinn. Alles ist in wunderbarer Ordnung und gut so wie es ist. Soll ich wegen einem Mann alles durcheinander bringen? Er ist sowieso nichts für mich, und ich nichts für ihn. Jetzt kann ich noch gehen. Ja ich gehe wieder, er wird es schon verkraften, und ich sowieso. Ich drehe mich um und setze zum Rückzug an. Nach drei Schritten bleibe ich aber wieder stehen und blicke auf meine Handschuhe. Ich atme tief durch. Es ist nur ein Kaffee. Nur ein Kaffee Luisa, dreh jetzt nicht gleich durch. Er hat sich Zeit für mich genommen, es wäre unfair ihn jetzt sitzen zu lassen. Er ist ein netter höflicher Mann. Ich gehe wieder zur Tür und steige die drei Stufen hinauf, bevor ich die große Glastür öffne, über der ein Messingschild hängt auf dem in geschwungen Lettern „Café la douceur“ steht. Ich war schon öfters hier. Es ist klein und gemütlich, an den runden dunklen Holztischen stehen Stühle in französischem Bistro Stil mit grün weiß gestreifter Polsterung. Der dunkle Holzboden ist glänzend poliert, wenn man das Café betritt, fällt einem sofort die große Glasvitrine mit einer bestechenden Auswahl an verführerischer Patisseriekunst ins Auge. Es duftet herrlich nach frischem Kaffee, an den Wänden hängt zeitgenössische Kunst, die sich perfekt in das Flair der Umgebung einfügt. Es ist ein bisschen altmodisch, die Möbel sind leicht abgenutzt, aber es hat Stil. Die Kellnerinnen tragen weiße Spitzensschürzen, auf denen „La douceur“ aufgestickt ist. Man kann sich leicht einen Überblick über die Gäste verschaffen, und so sehe ich auch gleich Max der ganz rechts hinten an einem Ecktisch Platz genommen hat und gerade telefoniert. Als er mich erblickt bricht er sein Telefonat ab, steht auf und kommt mir ein paar Schritte entgegen. Irgendwie passt er gar nicht in das Ambiente des Cafés. So straight und beschäftigt zwischen den Schülern und Studenten die in ihre Bücher schauen, oder sich auf einen abendlichen Plausch getroffen haben. Ich muss mich zusammenreißen, um ihn nicht offensichtlich zu mustern. Anzug, weißes Hemd, grau-weiße Krawatte, die schwarzen Schuhe glänzen frisch poliert, er ist wirklich eine Erscheinung. Ich kenne keinen Mann der so ein perfektes Äußeres hat, außer vielleicht Matt, Lizzys Bruder. Er ist Rechtsanwalt, und im Anzug macht er auch eine sehr gute Figur, trotzdem kein Vergleich. Mr. Deveraux ist wirklich ein schöner Mann, und das stelle ich nicht oft fest.
„Schön, dass Sie gekommen sind Luisa“, begrüßt er mich mit einem strahlenden Lächeln und nimmt mir meinen Mantel ab.
Ich habe kaum Luft zum Atmen, als ich ihn auch begrüße und wir an dem kleinen runden Tisch Platz nehmen.
Es dauert nicht lange, und schon kommt eine rothaarige Kellnerin zu unserem Tisch. Sie erinnert mich irgendwie an Pippi Langstrumpf, nur ohne Zöpfe.
„Was darf ich Ihnen bringen?“, fragt sie mit französischem Accent und knabbert ungeduldig an ihrem Stift. Max schaut mich in Erwartung meiner Bestellung an.
„Café au lait bitte.“
„Für mich bitte einen Espresso. Kuchen?“
Ich blicke zur Kuchenvitrine, obwohl ich immer den Zitronenkuchen nehme. Ob es schicklich ist Kuchen zu essen?
„Der Zitronenkuchen soll hier besonders gut sein“, meint er, als ob er meine Gedanken lesen könnte.
„Es ist der beste der Stadt“, erwidere ich mit einem Lächeln.
„Dann nehmen wir bitte zwei Stück.“
„Natürlich gerne Monsieur.“
Die Kellnerin wieselt davon. Da ich nicht weiß, was ich sagen soll, bedanke ich mich erst einmal für die Blumen.
„Danke für die schönen Rosen, sie sind traumhaft. Ich war sehr überrascht, habe ich Ihnen überhaupt erzählt wo ich arbeite?“
„Nein, aber es war nicht so schwer das ausfindig zu machen, ich konnte Sie ganz leicht mit Ihrem Namen auf der Homepage des Krankenhauses finden.“
Als die Kellnerin mit dem Tablett ankommt, lehnt Max sich ganz entspannt am Sessel zurück.
„Ich habe Sie gestern einfach so stehen lassen, das ist eigentlich nicht meine Art.“
Er blitzt mich an, ich muss auf seine schönen Hände schauen. Ich hoffe keinen Ehering zu entdecken und nein, da ist keiner. Er ist unglaublich höflich und zuvorkommend.
„Sie sind also Hebamme, ein sehr schöner Beruf.“
„Ja, ich liebe meine Arbeit. Es ist vor allem ein wunderschönes Gefühl einem so zerbrechlichen Geschöpf den Weg ins Leben zu bereiten. Babys sind so unglaublich stark und trotzdem zerbrechlich. Eine werdende Mutter und auch der Vater sind bei einer Geburt in einem Ausnahmezustand, den sie im normalen Leben nie wieder so erleben werden. Das ist die Herausforderung in meinem Beruf, und ich liebe es. Haben Sie Kinder?“
Die Frage sprudelt ungewollt aus mir heraus, ich glaube ich bin ein bisschen rot geworden und habe ein wenig Angst vor der Antwort. Er schlägt ein Bein über das andere, es scheint als hätte ihn meine Frage etwas überrascht.
„Nein, ich habe keine Kinder, aber so wie sie das beschreiben, wäre es vermutlich schön welche zu haben.“
Irgendwie klingt das fast ein bisschen traurig, aber trotzdem bin ich erleichtert über die Antwort. Kein Ehering, keine Kinder, wobei den Ring kann man ja abnehmen. Wir unterhalten uns noch lange über alles Mögliche, die Zeit vergeht so schnell, ich vergesse fast, dass ich noch zur Arbeit muss.
„Es tut mir leid Max, ich würde gerne noch mit Ihnen plaudern, aber ich habe auch heute wieder Nachtdienst, und wenn ich nicht zu spät kommen will muss ich jetzt los.“
„Ja natürlich, die Zeit ist ja wie im Flug vergangen.“
Er winkt die Kellnerin her und bezahlt, während ich meinen Mantel vom Kleiderständer nehme. Als ich hinein schlüpfen will, nimmt er ihn mir ab und hilft mir hinein.
„Haben Sie Kinder?“, fragt er mich fast beiläufig, während ich in meinen Mantel schlüpfe.
„Nein ich habe keine Kinder, das liegt vermutlich auch daran, dass mir der Mann dazu fehlt.“
Ich drehe mich zu ihm um und kann in seinem Blick erkennen, dass ihm meine Reaktion etwas überrascht. Ich befürchte mein Ton war unangemessen schroff.
„Bitte verzeihen Sie, ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten, aber zumindest weiß ich jetzt, dass die Männerkosmetik nicht für Ihren Freund ist, was mich ehrlich gesagt doch freut.“
Ich erwidere seinen Blick und lächle ihn an, während ich mir denke wie unnötig das jetzt war.
„Nein zumindest nicht für so einen „Freund“, außerdem würde ich mich dann nicht mit Ihnen hier treffen. Ich wollte nicht so forsch sein, Entschuldigung.“
Er lächelt zurück, ich versuche die Situation möglichst galant zu überspielen.
„Sie sind kein Amerikaner, oder? Dafür sind Sie viel zu höflich“, frage ich ihn.
Er schaut mich verwundert an und erklärt mir, dass er Ire ist, aber seit über zehn Jahren in New York lebt. Wir verlassen das Café, irgendwie hab ich kein gutes Gefühl, vielleicht bin ich doch zu viel ich selbst. Draußen ist es kühl geworden, Er zieht seine schwarzen Lederhandschuhe über.
„Soll ich Sie noch zum Krankenhaus bringen? Mein Fahrer steht eine Straße weiter.“
„Danke, das ist wirklich nett, aber ich nehme die U-Bahn.“
Ich schlage die Gelegenheit zum Mitfahren ein weiteres Mal aus.
Er streicht fast beiläufig über meinen Arm.
„Es wäre schön Sie wieder zu treffen, Luisa.“
Auch wenn mein Verstand versucht es abzuwehren, mein Herz hüpft mit den Schmetterlingen in meinem Bauch um die Wette. Ich gebe mir Mühe mir meine Begeisterung nicht anmerken zu lassen. Ich nicke wortlos und ich glaube ein verlegenes Lächeln huscht mir über die Lippen. Bevor ich antworten kann, klingelt sein Telefon und ruiniert die Situation. Er nimmt meine Hand zum Abschied und verspricht mir mich anzurufen. Ich drehe mich um und gehe los Richtung U-Bahn. Als ich mich umdrehe, treffen sich unsere Blicke, während er mir noch einmal zuwinkt verschwindet er auch schon hinter dem nächsten Haus.
Kurz vor sieben Uhr schaffe ich es gerade noch pünktlich ins Krankenhaus. Auf dem Weg zum Aufzug kommt mir ein bekanntes Gesicht aus der Ferne entgegen. Mein Vater. Dr. Frank Miller. Er ist Chefarzt der Chirurgie im Krankenhaus, und scheinbar auf dem Weg nach Hause.
„Hi Dad, ich bin spät dran.“
„Ja das sehe ich, wo kommst du den her, du bist heute so chic?“
„Nicht anders als sonst, Dad.“
Ihm entgeht auch nichts, aber er fragt nicht weiter nach. Er küsst mich auf die Wange und erinnert mich an unser wöchentliches Mittagessen am Sonntag. Wie könnte ich es vergessen. Ich winke ihm noch flüchtig hinterher und steige in den Lift. Mein Vater, der einflussreiche Herr Doktor. Er hat wirklich schon vieles bewegt in diesem Krankenhaus, er ist ein toller Arzt und macht seinen Job außerordentlich. Ich konnte seine Erwartungen in mich leider nicht erfüllen. Er hätte mich immer gerne als Spitzenchirurgin und seine Nachfolgerin gesehen, aber mein Traum war das nie, ich habe ihm diese Illusion schon sehr lange genommen. Ich wollte schon als kleines Mädchen in die Fußstapfen meiner Mutter als Hebamme treten. Ich fand es immer spannend ein neues Leben auf die Reise ins Leben zu begleiten. Ärzte waren mir immer zu selbstverliebt in ihren Beruf, Götter in Weiß eben. Ich steige aus dem Lift, nein heute schwebe ich aus dem Lift, ich muss für mich selbst grinsen. Zeit, um alles für die heutige Nacht zu checken habe ich nicht, denn mir läuft bereits Dr. Cooper entgegen.
„Notsectio Luisa, wir brauchen Sie dringend, wo bleiben Sie denn?“
Der Alltag ruft mich zurück in meinen Beruf und ich habe gerade noch Zeit mich umzuziehen und mich OP fertig zu machen. Alles geht ganz schnell. Eine junge Mutter mit einem Notkaiserschnitt, 30. Schwangerschaftswoche. Dr. Cooper führt den Kaiserschnitt wie immer routiniert durch, ich kann schon das Köpfen des Winzlings sehen. Es ist ein kleines Mädchen. Er legt sie mir vorsichtig auf das vorbereitete Tuch.
Ich schaue das Baby durch die Scheibe des Inkubators an. Es sieht so winzig aus, aber ganz friedlich, als es an der Tür klopft. Ich winke den frisch gebackenen Vater herein.
„Hallo Mr. Mayr, kommen Sie, ihrer Tochter geht es gut.“
Er traut sich erst gar nicht richtig sein Baby anzuschauen. Ich erkläre ihm alles, schlussendlich kann ich ihn doch noch dazu bewegen seine Tochter zu bestaunen. Es ist mittlerweile Mitternacht geworden, als ich das erste Mal auf die Uhr schaue. Inzwischen ist auch noch eine andere Geburt auf die Station gekommen. Die werdende Mutter hatte einen Blasensprung und klagt bereits über Wehen in kurzen Abständen. Heute hab ich keine Zeit um durchzuschnaufen. Um 05.21 Uhr halte ich den kleinen, kerngesunden Lewis in Händen.
Die junge Frühchen Mutter von vorhin hat sich vom Notkaiserschnitt bereits gut erholt, als ich sie kurz vor meinem Dienstende noch auf der Station besuche. Als ich im Schwesternzimmer einen Schluck Kaffee nehme schaue ich das erste Mal seit gestern Abend auf mein Handy. Ich habe ein paar neue Nachrichten erhalten.
18.47 Uhr Lizzy: Und wie war es? Kannst du dich vielleicht bitte mal melden? Ich sterbe vor Neugier?
19.21 Uhr Matt: Hi Luisa, bin am Wochenende in NY. Morgen Mittag Pizza und Cocktails mit Lizzy und Andy? Freue mich. Kuss Matt
20.21 Uhr Max: Danke für den Abend im Café. Ich hoffe Sie bald wieder zu treffen. Max.
Klingt ziemlich verhalten, aber es gibt noch eine weitere Nachricht.
23.54 Uhr Max: Liebe Luisa, ich weiß nicht wie es Ihnen geht, aber ich denke den ganzen Abend an Sie, ich muss Sie unbedingt wieder treffen. Es ist eigentlich nicht meine Art SMS zu schreiben, aber ich kann nicht schlafen, ohne dass Sie wissen wie sehr ich an Sie denke. Gute Nacht, Max.
Er denkt an mich, er denkt an mich…es juckt mich in den Fingern, ich will sofort zurück schreiben, aber ich tue es nicht, er soll sich nur ein bisschen anstrengen um meine Gunst zu gewinnen. Ich bin froh als der Nachdienst zu Ende ist und verlasse das Krankenhaus. Zwei Tage frei. Endlich. Während ich zur U-Bahn spaziere überlege ich, ob ich nicht doch auf die SMS antworten soll, aber ich bleibe hart zu mir. Zu Hause angekommen falle ich erschöpft in mein Bett, ein paar Stunden schlafen, ich bin todmüde. Heiteres Gelächter aus der Küche weckt mich. Ich öffne noch etwas schlaftrunken meine Augen, es ist früher Nachmittag. In der Küche sitzen Lizzy, Andy und Matt. In dem Trubel habe ich ganz vergessen, dass er heute kommt. Er springt freudig auf als er mich sieht und drückt mich zur Begrüßung, was ich abgeschlagen erwidere.
„Hey Luisa, ich dachte schon, du stehst heute gar nicht mehr auf! Freust du dich denn gar nicht mich zu sehen?“
Er schüttelt mich ein bisschen, fast als wolle er den restlichen Schlaf aus mir herausrütteln. Dann knuddelt er mich abermals, ich komme mir vor wie eine Gummipuppe.
„Doch natürlich freue ich mich, aber ich bin noch total k.o.“ Ich gebe ihm einen kleinen Schubs. „Du lässt dich doch nie hier blicken.“
Bevor wir unser Geplänkel fortführen können, schiebt mich Lizzy aus der Küche.
„WIE IST ER? WIE WAR ES?“
Ich strecke mich erst einmal durch, es ist lustig wie sie vor mir her zappelt vor Neugier.
„Bekomme ich nicht vorher wenigstens einen Kaffee?“, spanne ich sie weiter auf die Folter.
„Du bekommst schon noch deinen Kaffee, außerdem warum willst du jetzt Kaffee? Du trinkst doch nie Kaffee um diese Zeit? Also komm schon, raus mit der Sprache.“
Sie gibt mir einen kleinen Rempler, um endlich etwas aus mir heraus zu bekommen.
„Tja wie soll ich sagen, ich möchte jetzt einfach gerne einen Kaffee.“
„Willst du mich verarschen?“ Sie verdreht vorwurfsvoll die Augen und macht einen Schmollmund.
Ich gebe ihr einen kleinen Schubs.
„Er ist sehr nett und unglaublich höflich, ich möchte nur keine voreiligen Schlüsse ziehen.“
„Ach Luisa…Und wie geht es jetzt weiter? Triffst du ihn wieder?“
Ich zucke mit den Schultern.
„Ich weiß es noch nicht, aber ich denke, es wäre schön.“
Dieser Satz reicht aus, um sie wieder zum Lächeln zu bringen. Nach meinem Kaffee werfe ich einen Blick auf mein Handy. Drei Anrufe in Abwesenheit von Max, er scheint sich wirklich für mich zu interessieren, ich verspüre ein ungewohnt aufgeregtes Gefühl im Bauch. Ich beschließe mich zuerst zu duschen und anzuziehen, bevor ich zurück rufe. Ich binde gerade meine Haare zusammen, als ich mein Handy summen höre. Noch einmal Max, ich grinse für mich selbst und hebe ab.
„Hi.“
Meine Freude über seinen Anruf hallt in meiner Stimme wieder.
„Hallo Luisa.“ Kurze Stille. „Störe ich Sie?“
Er wiederum klingt sehr angespannt, fast genervt würde ich sagen.
„Nein, natürlich stören Sie mich nicht“, antworte ich verwundert.
„Gut.“ Wieder ein kurzes Schweigen. „Also ich würde Sie heute gerne zur Eröffnung der Ausstellung einer guten Bekannten einladen, natürlich nur, wenn Sie Zeit und Lust haben.“
Irgendwie klingt er sehr kurz angebunden, gestern war er ganz anders, aber ich freue mich über seine Einladung, wahrscheinlich ist er im Stress.
„Ja sehr gerne, die Freude ist ganz meinerseits.“
Er würgt mich in meinen Worten fast ab. Ich schüttle für mich selbst verwundert den Kopf.
„Ich komme Sie dann um 19.30 Uhr abholen. Schreiben Sie mir bitte noch eine SMS mit Ihrer Adresse.“
„Ja gerne, mache ich.“
Bevor ich noch etwas sagen kann, verabschiedet er sich auch schon und legt auf. Komisch. Ich tippe gleich die SMS mit meiner Adresse, er antwortet darauf nicht weiter. Jetzt war er wirklich seltsam drauf, aber ich treffe ihn wieder. Ich muss wieder grinsen.
„Lizzy!“, rufe ich lauthals und es dauert nicht lange, bis sie ihren Kopf zur Tür herein streckt.
„Was ist denn los? Brennt es?“
Ich schmunzle und zeige auf mein Handy. „Heute Abend treffe ich ihn wieder.“
„Wusste ich es doch, der lässt jetzt nicht mehr locker, mach jetzt bloß keinen Blödsinn“, ermahnt sie mich. „Die Jungs warten schon, bist du soweit, wir wollen los.“
„Was für einen Blödsinn sollte ich schon machen?“
„Ich kenne dich Luisa…aber jetzt mach, wir wollen los.“
Ja, ich bin schon so weit.“