Читать книгу Clans von Cavallon (2). Der Fluch des Ozeans - Kim Forester - Страница 13

Kapitel 4

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Nixi hatte geglaubt, sie wüsste inzwischen, wozu ihr Meermenschenkörper imstande war, doch die Geschwindigkeit, mit der sie nun durchs Wasser schoss, übertraf alles, was sie bisher erlebt hatte. An ihrer Seite pflügten die anderen Meermenschen durch das von den Hufen der Kelpies aufgewühlte Wasser – den Ungeheuern hinterher, die der Festungsinsel immer näher kamen.

In dem Chaos verlor sie Sorshas blassgrüne Mähne bald aus den Augen. Sie fand sich neben Jenera wieder, einer Meerfrau, die ein paar Jahre älter war als sie. Jenera war ertrunken, als sie versucht hatte, von der Festungsinsel wegzukommen, daher war Nixi überrascht, dass sie jetzt so schnell auf die Oberfläche zuschwamm, wie sie nur konnte. Ihr offenes, seegrasartiges Haar trieb wie ein Schweif hinter ihr her. Vielleicht lebt auf der Insel jemand, der ihr immer noch wichtig ist.

Neben ihnen kämpfte sich auch Gryce nach oben, ein Meermann, den Nixi in der Speiselagune kennengelernt hatte, wo Meervolk und Kelpies ihre Mahlzeiten einnahmen. Er hatte einen kurzen, zerzausten Bart und einen entschlossenen Ausdruck im Gesicht. Nixi schätzte, dass er Anfang zwanzig gewesen sein musste, als er ertrunken war. Hat er auch jemanden auf der Insel? Eine Frau vielleicht oder ein Kind?

Nixi selbst wollte natürlich ihre Gang verteidigen: die pfiffige und gewitzte Sylvie, Rye, der gerne wie der Boss auftrat, es aber eigentlich nur gut meinte, Granit, Karah, Dewey, Linus und der kleine Tamin. Und Floss, die Nixi so sehr an ihre verstorbene Schwester Mari erinnerte. Wenn diese Monster ihnen irgendetwas antun …

Als Nixi bei den Docks der Festungsinsel an die Oberfläche schoss, hatten die Kreaturen bereits das Ufer erreicht. Ihre Tentakel schleiften über den sandigen Untergrund, doch das knirschende Geräusch wurde schon bald von ihrem markerschütternden Kreischen übertönt. Den Menschen auf den Docks stand das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Zwei Seemänner ließen die Obstkisten fallen, die sie gerade in ihr Boot laden wollten, und hielten sich die Ohren zu. Das Obst rollte über die Planken und brachte diejenigen, die zu fliehen versuchten, zu Fall. Die größte der Kreaturen ließ ihre riesigen Vorderhufe auf den Anleger krachen und zog sich mit einer geschmeidigen Bewegung hinauf. Sie stieß ein furchterregendes Heulen aus. Ihre Rückenflosse ragte bedrohlich in die Höhe.

»Die Kelpies greifen an!«, schrie ein Seemann. »Lauft!«

Nixi hielt auf den Steg zu. Hastig kletterte sie hinauf, während das Wasser von ihren Schuppen strömte und tropfte. Oben angekommen, beugte sie sich vor, um Jenera an Land zu helfen. Einige Kelpies sprangen leichtfüßig aus dem Meer und gingen auf eines der Ungeheuer los, das einen Seemann zu Boden gerissen hatte und gerade seine spitzen Zähne in dessen Schulter schlug. Nun erst erkannte Nixi, wie groß diese Monster waren: Es brauchte die vereinten Kräfte von sechs Kelpies, um die Kreatur von ihrer menschlichen Beute wegzuzerren.

Nixi, Jenera und Gryce stürzten sich ins Gefecht. Nixi stach mit ihrem Speer auf die Monster ein. Jedes Mal, wenn sie eines von ihnen traf, stieß es sein schauderhaftes Kreischen aus und schon bald waren die Planken mit schlammigem braunem Blut überzogen. Eines der Ungeheuer schlug mit seinen Tentakeln nach ihr und erwischte ihr Bein.

Nixi geriet ins Taumeln, doch Gryce eilte ihr zu Hilfe und trennte den Fangarm des Monsters mit einem gezielten Schlag vom Rumpf. Mit weit aufgerissenem Maul ging das Ungeheuer auf ihn los. Nixi und Jenera nutzten diesen Moment, um es mit einem kräftigen Stoß aus dem Gleichgewicht zu bringen. Das Monster fiel seitlich vom Steg und schlug mit einem heftigen Platschen auf dem Wasser auf.

Zum Durchschnaufen blieb jedoch keine Zeit. Ganz in der Nähe versuchte ein stämmiger Seemann, eine der Kreaturen mit einem Bootshaken abzuwehren, was diese allerdings nicht sonderlich zu beeindrucken schien. Zähnefletschend kroch sie immer weiter auf ihn zu.

»Kapitän Dobber!«, rief Nixi und rannte hinüber, um ihm zu helfen. Jenera und Gryce folgten ihr dicht auf den Fersen. Nixi hatte oft auf Dobbers Boot gearbeitet und er war immer nett zu ihr gewesen – und das, obwohl sie ihn gelegentlich beklaut hatte.

Die Kreatur schlug Dobbers Haken beiseite und schlang einen ihrer Fangarme um seinen Hals. Der Kapitän sank gegen einen Pfahl und rang verzweifelt nach Luft. Sein Gesicht war bereits knallrot angelaufen. Nixi, Gryce und Jenera hieben auf die Kreatur ein, doch ihre Waffen prallten von deren Schuppen ab, ohne großen Schaden anzurichten. Da entdeckte Nixi eine Schwachstelle: Dort, wo der Fangarm aus dem schuppigen Leib wuchs, war die Haut weich und ungeschützt. Sie stieß ihren Speer hinein. Das Ungeheuer bäumte sich auf und hob sie dabei mit in die Höhe, bis der Speer das Gewicht nicht mehr tragen konnte. Er rutschte aus der Wunde, wobei sie noch weiter aufgerissen wurde, und Nixi krachte mit voller Wucht zurück auf den Steg.

Das Monster humpelte winselnd davon. Jenera und Gryce stießen ein Triumphgeheul aus und wandten sich der nächsten Kreatur zu, während Nixi sich mühsam aufrappelte. Kapitän Dobber saß keuchend auf dem Boden und rieb sich den Hals.

Nixi blickte nach unten zum Strand, wo sie May entdeckte, eine ihrer Mitbewohnerinnen aus der Unterwasserhöhle. Vielleicht gab es ja einen Weg, May irgendwie wieder mit Kapitän Dobber zu vereinen, wenn all das vorbei war. Immerhin waren die beiden verlobt gewesen, bis May drei Tage vor ihrer Hochzeit ertrunken war. Und er hatte keine Ahnung, dass sie seitdem aus dem Meer auf ihn achtgab, seine Netze flickte und Fischschwärme in seine Richtung trieb.

»Ihr müsst hier weg«, drängte Nixi den Kapitän und fasste ihn am Arm. »Seht Ihr diese Meerfrau dort? Sie wird Euch helfen, wenn Ihr …«

Doch Kapitän Dobber warf bloß einen angewiderten Blick auf die schuppige Hand mit den klauenartigen Nägeln, die seinen Arm festhielt, und knurrte: »Verschwinde, du Missgeburt!«

Nixi starrte ihn fassungslos an. »Ich habe Euch gerade das Leben gerettet, Schwachkopf! Ich bin Nixi – ich habe früher auf Euren Booten gearbeitet, aber jetzt bin ich ein Meermensch und … das ist eine lange Geschichte. Aber wir versuchen, Euch zu helfen!« Sie deutete auf die Kämpfe, die überall um sie herum auf den Docks tobten, und auf die Kelpies und Meermenschen, die gegen die schauerlichen Kreaturen anstürmten. »Diese Viecher sind Eure Feinde, nicht wir! Das sind die Monster!«

Doch Kapitän Dobber rückte von ihr weg und wischte sich das Blut aus dem Gesicht. »Du bist nicht Nixi«, grollte er. »Ihr seid alle Monster!« Er sprang auf und rannte an ihr vorbei zu einer Gruppe Seeleute, die sich an Bord eines Schiffes versammelt hatten und in eindringlichem Tonfall unterhielten.

»Monster oder nicht«, brummte Nixi, »Ihr werdet uns brauchen, wenn Ihr das Ende dieses Tages erleben wollt.« Hastig sah sie sich nach Jenera und Gryce um, konnte sie im Kampfgetümmel aber nirgends entdecken. Genauso wenig wie Sorsha. Nixi rannte über den Steg und rief jedem Menschen, dem sie begegnete, zu: »Wir sind auf Eurer Seite! Wenn wir zusammenarbeiten, können wir sie besiegen!«

Ohne Erfolg. Ein großer, kräftiger Seemann, der, wenn sie sich recht erinnerte, Voit hieß, holte aus und schlug nach ihr. Ein Bäckerlehrling versuchte, sie niederzustechen. Und die Besitzerin der Seemannskneipe Zum Krähennest, deren Gesicht sonst immer so viel Wärme und Freundlichkeit ausstrahlte, holte mit ihrer Fackel ebenso heftig aus, um nach Nixi zu schlagen wie nach den beiden Monstern hinter ihr.

Aber wenigstens eine kleine Gruppe von Inselbewohnern wusste, dass Nixi auf ihrer Seite war – ihre Gang. Sie können den anderen klarmachen, dass wir nur helfen wollen …

Sie rannte an den Kämpfenden vorbei, weg von den Docks. Ihre schuppigen Füße klatschten auf das Kopfsteinpflaster der Gassen. Sie hatte gehofft, dass sich die Angriffe der Monster auf die Lagerhäuser und Kneipen rund um die Docks beschränkten, doch während sie durch den Ort lief, rutschte sie immer wieder auf Blutflecken aus: den schlammig braunen der Ungeheuer, den hellroten der Menschen und auf silbrig grünen, die von den Kelpies oder Meermenschen stammen mussten … Aus den alten, baufälligen Häusern, an denen sie vorbeikam, drangen schrille Schreie und ohrenbetäubendes Krachen. Nixi begegnete verletzten Menschen, die bei ihrem Anblick entsetzt aufschrien. Andere hatte es offenbar so schwer erwischt, dass sie nicht einmal mehr schreien konnten. Vielleicht waren sie schon tot.

Ihre Sorge wurde noch größer, als sie sich dem alten Schiffsfriedhof näherte, auf dem ihre Gang zu Hause war. Der verfallene Zaun war niedergetrampelt worden und der Boden mit blutigen Hufspuren übersät. Laute Rufe und Schreie schallten aus dem hinteren Teil des Geländes. Nixi sprang über wild wuchernde Kletterpflanzen, wich den Überresten eines Ruderbootes aus und rannte auf das Schiff mit dem wurmstichigen Rumpf zu, das schief zwischen zwei verrosteten Stützbalken stand. Die Galionsfigur war einmal eine stattliche Frauenskulptur gewesen, doch Wind und Wetter hatten dem Holz im Lauf der Jahre so zugesetzt, dass sie inzwischen genauso grotesk aussah wie die Monster, die gerade die Insel angriffen. Ihre leeren Augenhöhlen, in denen vor langer Zeit funkelnde Juwelen gesteckt hatten, starrten gespenstisch auf Nixi herab.

»Floss!«, brüllte Nixi. Ihr schlug das Herz bis zum Hals. »Sylvie! Wo seid ihr?«

Ein hohes, durchdringendes Kreischen kam vom Schiff. Nixi hielt sich die Ohren zu – eines der Monster war an Bord! Sie stürmte los, hangelte sich die Leiter hinauf, so schnell sie konnte, wobei ihre nassen, mit Schwimmhäuten bewachsenen Füße immer wieder auf den kaputten Sprossen ausglitten, und stürzte sich mitten ins Chaos. Ihre Gang kämpfte gegen ein riesiges Ungeheuer, dessen Tentakel sich wie Schlangen wanden. Von seinen Lefzen troff blutiger Geifer. Sylvies schwarze Locken flogen nur so umher, während sie mit bloßen Fäusten auf das Monster einprügelte und ihm die wildesten Beschimpfungen entgegenschrie. Karah hielt eine Bratpfanne in beiden Händen und hieb sie dem Monster auf den Kopf. Dewey und der kleine Tamin versuchten verzweifelt, ihm ein Seil um den Hals zu binden, doch das Monster knurrte und kreischte und schlug immer wieder mit seinen Tentakeln und Hufen nach ihnen. »Weg von ihm!«, brüllte Linus. »Lass ihn los!«

Nixi gefror das Blut in den Adern. Unter dem Huf der Kreatur lag Rye. Sein sonst so freches Gesicht war schmerzverzerrt und sein sandfarbenes Haar blutverkrustet.

Nixi sprang mit einem Satz über Tamin hinweg und bohrte ihren Speer in die empfindliche Stelle unter dem Tentakel.

Das monströse Pferdewesen taumelte zur Seite und stieß ein wuterfülltes Kreischen aus. Nixi hob ihren Speer und zielte auf den anderen Tentakel, aber bevor sie zustechen konnte, sprang die Kreatur von Bord und galoppierte davon, eine Spur aus schlammigem braunem Blut hinter sich herziehend. Seine Hufschläge hallten über den Schiffsfriedhof. Tamin und Dewey halfen Rye auf die Beine, während die anderen Nixi mit offenem Mund anstarrten.

»Wie ich sehe … hast du die Dinge hier … ganz gut im Griff«, sagte Nixi keuchend zu Sylvie.

Doch die anderen kauften ihr den sarkastischen Tonfall nicht ab. Sie rannten auf sie zu, umarmten sie alle gleichzeitig und bestürmten sie mit Begrüßungen und Fragen.

»Nixi! Du bist gekommen, um uns zu helfen!«

»Wo kam dieses Monster her?«

»Ich war gerade an Deck, als es sich plötzlich auf mich gestürzt hat«, berichtete Rye. Er hatte eine Platzwunde an der Schläfe und rieb sich die schmerzende Brust, schien aber nicht ernsthaft verletzt zu sein. Die anderen waren mit ein paar Kratzern und blauen Flecken davongekommen, außer Tamin, dem das Biest mit seinem Tentakel eine ziemlich beeindruckende blutige Nase geschlagen hatte.

Floss und Granit erschienen mit Petroleumlampen in der Hand auf der morschen Treppe, die von der Kombüse nach oben führte.

»Nixi? Bist du das?«, fragte Floss. So wie sie die brüchigen Stufen hinaufeilte, wäre niemand auf die Idee gekommen, dass sie blind war.

»Ja, ich bin es.« Nixi grinste die beiden Mädchen erleichtert an.

»Wir wären auch hier oben gewesen, um zu kämpfen«, beteuerte Granit eilig, als wollte sie nicht, dass Nixi glaubte, sie hätte sich gedrückt, »aber Floss hatte die Idee, Lampen zu holen und zu versuchen, das Monster zu verbrennen.«

Floss nickte. »Es roch nach Meer. Und da habe ich mich daran erinnert, wie sehr dir das Feuer wehgetan hat, Nixi.«

Nixi erinnerte sich auch noch lebhaft daran – die Gang hatte sie angegriffen, als sie zum ersten Mal in ihrer neuen Gestalt hier aufgetaucht war. Die Flamme hatte ihre Meermenschenhaut übel verbrannt. Die Wunde hatte richtig gequalmt und ihr höllische Schmerzen bereitet.

»Ja«, meinte Nixi trocken. »Das hätte garantiert funktioniert.«

Die anderen traten unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. Immerhin hatten sie damals schnell begriffen, dass Nixi kein Monster war – also konnten die restlichen Inselbewohner das hoffentlich auch. »Diese Viecher sind überall auf der Insel! Ihr müsst dafür sorgen, dass die Leute nicht mehr die Kelpies bekämpfen, sondern sich von uns helfen lassen.«

Die anderen sahen Sylvie an, die in Nixis Abwesenheit zur neuen Anführerin geworden war.

»Worauf warten wir noch?«, rief Sylvie. »Auf geht’s!«

Nixi lief voraus. Auf der Hauptstraße war kein Durchkommen mehr, denn das Pflaster war mit umgekippten Ochsenkarren, Feuerholz und Gemüse übersät. Ihnen blieb nichts anderes übrig, als sich den Docks durch die Seitenstraßen zu nähern. Als sie den Hafen erreichten, begriff Nixi, dass die Karren Teil einer Barrikade waren, die die Inselbewohner aus Kisten, Fässern, Treibholz, Sandsäcken, Holztrommeln und was sie sonst noch hatten finden können, errichtet hatten. Die Menschen kauerten hinter der Barriere und stachen auf die Hufe und Tentakel der Pferdeungeheuer ein, wann immer diese ihnen zu nahe kamen.

Auf den Docks kämpften die Kelpies und Meermenschen mit unverminderter Härte gegen die Monster an, teils zu zweit, teils alleine. Nixi zuckte zusammen, als eines der Monster einen Fangarm um das Hinterbein eines Kelpies schlang und das Kelpie mit lautem Krachen auf den Rücken warf.

Inmitten des Getümmels entdeckte Nixi fünf Männer an Deck eines Schiffes. Sie brüllten Befehle – es waren Dobber und die anderen Kapitäne, mit denen er sich vorhin unterhalten hatte. Wenn es hier auf der Insel so etwas wie offizielle Anführer gab, dann waren es die Schiffskapitäne – also musste Nixi bei ihnen anfangen, um die Menschen zu überzeugen, dass die Kelpies und das Meervolk ihre Verbündeten waren. »Kommt mit«, rief Nixi ihrer Gang zu und rannte in Richtung des Schiffes.

Sylvie blieb kurz davor stehen und ließ ihren Blick abschätzend über die fünf Männer schweifen. »Kapitän Dobber!«, rief sie. Nixi verspürte einen Anflug von Stolz. Sylvie hatte genau wie sie auf den Schiffen all dieser Männer gearbeitet und blitzschnell erkannt, dass sie bei Dobber wohl am ehesten auf offene Ohren stoßen würden. Und es war Nixi, die ihr all das beigebracht hatte.

Dobber sah auf.

»Die Kelpies haben uns das Leben gerettet!«, verkündete Sylvie mit fester, klarer Stimme. »Wir alle haben uns in ihnen getäuscht! Sie sind hier, um uns zu helfen!«

»Und das hier ist wirklich Nixi«, ergänzte Floss und zeigte genau dorthin, wo Nixi stand, obwohl sie die nicht sehen konnte. Wahrscheinlich kann sie mich riechen, dachte Nixi missmutig – sie war sich des fischigen Meermenschenaromas, das sie umgab, nur allzu bewusst. »Lasst die Kelpies und Meermenschen helfen, sonst müssen wir alle sterben!«

Doch Kapitän Dobber verzog das Gesicht. »Redet keinen Unsinn!«

»Bitte, Kapitän Dobber.« Sylvie schlug jetzt den vernünftigen Tonfall an, den auch Nixi immer für Verhandlungen nutzte – Sylvie hatte wirklich gut aufgepasst. »Ihr weist ab, was Ihr am dringendsten braucht: Verbündete!«

Dobber schüttelte den Kopf. »Ihr macht gemeinsame Sache mit dem Feind, ihr kleinen Narren.«

»Wohl eher Verräter«, grollte Kapitän Beecham mit geballten Fäusten. Die anderen Kapitäne knurrten zustimmend.

Nixi stieß einen leisen Fluch aus und sah sich nach May, Dobbers einstiger Verlobter, um. Auf sie würde er doch bestimmt hören … Aber sie konnte Mays helles, seegrasartiges Haar in dem Getümmel bei der Barrikade nirgends ausmachen.

»Diese Rotzlöffel gehören in den Knast!«, befand ein weiterer Kapitän, ein groß gewachsener Mann mit silbergrauem Haar namens Pinter. Die Zustimmung der anderen wurde lauter.

»Ganz recht!«

»So bleiben sie uns wenigstens vom Hals.«

Kapitän Beecham wandte sich zu den Docks um und rief: »Ergreift sie, Leute!«

Nixi fuhr entsetzt herum, als sich eine Gruppe von Seemännern auf ihre Gang stürzte. Den ersten konnte sie mit ihrem Speer abwehren, doch der nächste wich ihr geschickt aus und schnappte sich Tamin. Karah stieß einen wütenden Schrei aus und trat dem Seemann gegen die Beine. Rye und Dewey schlugen wild um sich, aber die Männer, die sie gepackt hatten, waren doppelt so groß wie sie.

»Alle zurück!«, brüllte Dobber. Er stieß Nixi beiseite und sprang mit den anderen Kapitänen an Land. »Zeit, die Verteidigungsanlage in Gang zu setzen.«

»Stopp, ihr Idioten!« Nixi versuchte, die Männer mit erhobenem Speer aufzuhalten, doch Beecham schwang seine Faust und traf sie mit voller Wucht am Kopf. Benommen taumelte Nixi rückwärts und sank auf die Knie. Ihr Speer glitt ihr aus der Hand, rutschte über den Steg und verschwand im Wasser.

Die Kapitäne eilten davon. Die Seemänner folgten ihnen mit Sylvie und den anderen im Schlepptau, die sich immer noch nach Leibeskräften wehrten. Sie schrien und kreischten, schlugen um sich und versuchten es mit so ziemlich jedem Trick, den Nixi ihnen jemals beigebracht hatte. Sylvie gelang es, sich für einen Moment loszureißen. Bei dem Versuch, sie wieder einzufangen, schubste einer der Seemänner sie zur Seite – und gegen Floss. Mit rudernden Armen versuchte Floss, sich auf dem Steg zu halten, doch vergebens. »Nein!«, schrie Nixi. »Helft ihr!«

Es war zu spät. Floss stürzte ins Meer. Das Wasser schlug mit einem dumpfen Platschen über ihr zusammen, das wegen des Chaos überall jedoch kaum zu hören war.

Nixi blieb das Herz stehen.

Sie war von Beechams Schlag noch immer benommen. Fluchend rutschte sie auf Händen und Knien an den Rand des Stegs. »Floss!«, brüllte sie. »Floss! Halte durch, ich hol dich da raus!«

Sie blickte hinab. Die Wasseroberfläche war spiegelglatt.

Sie kann schwimmen, dachte Nixi verzweifelt, während sie versuchte, ihre Panik niederzuringen. Sie schafft das schon.

Zwei Atemzüge verstrichen. Drei. Von Floss fehlte immer noch jede Spur. Hatte sie sich bei ihrem Sturz den Kopf angeschlagen? Sich im Seegras oder einem Fischernetz verheddert?

Mühsam rappelte Nixi sich auf, bereit, ihrer Freundin hinterherzutauchen. Dann bemerkte sie etwas – auf den Docks war Stille eingekehrt. Sie sah sich um. Die Monster, Kelpies und das Meervolk kämpften immer noch, aber die Menschen waren verschwunden. Die Verteidigungsanlage, schossen ihr Dobbers Worte durch den Kopf. Was …

Und dann ging die Welt um sie herum in Flammen auf.

Clans von Cavallon (2). Der Fluch des Ozeans

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