Читать книгу Clans von Cavallon (2). Der Fluch des Ozeans - Kim Forester - Страница 19

Kapitel 7

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Lysander fuhr sachte mit dem Pinsel über die Leinwand, um König Orsinos glänzenden silbergrauen Schweif zu malen. Sein Blick huschte zwischen seinem Gemälde und dem hölzernen Gestell mit dem leblosen Körper des Königs hin und her. Er konzentrierte sich ganz darauf, die Striche so präzise wie möglich zu setzen, denn das war das Einzige, was ihn davon abhielt, sich zu übergeben.

Er wünschte, die Wachen würden ihm erlauben, die Türen zu öffnen, um den stickigen, nach Essig stinkenden Mief hier drin zu vertreiben und frische Meeresluft – und Licht! – hereinzulassen. Doch sie hatten darauf bestanden, sie geschlossen zu halten, und nur widerstrebend die Petroleumlampe entzündet, nachdem er ihnen erklärt hatte, dass er nur malen konnte, wenn er etwas sah.

Beim Anblick von König Orsinos Körper hatte Lysander zuerst nicht gewusst, wie er reagieren sollte. Der leblose König in seiner bestickten purpurnen Weste wurde von dem hölzernen Gestell so aufrecht gehalten, dass es aussah, als könnte er jeden Moment aus dem Krankenzimmer spazieren. Am liebsten hätte Lysander auf dem Huf kehrtgemacht, wäre die Rampen hinuntergaloppiert und hätte durch den gesamten Palast geschrien, dass der König tot war. Doch während der Rest von Corlandia vollkommen ahnungslos war, wusste hier im Palast offenbar jeder Bescheid.

Also hatte er das Einzige getan, was er in dieser Situation tun konnte: Mit zitternden Fingern hatte er die Staffelei aufgebaut, seine Palette vorbereitet und angefangen, die Grundierung aufzutragen. Lysander hatte sich das Malen und Zeichnen selbst beigebracht, doch er wusste, dass er bei einem Porträt als Erstes die Grundumrisse skizzieren und dann nach und nach die Details hinzufügen musste. Aber dafür hätte er sich den König im Ganzen ansehen müssen und dazu war er noch nicht bereit. Stattdessen konzentrierte er sich darauf, den Schweif so perfekt wie möglich hinzubekommen.

In ihm stieg ein beinahe hysterisches Lachen auf. Vielleicht würde es ihm ja weniger ausmachen, Leichen zu malen, wenn sein Vater ihn auf die Kunsthochschule und nicht auf die Hochschule für Philosophie geschickt hätte. Nur wäre es Cassio Diomedes niemals in den Sinn gekommen, seinem einzigen Sohn und Stammeshalter eine Kunstausbildung zu ermöglichen. In seinen Augen war das rausgeworfenes Geld. Lysander biss sich auf die Lippe und schielte zum Tisch hinüber, an dem die zwei Wachen Platz genommen hatten. Einer der beiden war in eine Chronik vertieft, der andere spielte Karten.

Allerdings war das hier eben keine gewöhnliche Leiche. Sie war ein großes, schreckliches Geheimnis – und wieder einmal war sein Vater irgendwie darin verwickelt.

Lysander erstarrte, als die Wachen aufstanden und sich leise mit zwei Zentauren draußen vor der Tür unterhielten. Er hörte seinen Namen und dann eine Stimme, die ihm bekannt vorkam. Es war Rätin Hillira, die Vorsitzende der medizinischen Fakultät. »Lord Cassio denkt aber auch wirklich an alles, was?« Sie klang regelrecht beeindruckt.

Die zweite Stimme lachte. Bevor Lysander sich überlegen konnte, wie er sich verhalten sollte, trat Rätin Hillira ein. Sie trug eine lange blaue Jacke, die über ihren goldenen Rücken fiel und ihren perlendurchwirkten Schweif teilweise verdeckte. Außerdem hatte sie eine große, mit Stickereien verzierte Tasche dabei. Ratsherr Ripius, ein stämmiger Zentaur mit rötlich grauen Flanken, die farblich zu seiner roten Weste und seinem üppigen Schnurrbart passten, folgte ihr dicht auf den Fersen.

»Du musst Lysander sein«, sagte Rätin Hillira. Sie musterte ihn von Kopf bis Huf, wobei ihr Blick an seinem zerzausten Haar und den Farbflecken auf seiner Weste hängen blieb. »Wir brauchen nicht lange. Und er wird wesentlich besser aussehen, wenn ich mit ihm fertig bin.«

Ratsherr Ripius entzündete zwei weitere Petroleumlampen. Eine stellte er auf den Tisch, wo Rätin Hillira gerade ihre Tasche öffnete, die andere hielt er in der Hand, während er das Bett umrundete und König Orsinos Leichnam von allen Seiten kritisch beäugte.

»Die Wangen brauchen dringend eine Auffrischung.« Er beugte sich vor und betastete das leblose Gesicht des Königs. »Sie fangen an einzufallen.«

Rätin Hillira lachte. »Das würden deine auch, wenn du seit Monaten tot wärst.«

Alles an dieser Situation war einfach grauenhaft, doch der heitere Tonfall, in dem sie sprachen, war mit Abstand das Schrecklichste. Lysander tat, als müsse er seine Staffelei neu ausrichten, damit er das strahlende Lächeln nicht erwidern musste, mit dem sie ihn anblickte.

Hillira streifte weiße Handschuhe über und leerte ihre Tasche aus. Ein ganzes Sortiment von Fläschchen und Phiolen, die um einiges kleiner waren als Lysanders Farbtöpfe, kam zum Vorschein, gefolgt von mehreren langen Metallinstrumenten. Hillira reihte sie auf dem Tisch auf und hielt sich eine Brille, die wie ihr Schweif mit Perlen verziert war, vor die Augen, um die Etiketten zu lesen. Sie wählte drei Phiolen aus und öffnete die gläsernen Verschlüsse.

»Ihr habt die Wachen weiterhin im Griff, Ripius, oder?«, erkundigte sie sich beiläufig, während sie die erste Phiole nahm und deren Inhalt mit geübten Handgriffen auf ein Seidentuch träufelte.

»Sie sind für ihr Schweigen fürstlich entlohnt worden. Solange unser junger Freund Lysander hier nichts ausplaudert, ist alles in bester Ordnung.« Ratsherr Ripius zwinkerte Lysander zu und gab ihm einen Klaps auf die Schulter.

Lysander rang sich ein Lächeln ab.

»Könntet Ihr freundlicherweise das Licht etwas höher halten?«, fragte die Rätin. Ripius hielt die Petroleumlampe über König Orsinos Gesicht und Hillira beugte sich vor und tupfte die Wangen und Stirn des Königs mit dem Tuch ab. Lysander unterdrückte mühsam einen Brechreiz, als sich eine frische Wolke des säuerlichen Gestanks im Raum ausbreitete.

Hillira und Rupius schien der Geruch nichts auszumachen. Sie diskutierten gut gelaunt, wie viel von der übel riechenden Flüssigkeit sie auf König Orsinos Gesicht, Hals und hinter seinen Ohren auftragen sollten. Dann griff Hillira zur nächsten Phiole, mit deren Inhalt sie Orsinos glänzendes schwarzes Fell auffrischte. Zu guter Letzt verteilte sie ein nach ranziger Butter stinkendes Öl in seinen Haaren, seinem Bart und seinem Schweif.

Das soll ihn konservieren, begriff Lysander. Als wäre er ein Salzhering oder ein Korb Erdbeeren.

Aber warum taten sie das? Warum gaben sie den Tod des Königs nicht bekannt?

»Lysander?«, fragte Ripius. »Hast du gehört, Junge?«

Lysander schrak hoch. Was hatte er gerade gesagt?

Ripius deutete mit einem Kopfnicken auf die Leinwand. »Dein Vater muss wirklich stolz auf dich sein.«

Vater … Lysander schauderte. Früher oder später würde Cassio herausfinden, dass er hier gewesen war, natürlich würde er das! Was habe ich mir nur dabei gedacht? Wenn die Wachen ihn nicht verpfiffen, dann würden Hillira und Ripius es tun.

»Ja sehr«, antwortete Lysander zerstreut. Hastig schraubte er seine Farbtöpfe zu und packte die Pinsel in die Mappe, dann baute er die Staffelei ab und legte die noch feuchte Leinwand in den Sandelholzkoffer. »Ich … brauche mehr Terpentin. Bin gleich wieder zurück«, log er. Die Wachen nickten ihm bloß zu und die beiden Ratsmitglieder waren zu sehr damit beschäftigt, König Orsinos Bart zu kämmen, um ihm Beachtung zu schenken. Eiligen Schrittes lief Lysander aus dem Zimmer.

Er schaffte es, sich zusammenzureißen, bis er das andere Ende des Korridors erreicht hatte, bevor er in Galopp verfiel. Er stürmte die Rampen hinab und durch die Gärten, die bei seiner Ankunft so luftig und angenehm gewesen waren. Nun aber stand die Sonne hoch am Himmel und spiegelte sich grell im weißen Marmor der Säulen. Im gleißenden Licht wirkten die bunten Mosaike schrill und kitschig. Die zurückhaltende Eleganz des Palastes kam ihm plötzlich wie eine Lüge vor.

Als Lysander das Erdgeschoss erreicht hatte und auf die Seitentür zulief, öffnete sich diese und ein groß gewachsener Zentaur in einer langen orangefarbenen Weste trat ein. Sein kurzer schwarzer Bart war penibel gestutzt, sein graues Fell schimmerte elegant und seine Miene war ernst und streng.

Es war sein Vater.

Lysander kam schlitternd zum Stehen. Verzweifelt sah er sich nach einem anderen Ausgang oder wenigstens einem Versteck um, doch in der weitläufigen Marmorhalle gab es nichts dergleichen. Er war seinem Vater schutzlos ausgeliefert.

Cassio Diomedes hielt ebenfalls inne und runzelte die Stirn. An seinem Hals zuckte ein Muskel.

Lysander packte seinen Sandelholzkoffer so fest, dass der Griff in seine Finger schnitt. »Ich kann das erklären …«

»Nur zu«, erwiderte Cassio. Seine Augen funkelten wie schwarzes Eis. »Erklär mir doch bitte, wieso ich meinen Sohn in den Gemächern des Königs antreffe?«

Lysanders Wangen glühten. »Ich war … auf der Suche nach dir …«

»Nein, warst du nicht«, entgegnete Cassio. »Die Liste deines heutigen Fehlverhaltens ist schon lang genug, auch ohne dass du lügst. Du hast ein Porträt des Königs gemalt. Zu welchem Zweck?«

Lysander schüttelte den Kopf. »Ich … ich wollte ihn einfach sehen.«

Cassio kam ihm so nahe, dass Lysander den Duft von Zitronen in seinem Atem riechen konnte. »Wolltest du ihm etwa von der Königswahrheit erzählen? Das will ich wirklich nicht hoffen. Schließlich ist das ein Geheimnis, das zu hüten du geschworen hast. Nicht wahr?«

»Ja, Vater.«

»Ist dir eigentlich klar, dass du mich beinahe vor meinen Kollegen bloßgestellt hättest?« Wieder zuckte der Muskel an Cassios Hals. »Rätin Petra hat mir zu meiner Idee gratuliert, dich Orsinos Porträt malen zu lassen, und ich hatte keine Ahnung, was sie meinte.«

»Es tut mir leid, Vater«, murmelte Lysander.

Cassio straffte die Schultern. »Es wird dir noch viel mehr leidtun, sollte so etwas erneut passieren. Du kannst dich glücklich schätzen, dass ich Petra und die anderen in dem Glauben gelassen habe, dass es tatsächlich meine Idee war. Nun geh und erfülle deine Pflicht als mein Sohn und Bewahrer der Königswahrheit.«

Lysander trat von einem Bein aufs andere. »Ich verstehe nicht ganz …«

»Geh wieder nach oben und vollende das Porträt.«

Lysander starrte ihn sprachlos an.

»Nun mach schon!«, blaffte Cassio. »Bring das Bild in mein Büro, wenn du fertig bist.« Er drehte den Kopf und rief: »Davion!«

Ein großer, dünner Wächter mit schwarz-weiß geflecktem Fell kam herein. »Ja, Sir?«

»Sorgt dafür, dass mein Sohn alles hat, was er braucht, um das Porträt des Königs fertigzustellen, und dass er von niemandem gestört wird, bis er es vollendet hat.«

Davion salutierte gehorsam. Cassio rauschte durch den Flur davon und Lysander folgte Davion die Rampe hinauf nach oben. Das Einzige, was er empfand, war eine Mischung aus Schock und Erleichterung. Ansonsten fühlte er sich vollkommen leer.

*

Im Turm der Chronisten war es dunkel. Nur im Büro seines Vaters im obersten Stock brannte noch Licht. Lysander stieg die Rampen hinauf, wobei er sorgfältig darauf achtete, dass das noch feuchte Porträt nicht mit seiner Kleidung in Berührung kam. Müde stellte er fest, dass seine beste Weste über und über mit Farbe bespritzt war.

Als Lysander das Obergeschoss erreichte, stand Fabian, der Assistent seines Vaters, noch hinter seinem Schreibtisch und starrte missmutig auf einen Stapel Papiere. Wenn der Oberste Chronist Überstunden machte, musste sein Assistent offenbar ebenfalls länger bleiben. Rund um die marmorne Brüstung flackerten Petroleumlampen.

Lysander rechnete beinahe damit, dass Fabian ihn wie sonst mit den Worten abwimmeln würde, sein Vater sei zu beschäftigt, um ihn zu empfangen, doch diesmal kam der Assistent hinter seinem Schreibtisch hervor und sagte: »Warte, ich mach dir auf, Lysander. Der Oberste Chronist erwartet dich bereits.«

Lysander betrat das stille, von Bücherregalen gesäumte Büro. Cassio Diomedes stand hinter seinem großen schwarzen Schreibtisch und arbeitete. Alles im Raum war penibel im rechten Winkel zueinander angeordnet: die sauber gestapelten Dokumente auf der Tischplatte, die nur darauf warteten, dass der Oberste Chronist ihnen seine Aufmerksamkeit schenkte, die seiden- und edelsteinverzierten Bücher, die, wie mit dem Lineal gezogen, in Reih und Glied im Regal standen, und sogar die beiden Porträts, die hinter dem Schreibtisch an der Wand hingen. Das kleinere der beiden zeigte Lysanders Mutter, die verschwunden war, als er noch ein Fohlen war. Auf dem Bild stand sie zwischen zwei filigranen Säulen und lächelte den Betrachter warmherzig an.

Darüber hing ein deutlich größeres Gemälde in einem üppig verzierten goldenen Rahmen, aus dem Lysander die gleichen grauen Augen entgegenblickten wie aus dem Bild in seiner Hand. König Orsino war deutlich jünger gewesen, als dieses Porträt angefertigt worden war. Er stand vor dem Palast und hielt in der einen Hand ein Schwert, in der anderen eine Schreibfeder – Symbole für die Macht und Weisheit der Zentauren. Sein Gesicht war glatt rasiert und seine Mähne und sein Schweif tiefschwarz, ohne auch nur eine einzige graue Strähne.

Aber das war es nicht, was sich so deutlich von dem Gesicht auf Lysanders Bild unterschied. Lysander sah von einem Porträt zum anderen, bis er schließlich erkannte, woran es lag: Auf dem älteren Porträt war Orsinos Miene voller Hoffnung. In Lysanders Bild nicht mehr.

»Na, dann lass mal sehen«, sagte Cassio und legte seinen Füllfederhalter beiseite. Lysander überreichte ihm das Gemälde.

Er schlug nervös mit dem Schweif, während sein Vater seine Arbeit schweigend unter die Lupe nahm. Cassio Diomedes hatte für Kunst nichts übrig. Die einzigen Kunstwerke, die es bei ihnen zu Hause gab, waren die Bilder und Zeichnungen in Lysanders Zimmer und Lysander war sich ziemlich sicher, dass diese beiden Porträts auch nur deshalb hier im Büro hingen, weil das von einem Mann in Cassios Position erwartet wurde. »Zeitverschwendung«, hatte Cassio Lysanders Werke immer genannt. »Ein Zentaur drückt sich in der Kunst des Schreibens aus, nicht durch Farbkleckserei.«

Doch nun nahm er das Porträt ausgiebig in Augenschein, erst aus der Nähe, dann auf Armlänge entfernt. »Deine Pinselstriche hier am Schweif sind unglaublich«, lobte er. »Es ist, als könnte ich jedes einzelne Haar erkennen.«

Lysander widerstand dem Drang, sich umzudrehen und nachzusehen, ob jemand hinter ihm stand, an den sich die Worte seines Vaters richteten.

»Und wie du die Farben hier einsetzt, um den Schatten einzufangen«, sein Vater zeigte auf die Vorhänge, die Lysander hinter den König gemalt hatte. »Dadurch erhält das Bild eine enorme Tiefe.« Cassio bewegte das Gemälde nach rechts und dann nach links. »Und die Augen! Als würden sie mich direkt ansehen. Gut gemacht, Lysander. Du kannst stolz auf dein Werk sein.«

Lysander starrte ihn mit offenem Mund an. Er kannte seinen Vater gut genug, um nicht dem Irrglauben zu verfallen, dass sein Lob wirklich seiner Kunstfertigkeit galt. Es musste noch etwas anderes dahinterstecken. Aber er hatte sich so lange nach anerkennenden Worten gesehnt, dass sie sich nun anfühlten wie Regentropfen nach einer Dürrezeit. Er spürte ein Kribbeln in seiner Brust. »Danke, Vater«, krächzte er mühsam.

Cassio lächelte und setzte das Gemälde vorsichtig ab. Dann kam er hinter seinem Schreibtisch hervor und legte Lysander eine Hand auf die Schulter. Lysander zuckte zusammen, doch sein Vater schien es nicht zu bemerken. »Die letzten Wochen waren schwierig«, sprach Cassio in vertraulichem Tonfall. »Der König war schon lange krank und ist kurz vor dem Angriff auf die Freie Stadt gestorben. Als wir die erschütternde Nachricht erhielten, haben wir als Rat beschlossen, sie einstweilen unter Verschluss zu halten. Das wäre für Corlandia einfach zu viel auf einmal gewesen. Erst der Gipfel, dann die verlorene Schlacht gegen die Pegasus … Den Tod des Königs bekannt zu geben, hätte die Stabilität Corlandias gefährdet. Und die Sicherheit des Königreichs hat für uns oberste Priorität.«

Lysander schluckte. »Warum … warum bewahrt ihr den Leichnam auf?«

Cassio lächelte. »Das war meine Idee. Früher oder später werden wir die Bevölkerung natürlich über König Orsinos Tod in Kenntnis setzen müssen, und wenn wir dann einen Leichnam zum Vorzeigen haben, können wir behaupten, es sei gerade erst passiert. Wir müssen nur auf den geeigneten Zeitpunkt warten, wenn Corlandia und der Rest Cavallons bereit dafür sind. Und das hier«, er tippte auf Lysanders Gemälde, »wird uns dabei helfen. So erhalten die Bürger Corlandias einen letzten Blick auf ihren König.« Er betrachtete das Porträt erneut und schüttelte staunend den Kopf. »Die Augen wirken so lebendig.«

Lysander öffnete den Mund, um zu protestieren – er musste doch dagegen protestieren, oder? Die Augen des Königs waren eben nicht lebendig, sie waren leer und tot und entsetzlich. Nein – das alles war entsetzlich. Der Minotaurus, der Junge in der Höhle und nun der Tod des Königs.

Und Cassio Diomedes hatte bei allem die Finger im Spiel.

Doch dann kam sein Vater noch näher und umarmte ihn. Lysander erstarrte – er konnte sich nicht erinnern, wann sein Vater ihn das letzte Mal in den Arm genommen hatte. Wahrscheinlich irgendwann als Fohlen. »Ich bin so froh, meinen Sohn als Vertrauten an meiner Seite zu wissen.«

Als Lysander hochsah, stellte er zu seiner Bestürzung fest, dass Cassios Augen feucht waren. Sie waren auf das Porträt von Lysanders Mutter gerichtet. Unbeholfen legte er die Arme um seinen Vater. Er wusste nicht, was er sonst tun sollte.

»Wir machen das zusammen, mein Sohn. Du wirst schon sehen.«

Clans von Cavallon (2). Der Fluch des Ozeans

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