Читать книгу Clans von Cavallon (2). Der Fluch des Ozeans - Kim Forester - Страница 9

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Kapitel 2

Mein Plan ist es, ganz Cavallon zu erobern«, sagte Dromego. »Und du wirst mir dabei helfen.« Er packte Sam an der Schulter und schob ihn durch die unterirdische Werkstatt.

»Hey!«, protestierte Sam. Er versuchte, sich loszureißen, aber Dromego hielt ihn eisern fest. In der weitläufigen Höhle loderten überall riesige Schmiedefeuer, an denen Menschen mit rußgeschwärzten Gesichtern schufteten. Das Scheppern von Metall, das Klirren der Hämmer und das Fauchen der Flammen dröhnten in Sams Ohren. Neben ihm lief der große und muskulöse Minotaurus, aus dessen Stierkopf spitze Hörner ragten. Auf Sams anderer Seite ging Dromego und trieb ihn unerbittlich vorwärts. Sam warf ihm einen verstohlenen Blick zu. Was war Dromego? Ein Mensch? Ein weiteres Monster? Dem Äußeren nach schien er nicht viel älter zu sein als Sam selbst. Er war schlank und man hätte ihn durchaus als gut aussehend bezeichnen können, wären da nicht die gebogenen Hörner, die aus seinem hellbraunen Haar hervorragten.

Was will er von mir?, fragte sich Sam verzweifelt. Angst machte sich in ihm breit.

Irgendwo über ihm ertönte ein furchterregendes Kreischen. Sam verschlug es vor Schreck den Atem. Direkt unter der Höhlendecke hockten auf Felsvorsprüngen Dutzende pferdeähnliche Gestalten mit langen, schuppigen Hälsen und gewaltigen ledrigen Flügeln, die sie eng an ihre Körper angelegt hatten. Ihre Hinterbeine waren mit schweren Ketten an den Fels gebunden. Sam kannte den Grund dafür: Erst vor Kurzem hatte er miterlebt, wie gefährlich diese riesigen Kreaturen waren. Sie konnten sogar Feuer spucken. Er hatte sie aus nächster Nähe gesehen, als sie sein Zuhause, die Freie Stadt, in Schutt und Asche gelegt hatten. Eines der Ungeheuer streckte sich, schlug ein paar Mal mit den Flügeln und riss das Maul auf. Lange, messerscharfe Zähne blitzten darin auf.

Sams Angst wich einem überwältigenden Zorn. »Diese Monster!«, schrie er. »Sie haben meine Eltern getötet! Und du hast sie geschickt, oder? Du Mörder!«

In der Höhle wurde es still. Die Arbeiter hielten in der Bewegung inne und starrten ihn entsetzt an. Sams Wut verpuffte so schnell, wie sie in ihm hochgekocht war. Zurück blieb lähmende Angst. Warum hatte er nicht die Klappe gehalten?

Dromego zog eine Augenbraue hoch. »Ach herrje«, spottete er. »Da hat wohl jemand schlechte Laune.«

Der Minotaurus beugte sich vor, sodass sein breites, haariges Gesicht auf gleicher Höhe mit Sams war. Seine Augen waren schwarz und ausdruckslos. Er stieß ein Knurren aus und blies Sam einen Schwall heißen, stinkenden Atems ins Gesicht. Sam zitterte so heftig, dass er sich nur mit Mühe auf den Beinen halten konnte. Oh, ihr Sterne … Er wich vor den scharfen Zähnen und spitzen Hörnern des Minotaurus zurück, die im Feuerschein funkelten, und kniff die Augen zu.

Lasst es wenigstens schnell vorbei sein …

Eine Weile verstrich, ohne dass etwas geschah: Keine Zähne bohrten sich in seinen Körper, keine Hörner spießten ihn auf. Schließlich öffnete Sam die Augen vorsichtig und stellte fest, dass sich der Minotaurus wieder aufgerichtet hatte. Dromego grinste gehässig.

»An die Arbeit«, befahl Dromego, machte eine knappe Handbewegung und wandte sich ab.

Sams Erleichterung währte nur kurz, denn der Minotaurus schubste ihn unsanft zu einem der Schmiedeöfen hinüber. Ein Grüppchen Menschen in schmutzigen, abgetragenen Tuniken blickte ihm wortlos entgegen. Neben dem gleichmäßig brennenden Feuer drehte sich ein großes hölzernes Rad, das den Blasebalg bediente, der den Flammen frische Luft zuführte. Es wurde von einem alten Einhorn in Bewegung gehalten, das in dem Rad langsam vor sich hin trottete. Flackernde Schatten tanzten über das matte grau-weiße Fell und die zottelige weiße Mähne des Einhorns. Die Spitze seines Horns war stumpf gefeilt worden.

»Zurück an die Arbeit!«, blaffte eine große Frau mit dunkler Haut und stechenden blauen Augen. Hastig nahmen die Menschen ihre Tätigkeiten wieder auf. Die Frau drückte Sam einen Hammer in die Hand und sagte kurz angebunden: »Stell lieber keine Fragen, Junge. Nur so hast du hier eine Chance. Und jetzt hör gut zu, denn ich erkläre es dir nur ein Mal. Ich heiße Moyra und habe in diesem Trupp das Kommando. Es ist mir egal, wo du herkommst, wie du hier gelandet bist oder ob du Angst hast. Jeder von uns hat seine eigene Geschichte und Angst haben hier alle.« Bei diesen Worten huschte ein schmerzvoller Ausdruck über ihr Gesicht. Sie fuhr sich durchs verfilzte Haar. »Wenn du überleben willst, folge meinen Befehlen, schmiede Rüstungen und halte deinen Mund. Das Beste, was dir passieren kann, ist, dass Dromego vergisst, dass du hier bist.«

Moyra beschrieb, wo die Werkzeuge aufbewahrt wurden, doch Sam hörte ihr nur mit halbem Ohr zu. Er war zu sehr damit beschäftigt, die anderen Arbeiter zu beobachten. Sie wirkten gehetzt, von panischer Angst getrieben. Manche zuckten jedes Mal zusammen, wenn Moyra Dromegos Namen aussprach. Einer von ihnen, ein dünner Mann mit fleckigem Gesicht, zitterte so sehr, dass er das windschiefe Rüstungsteil, auf das er einhämmerte, immer wieder fallen ließ.

Und schon wieder eine Schmiede, dachte Sam. Ihm war gleichzeitig zum Lachen und zum Weinen zumute. Er war ja überhaupt erst hier unten gelandet, weil er versucht hatte, seinem Schicksal als Sklave in einer Einhornschmiede zu entkommen. Dort hatte er sich durch Helme und Kettenhemden von außergewöhnlicher Qualität und Leichtigkeit hervorgetan, was er vor allem der seltsamen Verbindung mit Tordred zu verdanken hatte.

Wo bist du?, fragte er seinen Freund in Gedanken.

Doch es kam keine Antwort.

Moyra hielt ihm eine schmutzige Schürze hin. Mit zitternden Fingern band er sie sich um. Nun, da seine Angst langsam nachließ, überkam ihn bleierne Leere. Ein trockenes Schluchzen drang aus seiner Kehle und er griff nach der Kette unter seiner Tunika, die er aus der Brosche seiner Mutter gemacht und mit einigen Haaren aus Tordreds Mähne befestigt hatte. Sie war das Letzte, was ihm von seinen Eltern geblieben war. Und vielleicht auch von Tordred.

»Sieh zu, dass es perfekt wird, Junge«, schloss Moyra ihren Vortrag und schubste ihn zum Amboss hinüber. Sam betrachtete den Hammer in seiner Hand – er war von überraschend hochwertiger Qualität, viel besser als die, die er in der Einhornschmiede benutzt hatte – und machte sich daran, das Rüstungsteil in Form zu bringen, das Moyra ihm vorgesetzt hatte. Zum Glück wussten seine Hände, was zu tun war, denn er war in Gedanken ganz bei Tordred und bekam kaum mit, was er da tat. Er musste zu ihm durchdringen, das musste doch irgendwie gehen …

Ich bin hier unten, rief er seinem Freund in Gedanken zu, unter den Bergen. Ich brauche deine Hilfe, Tordred!

Es kam keine Antwort.

Neben ihm lief das alte Einhorn in dem Holzrad unbeirrt Runde um Runde und Sams Hammerschläge fielen bald in den Rhythmus der Huftritte und des quietschenden Rades ein. Vielleicht würde ihn das beruhigen.

Hilf mir, Tordred. Vor Anstrengung rann Sam der Schweiß übers Gesicht, was durch die lodernde Hitze des Schmiedefeuers noch verstärkt wurde. Hilf mir. Hilf mir.

Immer noch kam keine Reaktion. Frustriert ließ Sam den Hammer auf die Metallplatte krachen. »Jetzt antworte mir doch endlich!«, murmelte er.

Das alte Einhorn blieb stehen und sah Sam durchdringend an. Sam bedachte es mit einem finsteren Blick und wandte sich dann wieder seiner Rüstung zu. Der Schlag eben hatte eine unschöne Delle darin hinterlassen, die er schleunigst ausbeulen musste.

Als Moyra ihre Truppe mit einem Pfiff zum Essen rief, waren Sams Kleider völlig durchnässt und aus seinen Haaren rann ihm der Schweiß in die Augen. Seine kupferfarbene Haut war mit einer dicken Rußschicht überzogen.

Moyra führte sie aus der riesigen Werkstatt in eine kleine, etwas kühlere Kammer, wo eine alte Frau jedem von ihnen ein Stück dunkles Brot und einen Brocken Fleisch reichte, dessen Ursprung nicht mal zu erahnen war. Sam ließ sich auf den nackten Boden plumpsen und lehnte sich gegen die Wand. Er hatte seit zwei Tagen nichts mehr gegessen und daher war es ihm ziemlich egal, dass das Fleisch im Licht der Fackeln grau und seltsam klumpig aussah. Bevor er sich irgendwelche Gedanken darüber machen konnte, um welche Art Fleisch es sich wohl handeln mochte, hatte er es bereits verschlungen. Das Brot war besser – höchstens ein paar Tage alt. Wahrscheinlich wäre es klug, sich ein Stück davon aufzuheben, damit er etwas zu essen hatte, falls ihm die Flucht gelang, doch sein Magen forderte lautstark die gesamte Ration ein, und zwar sofort. Sam zwang sich, jeden Bissen zwanzigmal zu kauen, bevor er ihn runterschluckte. Immerhin lenkte ihn das von seinen Gedanken an Tordred ab.

Das alte Einhorn ließ sich ächzend neben Sam nieder. Es aß seine Ration Brot und Fleisch auf, dann beugte es sich zu Sam hinüber und raunte ihm zu: »Du solltest vorsichtiger sein.« Da alle um sie herum ins Gespräch vertieft waren, hörte keiner der anderen Arbeiter seine Worte.

»Was meinst du?«, fragte Sam zwischen zwei Bissen.

»Ich kann erkennen«, erwiderte das Einhorn noch leiser, »dass es ein Band zwischen dir und einem Einhorn gibt.«

Sam erstarrte. Das alte Einhorn musterte ihn mit seinen großen schwarzen Augen.

Sam wusste nur zu gut, dass Einhörnern schon allein die Vorstellung eines Bandes zwischen Menschen und ihresgleichen zuwider war – schließlich hatten Tordred und er deswegen vor dem Eisenhornclan fliehen müssen.

Er würgte das restliche Stück Brot in einem Bissen runter. Im Licht der Fackeln blitzte die stumpfe Hornspitze des alten Einhorns auf. Konnte es ihn damit trotzdem noch durchbohren?

Doch das Einhorn zuckte bloß mit den Ohren. »Du solltest vorsichtiger sein«, wiederholte es. »Dromego darf auf keinen Fall davon erfahren. Wer weiß, was er daraus machen würde?«

Jetzt sah Sam das Einhorn zum ersten Mal richtig an. Er bemerkte die Narben unter seinem matten Fell. »Ich, äh … danke«, stotterte er. »Ich werde besser aufpassen.«

Das Einhorn blickte sich um. »Du solltest trotzdem weiter versuchen, Kontakt zu deinem Einhorn aufzunehmen«, raunte es. »Wir alle würden sofort von hier fliehen, wenn wir könnten.« Es stieß Sams Oberarm mit seinem Maul an, was ziemlich schmerzhaft war, aber unter Einhörnern vermutlich als höflich galt. »Ich heiße Wardock.«

Sam rieb sich den Arm. »Sam Quicksilver.«

»Gib nicht auf«, sagte Wardock.

Vermutlich hätte Sam froh sein sollen, dass er hier, an diesem entsetzlichen Ort, so etwas wie einen Freund gefunden hatte. Doch auch das konnte ihn nicht aufmuntern. Er hatte Tordred verloren, seine Freiheit – einfach alles.

Clans von Cavallon (2). Der Fluch des Ozeans

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