Читать книгу Clans von Cavallon (2). Der Fluch des Ozeans - Kim Forester - Страница 17

Kapitel 6

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Nixi wich mit einem Satz zurück. Der Steg stand in Flammen und das Feuer ging bereits auf die ersten Schiffe über! Gleich darauf wurde sie von einem der Monster beiseitegestoßen, das mit fliegenden Tentakeln an ihr vorbeipreschte. Sie sah das Weiße in seinen aufgerissenen Augen, dann sprang es über die Feuerwand und stürzte sich winselnd ins Wasser. Auch die Kelpies flohen schreiend zurück ins Meer, um sich vor den Flammen in Sicherheit zu bringen.

»Nixi!«, rief eine Stimme.

Es war Gryce. Neben ihm stand Jenera. Ihre Haarspitzen waren versengt und auf ihrer Wange glitzerte silbrig grünes Blut. Mit vereinten Kräften halfen sie Nixi zwischen den brennenden Schiffen und Kisten hindurch zurück auf die gepflasterte Gasse. Dort waren sie zwar vor den Flammen geschützt, doch die Hitze, die ihnen entgegenschlug, brannte entsetzlich auf Nixis schuppiger Haut. Der Schmerz war kaum auszuhalten, viel schlimmer, als sie ihn früher als Mensch wahrgenommen hätte. Sie fühlte sich, als wäre sie im Inneren einer Petroleumlampe gefangen.

Es soll so höllisch lodern, dachte sie benommen. Dieses Feuer musste der Abwehrmechanismus sein, von dem Kapitän Dobber gesprochen hatte. Wie hatten sie das gemacht? Hatten sie Ölfässer in Brand gesetzt? Mit petroleumgetränkten Seilen, die sie an einem Ende angezündet hatten? Die Bewohner der Festungsinsel hatten schon immer auf Feuer gesetzt, um das Meervolk fernzuhalten, das sie fälschlicherweise für Geister hielten. Aber bisher hatten sie bloß draußen vor ihren Geschäften Laternen brennen lassen oder waren nachts nur mit einer Fackel in der Hand auf die Straße gegangen. Nixi hätte nie gedacht, dass sie bereitwillig in Kauf nehmen würden, die ganze Insel abzufackeln, um ihr Zuhause zu retten.

Na ja, dachte Nixi weiter, während sie Jeneras und Gryce’ Hände abschüttelte. Manchmal gehen Menschen eben dumme Risiken ein, um das zu verteidigen, was ihnen lieb ist …

Sie rannte zurück, geradewegs auf die Flammen zu, ohne auf die warnenden Rufe ihrer Meermenschenfreunde zu achten. Das Feuer hatte sich ausgebreitet. Es bildete jetzt eine geschlossene Wand direkt an der Hafenkante, durch die es kein Durchkommen mehr gab. Nixi rannte daran entlang, obwohl die heißen Planken der Docks ihre Fußsohlen verbrannten. Und dann sah sie es: Zwischen zwei Stützbalken gab es eine kleine Lücke in der Feuerwand. Sie sprang hindurch, den Mund zu einem stummen Schmerzensschrei aufgerissen, während die Hitze die Haut auf ihren Armen versengte, und stürzte sich kopfüber ins Meer.

Ich komme, Floss.

Wasser drang in ihre Lunge, bevor ihr Körper wieder auf Kiemenatmung umstellen konnte, was unangenehm war, aber das war Nixi egal. Zu groß war die Erleichterung, die das kühle Meerwasser ihrer gepeinigten Haut verschaffte. Schon bald begannen die verbrannten Stellen abzublättern. Die Wunden schmerzten im salzigen Wasser, aber auch das hielt Nixi nicht auf. Sie musste Floss finden! Wie lange war sie jetzt schon unter Wasser? War sie irgendwo wieder aufgetaucht? Hatte die Explosion sie erwischt?

Panik hilft dir jetzt auch nicht weiter, ermahnte sie sich selbst. Sieh einfach zu, dass du sie findest.

Nixi tauchte zum Meeresgrund hinab und suchte die Gegend rund um die brennenden Docks ab. Dabei musste sie immer wieder verkohlten Überresten von Schiffen und Stegen ausweichen, die ins Wasser fielen und den Schlamm am Grund aufwühlten. Daher kam Nixi nur langsam voran, denn ein ums andere Mal musste sie warten, bis sie wieder etwas sehen konnte.

Doch alles, was sie fand, waren die Körper toter Monster und einiger Kelpies, die den Kampf nicht überlebt hatten. Das erste Kelpie, auf das sie stieß, war zierlich und hatte eine blassgrüne Mähne. Beklommen schwamm Nixi näher heran – aber zum Glück war es nicht Sorsha.

So entsetzlich der Anblick der Leichen auch war, er gab Nixi neue Hoffnung. Wenn Floss tot wäre, läge sie auch dort unten.

Hatte Floss es zurück auf die Insel geschafft? Nixi umrundete den Anlegesteg und kroch zurück an den Strand, auch wenn das bedeutete, dass sie sich einmal mehr der Hitze an Land aussetzen musste. Eine Wolke aus dichtem, stinkendem Qualm hing über der Insel und verschlug ihr fast den Atem. Ihre Augen begannen zu tränen. Angst und Sorge nagten in ihr, während sie über den Sand rannte und nach einem Durchlass in den Flammen suchte. Nixis Haut dampfte, wenn sie den Flammen zu nahe kam, und sie hatte schon zweimal ins Wasser zurückkehren müssen, um sich abzukühlen, doch sie suchte unermüdlich weiter.

Da vorne! Auf der Promenade am Pier waren die Flammen niedriger. Das Feuer hatte den Großteil der hölzernen Planken verzehrt und fand auf dem steinernen Untergrund keine Nahrung mehr. Nixi rannte auf die Stelle zu und zog sich hinauf, aber der Stein war immer noch so heiß, dass die Haut an ihren Fingern Blasen warf. Sie setzte trotzdem ihre Füße darauf und lief los. Verzweifelt sah sie sich in alle Richtungen um. »Floss!«, schrie sie. »Floss!«

Obwohl ein Teil der monströsen Kreaturen vor dem Feuer geflohen war, wimmelte es in den Straßen rund um die Docks immer noch von ihnen. Die Kelpies gaben nicht auf, sie zu bekämpfen. Nixi sah, wie Sorsha und Egeria eines der Monster unter dem wild hin und her schwingenden Schild vom Krähennest in die Ecke trieben, ohne sich um die Glut zu scheren, die auf sie herabregnete. Sie rannte an ihnen vorbei und rief weiter aus vollem Hals nach Floss, auch wenn ihre Schuppen sich bereits schmerzhaft trocken und rissig anfühlten. Aber darüber konnte sie sich jetzt keine Gedanken machen.

Eine Straße weiter erblickte sie eine Gruppe großer Gestalten, die mehrere kleinere Gestalten an den qualmenden Überresten des Fischladens vorbeizerrten. Die kleineren wehrten sich mit Händen und Füßen, sie schrien, traten und schlugen um sich. Der Allerkleinste von ihnen biss den Mann, der ihn festhielt, in den Arm. Auch ohne ihre Gesichter zu sehen, wusste sie, wen sie da vor sich hatte: ihre Gang. Und die Männer, die sie gefangen genommen hatten, schleiften sie auf das finstere, mit Eisengittern verschlossene Gefängnis der Festungsinsel zu.

Nixi fühlte sich, als würde sie entzweigerissen wie ein Segel im Sturm. Irgendwo da draußen wartete Floss auf ihre Hilfe – das hoffte sie jedenfalls – und hier direkt vor ihr wurde ihre Gang abgeführt und eingesperrt. Sie hatte selbst schon einige Nächte in diesem Gefängnis verbracht, wenn sie ausnahmsweise mal beim Klauen erwischt worden war. Daher wusste sie, was für ein schrecklicher Ort es war. Was würden die Wachen wohl erst mit Sylvie und den anderen anstellen, wenn sie die für Verräter hielten?

Damit war ihre Entscheidung gefallen. Hustend vor lauter Qualm, rannte sie los. Sie versuchte, einen Blick auf ihre Freunde zu erhaschen, die in den Rauchschwaden verschwanden wie Schiffe im Nebel. Da trat plötzlich aus einer Seitengasse eine bullige Gestalt auf sie zu und verstellte ihr den Weg. Es war Kapitän Beecham – und er hielt eine Harpune in der Hand.

»Dreckiger Abschaum«, knurrte er. »Widerliche Missgeburt!« Er stürzte sich mit erhobener Harpune auf sie.

Ohne ihren Speer blieb Nixi nichts anders übrig, als kehrtzumachen und wieder auf die brennenden Docks zuzulaufen, weg von ihrer Gang. Die Fischerboote dort hatten inzwischen gewaltig Schlagseite. Ihre Masten ragten wie gigantische Fackeln in den Himmel und auch aus den Warenlagern schlugen haushohe Flammen. Nixi sprang über ein Brandloch im Boden und riskierte einen Blick zurück. Beecham kam in vollem Lauf auf sie zugestürmt. Sein Gesicht war hassverzerrt.

Dann warf sich ihm ein Kelpie entgegen und rammte ihm die Vorderhufe mit solcher Wucht gegen den Brustkorb, dass Beecham rückwärts zu Boden ging. Die Harpune rutschte ihm aus der Hand und fiel durch ein Loch im Holzsteg.

»Sorsha!«, rief Nixi. Um sie herum zerbrachen weitere Planken und ganz in der Nähe ertönte ein markerschütterndes Knirschen und Krachen, als Teile des Piers ins Meer stürzten. Dampf stieg zischend von der Wasseroberfläche auf.

»Wir müssen hier weg!«, schrie Sorsha und galoppierte auf sie zu. In ihren violetten Augen spiegelte sich das Feuer. »Komm jetzt! Los!«

»Aber meine Gang! Und Floss …«

»Dafür ist es zu spät!«

Verbittert musste Nixi einsehen, dass Sorsha recht hatte. Der restliche Pier stürzte ein und riss schreiende Kelpies und kreischende Monster gleichermaßen in die Tiefe. Nixi spürte, wie sich der Boden unter ihren Füßen neigte, als sie hinter Sorsha und den anderen Kelpies herrannte. Keiner machte sich mehr die Mühe, nach Lücken zwischen den Flammen zu suchen, denn es gab keine mehr – vor ihnen loderte eine durchgehende Feuerwand. Ihre eigenen Schmerzensschreie gellten Nixi in den Ohren, als sie mit den anderen hindurchpreschte. Einen Moment lang war sie vollkommen von sengender Hitze eingeschlossen, dann tauchte sie ins kühle Nass.

Doch im Wasser wartete bereits das nächste Grauen. Die Monster griffen sofort an. Nixis Kiemen kamen gar nicht dazu, die Atmung aufzunehmen, da schlang sich bereits ein Tentakel um ihr Handgelenk und zwei riesige Hufe schlugen nach ihr. Sie stieß ein durchdringendes Wutgeheul aus, das sowohl im Wasser als auch darüber zu hören war. Sorsha warf sich mit den Hufen voran auf das Monster, sodass es von Nixi abließ. Nixi schnappte sich eine vorbeitreibende Waffe, die sie im ersten Moment für ihren Speer hielt, bevor sie erkannte, dass es sich um Beechams Harpune handelte. Dann schwamm sie dem Monster nach und stach immer wieder auf die weichen, ungeschützten Körperstellen rund um seine Tentakel ein. Schließlich erschlaffte die Kreatur und rührte sich nicht mehr.

Doch vor ihnen tauchten bereits die nächsten beiden Monster auf. Sorsha und Nixi gingen gemeinsam auf das erste der beiden los. Sorsha rammte ihm die Hufe ins Gesicht, während Nixis Harpune sich tief in seine breite Brust bohrte. Es bäumte sich im Wasser auf und wirbelte dabei eine Wolke aus braunem Blut auf.

»Erwischt!«, brüllte Nixi.

Im selben Moment schlang das zweite Monster seinen Tentakel um Sorshas Vorderbein, drehte sie auf den Rücken und zog sie auf sich zu, das Maul mit den scharfen Reißzähnen weit aufgerissen.

Sorsha schrie und wieherte in Panik und strampelte verzweifelt mit den Beinen, schaffte es aber nicht, sich zu befreien. Nixi schwamm, so schnell sie konnte, mit der Harpune im Anschlag auf das Monster zu, doch bevor sie es erreichte, gellte ein ohrenbetäubendes Kreischen durchs Wasser. Nixi fühlte sich, als würde ihr jemand ein Messer in die Schläfen stoßen. Es war schriller als alle Schreie, die diese Kreaturen bisher von sich gegeben hatten. Nixi und die anderen Meermenschen hielten sich die Ohren zu. Die Kelpies hatten panisch ihre Ohren angelegt und warfen verstört die Köpfe in den Nacken. Den Monstern dagegen schien das Kreischen nichts auszumachen. Auch sie hielten inne, aber es sah aus, als würden sie lauschen. Das Ungeheuer, das Sorsha gepackt hatte, legte den Kopf schief. Was ist hier los?, fragte sich Nixi. Was machen sie da?

Das Kreischen verstummte und das Monster, das Sorsha festhielt, tauchte ab. Sein Tentakel war noch immer um ihr Vorderbein geschlungen, sodass sie hilflos hinter ihm hergezogen wurde wie ein Ruderboot, das an einem Schiff festgebunden war. Ihre Augen waren vor Angst weit aufgerissen.

»Sorsha!«, schrie Nixi und machte sich auf die Verfolgung.

Auch die anderen Monster tauchten ab. Einige hatten Kelpies oder Meermenschen erbeutet und zogen sie im Maul in die Tiefe, andere hörten selbst jetzt nicht auf zu kämpfen. Nixi erblickte drei Ungeheuer, die deutlich größer waren als der Rest. Tentakel schlängelten sich um ihre Köpfe, während sie die anderen Monster umkreisten, als wollten sie die zur Eile antreiben. Das Ungeheuer, das ihnen am nächsten war, öffnete das Maul und stieß ein weiteres markerschütterndes Kreischen aus, woraufhin die restlichen Monster noch hastiger abzogen.

Das Kreischen ist ihre Art zu kommunizieren, begriff Nixi. Die großen Ungeheuer befehlen den anderen, den Kampf weiter in die Tiefe zu verlegen.

Sie schlug noch schneller mit den Beinen. Unter ihnen lag das Korallenriff, in dem die Kelpies und das Meervolk lebten. Binnen kürzester Zeit hatten die Monster es erreicht. Einer der Anführer schlang seine Tentakel um den Turm der Großen Grotte und brachte ihn zum Einstürzen. Rote und goldfarbene Korallensplitter trieben durchs Wasser. Das Monster stieß einen fürchterlichen Triumphschrei aus und preschte auf die Kelpies los, die es zu vertreiben versuchten. Eines der Kelpies bekam einen Huftritt gegen die Schläfe und verlor auf der Stelle das Bewusstsein.

Das Ungeheuer, das Sorsha am Bein festhielt, zog sie auf sein aufgerissenes Maul zu. Nixi stach mit ihrer Harpune nach ihm, doch das Ungeheuer wich aus und der Harpunenstoß ging ins Leere. Immerhin war das Monster für ein Moment so abgelenkt, dass Sorsha sich umdrehen konnte. Sie trat mit ihren Hinterbeinen nach dem Ungeheuer, bis es sie schließlich losließ.

Mit einem Kreischen stürzte sich das Ungeheuer erneut auf Sorsha. Als Nixi ihrer Freundin zu Hilfe eilen wollte, erwischte ein Huf sie mit voller Wucht am Rücken. Verzweifelt stach sie mit ihrer Harpune zu, duckte sich weg und versuchte, einen weiteren Treffer zu landen. Um sie herum kämpften Kelpies und Meermenschen mit aller Kraft. Das Wasser war von Kreischen und Kampfgeschrei erfüllt, in das sich immer wieder ein schauderhaftes Krachen mischte, wenn die Monster eines ihrer Opfer gegen die Korallengebäude der Kolonie schleuderten.

Deswegen sind sie hier runtergekommen – sie haben vor, alles zu zerstören, erkannte Nixi. Die Kelpies hingegen waren von Natur aus so sanftmütig, dass sie den Angriff nicht mal mit einem Zehntel der Wucht parieren konnten, mit der die Monster auf sie losgingen. Durch die vielen unablässigen Attacken hatten sie außerdem keine Gelegenheit, eine Verteidigungsstrategie zu entwickeln. Und einen Anführer, der das Kommando übernehmen könnte, gibt es auch nicht, dachte Nixi missmutig.

Schlimmer noch: Sie hatte nicht mal selbst die Zeit, sich zu überlegen, wie sie das Blatt wenden könnte – dafür war sie viel zu sehr damit beschäftigt, um ihr Leben zu kämpfen. Wann immer sie mit der Harpune einen Treffer landete, stürzte sich gleich das nächste Monster auf sie. Als Nixi noch auf der Festungsinsel gelebt hatte, war sie häufig in Auseinandersetzungen geraten – als Waisenkind dort war das nahezu unvermeidbar. Aber sie hatte meist versucht, möglichst ungeschoren davonzukommen. Wenn sie doch einmal gekämpft hatte, dann nur, um ihrer Gang genügend Zeit zur Flucht zu verschaffen. Mit einem Gegner, der unermüdlich angriff und es nur darauf anzulegen schien, blindlings zu zerstören und alles und jeden zu töten, hatte sie es noch nie zu tun gehabt.

Die Kelpies leisteten tapfer Widerstand, obwohl um sie herum immer mehr leblose Artgenossen in die Tiefe sanken. Und auch Nixi gab nicht auf, obgleich ihre Arme von der schweren Harpune schmerzten.

Schließlich stießen die Anführer der Monster ein weiteres markerschütterndes Kreischen aus. Die Ungeheuer hielten einen Augenblick lang inne, dann rissen sie die Köpfe hoch und antworteten: Das Kreischen aus Dutzenden von Kehlen gellte durchs Wasser und Nixi hatte das Gefühl, als würden ihr tausend Messer gleichzeitig in den Schädel gerammt. Sie krümmte sich vor Schmerzen.

Offenbar handelte es sich um einen Siegesschrei, denn endlich tauchten die Monster ab, nahmen die Tentakel ihrer toten Gefährten ins Maul und schleppten sie hinter sich her auf den Schlund zu.

Wie gelähmt blickten Nixi und die anderen Kelpies und Meermenschen ihnen nach. Nur einige wenige Monster zogen Leichname hinter sich her, während die verwüsteten Felder und Wiesen, über die sie hinwegschwammen, mit leblosen Körpern von Kelpies und Meermenschen übersät waren. Nixi wusste, dass die bei Weitem nicht alle waren: Viele weitere lagen in den Ruinen der Grotten und Höhlen hinter ihr.

Nur ein paar Dutzend Kelpies hatten überlebt. In ihren schimmernden Schuppen klafften Wunden und in ihren sonst so freundlichen Gesichtern stand tiefe Trauer. Silbernes Blut trieb in Schlieren durchs Wasser. Eine Weile schwebten sie alle stumm und reglos auf der Stelle.

Dann schwamm ein älterer Kelpiehengst, der eine lange grüne Mähne hinter sich herzog, zur Seegraswiese hinab, um einer verwundeten Kelpiestute aufzuhelfen. Behutsam führte er sie zu den Höhlen zurück und nun erkannte Nixi, dass ihr Vorderbein gebrochen war – es stand in einem unnatürlichen Winkel ab. Das schien auch die anderen aus ihrer lähmenden Betäubung zu wecken. Wenig später waren sämtliche Kelpies und Meermenschen, die dazu noch imstande waren, damit beschäftigt, ihre verletzten Gefährten zu versorgen oder die Leichname der Gefallenen in die unterirdische Höhle zu tragen, wo sie ihre Toten bestatten.

Nixi und Sorsha schwammen hinab und bargen Cattails Leichnam, einer der Kelpie-Ältesten. Nixis schuppige Hände hatten denselben Farbton wie Cattails blaugrüne Mähne. Nixi sah Sorsha an und blickte in große, traurige Augen. »Könnt … könnt ihr sie mit eurer Magie zurückholen? So wie ihr das mit Menschen macht, die ertrunken sind?«

Sorsha schüttelte den Kopf. »Unsere Magie gehört dem Ozean. Wir können ihn nur darum bitten, das zurückzubringen, was er sich geholt hat. Diese Kelpies und Meermenschen sind nicht ertrunken. Sie sind Gewalt zum Opfer gefallen – und dagegen haben wir keine Magie.«

Gemeinsam trugen sie Cattails Leichnam zur Totenhöhle. Als sie wieder herauskamen, erblickte Nixi Jenera und Gryce. Erleichtert schwamm sie auf die beiden zu, hielt dann jedoch inne, als sie sah, wer bei ihnen war: May, die freundliche, füllige Meerfrau, die einmal mit Kapitän Dobber verlobt gewesen war. Eine tiefe, hässliche Wunde zog sich über ihre Wange bis hinab zum Hals und ihr Arm hing in einer Seetangschlinge.

Mit voller Wucht brachen die Schrecken des Tages über Nixi herein. Wie würde es May ergehen, wenn sie herausfand, dass Kapitän Dobber derjenige war, der das Feuer gelegt hatte? Dass er der Grund dafür war, dass die Insel, auf der Nixi und sie als Menschen gelebt hatten, zerstört war? Nixi spürte ein heißes Kribbeln in ihren Augen. Ihre Gang saß jetzt im Gefängnis!

»Ich muss mal eben … Ich bin gleich wieder zurück«, raunte sie Sorsha zu. Sie versteckte sich hinter einem Felsen und lehnte sich dagegen. Tränen strömten aus ihren Augen und mischten sich mit dem Wasser des Ozeans.

Reiß dich zusammen, befahl sie sich. Sie holte ein paar Mal tief Luft und ließ das kühle, erfrischende Wasser durch ihre Kiemen strömen. Erst handeln, dann fühlen – das war früher an Land eines ihrer Mottos gewesen, mit dem sie immer gut gefahren war.

Hinter dem Felsen, auf der anderen Seite einer flachen Senke im Meeresgrund, tanzte etwas Langes, Dunkles im Wasser. Auf den ersten Blick sah es aus wie ein Aal. War es der Schweif eines Kelpies? Nixi schwamm näher heran. Entsetzen schnürte ihr die Kehle zu, als sie erkannte, dass es sich weder um einen Aal noch um einen Kelpieschweif handelte, sondern um einen langen schwarzen, geflochtenen Zopf.

Nein. Nein, nein, nein, nein, nein …

Nixi schwamm höher, um den Körper, der dort unten zwischen den Felsen lag, besser sehen zu können. Den Körper, der weder zu einem Kelpie noch zu einem Meermenschen gehörte.

Floss’ Augen waren offen und starrten blicklos ins Nichts. Ihr Kopf war seitlich gegen einen Felsen gekippt und ihre Arme und Beine wogten gespenstisch in der Strömung, als wollten sie im Tod die Bewegungen eines lebendigen Körpers nachahmen.

Ein Schluchzen drang aus Nixis Kehle. Das war zu viel. Sie hatte immer alles getan, was in ihrer Macht stand, um ihre Gang zu beschützen – und ganz besonders Floss. Floss, die niemandem, nicht einmal sich selbst, erlaubt hatte, sie zu bemitleiden. Die Nixi nach ihrer Verwandlung zum Meermenschen als Erste sofort vertraut und sich immer wieder für sie eingesetzt hatte. Deren Lachen so sehr dem von Nixis verstorbener kleiner Schwester glich, dass ihr jedes Mal warm ums Herz geworden war.

»Nixi?«, fragte eine besorgte Stimme hinter ihr.

Sorsha kam hinter dem Felsen hervor. Ihre Augen wurden groß, als sie Floss’ Leichnam erblickte. »Oh, Nixi. Das tut mir furchtbar leid. Ist sie ertrunken?«

Nixi nickte. Wenn sie doch nur da gewesen wäre, um Floss aufzufangen, bevor sie ins Wasser gestürzt war. Wenn sie sich doch nicht noch ein letztes Mal zu den Docks umgedreht hätte. Dann wäre sie bei der Explosion bereits im Wasser gewesen und hätte Floss vielleicht retten können.

»Es ist noch nicht zu spät«, beteuerte Sorsha. »Wir können sie in einen Meermenschen verwandeln. Aber wir müssen uns beeilen. Damit die Magie wirken kann, dürfen wir nicht zu lange warten.«

Hoffnung blühte in Nixi auf und brachte ihr Herz zum Klopfen. Sie ergriff Floss’ kalte Hand. Ich habe versprochen, auf dich aufzupassen, sagte sie in Gedanken. Und das war mein voller Ernst.

Clans von Cavallon (2). Der Fluch des Ozeans

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