Читать книгу Clans von Cavallon (4). Das Vermächtnis der Zentauren - Kim Forester - Страница 13

Kapitel 3

Оглавление

Nixi hatte viel Zeit damit verbracht, Pläne zu schmieden, wie sie ihre Gang aus dem Gefängnis der Festungsinsel befreien konnte. Womit sie allerdings nicht gerechnet hatte, war, dass sie einfach nur zur Tür hereinspazieren musste. Trotzdem verschaff‌te es ihr eine gewisse Genugtuung, die verdatterten Gesichter der anderen zu sehen, als Floss und sie mit einem Wärter vor ihrer Zellentür auf‌tauchten, um sie rauszuholen.

Tamin und Rye kamen sofort herausgeschossen und bestürmten sie mit Fragen. Sylvie hingegen war sichtlich auf der Hut. Sie zupfte an einer ihrer schwarzen Locken und nahm die Szene mit einem abschätzenden Ausdruck in den dunklen Augen in sich auf. Die anderen vier folgten ihrem Beispiel, wobei ihre Blicke unsicher zwischen Sylvie und Nixi hin und her wanderten.

Nixi grinste Sylvie an und erklärte: »Das ist kein Trick. Sie lassen euch raus. Die Inselbewohner haben verstanden, dass die Meermenschen und Kelpies auf ihrer Seite sind.«

Der Wärter nickte. »Wir wissen jetzt, dass ihr nur versucht habt, die Insel zu schützen. Die Anklage gegen euch wurde daher fallen gelassen.« Seine Mundwinkel zuckten. »In diesem Punkt jedenfalls.«

Nixi zog eine Augenbraue hoch und warf Sylvie einen fragenden Blick zu, doch sie kam nicht dazu, sich zu erkundigen, was die Gang sonst noch alles ausgefressen hatte, denn in dem Moment stürmte Linus aus der Zelle und schlang die Arme um ihren Bauch. Karah, Granit, Dewey und Sylvie folgten ihm. Sie umringten Nixi und Floss, strichen ihnen über die schuppigen Arme und begrüßten sie überschwänglich.

»Ich konnte euch ja wohl schlecht hier versauern lassen«, brummte Nixi. »Kann schließlich sein, dass ich euch mal wieder für einen Job brauche.« Doch sie wusste, dass die anderen ihr das nicht abkauften. Wie auch, wenn sie dabei über das ganze Gesicht strahlte?

Lachend und schwatzend traten sie hinaus ins Sonnenlicht, verstummten jedoch abrupt, als sie die Menge sahen, die sich draußen zwischen den verkohlten Ruinen auf dem Vorplatz versammelt hatte. Im Schatten der zerstörten Gebäude drängten sich Dutzende Kelpies und Meermenschen, während sich auf dem Kopfsteinpflaster dazwischen regelrechte Trauben von Inselbewohnern gebildet hatten.

»Nun denn«, sagte Kapitän Dobber, ein großer, kräftiger Mann mit einem freundlichen Gesicht. »Wir haben sie freigelassen. Was jetzt?«

Nixi blickte sich nervös um. Es musste hier doch irgendjemanden geben, der … na ja, besser geeignet war, die Dinge in die Hand zu nehmen als sie. Irgendeinen offiziellen Würdenträger oder so. Doch das Gewicht des Magischen Buchs der Beschwörung, das sie immer noch in einer Schlinge auf dem Rücken trug, rief ihr ins Gedächtnis, dass sie als Einzige über die entscheidenden Informationen verfügte, die all diese Kelpies, Meer- und Landmenschen benötigten, um sich zu schützen. So gerne sie sich auch im Versteck ihrer Gang verkriechen wollte, sie konnte jetzt nicht weg.

Sie räusperte sich und winkte die Kelpies heran. Angeführt von Egeria, Mallow und Widgeon umrundeten sie den Platz und kamen auf sie zu, wobei sie sich weiter im Schatten der Gebäude hielten und das aufgeheizte Pflaster nach Kräften mieden. Sorsha warf ihr einen aufmunternden Blick zu, den Nixi dankbar auf‌fing.

»Also dann, äh, stelle ich euch wohl am besten mal vor«, begann Nixi stockend. »Das hier ist das Kapitänskonzil: die Kapitäne Dobber, Breck, Jiggery und … Tut mir leid, Euch kenne ich nicht«, sagte sie zu einem hochgewachsenen Mann mit einer abgewetzten grünen Mütze.

»Flodd«, antwortete er mürrisch.

»Er ist erst seit Kurzem dabei. Ist als Ersatz für Beecham gekommen, der beim Angriff der Kelpies draufgegangen ist«, erklärte Kapitän Dobber. »Verzeihung, bei dem, was wir für einen Angriff der Kelpies gehalten haben. Ist alles noch ein bisschen verwirrend.« Er rieb sich das Gesicht.

Egeria lächelte freundlich. »Ja, das ist es wirklich. Ich schlage vor, dass wir die Vergangenheit hinter uns lassen. Mein Name ist Egeria und das hier sind Mallow, Widgeon …« Anscheinend hatte sie vor, jedes einzelne Kelpie vorzustellen. Und danach vielleicht auch noch sämtliche Meermenschen.

Die Inselbewohner wurden langsam unruhig, sodass Nixi sich gezwungen sah, einzugreifen. »Wir haben später noch genug Zeit, einander kennenzulernen«, unterbrach sie Egerias Monolog und rang sich ein breites Lächeln ab. Unwillkürlich wichen Kapitän Dobber und die anderen vor ihr zurück. Offenbar erzielte ihr Lächeln nicht ganz die erwünschte Wirkung, was vermutlich an den scharfen Reißzähnen lag, die dabei in ihrem Mund aufblitzten. »Vorher gibt es einiges, was wir, äh, besprechen sollten. Ich glaube, am besten fangen wir mit dem Magischen Buch der Beschwörung an.«

Widerstrebend zog sie das Buch aus seiner Schlinge und legte es vor sich aufs Pflaster. Die goldene Schrift auf dem dunklen Ledereinband funkelte in der Sonne.

Nixi merkte erst, wie laut das Hintergrundrauschen aus raschelnden Kleidern und vielstimmigem Getuschel um sie herum die ganze Zeit gewesen war, als es abrupt verstummte und sich Menschen, Meervolk und Kelpies um das magische Buch scharten.

»Diesem Buch sind die Ungeheuer entsprungen, die uns angegriffen haben«, erklärte sie. »Wir müssen es irgendwie zerstören. Wer möchte es versuchen?«

»Kinderspiel«, meldete Rye sich hinter ihr zu Wort. »Ihr müsst es einfach nur anzünden.«

Die Menschen stießen ein erleichtertes Raunen aus, während die Kelpies nicht sonderlich überzeugt wirkten. Dennoch holte Kapitän Flodd einen Feuerstein und einen Docht aus zusammengedrehtem Papier aus seiner Tasche. Er schlug den Feuerstein gegen die Klinge seines Messers, bis ein Funke das Papier entzündete, dann ließ er den Docht aufs Buch fallen. Orangefarbene Flammen züngelten über den Ledereinband und hüllten das Buch in einen lodernden Feuerball. Die Hitze war so unerträglich, dass Meermenschen und Kelpies hastig zurückwichen.

Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis das Feuer schließlich erlosch. Das Buch war noch da. Und es war vollkommen unversehrt. Kein noch so kleiner Rußfleck dämpf‌te das Funkeln der goldenen Lettern. Die Menge schnappte entsetzt nach Luft.

»Dann müssen wir es eben zerreißen«, meinte Pickerel, ein großes Kelpie mit grünen Schuppen.

Nixi winkte ihn zu sich. Pickerel ließ sich nicht lange bitten. Er bearbeitete den Einband mit seinen mächtigen Hufen, schlug die Zähne in die Seiten und zerrte mit aller Kraft daran. Doch so hauchfein das Papier auch wirkte, es gelang ihm nicht, es zu zerreißen. Schon bald keuchte Pickerel vor Anstrengung. Die Kiemen an seinem Hals zitterten und bebten. Er grub ein letztes Mal die spitzen Reißzähne in den Einband, doch als das Buch mit einem dumpfen Knall aufs Pflaster plumpste, war es so makellos wie zuvor.

Die Menschen wichen zurück und beäugten das Buch argwöhnisch.

»Nun«, sagte Mallow, der knurrige alte Kelpiehengst, »das Buch lässt sich offensichtlich nicht zerstören. Wir brauchen einen neuen Plan.«

Egeria trat von einem Vorderbein aufs andere. »Einen Weg gibt es vielleicht doch«, wandte sie bedächtig ein. »Wir Kelpies wissen mehr darüber als der Rest von Cavallon. Wir …«

Mallow baute sich warnend vor ihr auf. »Sei vorsichtig, was du sagst, Egeria.«

Trotzig schüttelte Egeria ihre Mähne. »Wir müssen tun, was nötig ist, um diese Ausgeburt des Bösen zu vernichten!« Sie umrundete Mallow und wandte sich an die Menschen. »Wir Kelpies haben ein schändliches Geheimnis. Kein anderer Clan weiß davon. Selbst die Zentauren haben es längst vergessen.«

»Nicht, Egeria«, mahnte Mallow erneut, doch sie schenkte ihm keine Beachtung.

»Dieses Buch«, verkündete sie mit einem reuevollen Blick auf den unversehrten Einband, »ist untrennbar mit uns verbunden. Und wir mit ihm. Genauer gesagt, mit seinem Ursprung. Vor langer, langer Zeit experimentierte eine Gruppe aus Menschen und Kelpies mit der natürlichen Magie, die uns das Meer verliehen hat. Sie wollten sich nicht mit dem zufriedengeben, was ihnen geschenkt worden war, und so veränderten sie die Magie, unterwarfen sie ihrem Willen und nutzten sie, um sich in etwas zu verwandeln, was es in Cavallon nie zuvor gegeben hatte. Sie wurden zu Zentauren. Von ihnen stammen die Zauber in diesem und den anderen Magischen Büchern der Beschwörung.«

Nixi traute ihren Ohren kaum. Also hat wirklich jeder in Cavallon etwas zu verbergen, dachte sie kopfschüttelnd. Und ich hab geglaubt, bei den Kelpies sei alles Friede, Freude, Glitzerschuppen.

Um sie herum wechselten Inselbewohner, Meermenschen und Kelpies entgeisterte Blicke. Offenbar hatten selbst unter den Kelpies nur die Ältesten von diesem Geheimnis gewusst. Und von denen wollten bei Weitem nicht alle, dass es nun ans Licht kam. Während Widgeon bei Egerias Vortrag immer wieder bekräftigend nickte, sah Mallow aus, als wolle er sie am liebsten beißen.

»Wenn ihr wisst, wie es entstanden ist, könnt ihr uns dann sagen, wie man es zerstört?«, fragte Nixi.

Egeria drehte sich mit ernster Miene zu ihr um. »Die Magischen Bücher der Beschwörung wurden in einem Kloster im Zentrum der Festungsinsel erschaf‌fen. Vielleicht können wir dort, wo sie entstanden sind, auch den Schlüssel zu ihrer Vernichtung finden.«

Die Schwere ihrer Worte hatte auf Nixis Magen die gleiche Wirkung wie eine Bootsfahrt bei stürmischer See.

»Warum sollten wir euch trauen?«, fragte Kapitän Dobber argwöhnisch. Er beäugte Egeria mit geradezu spürbarem Widerwillen. »Ihr habt uns das all die Jahre verschwiegen und jetzt erwartet ihr, dass wir …«

»Ich sag Euch, warum.« Nixi trat zwischen den kräftig gebauten Mann und die zierliche Kelpiestute und fletschte ihre spitzen Zähne. »Weil sie Euch von sich aus davon erzählt hat, obwohl sie es nicht hätte tun müssen. Außerdem sind die Kelpies hier, um uns zu helfen, ganz egal, was in der Vergangenheit auch war. Wollen wir weiter rumstehen und darüber streiten, wer Schuld hat, oder machen wir uns auf die Suche nach dem Kloster, damit wir das Buch endlich loswerden?« Sie blickte sich herausfordernd um. »Na los! Worauf wartet ihr? Laut Egeria befindet sich das Kloster im Zentrum der Insel. Auf geht’s!«

Sie steckte das Buch zurück in seine Schlinge und setzte sich an die Spitze der Versammlung. Die Menschen reihten sich widerspruchslos hinter ihr ein. Offenbar waren sie froh, dass jemand das Kommando übernahm. Nixi unterdrückte ein Grinsen. So war das mit ihrer Gang auch immer gewesen. Sie musste gar nicht wissen, was sie tat – es genügte, wenn sie glaubten, dass sie es wusste.

Doch als sie den Marktplatz im Zentrum der Insel erreichten, blieb sie stehen und sah sich unschlüssig um. Ihre flossenartigen Füße scharrten nervös über den Boden aus festgetretener Erde. Der gesamte Platz wirkte, als sei er schon eine Weile nicht mehr genutzt worden. Hatten die Inselbewohner in den Wochen seit den ersten Angriffen hier überhaupt noch einen Markt abgehalten? Einzig das Podest, von dem aus Grawill, der greise Zentaur, seinen Pflichten als Herold des Königs nachkam und mit seiner knarrenden Stimme tagtäglich die neuesten Chroniken aus Coropolis verlas, stand noch.

Nixi zeigte auf die umliegenden Gebäude – Geschäfte, die Häuser der Kauf‌leute, die Segeltuchfabrik, in der viele Frauen der Insel arbeiteten – und teilte die Menge mit Dobbers und Egerias Hilfe in Suchtrupps auf. Mallow schloss sich widerstrebend der Gruppe an, die sich in der Segeltuchfabrik umsah, doch Nixi bemerkte, dass er ein Stück zurückblieb und nicht besonders gründlich zu suchen schien. Unterdessen durchstöberten die Meermenschen zusammen mit einigen ihrer menschlichen Verwandten das benachbarte Waldstück, darunter auch Nixis Freundin Jenera und ihre Mutter. Die beiden waren unzertrennlich, seit sie sich nach der Schlacht in den Straßen der Festungsinsel wiedergefunden hatten.

Nixi selbst hatte sich das Podest des Herolds des Königs vorgeknöpft und tastete jeden Fingerbreit nach Hinweisen ab, doch vergebens. Nach und nach kehrten die Suchtrupps auf den Marktplatz zurück und schüttelten ent‌täuscht die Köpfe.

»Hier ist nichts«, meinte Kapitän Dobber schließlich. »Vielleicht ist das Kloster zerstört worden.«

»Sofern es jemals existiert hat«, murmelte der Hafenmeister.

Egeria schlug frustriert mit dem Schweif. »Natürlich existiert es. Es muss irgendwo anders sein.«

»Was, wenn es hinter einem Zauber verborgen ist?«, warf Floss ein.

Entnervt warf Nixi die Hände in die Luft. »Und wie sollen wir es dann finden?«

Sorsha lachte humorlos. »Ich glaube, genau das ist der Punkt.«

»Wenn wir das Buch nicht zerstören können, müssen wir es eben verstecken«, meldete sich Mallow zu Wort. Er klang beinahe erfreut. Nixi musterte ihn misstrauisch. Er hatte angespannt beobachtet, wie eine Gruppe nach der anderen zurückgekehrt war, und jedes Mal, wenn einer verkündete, dass sie nichts gefunden hatten, hatte sich seine Miene ein wenig aufgehellt. Fast so, als wollte er nicht, dass sie das Kloster fanden.

»Aber wo?«, fragte Kapitän Breck. »Wo in Cavallon gibt es ein Versteck, das ausreichend sicher wäre?«

»Im Schlund«, antwortete Mallow wie aus der Harpune geschossen. »Das ist eine Schlucht am Meeresgrund, die so tief und gefährlich ist, dass selbst wir Kelpies sie meiden. Niemand würde auf die Idee kommen, dort zu suchen.«

Egeria nickte zögerlich. »Der Schlund besteht praktisch nur aus scharfen Felskanten und tiefen Spalten. Das Gebiet ist vollkommen unzugänglich. Ihr Menschen kennt es vermutlich als Geisterklamm.« Ein Raunen ging durch die Menge. Fast alle auf der Festungsinsel waren mit Geschichten über diesen sagenhaften Ort des Schreckens aufgewachsen. Egeria lächelte entschuldigend. »Diese Märchen haben unsere Vorfahren in die Welt gesetzt, um die Menschen vom Schlund fernzuhalten. Es ist einfach zu gefährlich dort.«

Nixi schauderte. Ihre Eltern waren gestorben, als sie noch klein war, sodass sie keine Erinnerungen daran hatte, ob die beiden ihr und ihren Geschwistern Gruselgeschichten über Monster aus der Tiefe erzählt hatten. Dafür hatte sie den Schlund am eigenen Leib erlebt, als sie von einer Strömung erfasst und hinabgerissen worden war. Sie war dort auf einen langen, unheimlichen Tunnel gestoßen, aus dem die Monster gekommen waren, die kurz darauf die Festungsinsel angegriffen hatten.

Na ja, trotzdem gibt es weitaus schlechtere Verstecke. Der Schlund ist schließlich riesig.

Der Vorschlag wurde einhellig angenommen. Doch als Mallow sich freiwillig meldete, eine Gruppe anzuführen, die das Buch in die Schlucht werfen würde, stellten sich Nixi unwillkürlich die Schuppen auf.

»Am besten machen wir es gleich, dann sind wir es los«, meinte er. Er sah Nixi erwartungsvoll an. Nach kurzem Zögern löste sie die Schlinge, mit der sie sich das Buch auf den Rücken gebunden hatte, und hängte sie ihm um den Hals. Während Mallow und sein Trupp zum Hafen trabten, bestürmte sie die Menge mit überschwänglichen Dankesrufen und Segenswünschen.

Floss ergriff Nixis Arm. »Na, ein Glück. Komm, lass uns nach Hause gehen und was essen. Dann kannst du dich endlich mal ein bisschen ausruhen.«

Nachdenklich blickte Nixi den Kelpies hinterher. Hätte sie ihren Verdacht mit den anderen teilen sollen? Sie verwarf den Gedanken jedoch gleich wieder. Woher soll ich wissen, was sie im Schilde führen, wenn ich sie dabei nicht auf frischer Tat ertappe?

Was es auch war, sie war fest entschlossen, es mit eigenen Augen zu sehen. Sie entschuldigte sich bei Floss und behauptete, etwas mit Sorsha besprechen zu müssen. Als Sorsha sie auf‌forderte, sich ihr und den anderen Kelpies anzuschließen, gab sie vor, erst noch etwas mit dem Kapitänskonzil abklären zu wollen. Sie wartete, bis die Inselbewohner, Kelpies und Meermenschen an ihr vorbeigezogen waren, dann zwängte sie sich in einen kalten, glitschigen Entwässerungstunnel, der direkt unter dem Anlegesteg ins Meer mündete. Als sie das Ende erreichte, schlüpfte sie vorsichtig hinaus und legte sich am Strand auf die Lauer. Wenig später sah sie, wie Mallow und seine Truppe näher kamen.

Nachdem sie abgetaucht waren, zählte sie im Kopf bis zwanzig, bevor sie ihnen mit einem gewissen Sicherheitsabstand folgte.

Im Wasser trieben immer noch Reste der riesigen Meerespflanzen, die Lysander im Kampf gegen die Zentauren heraufbeschworen hatte. Dazwischen fanden sich hölzerne Planken, zerrissene Kleidung und Segel und alle möglichen sonstigen Überbleibsel der Zentaurenflotte. Nur mit Mühe konnte Nixi die Kelpies unter all dem Treibgut ausmachen, doch schließlich entdeckte sie das Funkeln von Mallows dunkelblauen Schuppen vor sich im trüben Wasser. Leise schwamm sie hinter ihnen her. Ihre Sorge wuchs, als sie erkannte, dass die Gruppe nicht in Richtung Schlund unterwegs war, sondern auf die wogenden Seetangfelder am Rand der zerstörten Unterwasserkolonie zuhielt, die den Kelpies und Meermenschen bis vor Kurzem als Zuhause gedient hatte.

Anfangs war Nixi zu weit weg, um ihre Gespräche belauschen zu können. Dann wurden sie langsamer und Nixi ließ sich geräuschlos hinter einen Felsen sinken. Sie krallte sich daran fest, um nicht versehentlich abzutreiben, und spitzte die Ohren.

»Das sollte reichen«, sagte Mallow gerade. »Genau da, Fanwort. Sorg dafür, dass es gut versteckt ist und keinen Schaden davontragen kann.«

Nixi lugte hinter dem Felsen hervor. Ihr blieb der Mund offen stehen, als sie begriff, was sie da sah: Mallow verrenkte sich förmlich den Hals, um zu beobachten, wie die anderen das Magische Buch der Beschwörung in seinem Schweif versteckten und es mit einigen Strängen Seegras dort befestigten.

Mallow schlug mit dem Schweif, sodass dieser das Buch vollständig bedeckte.

»Perfekt«, meinte Fanwort. »Von außen nicht zu erkennen.«

Brodelnde Wut stieg wie ein Geysir in Nixi auf. Sie war bereits hinter ihrem Felsen hervorgeschossen, bevor sie überhaupt darüber nachdenken konnte, ob es wirklich so klug war, die Kelpies zur Rede zu stellen. »Ihr stehlt das Magische Buch der Beschwörung! Ihr seid kein bisschen besser als die Zentauren!«

»Halt dich da raus«, knurrte Mallow.

Nixi funkelte ihn zornig an. »Wenn ihr das Buch behaltet, wird es früher oder später jemand benutzen, um schreckliche Dinge damit anzustellen! Das Ding ist gefährlich, kapiert ihr das nicht?«

Mallow musterte sie herablassend. »Selbstverständlich ist es gefährlich«, erwiderte er verächtlich. »Es ist die mächtigste Waffe in ganz Cavallon! Weshalb es geradezu fahrlässig wäre, es zu zerstören, statt uns damit gegen Dromegos Armee zu verteidigen!«

Nixi schnaubte. »Ich dachte wirklich, ihr Ältesten wärt klüger. Das Buch muss vernichtet werden! Nur deswegen haben Egeria und die anderen zugestimmt …«

Mallow fletschte die Zähne. »Egeria und die anderen sind mit Dummheit geschlagen. Sie weigern sich, Vernunft walten zu lassen. Eines Tages werden sie mir dankbar sein, dass ich die Geistesgegenwart besessen habe, das Buch zu bewahren.«

Kochend vor Wut stürzte Nixi sich auf ihn. Sie wollte ihm das Buch aus dem Schweif reißen, doch Fanwort und Chiton bäumten sich auf und sie konnte ihren wirbelnden Vorderhufen gerade noch ausweichen.

Mallow lächelte herablassend. »Das hier geht dich nichts an, kleines Meermädchen. Ich schlage vor, du hältst dich lieber raus.«

Nixi durchbohrte ihn mit ihren Blicken. Wenn ich meine Gang bei mir hätte, würde ich es dir zeigen.

Aber ihre Gang war weit weg. Nixi war auf sich gestellt. Sie war allein, am Grund der Kalten See, umgeben von wütenden Kelpies. Offenbar waren bei Weitem nicht alle von ihnen so sanftmütig und harmlos, wie sie geglaubt hatte.

Sie durf‌te auf keinen Fall zulassen, dass Mallow ihre Angst bemerkte. Und so fletschte sie ihrerseits die Zähne und fauchte: »Ich bin nicht diejenige, die Cavallons Zukunft aus Spiel setzt. Das seid ihr.«

Dann machte sie Hals über Kopf kehrt und schwamm zurück zur Festungsinsel, so schnell ihre Meermädchenfüße sie vorantrieben.

Clans von Cavallon (4). Das Vermächtnis der Zentauren

Подняться наверх