Читать книгу Clans von Cavallon (4). Das Vermächtnis der Zentauren - Kim Forester - Страница 7

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Prolog

Dromego breitete die mächtigen Schwingen aus. Wie ein beflissener Diener trug ihn der Wind hoch über die Baumwipfel. Er hatte so viel Aufwand betrieben, um die Sehnen und hohlen Knochen zu perfektionieren sowie die ledrigen Flughäute, die sich zwischen seinen Armen und den Seiten seines Körpers aufspannten – und nun, endlich, konnte er damit majestätisch und nahezu mühelos durch die Lüfte gleiten.

Und die Eroberung Cavallons wird mir genauso mühelos gelingen, dachte er, während er die Zähne zu einem breiten Grinsen fletschte. Mehr als hundert Jahre Arbeit würden sich endlich bezahlt machen. Ich habe meine Flügel und meine Wunderkrieger.

Stolz ließ er den Blick über sein Heer schweifen, das am Boden unermüdlich voranmarschierte, ohne sich an den Verlauf der Straßen zu halten, und alles niederwalzte, was ihm in die Quere kam. In Massen strömten seine Kreaturen aus den Bergen, jede einzelne ein Geschöpf seines außergewöhnlichen Geistes und handwerklichen Geschicks.

Die Hybriden aus Zentaur und Stachelschwein, aus deren Armen Pfeile schossen … die Menschen mit den Papageienschnäbeln, die ihrem Gegner mit einem Biss das Bein abtrennen konnten … die Feuer speienden Flederpegasus mit ihrer nahezu undurchdringlichen Haut.

Und noch viele mehr. In den vergangenen hundert Jahren hatte Dromego genügend Zeit gehabt, seine Meisterwerke zu perfektionieren. Doch erst als das Schicksal ihm einen Menschenjungen namens Sam Quicksilver gesandt hatte, war er hinter das Geheimnis gekommen, wie er sie kontrollieren konnte.

Verärgert schlug Dromego mit den Flügeln. Es missfiel ihm, an den Jungen und den Minotaurus zu denken, die ihm beide entwischt waren. Und die überhaupt erst durch sein fehlgeschlagenes Experiment, das ein Band zwischen ihnen und ihm hatte herstellen sollen, aneinander gebunden waren.

Doch schlussendlich war ich siegreich, rief er sich ins Gedächtnis. Dass sie entkommen konnten, ist nicht weiter von Belang – nicht nachdem das, was ich über ihr Band herausgefunden habe, zu meiner größten Schöpfung geführt hat.

Dromego lächelte, als er seinen Stab aus gewundenem Metall gen Himmel hob. Etwas Schöneres hatte er noch nie gesehen. Die zierlichen Schwünge und Wirbel des Stabes bannten den Blick ebenso wie seine Magie den Willen seiner Kreaturen. Dromego seufzte und spürte, wie der Wind ihm eine Träne aus dem Augenwinkel wischte. Schönheit hatte ihn schon immer berührt.

Und nichts auf der Welt ist schöner als Macht. Er neigte seine Flügel und richtete die Spitze des Stabs nach unten, auf die Reihe riesenhafter Gestalten – Menschen mit Einhornhörnern, pelzige Kelpies und ein besonders großer und furchterregender Flederpegasus –, die seine Armee anführten. Er kontrollierte die Gedanken all seiner Wunderkrieger, doch zu dieser Gruppe war die Verbindung besonders stark. Ohne dass er ihn aussprechen musste, übertrug der Stab seinen Befehl direkt in ihren Geist: Nach Osten.

In völligem Gleichklang wandten sich die Anführer in Richtung der Schwarzhornwälder und seine Armee folgte ihnen auf dem Fuß. Von hier oben sahen sie wie Spielfiguren in einer Partie »Waffenstillstand« aus. Und sie sind genauso leicht zu kontrollieren, dachte Dromego mit einem Lächeln.

Seine Wunderkrieger brachen durch die Bäume, ohne Rücksicht auf die kleineren Tiere, die in Todesangst flohen. Die Einhornclans würden sie von Weitem kommen hören, doch das kümmerte Dromego nicht. Meine Armee ist mehr als fähig, die Einhörner zu vernichten – und danach den Rest von Cavallon. Niemand ist stark genug, sich mir zu widersetzen.

Erst recht nicht, nachdem er sie so wirkungsvoll gegeneinander aufgehetzt hatte. Er konnte sich einen kleinen Freudenschwung in der Luft nicht verkneifen, als er an die Panik dachte, die er in der Freien Stadt, auf der Festungsinsel und in Coropolis ausgelöst hatte. Und diese Narren dort hatten allesamt geglaubt, dass die anderen Clans von Cavallon ihre Feinde waren. Ihre Ängste und Vorurteile hatten es ihm so leicht gemacht, sie davon zu überzeugen. Nun würden sie sich niemals gegen ihn vereinen und er würde sie Clan für Clan ausschalten: zuerst die kämpferischen Einhörner, dann die Pegasus, die Menschen und die Kelpies.

Und zu guter Letzt die arroganten, ahnungslosen Zentauren.

Ein scharfes Brennen loderte in ihm auf. Keine Wut, sondern etwas viel Gefährlicheres. Eine plötzliche, schmerzhafte Erinnerung an etwas Schwaches, Menschliches in ihm. Etwas aus seinem früheren Leben. Der Himmel um ihn herum wich einem Klassenraum. Das muf‌fige Aroma von Papier und alten Büchern stieg ihm in die Nase und er sah seine gefalteten, mit Tintenflecken übersäten Hände vor sich auf dem Tisch, während die Zentaurin, die ihn unterrichtete, mit ausholenden Gesten die Positionen der verschiedenen Sterne beschrieb.

Ihre tiefe, melodische Stimme klang in seinen Ohren: Ich hätte nie gedacht, dass ich jemals einem derart intelligenten Menschen wie dir begegnen würde, Dromego. Du musst in meinen Nachmittagskurs kommen …

Mit einem wütenden Grollen breitete Dromego die Flügel aus und hob seinen Stab. »Die Zentauren werden brennen und mit ihnen ganz Cavallon«, verkündete er. »Coropolis wird brennen!«

Die Bäume unter ihm wogten, als die Einhörner, von Horn bis Huf in silberne, mit Stacheln bewehrte Rüstungen gehüllt, Welle um Welle auf seine Armee losstürmten. Unwillkürlich musste er an die zentaurischen Dichter denken, die er einst gekannt hatte. Sie hätten Oden darüber verfasst, in denen sie wortreich die erbitterten Kampfschreie der Einhörner beschrieben, das Donnern Hunderter Hufe auf dem Waldboden, das Meer aus glänzenden Rüstungen.

Aber ich, dachte Dromego, während er einen Moment lang auf der Stelle schwebte, um seinen Stab ein weiteres Mal zu schwingen, bin kein Dichter. Ich bin ein Bezwinger.

Wie aus einem Guss warfen sich seine Wunderkrieger dem Ansturm der Einhörner entgegen. Die erste Welle der Verteidiger traf auf die Frontlinien seiner Armee. Hörner durchtrennten die Tentakel seiner Einhornkelpies und spießten eine Vielzahl von ihnen auf. Doch das spielte keine Rolle. Dromego standen noch Unmengen weiterer Kreaturen zur Verfügung. Mit einem Wink seines Stabes sandte er Reihe um Reihe in die Schlacht, selbst diejenigen unter ihnen, die bereits blutüberströmt und dem Tode nah waren.

Es war mehr als tapfer von den Einhörnern, sein zahlenmäßig weit überlegenes Heer anzugreifen, das musste er ihnen lassen. Kopfschüttelnd schnalzte er mit der Zunge. Tapfer, aber auch dumm. Kurz verspürte er einen Anflug von Bedauern, als er das viele Einhornblut sah, das die Grasfläche unter ihm silbern färbte. Nicht auszudenken, was für eine grandiose Verstärkung die Einhornclans unter meiner Kontrolle hätten sein können!

Er stieß einen tiefen Seufzer aus. Es hatte keinen Sinn, sich mit derlei Überlegungen aufzuhalten. Die Clans von Cavallon sollten seine Macht sehen und daran verzweifeln. Gab es einen besseren Weg, das zu erreichen, als ihre stärksten Kämpfer gnadenlos niederzumetzeln?

Er drehte bei und richtete seinen Stab auf einen seiner Anführer, dann auf einen weiteren. Sein Wille übertrug sich auf den Rest seiner Krieger. Das Heer teilte sich, als sei in seiner Mitte von einem Moment auf den anderen ein Hindernis aus dem Boden gewachsen. Die Einhörner wieherten verdutzt.

Und dann machte Dromego mit Daumen und Zeigefinger eine zangenförmige Geste.

Seine Wunderkrieger reagierten sofort. Eine Hälfte der Armee kam von rechts, die andere von links. Im Nu hatten sie die Einhörner umzingelt. Dromego flog über dem Schlachtfeld hin und her, um den bestmöglichen Blick auf das Geschehen zu haben. Eine große gescheckte Einhornstute bäumte sich auf und durchbrach die vorderen Reihen von Dromegos Armee, indem sie einem der Einhornkelpies mit ihrem gezackten Horn den Bauch aufschlitzte. Dromego brüllte auf und fuhr mit seinem Stab durch die Luft. Unter ihm ahmte der riesige Bärenmensch die Bewegung nach und schleuderte die Einhornstute mit voller Wucht gegen einen Baum.

Doch das war nur eine kleine amüsante Spielerei. Dromego hatte sein Heer so gut abgestimmt, dass er nicht jeden einzelnen Kampf lenken musste. Seine Wunderkrieger wussten, was zu tun war, und so dauerte es nicht lange, bis die wenigen Einhörner, die noch dazu in der Lage waren, Hals über Kopf die Flucht ergriffen und in den Wald zurückgaloppierten. Lass sie gehen, sagte Dromego sich. Sie können die Schreckensmeldungen im Rest von Cavallon verbreiten.

Etwas Silbriges blitzte zwischen den Wolken auf. Dromego verrenkte sich fast die Flügel, so plötzlich wirbelte er herum. In der Ferne konnte er schemenhafte Gestalten ausmachen, die eilig davonflogen. »Pegasus«, knurrte er. »Die haben ihre vorlauten Mäuler schon immer gerne in Angelegenheiten gesteckt, die sie nichts angehen.«

Aber das war jetzt vorbei. Diesmal würden sie ihm nicht in die Quere kommen. Mit einem kurzen Zucken seines Stabs sandte er seine Flederpegasus hinter ihnen her. Ihre weiten knochigen Schwingen, die sich wie finstere Schatten am Himmel aufspannten, strahlten eine Aura von Boshaftigkeit aus. Wollen wir doch mal sehen, wie es diesen Wichtigtuern gefällt, wenn wir ihnen ein bisschen Feuer unterm Schweif machen.

Er lachte, als es einem kleinen grauen Pegasus nur durch ein halsbrecherisches Manöver gelang, dem plötzlichen Flammenstoß im letzten Moment auszuweichen.

Je früher sie es lernen, desto besser. Mir stellt sich niemand in den Weg. Schon bald wird ganz Cavallon mein sein.

Clans von Cavallon (4). Das Vermächtnis der Zentauren

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