Читать книгу Mond der Ewigkeit - Kim Landers - Страница 11
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ОглавлениеAidan hatte Amber hinterhergesehen, bis der rote Mini hinter der Hecke am Ende der Auffahrt verschwunden war. Gerade jetzt brauchte er ihre Nähe. Was wäre, wenn sie in London einen anderen Mann kennenlernte, der sie faszinierte? Oder ihre erste Liebe, diesen Charles, wiedertraf? Aidan versuchte, die aufsteigenden Bilder mit aller Macht zu verdrängen. Sie hatte gesagt, dass sie ihn liebte, er musste ihr vertrauen. Sie würde zu ihm zurückkehren und alles wäre wie vorher. Jedenfalls hoffte er das. Bis dahin musste er irgendwie die Zeit totschlagen. Arbeit und Verpflichtungen eigneten sich hervorragend als Problemlöser.
Wenig später stattete Aidan der Brauerei einen Besuch ab, der schon lange überfällig war. Als er den Kiesweg zum Eingang entlangging, glaubte er, eine dunkle Gegenwart zu wittern. Jemand aus der Schattenwelt? Nein, er würde jeden von Revenants Gefolge erkennen. Dieses Wesen hier gehörte nicht zu ihnen. Er stoppte und blickte sich um, während seine Nasenflügel sich blähten, um die Gerüche intensiver aufzunehmen. Nichts verriet einen Schattenweltler. Beruhigt setzte Aidan seinen Weg fort. Er sah auf, als sich die Tür zur Brauerei öffnete und ein blonder Mann heraustrat, die Hand zum flüchtigen Gruß hebend. Irgendetwas an seinem Gang kam Aidan vertraut vor. Vermutlich ein Bekannter von Forbes, der schon einmal hier gewesen war. Doch als sich ihre Blicke begegneten, weckte der Ausdruck des Fremden seinen Argwohn. Er sandte Strahlen aus, die auf Aidans Haut brannten.
„Hey, einen Moment bitte, Sir!“, rief Aidan ihm hinterher. Der Fremde reagierte nicht, sondern eilte an der Mauer der Brennerei entlang zur Straße, die Schloss und Destillerie verband. Aidan rannte ihm hinterher. „So warten Sie doch.“ Wer flüchtete, hatte etwas zu verbergen. Aidan stieß einen derben Fluch aus und folgte ihm mit vampirischer Schnelligkeit. Diesem Tempo konnte kein Sterblicher entkommen. Gleich hätte er ihn eingeholt und würde ihn nach dem Grund seines Aufenthalts fragen. Aidan spürte die Körperwärme des Fremden und erkannte seinen blonden Schopf. Doch als er den Blonden eingeholt hatte, war er plötzlich spurlos verschwunden. Verdutzt starrte Aidan auf den Fleck, an dem er eben noch gestanden hatte. Er musste dämonische Kräfte besitzen. Doch einen Dämon hätte er ebenso erkannt wie einen Werwolf oder Vampir. Was zur Hölle war er?
Aidan drehte sich im Kreis, in der Hoffnung, noch einmal seine Witterung aufzunehmen. Es war wie verhext, der Kerl war verschwunden, als hätte sich die Erde aufgetan und ihn verschluckt. Nun gut, vielleicht konnten ihm Forbes oder einer der Arbeiter mehr über den Mann erzählen.
Als Aidan Forbes und die anderen befragte, blickte er in erstaunte Gesichter. Niemand hatte ihn gesehen. Das konnte unmöglich sein.
„Mr. MacFarlane, hier ist niemand gewesen“, versicherte ihm Forbes ein zweites Mal.
„Dann hat er wohl so was wie eine Tarnkappe getragen“, sagte Aidan und schnaubte wütend. Irgendjemand musste ihn doch gesehen haben. Entweder logen sie ihn alle an, oder sie waren so beschäftigt gewesen, dass er tatsächlich ihrer Aufmerksamkeit entgangen war. Sie bedachten ihn mit argwöhnischen Blicken, wie damals seinen Vater. Die Schatten seiner Vergangenheit holten ihn ein.
Enttäuscht verließ Aidan die Brennerei und lief zum Wald, wo er sich Ruhe erhoffte. Er wollte über Amber nachdenken. Gegen seinen Willen hatte er sie gehen lassen. Sie war seine Gefährtin und gehörte an seine Seite, auch wenn sein Verstand ihm sagte, wie wichtig es ihr war, über ihren Vater zu recherchieren.
Einen Moment spielte er mit dem Gedanken, ihr zu folgen, aber sie hätte seine Gegenwart gespürt und ihn zur Rede gestellt. Nein, wenn er ihre Beziehung nicht weiter strapazieren wollte, musste er vertrauen lernen. Leichter gesagt als getan.
Rastlosigkeit trieb ihn ins Moor, bis die Dämmerung hereinbrach. Es erwartete ihn sowieso niemand bei seiner Rückkehr im Schloss. Kevin, der ihn vielleicht von seinen trüben Gedanken abgelenkt hätte, war mit seiner Mutter verreist und Hermit brauchte Ruhe und keine Probleme.
Er lehnte sich an einen Baum und schloss die Augen. Was hätte er darum gegeben, Amber jetzt in den Armen halten zu können.
Er wusste nicht, wie lange er dort gestanden und seinen Gedanken nachgehangen hatte, als er plötzlich Brandgeruch witterte, den der Ostwind herüberwehte.
Von Neugier getrieben folgte er dem Geruch, der ihn zu dem Pfad führte, der sich am Wald entlang zum Steinkreis von Clava Cairn emporwand. Aidan verbarg sich im dichten Gebüsch, um die Prozession von Kuttenträgern unbemerkt beobachten zu können, die an ihm vorüberzog. Sie trugen brennende Fackeln. Ihre Gesichter waren tief in den Kapuzen verborgen. Wie damals, als sein Vater und dessen Anhänger demselben Weg gefolgt waren. Wer konnte so töricht sein, ihnen nachzueifern? Wütend ballte Aidan die Hände zu Fäusten. Die Rituale durften sich nicht wiederholen. Er musste sie zur Vernunft bringen, bevor eine Dummheit geschah. Am besten sofort. Schon spannten sich seine Muskeln an, bereit, sich ihnen in den Weg zu stellen. Im letzten Moment besann er sich und hielt inne. Wenn er ihnen Furcht einflößte, würden sie wie verängstigte Hasen auseinanderlaufen. Dann würde er nie von ihren Absichten erfahren, ob sie tatsächlich die Rituale seines Vaters aufleben lassen wollten. Ein unterdrücktes Knurren entwich seiner Kehle. Er folgte ihnen bis zum Steinkreis und hoffte, einen Blick auf den Anführer werfen zu können. Der Zug erklomm jetzt schnelleren Schrittes den Hügel und stimmte einen Singsang an. Von seinem Vater kannte er einige Worte, die aus dem Gälischen stammten. Die Einwohner Gealachs waren traditionsbewusst und pflegten ihre alte Sprache. Die Worte wiederholten sich und priesen den Mond an. Als der Anstieg steiler wurde, verstummte der Gesang. Aidan roch ihren Schweiß und sah, wie ihre Beine schwerer wurden. Sie keuchten. Die schmale Gestalt, die das Schlusslicht der Prozession bildete, hatte sichtlich Mühe, mit den anderen mitzuhalten. Sie roch nach einem bestimmten Deo, das Amber auch schon benutzt hatte, weshalb er auf eine Frau tippte. Immer wieder blieb sie stehen, stützte die Hände in die Taille und schnappte nach Luft. Der Abstand zu den anderen vergrößerte sich mit jedem Meter. Schließlich blieb sie keuchend stehen. Vielleicht könnte er durch sie erfahren, was die Kuttenträger da oben wollten. Aidan wartete und beobachtete, gespannt, wie sie sich allein in der Dunkelheit schlagen würde. Ihr Blut roch köstlich süß. Zum Glück war er nicht durstig.
Fast hätte sie die Fackel aus der zittrigen Hand verloren. Sie atmete mehrere Male tief ein, bevor sie die Schultern straffte und den Pfad weiterstapfte. Als sie die Weggabelung erreichte, hielt sie erneut an und blickte sich unschlüssig um. Das Mädchen rief heiser nach den anderen, die bereits so weit entfernt waren, dass sie sie nicht hören konnten. Ihre Stimme kam Aidan vertraut vor. Er roch ihre Angst, sah, wie sie schluchzend auf die Knie sank. Die Fackel entglitt ihrer Hand, rollte über den feuchten Boden und erlosch. Sie presste ihre Hände vors Gesicht und weinte. Der Anblick des zitternden Mädchens rührte Aidan. Mit festen Schritten näherte er sich ihr, um sie nicht zu erschrecken. Sterbliche waren im Gegensatz zu Vampiren in der Dunkelheit blind wie ein Maulwurf. Als Zweige unter seinem Gewicht knackten, fuhr sie auf.
„Wer ist da? Peter, bist du es?“
„Nein. Hab keine Angst, ich werde dir nichts tun.“ Seine Worte schienen sie nicht zu beruhigen, denn sie rutschte auf den Knien ein Stück weiter.
„Wer sind Sie?“
Ohne ihre Frage zu beantworten, hockte Aidan sich neben sie und umfasste sanft ihren Arm. Sie zuckte zusammen und versuchte vergeblich, sich aus seinem Griff zu befreien. „Hey, ich tue dir nichts.“
„Lassen Sie mich los. Hilfe!“, rief sie und hieb auf ihn ein.
„Beruhige dich doch. Ich tu dir nichts.“
Mit einem Ruck riss er ihr die Kapuze vom Kopf und erstarrte. „Jill? Was machst du hier? Was hast du mit diesen Leuten zu schaffen?“ Diese törichte Göre! Sie wusste doch aus den Erzählungen Kevins von seinem Vater und dem dunklen Druidenorden. Wie konnte sie sich denen anschließen? Er hätte sie schütteln können. Stattdessen zerrte er sie auf die Beine.
„Aidan?“ Ihre Augen weiteten sich voller Erstaunen. „Mensch, bin ich froh, dass du das bist! Ich habe mich verlaufen.“
Jill wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Ihre Lüge machte ihn wütend. „Ach, verlaufen? Du wolltest mit diesen Kuttenträgern zum Hügel hinauf und hast den Anschluss verloren.“ Jill wollte zum Protest anheben, aber Aidan schnitt ihr das Wort ab. „Du trägst eine dieser Kutten und zu deinen Füßen liegt die Fackel. Streite es bloß nicht ab, sonst werde ich stinksauer.“
„Ja, ich gebe es ja zu“, sagte sie kleinlaut, ohne zu fragen, wie er das in der Dunkelheit sehen konnte. „Du wirst mich doch nicht verpetzen?“
„Das werde ich noch entscheiden. Wissen deine Großeltern, dass du dich zu dieser Stunde hier herumtreibst?“
Jill schüttelte den Kopf. „Natürlich nicht. Das hätten sie nie erlaubt. Sie besuchen meine Tante in Glasgow.“
„Hast du eine Ahnung, was die Kuttenträger da oben treiben?“
Ihre Miene erhellte sich. „Ja, klar, unser Meister wollte uns ein altes Ritual zeigen, das Geister anlockt. Peter und Anabel …“ Jill zählte eine Reihe Namen von Teenagern auf, die Aidan aus Gealach kannte. Sie alle gehörten Jills Clique an, die sich jeden Nachmittag aus Langeweile an der Bushaltestelle traf.
„Und? Kennst du das Ritual?“ War hier ein Druide am Werk, um Kontakt zur Schattenwelt aufzunehmen? Oder wollten die Jugendlichen nur den Riten aus Neugier nacheifern?
Jill beschrieb knapp ein Ritual, das Aidan kannte, bei dem der Anführer einen Raben bei sich trug. Sein Verdacht bestätigte sich. Der Meister, wie ihn Jill bezeichnete, nutzte die Neugier der Jugendlichen für seine dunklen Zwecke aus. Offenbar ahnte die tierliebe Jill nicht, welche Rolle der Vogel spielte.
„Alles ganz harmlos. Der Meister hat gesagt, dass …“
„Wie heißt euer Meister?“
Jill zuckte mit den Achseln. „Wir nennen ihn immer nur Meister.“
„Du weißt es nicht? Sag mal, wie naiv bist du?“
Jills Unterlippe zitterte. „Ich bin nur Anabel zuliebe mitgegangen. Sie hat gesagt, dass sie immer viel Spaß haben und wir vielleicht Geister sehen werden. Ich fand das geil. Also, alles harmlos“, antwortete sie und winkte ab.
Mit sechzehn Jahren hätte er ihr mehr Verstand zugetraut. Was fand Kevin an diesem Mädchen? „Harmlos? Dann will ich dir mal erzählen, was euer Meister euch da oben vorführen wird. Er wird dem Raben den Kopf abdrehen und sein Blut in eine Schale tropfen lassen.“ Zufrieden bemerkte er das Entsetzen, das sich in Jills Miene widerspiegelte und ihn mit den grausamen Details fortfahren ließ.
„Mit Rabenblut reibt er euch ein. Dann wird er einen von euch als Opfer auswählen, das sich nackt auf den Menhir legen muss … “
„Hör auf! Ich will das nicht hören!“ Tränen quollen unter ihren Lidern hervor und rollten über ihre Wangen. Sie zitterte und hielt sich die Ohren zu.
„Aber es ist die Wahrheit. Da hat er euch wohl das Wichtigste verschwiegen. Wenn Kevin davon erfährt …“
„Nein, nein, du darfst ihm nichts davon erzählen“, bettelte sie. „Bitte. Er wird mich für blöd halten.“
„Womit er nicht ganz unrecht hätte. Es kommt sowieso eines Tages heraus.“
„Aidan, ich kann es ihm nicht sagen, ich schäme mich.“
„Das hättest du dir vorher überlegen sollen. Na gut, ich werde es ihm nicht sagen, aber nur unter zwei Bedingungen.“ Er musste ihr eine Lektion erteilen, auch wenn sie ihm leidtat. Jill war derart aufgebracht, dass sie schlotterte. Aidan wusste, wie sehr sie Kevin anhimmelte, der mit achtzehn Jahren reifer wirkte als andere seines Alters. Ambers Bruder war bei den Mädchen begehrt und Jill hatte erst kürzlich Amber gestanden, wie stolz sie darauf sei, Kevins Freundin zu sein.
Sie räusperte sich. „Und die wären?“
Sie besaß etwas von einem kleinen Mädchen, das sich seiner Schuld bewusst war und sich vor einer Strafe fürchtete. „Wenn du dich nie mehr mit diesen Leuten triffst und Kevin selbst davon erzählst.“
Flehend blickten ihre rehbraunen Augen zu ihm auf. Aber Aidan ließ sich nicht erweichen.
„Aber …“
„Kein Aber! Sagst du es ihm nun oder soll ich es tun?“
Seufzend hob sie die Hände und versprach, es Kevin zu erzählen.
„Komm, ich bringe dich jetzt nach Hause.“ Er zog sie sanft am Arm mit sich. Widerstandslos ließ sie es geschehen.
„Und was ist mit den anderen?“
„Um die kümmere ich mich später.“ Sobald er Jill sicher nach Hause gebracht hatte, würde er sich zum Hügel begeben.
Das Haus von Jills Großeltern lag nur eine Viertelstunde vom Waldrand entfernt. Kevin würde außer sich sein und das Mädchen schelten, wenn er davon erführe. Als Jill seufzte und mit hängenden Schultern neben ihm lief, spürte er ihre Traurigkeit. Hoffentlich würde sie diesem Meister nicht mehr folgen.