Читать книгу Mond der Ewigkeit - Kim Landers - Страница 7

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Als die Runen vor Ambers Augen verschwammen, stiegÜbelkeit in ihr auf. Gefahr und Tod! Irgendjemand, der ihr viel bedeutete, würde bald sterben. Ihr Herz schlug dumpf und schwer in der Brust. Ein weiteres Mal sammelte sie die schicksalsweisenden Hölzchen auf, um sie orakeln zu lassen.

„Wyll, dweud y’ gwir. Geist, sag die Wahrheit. Sawl y bodd marw? Wer wird sterben?” Während sie mit geschlossenen Augen die Hände über dem Pentagramm kreisen ließ, das sie mit Kreide auf den Boden gezeichnet hatte, wiederholte sie die Worte so lange, bis sie das Gefühl hatte, die Geister erhörten sie. Nach dieser Vorbereitung ergriff sie die Runenhölzchen, schüttelte sie in den Händen, bevor sie sie ins Pentagramm fallen ließ. Entgegen aller physikalischen Gesetze wirbelten sie über das Parkett, bis sie sich zu einer Raute positionierten. Im Zentrum lag die Rune Eihwaz, die den Weltenbaum symbolisierte und die Rune Perdhro, die für die Weissagung des Schicksals stand.

Was sollte das bedeuten? Sie war enttäuscht über die mangelnde Klarheit im Runenorakel, doch sie wusste, dass es keinen Zweck hatte, es erneut zu befragen, eine zweite Chance würden ihr die Geister nicht gewähren. Vielleicht gewann sie Gewissheit über die Bedeutung, wenn sie die Geister der toten Druiden beschwor.

Sie griff nach der Schale, die sie zuvor mit einer Kohletablette und Weihrauchkügelchen gefüllt hatte, und entzündete den Inhalt. Als Rauch aus der Metallschale stieg, schwenkte sie diese über den Runensteinen und rief die Geister der Toten an. Zuerst stieg der Rauch säulenartig empor, bis er sich ausbreitete und Konturen eines menschlichen Gesichts annahm.

Sie konnte den Aufschrei nicht unterdrücken, als sich Hermits Züge im Rauch formten. Die Schale entglitt ihren Händen und polterte auf den Boden. Hermit sollte sterben? Das Orakel musste sich irren oder sie hatte etwas falsch interpretiert. Du willst die Wahrheit nicht sehen, mahnte ihre innere Stimme. Hermit wird sterben, so will es das Schicksal.

„Nein!“, schrie sie und schlug mit der Faust auf den Boden. Es durfte nicht sein. Nicht Hermit, ihr väterlicher Freund. Amber glaubte, in einen Abgrund zu stürzen. Wer sollte nach seinem Tod das Schattentor bewachen? Außer ihm existierte kein Druide. Doch, du, meldete sich ihre innere Stimme zurück. Nein, sie war noch nicht so weit. Es gab noch vieles, was sie lernen musste. Dazu brauchte sie Jahre, und vor allem Hermit. Sie wusste, dass der Alte regelmäßig das Runenorakel befragte.

Ob auch er seinen Tod gesehen hatte? Vielleicht verschwieg er es ihr ausSorge, sie könnte sich um ihn ängstigen. Der Tod ist nur der Übergang in ein anderes Leben, pflegte er stets zu sagen. Amber fürchtete sich nicht vor dem Tod, doch davor, sich von einem Freund und lieben Menschen für immer verabschieden zu müssen.

Zwischen Aidan und ihr war das Thema Tod ein Tabu. Als sie ihn nach seinen Empfindungen gefragt hatte, war er ausgewichen.

Sie musste sofort zu Hermit, sich vergewissern, dass es ihm gut ging. Hastig löschte sie den glimmenden Weihrauch mit Wasser und räumte die Runenhölzchen fort, bevor sie sich auf den Weg zum Haus des Druiden begab.

Die Frühlingsluft war eisig und klar. Die Hände tief in den Taschen vergraben, stapfte Amber den schmalen Pfad entlang, der zwischen den reifgefrorenen Heidekissen zu Hermits Haus führte. Aus dem Schornstein stieg hellgrauer Rauch auf. Sonnenschein überzog das Moosdach mit einem goldenen Schimmer. Ein Motiv wie auf einer kitschigen Postkarte.

Gleich würden sich ihre Ängste zerstreuen, wenn sie ihm gegenüberstand und er sie anlächelte, wie er es immer tat. Er würde sie hineinbitten und ihr einen seiner würzig duftenden Kräutertees servieren, der ihrer Unterhaltung zusätzlich eine anheimelnde Atmosphäre verlieh.

Sie hob die Hand, um anzuklopfen, als die Tür mit einem Knarren überraschend aufsprang. Sie verharrte auf der Schwelle. Irgendetwas stimmte nicht. Hermit schloss immer mit äußerster Sorgfalt ab. Er war nicht so dement, um es zu vergessen. Sie schob die Tür auf, um einen Blick in den Flur zu werfen. Alles sah wie immer aus.

„Hermit? Wo steckst du?“, rief sie in den Flur. Die ausbleibende Antwort beunruhigte sie. Ihre Sinne waren aufs Äußerste geschärft. Deutlich spürte sie eine dunkle Präsenz, doch es war nicht Aidan. Sie konzentrierte sich auf die feinen Schwingungen, die ihr vielleicht mehr über den Besitzer der dunklen Aura verraten konnten. Doch sie verflogen zu schnell. Als sie ein Röcheln aus dem Wohnzimmer hörte, eilte sie dorthin.

Hermit saß zusammengesunken in seinem plüschigen Ohrenbackensessel, mit geöffneten, bläulichen Lippen, von denen Speichel auf sein Hemd tropfte. Eine Hand hielt er gegen seinen Brustkorb gepresst.

„Hermit? Um Gottes willen, was ist mit dir?“

Als der Alte nicht reagierte, geriet sie in Panik. Notarzt! Sie musste einen Notarzt rufen. Mit zittrigen Händen suchte sie in ihren Taschen vergeblich nach dem Handy und fluchte. Immer wenn sie es brauchte, trug sie es nicht bei sich. Sie rannte in den Flur zu dem nostalgischen Telefon und drehte die Wählscheibe. Wenig später meldete sich die Notrufzentrale. In knappen Sätzen beschrieb sie Hermits Zustand und gab seine Adresse durch.

Sie wartete eine gefühlte Ewigkeit auf den Notarzt, während sie um das Leben des Alten bangte. Immer wieder strich sie ihm über das schlohweiße Haar und tätschelte seine Hand. Seine Haut war fahl und die Stirn von kaltem Schweiß bedeckt.

„Halte durch und lass mich nicht allein. Hast du gehört? Hermit, bitte, ich brauche dich.“

Das Orakel hatte nicht gelogen, aber sie war vielleicht noch rechtzeitig gekommen. Hermits Lippen zitterten. Er flüsterte so leise, dass sie nichts verstehen konnte. Während er nach Atem rang, riss er seine glasigen Augen weit auf. Er wollte ihr etwas Wichtiges mitteilen. Amber beugte sich weiter vor und fasste seine Hand, die so kalt war wie die eines Toten. Es kostete sie Mühe, ihm nicht zu zeigen, wie sehr sie das erschreckte. Wieder spitzte er die Lippen, aber heraus kam nur ein Röcheln.

„Hermit, was willst du mir sagen?“

Ein Stöhnen war die Antwort, bevor er wisperte: „Gefahr … das … Schattentor … bald …“

„Du meinst, jemand will es wieder öffnen?“

Er nickte, dann fielen ihm die Augen zu. Sie lagen tief in den Höhlen, und die Lider waren bläulich verfärbt. Amber lief es eiskalt den Rücken hinunter bei der Vorstellung, Revenant könnte zurückkehren.

„Wie kann das sein?“

„Jemand … Ritual … du musst … verhindern …“

„Wer ist es?“ Sie presste seine Hand und forschte in seiner Miene, die regungslos blieb. „Hermit, weißt du, wer das Schattentor öffnen will? Du musst es mir sagen.“ Nur wenn sie mehr darüber wusste, konnte sie vielleicht noch etwas abwenden.

„Nein …nein ….“

Amber spürte Hermits wachsende Erregung und sorgte sich um ihn. „Schon gut, Hermit. Nicht aufregen“, beruhigte sie ihn, aber ein Zittern durchlief seinen Körper. Sie summte ein Lied, um ihn zu beruhigen. Es zeigte tatsächlich Wirkung, denn Hermits Atemzüge wurden gleichmäßiger.

Als die Ambulanzsirene erklang, atmete sie auf.

Sie entspannte erst ein wenig, als sich der Alte eine halbe Stunde später im Notarztwagen auf dem Weg zum Krankenhaus befand. Am liebsten wäre sie mitgefahren, aber weil sie nicht mit ihm verwandt war, lehnte der Notarzt ihre Begleitung ab. Doch er gestand ihr zu, sich jederzeit telefonisch nach Hermits Befinden erkundigen zu dürfen.

Eine Stunde später legte Amber den Hörer auf. Der alte Druide hatte einen Herzinfarkt. Nach den Angaben des Notarztes musste er bereits seit längerer Zeit Probleme mit dem Herz haben. Wenn sie doch nur etwas geahnt hätte. Amber quälte sich mit Selbstvorwürfen, fragte sich, ob sie nicht aufmerksam genug gewesen war, Vorzeichen zu erkennen. Ihre schwierige Beziehung zu Aidan und die Nachforschungen nach ihrem leiblichen Vater hatten sie beschäftigt, sodass für andere Dinge kein Platz vorhanden war. Nicht auszudenken, wenn Hermit sterben würde. Sie konnte und wollte sich das nicht vorstellen. Nicht Hermit, der rüstige Naturbursche, der nicht einmal je eine Erkältung gehabt hatte.

Amber begab sich auf den Heimweg und hing ihren trüben Gedanken nach. Nur Aidan konnte ihr jetzt Trost spenden. Sie rannte zu ihrem Mini, den sie oben an der Hauptstraße geparkt hatte. Atemlos setzte sie sich in den Wagen und brauste zum Schloss. Immer wieder kreisten ihre Gedanken um Hermit, der blass und kalt in seinem Sessel gesessen hatte. Sie konnte noch immer nicht fassen, was geschehen war. Hoffentlich kam er schnell wieder auf die Beine.

Mond der Ewigkeit

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