Читать книгу Mond der Ewigkeit - Kim Landers - Страница 5

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Der Mini raste die feucht glänzende Straße hinauf, die zur Kuppe eines bewaldeten Hügels führte. In jeder Kurve quietschten die Bremsen, das Wagenheck brach aus und verfehlte nur knapp die Leitplanke. Im letzten Moment gelang es dem Fahrer immer wieder, den Mini abzufangen, bevor er die nächste, noch spitzere Kehre im Höllentempo nahm. Mary zitterte. Sie presste sich in den Sitz und kniff die Augen zu. Dieser Irre brachte sie noch um. Was war nur in ihn gefahren? In Edinburgh war er noch der Alte, aber mit jeder Meile, die sie sich Gealach näherten, erschien er angespannter, aggressiver. Da lag ein Glitzern in seinen Augen, das ihr Angst einflößte. Mit einer Hand umklammerte sie den Türgriff, während ihr Herz wie ein Presslufthammer wummerte.

„Da vorn ist eine Nebelwand! Bist du wahnsinnig? Halt endlich an und lass mich aussteigen! Wenn du dir unbedingt den Hals abfahren willst, ist das deine Sache!“, rief sie und hoffte inständig, ihr Begleiter möge ein Einsehen zeigen.

„Halts Maul“, blaffte er und trat das Gaspedal durch.

Jetzt blitzte Wahnsinn in seinen Augen. Das war nicht mehr ihr Chef, sondern ein Fremder. Mary wurde vor Aufregung übel und sie würgte. „Halt an! Sofort!“ Ihre Stimme überschlug sich. Tränen rollten über ihre Wangen. Sie wollte nicht sterben. Nicht hier durch diesen Wahnsinnigen.

Blind und dumm war sie gewesen, sich von ihm überreden zu lassen, sie nach Hause zu fahren. Nach den stundenlangen Proben hatte sie den Bus verpasst und hätte, finanziell ausgebrannt, wie sie war, die Nacht auf einer Bank verbringen müssen. Umso verlockender erschien sein Angebot.

Plötzlich fing er lauthals an zu lachen. Sie zuckte zusammen. Er war übergeschnappt, und sie befand sich in der Gewalt dieses Irren. Eiskalte Schauder liefen ihren Rücken hinab. Der Vollmond spiegelte sich in der Fensterscheibe. Seit dem Tod Gordon MacFarlanes ereigneten sich bei Nebel mysteriöse Dinge in Gealach. Die Angst ging um, Revenant würde mit ihm zurückkehren, um Rache zu üben. Auch heute waberte das Weiß über die Hügel. Schäfer Duncans Schafe drehten jedes Mal durch. Keiner wollte mehr bei Nebel einen Fuß vor die Tür setzen. Trug der Nebel auch die Schuld für das Handeln ihres Begleiters?

Er drosselte zu ihrer Erleichterung das Tempo und steuerte den Mini auf einen Parkplatz. Das Bremsen war so abrupt, dass der Kies zu beiden Seiten hochspritzte. Mary riss die Beifahrertür auf, doch die Hand ihres Fahrers schnellte vor und packte ihren Unterarm.

„Nicht so schnell. Ich hab noch was mit dir vor“, sagte er und lachte leise.

Mary schluckte hart. Sie musste fliehen und zwar schnell. „Was soll das? Lass mich los!“

Ein anzügliches Grinsen umspielte seine Lippen, als sein Blick wie ein Scanner über ihren Körper fuhr. Mary fühlte sich nackt in der dünnen Bluse, unter der sie keinen BH trug. Sie presste die Knie zusammen. Ihr kurzer Rock war während der Schleuderfahrt hochgerutscht und sein lüsternes Grinsen verriet, dass er mehr gesehen hatte, als ihr lieb war.

Verzweifelt versuchte sie, sich seinem Griff zu entwinden, aber er hielt sie eisern fest. Ihr Blick flog umher in der Hoffnung auf Rettung durch ein nahendes Auto. Wenn sie sich nicht fügte, würde er über sie herfallen, das war gewiss. Er war ihr körperlich bei Weitem überlegen.

„Bitte, lass mich gehen“, flehte sie und kämpfte gegen die aufsteigenden Tränen. Sein Griff verstärkte sich. Sie schrie, als sich seine Fingernägel in ihre Haut bohrten.

„Erst wenn du nett zu mir gewesen bist.“

Mit der freien Hand öffnete er den Gürtel seiner Hose und zog den Reißverschluss auf. Ihr wurde speiübel.

Er zog sie mit einem Ruck näher. „Stell dich nicht so an. Bist doch sonst nicht so zimperlich.“

Sie stemmte eine Hand gegen seinen Brustkorb, während sich ihre Gedanken um Flucht überschlugen. „Niemals!“ Es gelang ihr, sich loszureißen. Mary versuchte erneut, die Tür zu öffnen. „Machs dir doch selbst“, zischte sie und bereute ihre Worte, denn er zerrte sie an den Haaren und drückte ihren Kopf zu seinem Schritt hinunter.

Sie schluchzte und drückte ihre Unterarme auf seine Oberschenkel, um sich dem Druck zu widersetzen. Wie konnte sie nur glauben, eine Chance gegen ihn zu haben? In Panik versuchte sie vergeblich, ihn in den Oberschenkel zu beißen. Immer wieder gelang es ihm, die Attacken abzuwehren. Ihre Hoffnung, zu entkommen, zerschlug sich mit jeder verstreichenden Sekunde.

„Du wirst tun, was ich von dir verlange, oder du bist morgen deinen Job los. Alles klar?“

Er riss ihren Kopf höher. Mary schrie auf und fühlte nur noch Ekel und Angst. „Also?“, fragte er und zog erneut an ihren Haaren, bis sie wimmernd nickte.

Sie fügte sich in ihr Schicksal und betete, besinnungslos zu werden.

„Warum nicht gleich so?“

Er ließ ihr Haar los. Sofort ergriff sie die Chance, wandte den Kopf und biss mit aller Kraft in seine Hand. Er brüllte vor Schmerz und gab sie frei. Blitzschnell sprang sie aus dem Wagen und flüchtete auf den Waldrand zu. Sie wagte nicht, sich umzudrehen, sondern rannte ziellos geradeaus. Nur fort von ihrem Peiniger, so weit wie möglich. Äste peitschten ihr ins Gesicht, sie schmeckte Blut auf den Lippen. Irgendwann hielt sie keuchend an und lauschte in die dunkle Stille. Keine Schritte, kein Atmen, nicht mal das Knacken eines Astes. Nichts. Gott, war sie froh.

Ein Motor startete in der Ferne. Es war der Mini, sie kannte das Geräusch. Als er davonfuhr, lachte sie vor Erleichterung.

Doch das euphorische Gefühl währte nicht lange, als ihr bewusst wurde, dass sie die Orientierung verloren hatte. Sie wohnte in einem Nachbardorf von Gealach, und nach all den Horrorgeschichten hatte auch sie diesen verfluchten Ort stets gemieden. Das Mondlicht durchdrang nur spärlich die dichten Baumkronen, sodass sie nur Silhouetten erkannte. Na klasse. Da hatte sie sich in eine neue Misere hineinmanövriert. Jetzt, wo er weggefahren war, überlegte sie, zum Parkplatz zurückzulaufen, um auf einen Wagen zu warten. Doch sie verwarf diesen Gedanken. Schließlich konnte sie seine Rückkehr nicht ausschließen. Sie wusste, dass ein Weg durch Wald und Moor nach Gealach führte, aber gegangen war sie ihn nie, sondern kannte ihn nur aus den Beschreibungen einer Freundin. Der Parkplatz, wo sie aus dem Mini gesprungen war, lag in der Nähe von Gealach Castle, nur einen Katzensprung vom Dorf entfernt. Dieser Wald trennte Clava Cairn von Gealach Castle, denn sie erinnerte sich, vorhin oben auf der Kuppe des Hügels die Silhouette des Menhirs entdeckt zu haben. Im Schloss wohnte Amber Stern, der sie hin und wieder bei den Proben begegnete. Bei ihr wäre sie in Sicherheit. Aber welche Richtung musste sie wählen? Woher war sie gekommen? Wenn sie doch nur besser sehen könnte. In der Nähe lag das Moor, vor dem sie gewaltigen Respekt besaß. Die Schauergeschichten hatten sich ihr eingeprägt, von blutrünstigen Wölfen und dunklen Druiden, die Menschenopfer brachten. Mary war abergläubisch und schüttelte sich bei der Vorstellung. Zur Hölle, welche Richtung war die Richtige? Sie drehte sich um ihre eigene Achse, als könnte ihr das die Entscheidung erleichtern. Dabei sah sie jetzt, wo sich Wolken vor den Mond geschoben hatten, nicht einmal die Hand vor Augen.

Schließlich lief sie ihrem Gefühl nachgebend nach links. Schimmerte dort ein Licht durch das dichte Laub? Das konnte, nein das musste Gealach Castle sein. Die Hoffnung verlieh ihr Mut. Sie stolperte blind in der Dunkelheit über Baumwurzeln und schlug sich durch dichtes Buschwerk, dessen dornige Zweige ihre Bluse zerrissen und in ihre Haut schnitten. Die Kratzer brannten höllisch. Sie kam nur langsam voran. In dem Tempo würde sie nie das Schloss erreichen. Und wenn sie die ganze Zeit im Kreis lief? War das nicht die gleiche Silhouette wie eben? Die drei windschiefen Bäume? Da gab es keinen Zweifel. Sie startete einen weiteren Versuch und landete zu ihrem Entsetzen an derselben Stelle. Angst fuhr eiskalt in ihre Glieder. Mary fluchte laut, bevor sie heulend auf den feuchten, moosigen Boden sank. Ihre Waden krampften von der Aufregung und Anstrengung. Sie fühlte sich hundeelend wie lange nicht mehr, fror entsetzlich und ihre Zunge klebte vor Durst am Gaumen. Sie musste aus diesem verfluchten Wald raus. Sie biss die Zähne zusammen und rappelte sich auf. Jeder Schritt war mühsam, ihre Beine schwer wie Blei.

Neben sich hörte sie Blätter rascheln und hielt erschrocken inne. Bestimmt ein Tier, oder existierten doch diese blutrünstigen Monster? Ihr Herzschlag dröhnte in den Ohren. Quatsch, Monster gab es nur in Märchen. Ein wilder Wolf? Hatten nicht Leute neulich einen Wolf gesehen? Aber der war ausgebrochen und von Jägern erlegt worden. Es existierten keine frei lebenden Wölfe in Schottland. Basta. Alles ließ sich rational erklären. Ihr Puls beruhigte sich und sie fasste neuen Mut. Tapfer schritt sie voran und stolperte über eine Baumwurzel. Sie konnte sich gerade noch abfangen. Etwas surrte durch die Luft wie eine Frisbee-Scheibe. Sie spürte den Luftzug dicht an ihrem Ohr. Mary tippte auf einen Vogel, den sie aufgeschreckt hatte und setzte den Weg fort. Sie war nur wenige Schritte gegangen, als plötzlich etwas ihren Knöchel umschlang und sie zu Fall brachte. Es fühlte sich wie die Ranke einer Pflanze an, die in rasantem Tempo ihre Wade emporkletterte. Mary ruderte mit den Armen, bevor sie mit dem Oberkörper auf den wurzelbehafteten Boden schlug. Der Schmerz in ihrem Brustkorb erstickte jeden Schrei. Noch ehe sie einen Gedanken fassen konnte, wurde sie bäuchlings von der Ranke rückwärts gezogen. Das konnte doch keine Pflanze sein! Sie strampelte vergeblich. Je heftiger sie sich wehrte, desto fester umschlang die Ranke ihr Bein. Mary tastete danach, um sie abzuziehen, aber als sie sie berührte, brannte ihre Hand wie Feuer. Die Pflanze sonderte einen klebrigen Saft ab, der durch die Haut drang. Ob er giftig war? In Panik krallte sie die Finger tief ins morastige Erdreich, das mit jedem Zentimeter glitschiger wurde und sie keinen Halt finden ließ. Sie musste den falschen Weg eingeschlagen haben und ins Moor geraten sein. Sie rief um Hilfe, aber alles, was ihr antwortete, war die Stille. Die Ranke wickelte sich bereits um ihre Taille und eroberte ihr zweites Bein. Mary schrie und weinte. Irgendjemand musste sie doch hören. Als Dornen sich ins Fleisch bohrten, versagte ihre Stimme und ihre Glieder waren auf einen Schlag gelähmt. Gift. Wenn sie niemand hier fand, würde sie sterben. Unaufhörlich rannen Tränen über ihr Gesicht. Wie eine Fliege im Spinnennetz gefangen, wartete sie auf ihr Ende. Der Pflanzentrieb durchstieß ihren Körper, kroch in ihrem Inneren empor und wickelte sich um ihre Organe. Immer tiefer versank ihr Leib im moorigen Untergrund. Ihre Gegenwehr erlahmte, der Tod war ihr gewiss. Alles war vorbei. Endgültig und unabänderlich. Immer tiefer zog die Ranke sie in die schwarze Feuchte, bis ihre Brüste bedeckt waren. Ihre Arme glitten schlaff über den Boden. Nur ihr verdammter Verstand funktionierte noch. All ihre Stoßgebete wurden nicht erhört. Sie spürte, wie die Ranke ihren Nacken durchbohrte und den Hals umschlang. Sie rang nach Atem. Immer dichter umschloss das Pflanzengeflecht sie, nicht bereit, sie herzugeben. Als sie keine Luft mehr bekam, versank ihr Geist endlich in erlösender Dunkelheit.

Mond der Ewigkeit

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