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Kapitel 4
ОглавлениеLille, 2018
Azalea
❤
»Was soll das heißen? Nach letzter Nacht nicht mehr?« Ich packe ihn am Arm und sorge dafür, dass er stehen bleibt. So einfach kommt er mir nicht davon. »Haben wir …?«
Er lacht auf, wenn es auch bitter klingt. »Nein, keine Sorge. Es ist nicht deine Schuld.«
Ich verenge die Augen zu Schlitzen.
»Wir hatten nichts miteinander.« Melvin wendet den Blick ab. »Mila behauptet zwar, sie hätte mich verwechselt, aber … wer verwechselt schon jemanden, in den er verliebt ist?«
»Sie hat dich betrogen?«, frage ich verblüfft. Normalerweise ist Mila diejenige, die auf Typen wie Melvin reinfällt. Ich kann mir kaum vorstellen, dass es dieses Mal andersherum gewesen sein soll.
»Manche Menschen zeigen unter dem Einfluss von Drogen oder Alkohol eben ihr wahres Gesicht.« Er zuckt mit den Schultern, aber ich kann ihm ansehen, dass er enttäuscht ist.
»Das hört sich an, als würdest du diese Erfahrung nicht zum ersten Mal machen«, stelle ich sanft fest und lasse ihn los, damit wir zusammen zum Auto gehen können. Er läuft schweigend voraus und gibt mir das Gefühl, dass hinter seiner schönen Fassade sehr viel mehr verborgen ist. Ich frage mich, wie Mila ihm das antun konnte. Es gibt kaum besseres Boyfriend-Material. Die beiden zusammen wären ein perfektes »Und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie noch heute«-Pärchen gewesen.
Er führt mich zu einem blauen Sportwagen und fummelt nach seinem Schlüssel, bevor er den Oldtimer per Hand aufschließt.
»Nettes Auto«, zwitschere ich und rutsche auf den Beifahrersitz. Im Inneren des Wagens ist es aufgeräumt und sauber, die Holzarmatur glänzt, als würde er sie jeden Tag polieren. Er reicht mir seinen Kaffee und legt die Tüte zwischen uns auf die lederbezogene Bank.
»Nicht kleckern«, ermahnt er mich, bevor er sich anschnallt und zurücksetzt, um aus der Parklücke zu fahren. »Wo soll ich dich hinbringen?«
Ich nenne ihm eine Adresse in der Altstadt von Lille. Er stöhnt auf, was wohl daran liegt, dass wir uns durch den Morgenverkehr schlängeln müssen, wenn wir auf die andere Seite der Stadt wollen. Um diese Uhrzeit ist hier die Hölle los, aber er wollte mich ja unbedingt nach Hause fahren.
Selbst schuld.
Ich bemühe mich, den Kaffee nicht auf seine teure Innenausstattung tropfen zu lassen, reiche ihm seinen eigenen und trinke etwas von meinem. »Was ist passiert, nachdem du Mila beim Fremdgehen erwischt hast?« Ich will seinen Trennungsschmerz ja wirklich nicht wieder aufwärmen – nicht, dass er nachher noch anfängt zu weinen –, aber ich würde gerne meine Gedächtnislücken füllen, und das geht scheinbar nur, wenn er mir hilft.
»Ich bin raus aus dem Club, und du bist mir hinterher.« Er zuckt mit den Schultern. »Wolltest dich für deine Freundin entschuldigen und mir sagen, dass morgen alles wieder beim Alten ist.«
»Ich?« Ich lache ungläubig auf. »Normalerweise ist Mila diejenige, die sich für mich entschuldigen muss.«
»Nichts für ungut, aber das hab ich mir auch gedacht.« Er schaut zu mir, und wir verziehen beide gleichzeitig den Mund zu einem Grinsen. Seines erstirbt jedoch relativ schnell wieder. »Jedenfalls war da plötzlich dieser Typ. Er wollte irgendwas von dir, aber irgendwie war uns das nicht geheuer, also sind wir weggelaufen.«
»Wahrscheinlich wollte er bloß Feuer für seine Kippen«, überlege ich und finde es unglaublich komisch, dass wir ihn anscheinend einfach stehen gelassen haben. Diese Droge scheint die verrücktesten Reaktionen in einem wachzurufen. Ein Grund mehr, dieses Teufelszeug nie wieder anzufassen.
»Nein.« Melvin schüttelt nachdenklich mit dem Kopf. »Das denke ich nicht. Er sah irgendwie … gefährlich aus. Ich glaube, es war gut, dass wir abgehauen sind.«
Seine Worte jagen mir einen Schauder über den Rücken. Es ist so verrückt, dass ich mich an nichts von all dem erinnern kann. »Meinst du, er wollte uns überfallen?«
Er verzieht das Gesicht. »Ich weiß nicht. Er wirkte eher so, als wäre er an dir interessiert.«
»Okay, das ist gruselig.«
»Es wird noch gruseliger«, verspricht er mir und trinkt von seinem Kaffee. »Auf unserer Flucht sind wir Thierry, Matthéo und Yanis begegnet. Falls du dich nicht erinnern kannst: die drei sind Freunde von mir.«
Er schweigt einen Moment, und ich fasse mir unwillkürlich an die Stelle, an der meine Halskette hängen müsste. Ich frage mich, wo ich das Amulett verloren habe.
»Sie haben uns aufgegabelt. Nur waren sie gerade auf dem Weg, um einen Wetteinsatz einzulösen.«
»Ach ja?« Ich kann mich wirklich an nichts davon erinnern.
Melvin schüttelt sich, als würde ihn die Erinnerung immer noch verfolgen. »Wir sind ins alte Gefängnis gefahren.«
»Was?«, kreische ich beinahe. »Das Prison de Loos?«
Er nickt, und ich spüre, wie mir alles Blut aus dem Gesicht weicht. Sind wir komplett übergeschnappt? Wir können doch nicht einfach in ein altes Gefängnis einbrechen, in dem es noch dazu spuken soll!
»Du verarschst mich. Das kannst du unmöglich ernst meinen.«
»Ich schwöre es dir.« Er hebt seine Hände, um mir zu zeigen, wie ernst er es meint. »Du warst nicht davon abzubringen, die drei zu begleiten. Und ich hatte das Gefühl, dass ich dich besser nicht mit ihnen allein lasse.«
»Ich wollte nie und nimmer da rein!«, entgegne ich entrüstet und greife mir gedankenverloren an den Hals, um mit meiner Kette zu spielen. Doch sie ist nicht da. Ich würde niemals auf die Idee kommen, ein Gebäude zu aufzusuchen, in dem es spukt, wenn es nicht absolut notwendig wäre. Dafür bin ich viel zu abergläubisch.
»Wahrscheinlich hast du deine Kette da verloren.«
Argwöhnisch blinzle ich ihn an. »Woher weißt du von meiner Kette?«
»Gestern hast du sie noch getragen«, erklärt er. »Und heute greifst du dir ständig an den Hals, als wolltest du mit dem Anhänger spielen. Aber sie ist nicht mehr da. Also hast du sie verloren.«
»Hm«, mache ich unentschlossen. Wenn ich ihm diese haarsträubende Geschichte glaube, befindet sich das, was mich vor den bösen Einflüssen der Welt schützen soll, ausgerechnet in einem heimgesuchten Gefängnis. »Wie bekomme ich meine Kette jetzt wieder?«
»Wie wichtig ist sie dir denn?«
»Sehr wichtig«, erwidere ich ehrlich und denke daran, wie meine Mutter sie mir vor ein paar Jahren gegeben hat. Kurz darauf ist sie spurlos aus unserem Leben verschwunden und hat mir alles genommen, was jemals eine Bedeutung hatte. Allein mit Papa ist es einfach nicht mehr das Gleiche. »Sie ist die letzte Erinnerung, die ich an meine Mutter habe.«
»So wichtig, um dafür noch einmal in ein Gefängnis einzubrechen?«
Ich denke drüber nach und seufze. »Ich weiß nicht. Ich glaube an Geister.«
Melvin mustert mich nachdenklich, bevor er den Blinker setzt und von der Straße abfährt, um die Richtung zu wechseln. »Wir haben den ganzen Tag Zeit, bis es dunkel wird. Was kann schon groß passieren?«