Читать книгу Black Heart - Die gesamte erste Staffel - Kim Leopold - Страница 25
Kapitel 6
ОглавлениеDüsseldorf, 2018
Louisa
❤
Als hätte unsere kleine Zauberstunde sämtliche Blockaden gelöst, liegen mir plötzlich tausend Fragen auf der Zunge. Wir sitzen am Tisch und genießen unsere Pizza, während Alex geduldig eine nach der anderen beantwortet.
»Braucht jeder Zauber einen Zauberspruch?«
Er nickt. »Es sei denn, du bist sehr begabt und schaffst es, dich ausreichend auf das zu konzentrieren, was du erreichen möchtest. Aber so weit sind nur ein paar der älteren Hexen im Palast.«
»Wie mächtig ist Magie?« Ich trinke etwas. »Ich meine, was kann man damit anstellen? Gibt es Grenzen?«
Alex fängt an zu lachen. »Ich wette, du wirst eine ehrgeizige Schülerin sein. Magie hat ganz sicher Grenzen, aber es gibt immer wieder Hexen, die diese überschreiten. Es ist wie im normalen Leben auch; die meisten Grenzen setzt du dir selbst, und es erfordert viel Konzentration und noch mehr Übung, sie zu überwinden.«
»Und das lerne ich alles im Palast der Träume«, stelle ich fest. »Du bist auch ein Lehrer, oder? Was unterrichtest du?«
»Geschichte und Sport.« Er schmunzelt, als er mein verwirrtes Gesicht sieht. »Was Geschichte angeht, unterrichte ich sowohl auf Abitur-Niveau als auch unsere Geschichte.«
»Mit unserer Geschichte meinst du das Märchen, das du mir noch weitererzählen wolltest?«
Er trinkt etwas und stellt sein Glas zurück. »Genau das. Aber wenn es dir nichts ausmacht, würde ich damit warten, bis der Unterricht beginnt. Dann musst du es dir nicht zwei Mal anhören.«
»Und Sport? Ich meine, das ist eine Hexenschule … wieso müssen wir Sport machen?«
Alex grinst. »Sport hilft dir dabei, deinen Geist zu kontrollieren.«
»Sag bloß, du bist einer von diesen Tai-Chi-Yoga-Typen, deren Yin und Yang nie im Schiefen hängen darf.«
»Keine Sorge.« Er lacht noch mehr und mustert mich vielsagend. »Wenn du bei mir Sport hast, wirst du ins Schwitzen geraten.«
Ich atme scharf ein. Kommt es mir nur so vor oder war das gerade versaut?
»Aber meistens unterrichte ich die neuen Wächter«, fügt er hinzu. In seinen Augen blitzt der Schalk auf. »Ich bin mehr der Typ für Kampfkunst und … Messerkämpfe.«
»Oh.« Ich laufe rot an, als ich mir vorstelle, wie er für mich gegen die Gestaltwandler gekämpft hat, und wende mich meinem Essen zu. »Aber was, wenn wir das auch lernen wollen?«
»Das ist anstrengend, und es bringt die Schüler oft genug an ihre Grenzen«, wirft er ein. »Ich glaube nicht, dass du sehr viel Spaß daran hättest.«
Ich runzle die Stirn. »Weil ich eine Frau bin?«
»So ist das in unserer Welt nun mal.« Er hebt entschuldigend die Schultern.
»Sehr fortschrittlich.« Ich schnalze mit der Zunge. »Habt ihr schon mal was von Emanzipation gehört?«
»Du kannst gerne versuchen, einen Platz in einem der Kurse zu bekommen«, erwidert er mit schiefem Grinsen und lehnt sich selbstgefällig zurück. »Aber sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.«
Ich verenge die Augen zu Schlitzen und mustere ihn ein paar Augenblicke. Wenn ich es jetzt nicht versuche, wird er das als Rückzieher werten. Aber wahrscheinlich hat er recht und es wird eine Katastrophe.
»Schön«, stoße ich hervor, bevor ich es mir anders überlegen kann. »Mal sehen, wer dieses Jahr kämpfen lernt.«
»Ich freu mich drauf.« Er hebt sein Glas, um mit mir anzustoßen. »Auf die erste Frau, die freiwillig kämpfen lernen will.«
»In deiner Welt«, füge ich hinzu, bevor ich mein eigenes Glas hebe und gegen seins klirren lasse.
❤
»Was hältst du davon, wenn wir Ausbildung für heute Ausbildung sein lassen und dir ein paar neue Sachen einkaufen?«, schlägt Alex nach einem Blick auf sein Handy vor. »Tyros und Moose sollten bald landen. Wir könnten die Zeit nutzen und am Flughafen für dich einkaufen.«
»Ist das nicht riskant? Ich meine, da draußen lauern vielleicht Gestaltwandler.«
Er mustert mich nachdenklich. Unter seinem intensiven Blick verschränke ich nervös die Arme vor der Brust. Das muss er perfektioniert haben. »Schon, aber wir können ja nicht die ganze Zeit im Hotelzimmer sitzen, und du brauchst dringend ein paar eigene Kleidungsstücke, damit du nicht mehr in meinen rumlaufen musst.«
Ich grinse und kuschle mich in seinen Pullover. »Die sind aber gemütlich.«
Und riechen verdammt gut, füge ich in Gedanken hinzu, bevor ich mir am liebsten eins auf den Deckel geben würde. Auch wenn er mich mit Du anspricht und in den schlimmsten Momenten gesehen hat – er ist trotzdem mein Lehrer und damit sehr wahrscheinlich mehr als tabu. Nicht, dass ich mich für ihn interessieren würde.
Es ist nur der Reiz des Neuen, der meinen Magen flirren lässt, wann immer er mich zu lange ansieht. Das hat garantiert nichts mit seinem Akzent zu tun. Oder den grünen Augen. Oder dem Drei-Tage-Bart. Oder –
Stopp! Gott, Lou, hör dir mal selbst zu! Innerlich schüttle ich den Kopf.
»Sie stehen dir nur nicht besonders gut«, erwidert er belustigt. »Also los, wir gehen shoppen. Ich dachte, ihr Frauen macht sowas gerne.«
»Denkst du immer in eingestaubten Frauenbildern?«, frage ich nach, ernte aber nur ein leises Lachen, bevor er sich seine Schuhe anzieht. Aus seiner Tasche holt er etwas, was aussieht wie ein Klettergurt. Erst als er es um seinen Oberkörper legt, wird mir klar, dass es ein Waffenholster ist. »Ist das wirklich notwendig? Wie fahren zu einem Flughafen.«
Alex zuckt mit den Schultern und holt ein großes Messer und zwei weitere Dolche aus der Tasche. Das Messer landet in einem Schaft an seinem Rücken, einer der Dolche in dem an seiner Seite. Den anderen Dolch wiegt er nachdenklich in seiner Hand, bevor er ihn mit einer eleganten Bewegung durch die Luft wirbelt und mir mit dem Griff entgegenstreckt.
Ich schließe den Mund, bevor er merkt, dass ich ihn mit offenem Mund beobachtet habe, und nehme den Dolch an. »Ich kann damit überhaupt nicht umgehen.«
»Du musst nicht viel damit machen.« Er tritt etwas näher und deutet auf das runde Emblem auf dem Griff, das aussieht wie ein verschlungenes Labyrinth. »Der Dolch beinhaltet Magie. Wenn du einen Gestaltwandler damit verletzt, wird er zumindest für ein paar Minuten außer Gefecht gesetzt.«
»Also, ein Kratzer reicht?«
»Ein Kratzer reicht«, bestätigt er und korrigiert meine Haltung. »Wenn du ihn so festhältst, kannst du ihn besser führen und hast mehr Kraft.« Er tritt zurück. »Versuch es.«
Ich lasse meine Hand langsam durch die Luft gleiten und präge mir die Richtungen ein, in die ich viel Kraft aufwenden kann. Alex nickt wohlwollend, also scheine ich seine Unterrichtseinheit gut bestanden zu haben. »Und wo verstecke ich den Dolch?«
»Hm«, macht er und lässt seinen Blick über meinen Körper gleiten. Ich erschaudere, doch der Moment ist zu schnell vorbei. Er geht zu seiner Tasche und holt eine zweite Jacke und einen zweiten Gurt heraus. »Hier«, sagt er und hilft mir dabei, meine Arme durch den Holster zu stecken. Meine Haare bleiben unter dem Gurt hängen, und ehe ich mich versehe, streicht er sie mit einer Hand nach hinten und berührt dabei meinen Hals.
Mein Herz beginnt zu rasen. Ich hebe den Blick und begegne dem Funkeln in seinen Augen. Ihm wird klar, dass er viel zu nah vor mir steht. Langsam löst er seine Hände von mir und macht einen Schritt zurück. Er räuspert sich und deutet auf seinen eigenen Dolch.
»Du kannst ihn jetzt einfach dort reinstecken.« Seine Stimme klingt rauer als noch vor ein paar Minuten und die Doppeldeutigkeit seiner Worte entgeht mir nicht. Bevor seine Worte in mir die wildesten Fantasien auslösen können, befolge ich seine Anweisung, und nehme dann die Jacke entgegen, die er mir reicht.
Schnell ziehe ich sie über und überprüfe im Spiegel, ob man das Holster auch wirklich nicht sieht. Nicht vorzustellen, was passieren würde, wenn uns die Sicherheitsbeamten so bewaffnet erwischen würden. Aber er weiß scheinbar, was er tut. Oder?
Er schaut mich erwartungsvoll an, aber ich deute auf meine nackten Füße. »Meine Schuhe liegen in einem Waldstück, das ich nie wieder betreten werde.«
»Oh«, macht er und verzieht das Gesicht. »Dann schauen wir mal, dass wir dir schleunigst neue Schuhe besorgen.«
❤
Wir verlassen das Hotel unter den neugierigen Blicken der Empfangsdame, die sich wohl fragt, wieso ich keine Schuhe trage. Draußen angekommen, müssen wir einmal um den Gebäudekomplex laufen, um zu den Parkplätzen zu gelangen, was kein Problem wäre, wenn der Weg nicht bald durch einen Kiesweg abgelöst werden würde.
»Autsch«, mache ich, als die ersten Steine meine Fußsohlen piksen. »Autsch, autsch, autsch.«
Alex lacht mich aus. »Und jemand wie du will kämpfen lernen?«
Ich bleibe stehen und presse die Arme in die Hüften. »Was haben spitze Steine mit kämpfen zu tun?«
»Sehr viel.« Er schmunzelt. »In erster Linie geht es darum, dass du lernst, trotz Schmerzen nicht sofort aufzugeben.«
Ich presse die Lippen aufeinander, nicht gewillt, ihm noch einmal mein Leid zu klagen. Es stimmt. Wenn ich nicht mal barfuß über Kieselsteine gehen kann, wie soll ich da bloß jemals richtige Schmerzen aushalten können?
Aber der Weg ist noch so lang.
Das sind mindestens zehn Meter voller spitzer Steine, die meine Fußsohlen aufreißen werden, bis die Haut in Fetzen … Okay, das ist vielleicht etwas übertrieben.
»Ich sag dir was.« Dem spitzbübischen Blick nach zu urteilen, hat er eine Idee, die mir nicht gefallen wird. »Wenn du ohne einen Ton bis zum anderen Ende des Weges kommst, setze ich mich dafür ein, dass du Kampfunterricht nehmen darfst.«
»Einverstanden.« Ich strecke eine Hand aus, um mit ihm einzuschlagen. Er schaut mich ungläubig an, wahrscheinlich hat er nicht damit gerechnet, dass ich so ein Sturkopf sein kann. Aber schließlich gibt er nach und schlägt ein.
Dann atme ich tief durch, presse meine Lippen aufeinander und gehe weiter. Die spitzen Steine bohren sich in meine Fußsohlen und treiben mir die Tränen in die Augen.
Nicht schreien, ermahne ich mich. Du schaffst das.
Schritt für Schritt gehe ich weiter, diesen unendlich langen Weg entlang, bis ich endlich auf der anderen Seite angelangt bin, und erleichtert auflache. Wer hätte gedacht, dass nach solchen Schmerzen diese Freude wartet?
Alex klopft mir grinsend auf die Schulter. »Ich schätze, damit hast du dir einen Platz in meinem Kurs verdient.«
Ich strecke ihm die Zunge raus, was ihn nur noch mehr zum Lachen bringt, und widme mich meinen schmerzenden Fußsohlen, die überraschenderweise keinen Kratzer abbekommen haben.
»Eigentlich sollte ich dir das verbieten«, meint er. »Du wirst richtig Ärger bekommen, wenn du deinen neuen Lehrern die Zunge rausstreckst. Aber ich mag es, dass du so eigensinnig bist.«
Ist das ein … Kompliment?
Hitze steigt mir in die Wangen, als er mich mit einer sonderbaren Mischung aus Interesse und Stolz betrachtet. »Es ist vielleicht gar nicht so schlecht, dass du frischen Wind in den Palast bringst.«
»Hm«, mache ich und grinse ihn an. »Danke?«
Er schüttelt belustigt den Kopf, bevor wir uns auf den Weg zu seinem Auto machen und in den Abendverkehr abtauchen. Unterwegs erzählt er mir mehr über unsere Familien. Darüber, dass seine Eltern damals am Palast der Träume unterrichtet haben und so meine Mutter kennengelernt haben. Da war sie in meinem Alter. Er erzählt davon, wie er den Kontakt zu meiner Familie gehalten hat, um sicher zu sein, dass ich Hilfe bekomme, wenn ich sie brauche.
»Die Sache vor fünf Jahren«, setze ich an. »Hatte das was damit zu tun?«
Er kaut nachdenklich auf seiner Lippe herum.
»Vielleicht«, antwortet er schließlich.
»Weil, wenn es das nicht hatte, dann …« Ich verstumme und schaue aus dem Fenster. Liam erschien mir damals genauso real wie die Erscheinungen, die ich in der letzten Nacht gesehen habe. Wenn die nichts mit der Magie zu tun haben, bin ich womöglich …
»Du bist nicht irre«, widerspricht Alex meinen Gedanken. »Ganz bestimmt nicht. Nur, weil wir noch nie etwas davon gehört haben, dass eine Hexe vor ihrem achtzehnten Lebensjahr in Berührung mit Magie gekommen ist, heißt das nicht, dass es unmöglich ist.« Er fährt von der Autobahn und bahnt sich seinen Weg durch das Flughafenchaos. »Ich glaube, du wirst dich im Palast sehr wohl fühlen. Die meisten Hexen finden dort erst wirklich zu sich, weil sie schon immer gemerkt haben, dass sie irgendwie anders sind und das nicht einordnen konnten.«
»Das hört sich an, als würdest du mich zu einem Haufen Irrer bringen«, gebe ich lachend zu bedenken, doch insgeheim verleihen mir seine Worte Sicherheit. Wenn dort alle so sind wie ich, so anders … dann sind wir uns vielleicht sehr viel ähnlicher, als ich zu hoffen gewagt habe.