Читать книгу "Brender ermittelt" - Kim Scheider - Страница 9

Оглавление

Köln Deutz, später am Abend

Ungefähr zur selben Zeit, als die Polizeibeamten Haferkorn und seine beschlagnahmten Rechner im Büro der SoKo ablieferten, Christoffer Frey erschöpft über dem Scherbenhaufen seines bisherigen Weltbilds auf der Couch einschlief und Kitty dank der Künste ihres Freundes als Liebhaber zum ersten Mal in ihrem Leben auf einem Schreibtisch liegend zum Orgasmus kam, stürmte Hans-Jürgen Scharf mit wehendem Mantel durch die rostige Tür einer alten Lagerhalle in einem Industriegebiet in Köln Deutz.

Doch entgegen seiner Hoffnung, den Boss anzutreffen, fand er nur ihren gemeinsamen Komplizen Burak „Fat“ Cetin vor und der war der Letzte, den er jetzt brauchen konnte. Fat und ihn verband eine innige Feindschaft und der einzige Grund, warum sie sich noch nicht gegenseitig umgebracht hatten, war der Boss, an dessen Rockzipfel sie hingen, seit er sich ihrer in der gemeinsamen Zeit im Knast angenommen hatte.

Fat musterte ihn abschätzig. „Was ist los mit dir, Neo? Gibt’s Probleme?“

War sein Anblick etwa so erschütternd, dass Fat sein süffisantes Hans-Jürgen vergessen hatte?

„Kop nicht da?“, fragte Scharf, ohne auf Cetin einzugehen.

„Nee, im Puff oder so!“

Fluchend und laut aufheulend stampfte Scharf durch die Lagerhalle, in der sie sich ihren Treffpunkt eingerichtet hatten.

„So eine Scheiße! So eine verdammte Scheiße!“, tobte er und heulte so laut, dass es sich in der riesigen Halle anhörte, als mutiere er zum Werwolf.

„Jetzt beruhig dich mal, Alter!“, raunzte Cetin den jungen Mann an. Cetin hatte sich auf einen ruhigen Abend eingestellt und jetzt stresste diese Memme Neo hier rum!

Neo, wurde Scharf schon seit Jahren genannt, eigentlich, seit der Film Matrix '99 in die Kinos kam und allen Scharfs Ähnlichkeit mit Keanu Reeves aufgefallen war, der in dem Streifen die Hauptfigur „Neo“ spielte. Scharf, der bei einem Vornamen wie Hans-Jürgen froh war, dass er auf diesem Wege zu einem einigermaßen coolen Spitznamen gekommen war, hatte dann auch sogleich seinen Style dem neuen Namen angepasst und trug fortan nur noch Sonnenbrille und Ledermantel, selbstverständlich in schwarz, selbst wenn es 35°C im Schatten waren. Im Moment war er allerdings alles andere als cool.

„Mein Vater ist tot!“, heulte Neo verzweifelt auf. „Ich komme eben von den Bullen, musste ihnen bestätigen, dass er es auch ist.“

„Oh, das tut mir leid!“ Fat meinte das, trotz aller Querelen zwischen ihnen ehrlich. Er kam aus einer Familie, wo Zusammenhalt und Familienehre noch was zählten, wie er zu sagen pflegte. Irgendwann einen seiner Elternteile zu verlieren war für Fat eine unerträgliche Vorstellung, die dem sonst so rohen Mann quasi schon im Voraus die Tränen in die Augen trieb.

„Ach was, mir geht’s doch nicht um den Alten“, jammerte Neo weiter. „Meine Mutter, die dreht am Teller. Was meinst du, was jetzt bei uns zu Hause los ist?“

Auch wenn sein Vater ihn als Sohn anerkannt und sich um ihn bemüht hatte, die Liebe der Mutter seines Kindes hatte Karl Scharf immer zurückgewiesen und versucht irgendwie den Schein des gottesfürchtigen Priesters aufrecht zu erhalten. Doch hatte Neos Mutter nie die Hoffnung aufgegeben, dass ihre innige Liebe zu Karl vielleicht doch irgendwann eine Chance haben könnte.

„Und ich dreh auch ab, wenn ich nicht sofort mit Kop reden kann“, fuhr Neo fort und begann wieder zu schluchzen. „Er war es, Fat! Kop! Er hat meinen Vater dazu gebracht, das zu tun!“

„Was zu tun?“, fragte Fat verständnislos. „Wozu soll Kop ihn gebracht haben?“

In abgehackten Sätzen schilderte Neo seinem Komplizen, was er bei der Polizei erfahren hatte. Dass sein Vater sich mit Schlaftabletten umgebracht habe, nachdem er zuvor eine Frau bestialisch nach dem Vorbild der Brender-Reihe ermordet habe und dass man ihm ein Bekennerschreiben des Vaters vorgelegt hatte, in dem dieser seine religiösen Motive für seine Tat darlegte.

„Krass!“

„Mehr hast du dazu nicht zu sagen?“, schnappte Neo. „Verstehst du nicht? Das ist seine Handschrift! Die von Kop!!“

„Nö, verstehe ich nicht!“

Manchmal fragte sich Neo, ob nach dem Wachstum all der Muskelpakete an Fats Körper, die ihm sein bulliges Aussehen verliehen und ihm so seinen in der Szene bekannten Namen eingebracht hatten, wohl einfach keine Materie mehr für Hirnmasse übrig geblieben war. So schwer von Begriff konnte man doch nun wirklich nicht sein!

„Mensch, Fat, denk doch mal nach. Die Morde in den vergangenen Wochen. Alle wie bei dieser Brender-Scheiße nachgemacht. Kop, der immer von seinem Hass auf diesen Sunnyboy schwafelt und dass er es ihm schon zeigen werde. Die Filmchen von den Morden, die ich neulich hochladen sollte. Wo, zum Teufel, hat er die her?

Er steckt dahinter! Kann gar nicht anders sein!“

„Ja und? Wenn schon. Lass ihm doch seinen Spaß!“ Cetins Hirn war heute offenbar in Gänze ausgefallen. Wie schwer von Begriff konnte ein Mensch alleine eigentlich sein?

„Mann, schnallst du es nicht? Kop ist jetzt echt zu weit gegangen! Der soll gefälligst unsere Familien aus seinem Rachefeldzug raushalten! Meine Mutter bringt sich noch um wegen dem Scheiß!“

Nun machte es auch bei Cetin „Klick“. Das Wort Familie hatte doch immer wieder durchschlagende Wirkung bei ihm. Aber wenn Neo geglaubt hatte, dass Fat jetzt große emotionale Ausbrüche hervorbringen würde, so hatte er sich ziemlich getäuscht.

„Echt krass!“ Zu mehr ließ sich der 2-Meter-Mann nicht hinreißen.

Neo gab es auf. Er schmiss sich auf das alte Sofa, das dem weitestgehend leeren Raum wohl so etwas wie Gemütlichkeit abringen sollte, schmiss den Fernseher an und beschloss so lange zu warten, bis der Boss sich blicken lassen würde. Und wenn ihm darüber der erste Bart seines Lebens wachsen sollte.

Kennengelernt hatte Neo Fat und Kop, als ihm seine zweifelhaften Fähigkeiten als Hacker vor ein paar Jahren eine Haftstrafe eingebracht hatten, die er in der gleichen JVA absaß, wie Fat, der wegen Raubes und schwerer Körperverletzung einsaß und der Boss, der schon über ein Jahr eine Strafe verbüßte.

Der charismatische, gut aussehende Mann hatte Neo und Fat ein paar Mal aus unerfreulichen Situationen geholfen und sich damit ihren Respekt und ihr unerschütterliches Vertrauen erworben. Er war der unangefochtene Herr im Knast und irgendwann hatte sich der Name „Kop“, als Abkürzung für das nicht sehr originelle „King of Prison“ durchgesetzt.

Bei wem Kops Charisma nicht reichte als Überzeugungskraft, bei dem wurde dann auch mal die unschöne Seite seines Charakters gezeigt. In der Regel endete das damit, dass der Gegner ihm fortan achtungsvoll aus dem Weg oder eilfertig zur Hand ging. Fat und Neo unterstützten ihn dabei nach Leibeskräften.

Kop machte sich selten selber die Finger schmutzig.

Stets flankiert von seinen beiden selbsternannten Leibwächtern, brauchte er das auch gar nicht. Nicht lange, und sie wurden als „Die rechte und die linke Hand des Teufels“ gefürchtet.

Auch nach der Zeit im Knast waren sie in Kontakt geblieben und hatten das eine oder andere Ding zusammen gedreht, wobei sie eine ganz klare Arbeitsteilung einhielten. Kop plante, hatte die nötigen Kontakte und delegierte seine beiden Handlanger nach Belieben, wobei Fat mehr für das Grobe und Neo für die kniffligen Aufgaben zuständig war.

Doch im Laufe der Zeit war Neo schon das eine oder andere Mal an seine moralischen Grenzen gestoßen. Cyberkriminalität, Raub und im Notfall auch mal Körperverletzung, da kam er mit klar, aber neuerdings kamen bei ihren Aktionen immer häufiger Menschen zu ernsthaftem Schaden. Und - was sein eigentliches Problem war - Kop genoss es, Leute körperlich wie psychisch leiden zu sehen und das in zunehmender Hemmungslosigkeit. Das war etwas, was selbst Neos bislang unerschütterliche Loyalität ins Wanken brachte.

Und nun hatte Kop auch noch seine Familie mit da reingezogen. Das war absolut inakzeptabel!

Was sollte das?

Reichte es ihm jetzt nicht mehr, ihre Opfer leiden zu sehen? Wollte er ihnen, seinen eigenen Leuten, das jetzt auch antun? Zufall war es ganz sicher nicht gewesen.

Oder war ihm aufgefallen, dass Neo sich innerlich zunehmend von ihm distanzierte? Hatte er seinen Vater bewusst ausgewählt, um ihn zu warnen, zu was er fähig war? Wollte er ihm Angst machen? Wenn ja, dann hatte er sein Ziel erreicht.

Er hatte Angst.

Angst vor Kop!



Подняться наверх