Читать книгу Schattenspiele - Klara Kraus - Страница 9

„Ich weiß es nicht, Mutter will darüber nicht reden.“

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„Marion, wir sollten uns darum kümmern ich mach mir große Sorgen.“

„Ich denke, wenn sie das nicht wollen, können wir nicht viel tun.“

„Versprich mir, dass du mich anrufst, wenn du glaubst, dass wir etwas tun können.“

„Versprochen.“

Später wird Judith sich noch oft an dieses Gespräch erinnern. Sie machte sich Vorwürfe, nicht darauf bestanden zu haben, den Vater zum Arzt zu schicken.


Das Semester hat wieder begonnen und Judith stellt jeden Tag mehr fest, dass die Uni nicht ihre Welt ist. Sie verbringt sehr viel Zeit im Laden von Hoffmanns und wird ständig von ihrem schlechten Gewissen geplagt weil sie für ihr Studium zu wenig Einsatz zeigt.

Zum einen braucht sie das Geld, zum anderen macht ihr die Arbeit dort sehr viel mehr Freude als das Studium.

Sie wird von Herrn Hoffmann in der Werkstatt in die handwerkliche Arbeit eingebunden und wenn es darum geht, für Kunden spezielle Entwürfe anzufertigen, wird diese Aufgabe mehr und mehr an Judith übertragen. Diese Arbeit macht ihr viel Freude, sie kann kreativ sein und die Skizzen, die sie für die Kunden anfertigt, werden meist begeistert aufgenommen.

„Judith wie läuft es denn mit dem Studium?“

wollte Herr Hoffmann eines Tages wissen.

„Na ja, es läuft ganz gut, aber ich muss gestehen, es ist nicht meine Welt. Die Arbeit bei ihnen erfüllt mich mit einer gewissen Zufriedenheit, die ich nicht missen wollte.“

„Ich habe mir das beinahe gedacht, sie verbringen so viel Zeit hier bei uns, dass ihnen für das Studium nicht mehr viel Raum bleibt.“

„Verstehen Sie mich nicht falsch, Judith, ich bin natürlich froh und dankbar für ihre Arbeit bei uns. Die Kunden sind begeistert von ihren Entwürfen und für meine Frau ist das auch ein echte Entlastung aber ich möchte mir nicht vorwerfen lassen, dass sie durch die Arbeit bei uns ihr Studium vernachlässigen.“

Judith fühlte sich ertappt und musste sich eingestehen, dass Herr Hofmann recht hatte.

„Ich spiele ab und zu mit dem Gedanken, das Studium an den Nagel zu hängen, habe aber auf der anderen Seite auch keine Idee, was ich an Stelle des Studiums machen soll. Außerdem würde ich meine Eltern damit sehr enttäuschen.“

„Haben sie schon einmal darüber nachgedacht, eine Ausbildung zu machen?“

„Ich wüsste nicht in welchem Bereich.“

„In der Vergangenheit haben wir immer mal wieder junge Leute zum Goldschmied ausgebildet. Könnte ihnen das denn Freude machen?“

Judith schaute Herrn Hoffmann überrascht an, sie hatte das Gefühl, dass ihm dieser Gedanke nicht gerade erst jetzt bei diesem Gespräch gekommen ist.

„Ich denke, das wäre eine Aufgabe, die mir viel Spaß machen würde, ich möchte auf jeden Fall kreativ arbeiten können und die Arbeiten, die ich schon jetzt bei Ihnen in der Werkstatt machen darf, sind sehr interessant.“

„Denken sie darüber nach, die Tür steht ihnen immer offen, aber überstürzen sie diese Entscheidung nicht.“

Als Judith an diesem Tag den Laden verließ, war es ihr, als hätte man ihr eine große Last von den Schultern genommen.

Sie hatte in den letzten Wochen für sich längst festgestellt, dass die Arbeit bei Hoffmanns das war, was ihr wirklich lag und Freude machte.

Als sie nach Hause kam hatte Sören Besuch von Henrik. Judith hatte keine Lust auf Konversation und zog sich gleich in ihr Zimmer zurück.

Sie setzte sich an ihren Schreibtisch um sich die positiven und die negativen Seiten eines Studienabbruchs aufzuzeichnen.

Sie kam zu dem Schluss, dass sie für sich ihre Entscheidung zu Gunsten der Ausbildung bei Hoffmanns schon gefällt hatte.

Nur, wie brachte sie dies ihren Eltern bei? Sie entschloss sich am Wochenende nach Heidelberg zu fahren und diese Entscheidung mit ihren Eltern zu besprechen.

Sie kam am Samstag am späten Vormittag in Heidelberg an. Sie hatte sich bei den Eltern nicht angemeldet und wollte sie mit ihrem Besuch überraschen.

Als sie die Wohnung der Eltern betrat, hatte sie gleich das Gefühl, dass es nicht war wie immer. Keine Musik aus der Küche, ihre Mutter hatte immer das Radio in der Küche an um bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit mitzusingen.

Es schien niemand da zu sein.

Judith wanderte durch die vertraute Wohnung und es durchströmte sie ein Glücksgefühl. Alles war an seinem Platz, alles war so vertraut. Die Sonne schien auf den großen Tisch in der Küche und sie dachte an die vielen schönen Stunden die sie zu viert hier verbracht haben.

Die einzige Veränderung war, dass an verschiedenen Stellen der Wohnung Zettel an die Wände gepinnt waren mit Notizen die sie nicht einordnen konnte wie:

Brille in der Schreibtischschublade

Hausschuhe in der Garderobe

unsere Telefonnummer

Sie hatte gerade Kaffe aufgesetzt, als die Eltern nach Hause kamen.

Die Überraschung war ihr gelungen, die Freude über ihren Besuch war groß.

„Wir waren in der Stadt und beim Arzt.“

erzählte die Mutter, während sie, für Judiths Empfinden viel zu hastig, die Einkäufe in den Küchenschränken verstaute.

Hans Kühnen setzt sich an den Küchentisch, er sah müde, erschöpft und sehr blass aus.

Judith nahm seine Hand und sah ihn an. Sein Blick war nicht wie früher, voller Energie und Begeisterung wenn sie nach Hause kam. Er lächelte müde.

„Ich freue mich sehr, dich zu sehen, hast du denn Marion auch mitgebracht?“

Judith schaute zur Mutter, die ihrem Blick auswich und sich umständlich mit einer Milchtüte beschäftigte.

Marion war seit 3 Monaten in den USA und absolvierte dort ein Gastsemester…..

„Vater, Marion ist doch verreist, erinnerst du dich nicht?“

„ Habe ich wohl vergessen.“

Judith kam ein schrecklicher Gedanke: Demenz.

Nein, das konnte nicht möglich sein, ein Mensch, der Zeit seines Lebens Kopfarbeit geleistet hat, der immer rege und aktiv war, sollte seine Erinnerung verlieren?

Sie musste mit der Mutter alleine reden.

Sie tranken Kaffee und aßen von dem Kuchen den Judith mitgebracht hatte. Der Vater nahm mehr oder weniger am Gespräch teil aber die meiste Zeit schien er abwesend zu sein.

Am Abend ging er früh zu Bett und Judith setzte sich mit der Mutter in die Küche. Sie öffneten eine Flasche italienischen Rotwein und Judith zwang die Mutter sitzen zu bleiben.

„Sag mir, was hier los ist.“

Judith sah der Mutter in die Augen

„Seit wann ist er in diesem Zustand?“

„Kind, das ist eine Sache, die sich ins Leben einschleicht. Anfangs dachte ich, er ist einfach nur überarbeitet. Aber als er dann morgens aus dem Haus ging und nach einer halben Stunde wieder da war, weil er glaubte, er hätte seine Tasche vergessen, die er in der Hand hatte oder er mitten in der Nacht aufgestanden ist und sich gewundert hat, dass es mitten am Tag so dunkel ist, wusste ich, dass dies mit Überarbeitung nichts mehr zu tun hat.“

„Wart ihr denn beim Arzt?“

„Ja, der Hausarzt sagt, das wäre nicht aufzuhalten. Er bekommt Medikamente zur besseren Durchblutung und das war‘s dann auch.“

„Und die Uni?“

„Er ist seit Monaten krankgeschrieben, der Rentenantrag läuft.“

„Warum um Gottes Willen habt ihr mir denn nichts gesagt?“

„Er wollte das nicht, er wollte dich nicht belasten, außerdem kannst du auch nichts tun, wir müssen uns damit abfinden. Noch kommt er gut zurecht und ich muss nur leise Hilfestellungen geben.“

Judith nahm die Mutter in den Arm, die Tränen rannen ihr über die Wangen. Was hatten die beiden sich für das gemeinsame Alter alles vorgenommen, nichts davon werden sie sich mehr erfüllen können.

Judith entschloss sich über ihre beruflichen Pläne nichts zu erwähnen um die Mutter nicht noch mehr zu belasten.

Den Sonntag verbrachten Sie im Garten und der Vater war beinahe wieder wie immer.

Das machte Judith Hoffnung, dass die Krankheit vielleicht doch noch nicht so weit fortgeschritten ist.


Wieder in München angekommen setze Judith sich mit ihren Mitbewohnern zusammen um ihnen ihre Pläne zu unterbreiten.

Nach stundenlangen Diskussionen waren sich alle einig, dass es wichtig ist, das zu tun was einem ausfüllt.

Judith war froh, das Thema mit ihren Freunden besprochen zu haben und fühlte sich nun sicher, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatte.

Am nächsten Morgen eröffnete Judith den Hoffmanns, dass sie das Angebot zu einer Ausbildung gerne annehmen wolle.

„Judith, das freut mich von ganzem Herzen, Karin, mach eine Flasche Sekt auf, das müssen wir feiern. Ich hätte mir keine bessere Nachfolgerin wünschen können.“

„Nachfolgerin?“

Judith sah Herrn Hoffmann an.

„Warum Nachfolgerin? Ich fange ja gerade mal mit der Ausbildung an.“

„Judith, ich schlage vor, dass wir zum du übergehen, du weißt, dass wir keine Kinder haben und den Laden im Alter auflösen oder verkaufen müssen. Ich dachte, wenn du dabei bleibst und wirklich Freude an der Arbeit hast, dann kannst du den einmal Laden übernehmen. Was hältst du davon?“

„Nu mal langsam mit den jungen Pferden.“

Karin Hofmann legte ihrem Mann die Hand auf die Schulter

„Überrenne Judith nicht mit deinen Wunschvorstellungen. Sie soll jetzt einmal starten und der Rest wird sich ergeben.“

„Du hast wohl Recht. Warten wir ab, was die Zukunft bringt.“

Da das neue Ausbildungsjahr gerade begonnen hatte war alles schnell geregelt und Judith konnte im Oktober starten.

Auf dem Heimweg kauft Judith noch Getränke und Knabbereien ein um mit Ihren Mitbewohnern zu feiern.

Sie fühlte sich sehr leicht und gelöst und genoss den sonnigen Septembertag. Sie setzte sich auf eine Bank und beobachtete die Passanten die eilig von der Arbeit nach Hause strömten und fragte sich, wie viele von diesen Menschen wohl ihrer Arbeit mit Freude nachgehen. Sie war dankbar, dass sie künftig einer Arbeit nachgehen durfte die sie ausfüllte und glücklich machte.

Schattenspiele

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