Читать книгу Ömmes auf der krummen Straße - Klaus Blochwitz - Страница 5
Kapitel 3
ОглавлениеHerbert schob sein Fahrrad das Stück bis zur Querstraße und drehte sich um. Die krumme Straße war schon eine Sache für sich, sie ist wirklich krumm. In einem leichten Links-Rechts-Bogen verband sie die beiden Hauptstraßen, das alte Kopfsteinpflaster,die alten Bäume am Straßenrand, die alten, schön renovierten Häuser.
Auf der linken Seite folgten die Häuser dem Straßenverlauf, rechts dagegen waren sie gerade in einer Flucht gebaut, wodurch sich von Jürgens Haus bis zum Haus von Herbert eine freie Fläche ergab, auf der eine Bank in mitten einer kleinen Grünanlage stand.
Ein leichtes Lachen schüttelte Herbert, als er an die früheren Zeiten dachte, ein Plumpsklo im Anbau, Badezimmer kannte kein Mensch, Samstags wurde die alte Zinkbadewanne in die Küche gestellt und dann wurde einer nach dem anderen abgeschrubbt.
Der Garten war besser in Schuss als das Haus und der Stall wurde auch besser gepflegt, weil darin fast jeder ein Schwein stehen hatte. Hühner so wie so, meistens auch noch Enten und Gänse.
Der große Herd in der Küche war die einzige Heizquelle für das ganze Haus und im Winter froren alle in ihren dünnen Betten.
Und Hunger hatten wir, bis Vater Pflanzen für den Garten organisiert hatte und dann brachte e rnoch klamm heimlich in einer alten Tasche mucksmäuschenstill ein Ferkel mit, nach und nach kamen dann Hühner und Gänse dazu.
Vater hatte dann auch regelmäßig Arbeit auf’m Pütt und langsam ging es aufwärts.
Eines Abends, es war saukalt, wir Kinder froren wie verrückt, obwohl wir zum Teil dick eingewickelt in alten Säcken und Decken auf den Schlitten saßen, die von den Vätern durch den Schnee gezogen wurden. Die Kinder waren neugierig wie nur etwas, weil keines wusste, warum sie so spät mit ihren Vätern unterwegs waren.
Sie redeten alle wild durch einanderund stellten die tollsten Vermutungen an.
Plötzlich zeigten dieVäter an, dass jetzt Ruhe sein müsste und erschreckt duckten sich die Kinder in ihre Decken. Die Schlitten wurden von den Männern eng zusammen gezogen und dann sagte Hermanns Vater leise, aber eindringlich, warum sie hier waren und was gemacht werden sollte.
Schnell kapierten die Jungs, warfen die Decken und die alten Säcke ab, zitterten jetzt vor Kälte. Sie rannten leise auf die Eisenbahnwaggons zu und kletterten wie die Katzen daran hoch, liefen auf den Waggons weiter, bis sie die mit den Kohlen gefunden hatten, sie winkten ihren Vätern zu,dass sie her kommen sollten.
Herbert, Wilhelm, Jürgen undHermann warfen die dicken Kohlebrocken von den Waggons herunter und die Männer sammelten diese ein und verstauten sie auf die Schlitten.
Manche Kohlebrocken waren fest gefroren,so fest, dass die Jungs heftig arbeiten mussten, um sie los zu brechen.Jetzt schwitzten die Kinder trotz der beißenden Kälte,unerwartet kam dann der Ruf von ihren Vätern: „Kommt runter, für heute haben wir genug.“
Die Jungens wurden von ihren Vätern wieder in die Decken gewickelt und in einem Affentempo ging es nach Hause. Endlich wurde es mal richtigwarm im Haus, die Mutter wärmte die Decken der Kinder an und brachte sie mit Tränen in den Augen zu Bett.
Der Kohlenklau ging einige Wochen gut und dann knallten bei der letzten nächtlichen Aktion Schüsse durch die Nacht. Die Soldaten schossen auf die Kohlendiebe. Es wurde erfreulicherweise niemand verletzt, aber es gab auch keine Kohlen mehr und das Frieren fing wieder von vorne an.
Niemand hatte für diese Kälte vernünftige Klamotten, vor allen Dingen keine richtige Winterkleidung. Es war einfach in diesem Winter jedem und allen saukalt.
So ein Mist, dachte Herbert, und ich muss jetzt in einem Scheißjob Kohlen schleppen. Sein Vater hatte immer gepredigt,dass die Arbeit das allerwichtigste ist, ohne Arbeit läuft nicht viel. Scheiße, ich will ja malochen, aber keiner gibt mi reine vernünftige und solide Arbeit.
Also los, Kohlenn schleppen.
Als sein Vater aus der russischen Gefangenschaft zurück kam,war Herbert gerade zehn Jahre alt und hatte Schwierigkeiten,Kontakt zu finden und den fremden Mann einzuordnen, aber er sah auch, dass der Mann seiner Mutter viel half und er hörte seine Mutter tatsächlich ab und zu lachen! Da durch wurde es dann auch für ihn leichter und irgendwann waren sie eine Familie.
Herbert schwang sich auf sein Fahrrad und strampelte Richtung Kohlenhändler. Die krumme Straße bog rechts ab, wenn man von der Stadt kam, und verband dadurch die Friederikenstraße mit der Hauptstraße. Die krumme Straße war kurz,auf jeder Seite standen gerade mal zehn Häuser, hier kannte jeder jeden und alle kamen gut mit einander aus. Herberts Haus stand ziemlich genau in der Mitte der Straße, ein Haus weiter wohnte Rudi, ein weiteres Haus weiter links wohnte Jürgen.
Auf der anderen Seite wohnte im ersten Haus Beate. Zwei Häuser weiter Hans, direkt daneben Hermann, der mit dem Wintergarten. Die beiden letzten Häuser hatten Wilhelm und Franz. Franz hatte das schönste Haus, er hatte es im Original belassen, mit Sprossenfenstern und so, aber innen das Modernste und richtig schick.
Es gab keinen Gemüsegarten mehr, auch keine Schweine im Stall, nur die Menschen sind da wie gewohnt. Ruhig und zuverlässig.
Neben Franz war das Eckhaus mit der Kneipe von Ömmes. Ömmes legte immer lautstark Wert darauf, dass er zumindest zu fünfzig Prozent zur krummen Straße gehöre. Um das zu untermauern, hatte er mir nichts, dir nichts einen Eingang zu seiner Kneipe von de krummen Straße aus durchbrochen.
Damit war Ömmes endgültig in der krummen Straße angekommen.
Nach ungefähr vier Wochen wurde Herbert ins Lohnbüro gerufen, mit weichen, mit sehr weichen Knien ging er in das Büro. Es wurde ihm eine Tätigkeit als LKW-Fahrer angeboten,nur fahren, keine Kohlen schleppen, fast normale Arbeitszeit(mir doch völlig schnuppe!) Überstunden jederzeit möglich. Urlaubs- und Weihnachtsgeld auch!
Für Herbert war Weihnachten und Ostern auf einen Tag.
Beate konnte man mit Rudi vergleichen, na ja, abgesehen davon, dass sie halt eine Frau und Rudi ein Mann war. Aber von der Lebenseinstellung, vom Charakter, vom beruflichen Ehrgeiz her waren die beiden schon sehr gleich. Im Privatleben war es dasselbe wie im Beruf, immer Vollgas!
Wenn Beate feierte, dann aber richtig. Wenn Beate in Urlaub fuhr, aber hallo! Wenn Beate etwas anpackte, dann ging es ruck zuck.
Das bekamen Jürgen und Inge so richtig zu spüren, als Jürgen seine Arbeit als Bergmann verlor und in ein tiefes Loch stürzte.Seine Frau machte ihm auch noch die Hölle heiß, statt zu helfen oder zu unterstützen, machte sie ihn so richtig platt. Sie protzte mit ihrer Arbeitsstelle, er könne froh sein, dass sie wenigstens noch Geld verdiene.
Langsam sickerte das Dilemma von Jürgen und Inge durch und Beate fackelte nicht lange, marschierte zu den beiden. Es dauerte eine Weile, bis sie zurück kam, aber Jürgen und Inge ging es danach deutlich besser.
Beate verlor nie ein Wort darüber, was da im Haus von Jürgen und Inge abgelaufen war und das rechneten ihr alle hoch an.
Ansonsten machte Beate einfach das, was sie für richtig hielt. Anfangs hatten die Anwohner der krummen Straße ihre liebe Not und ihre Probleme damit, Beate klärte das rigoros in einem Treffen auf und seit dem herrschte Ruhe. Beate macht irgend etwas in Werbung, sie erzählt nie davon, sie sagt immer:„Arbeit ist meine Sache, Bier trinken ist unsere Sache!“
Beate stammt aus einem so genannten guten Elternhaus und sie war das schwarze Schaf. Aus purem Trotz heiratete sie sehr jung ein richtiges Windei, nach einem Jahr war es vorbei, als ihr Mann fest stellen musste, dass von dem vielen Geld seiner Schwiegereltern nichts für ihn dabei war.
Eines Tages war er verschwunden und Beate reichte die Scheidung ein. Damit war diese Geschichte Vergangenheit.
Sie trennte sich von ihrem Elternhaus unmittelbar nach der Lehre und arbeitete sich verbissen und mit viel Einsatz hoch und höher. Jetzt hatte sie alles, was sie haben wollte. Ein eigenes Haus, ein Auto, eine gute Arbeit und sie konnte gut leben
.Ein paar Wochen später ging Herbert zu Jürgen und fragte ihn, ob er als Beifahrer arbeiten wollte. Jürgen fiel Herbert fast um den Hals. Damit hatte auch Jürgen wieder eine feste Arbeit nach langen Jahren der nur gelegentlichen Arbeitsstellen.
Die krumme Straße ging wieder einmal in die friedliche Vorweihnachtzeit.
Auf dem Weg zu Ömmes traf Hans auf Beate und gleich darauf kamen Hermann und Jürgen dazu, ein Gespräch kam aber nicht in Gang, jeder hing seinen Gedanken nach.
Herbert, Franz und Rudi saßen bereits am Stammtisch und hatten ihr Pils vor sich stehen. Ömmes begrüßte Beate und nickte den drei Männern zu, während er die Getränke auf den Stammtisch stellte. Es kamen die üblichen Themen zur Sprache, jeder palaverte mit jedem über Gott und die Welt
.Hans ging als letzter der Runde leicht schwankend nach Hause, er freute sich über die Weihnachtsdekoration an und in den Häusern und Vorgärten. Er wurde beinah ein wenig melancholisch.Im weiter laufen kamen ihm die vergangenen Weihnachtsfeste in den Sinn.
Wie schnell die schlechten Zeiten vergessen werden, Zeiten, in denen sich satt essen können schon fast ein Wunder war.Er war zehn Jahre, wie Herbert, als sein Vater aus der Gefangenschaft zurück kam. Der Mann war krank und kaputt, dass konnte er sogar als Kind erkennen. Sein Vater wurde Nacht für Nacht von furchtbaren Alpträumen gequält.
Morgens war er dann oft völlig verstört, so dass er manchmal nicht wusste,wo er war. Es dauerte lange, sehr lange, bis sein Vater auf die Reihe kam, aber so richtig gesund wurde er nie.
An manchen Nachmittagen, wenn Hans mit den Schularbeiten fertig war,nahm sein Vater ihn mit in den Schuppen und zeigte ihm,woran er gerade arbeitete.
Einmal war es ein großer und stabiler Küchentisch, das andere Mal ein zierliches Hängeschränkchenfür die Kleinigkeiten seiner Mutter. Während sein Vater an irgendeinem Teil herum werkelte, saß er gemütlich in der halbdunklen Ecke auf einem Haufen alter Kartoffelsäcke und sah zu.
Und manchmal fing sein Vater an, über den Krieg zu sprechen, erst war es nur ein leises, unverständliches Gemurmel,das dann nach und nach verständlicher wurde. Sowie Hans damals verstanden hatte, musste sein Vater wohl in Finnland stationiert gewesen sein und diese Kämpfe in denfinnischen Urwäldern gegen die Russen müssen furchtbar,entsetzlich grausam gewesen sein.
Sein Vater war anfangs wohl heilfroh, als er an die Ostfront versetzt wurde. Aber ermerkte schnell, dass er vom Regen in die Traufe gekommen war.
Der einzige Lichtblick für seinen Vater war wohl die Zeit in Frankreich, eine kurze Zeit bloß und wieder ging es nach Russland. Den dicken Knacks hat mein Vater wohl in Russland bekommen,als seine Kompanie ein unbekanntes, kleines russischesDorf unbedingt halten musste und dabei höllische Verluste erlitt, sinnierte Hans weiter.
Einmal erzählte sein Vater von einem Hafen an der Ostsee. Es war saukalt und die Flüchtlinge wollten auf das Schiff, es waren Tausende und es war kein sehr großes Schiff.
Die Menschen stürzten in das eiskalte Wasser bei dem Versuch, auf das Schiff zu kommen,Frauen, Kinder, alte Leute. Zu guter Letzt schossen die Soldaten auf die Flüchtlinge, um sie daran zu hindern, auf das Schiff zu kommen.
Die Straße konnte man nur noch daran erkennen, dass links und rechts die Trümmerberge höher waren als sie selbst. Das Dröhnen der Flugzeuge wummerte in den Ohren und das Geräusch der fallenden Bomben war schrecklich, nervtötend.
Ein widerlicher Brandgeruch hing in der staubigen Luft und immer wieder krachte ein Haus oder eine Ruine von einer Bombe getroffen mit einem wahnsinnigen Getöse zusammen.
Die Hitze wabberte infernalisch über den Trümmern. Die nicht mehr vorhandene Straße bog sich etwas nach links, etwas weiter stand ein noch halbwegs intaktes Haus.
Auf den Treppenstufen zum Hauseingang saß ein Kind, ein kleines Kind, die dunklen Augenvor Angst starr aufgerissen, durch das schmutzige Gesicht malten die Tränen helle Straßen.
Das Kind saß wie versteinert in dem Chaos.
Die Bombenabwürfe kamen näher, als plötzlich eine Frau aus dem Inneren des Hauses stürzte, das Kind hochriss und im Haus verschwand.
Eine Bombe krachte in das Haus und hinterließ nur noch einen gewaltigen Krater,über dem sich eine riesige Staubwolke ausbreitete.
Nachdenklich ging Hans weiter und dachte bei sich, dass sein Vater ihm damit schlimme Erinnerungen hinterlassen hat. Aber sein leises Erzählen hat ihm wenigstens etwas geholfen und ich muss damit leben, es gehört zu meinem Vater undmir.
Hans kam nach seiner Schreinerlehre aus dem Sauerland hierher, weil er hier eine Arbeitsstelle gefunden hatte und so blieb er hier hängen. Er war immer noch ledig, heftig sozialkritisch,schon früh um die Umwelt besorgt.
Nach ein paar Jahren konnte er sich das Haus neben Hermann kaufen und renovierte es viele Jahre lang, bis es ein richtiges Schmuckkästchen war. Natürlich mit viel Holz, schließlich ist Hans Schreiner!
Jürgen und Herbert kamen neunzehnhundertneunundvierzig in die Volksschule an der Hauptstraße. Ein Jahr später wurde Hermann eingeschult. Franz war da schon drei Jahre auf der Schule und Wilhelm kam durch den Umzug seiner Elternneunzehnhundertfünfzig in diese Schule.
Wilhelm besuchte nach der Schule das Gymnasium, Jürgen und Herbert gingen auf dem Pütt in die Lehre, während Hermann nach der Schule eine Lehre als Metaller machen konnte.
Trotzdem hielten die fünf eisern Kontakt, trafen sich regelmäßig an den Wochenenden und unternahmen viel gemeinsam. Später kam dann noch Hans und noch etwas später Rudi in die Clique, die Runde machte dann Beate voll.
Der Kontakt mit Wilhelm ging ein bisschen durch sein Studium verloren, aber ganz weg war er nie. Wann immer er es ermöglichen konnte, meistens spielte das fehlende Geld die ausschlaggebende Rolle, tauchte er an dem einen oder anderen Wochenende in der krummen Straße auf.
Einen alten, verschrammten Koffer voller schmutziger Wäsche brachte er dann seiner Mutter mit, für seinen Vater fand er immer irgendein altes Buch als Mitbringsel oder die Kopie eines alten Notenblattes.
Das Wiedersehen der Fünferbande war immer ein Riesen-Hallo und die Jungs mit der Lehrstelle hatten dann doch mal einen Tacken (Groschen!) mehr für ein Bier übrig.
Sie sprachen über die fünf,sechs Jungs, die seit einiger Zeit mit ihren Mopeds und Mofas durch die krumme Straße rasten und mit dem Krach und den Auspuffgasen die Anwohner belästigten und auch verärgerten.
Die Bande wurde immer frecher und dreister, machte sich richtig unbeliebt in der Straße. Alle waren sich darüber einig,dass es so nicht mehr weitergehen konnte.
Hermanns Vater bot sich an, mit den Jungs zu sprechen, was natürlich nichts nutzte, im Gegenteil, die wurden immer respektloser. Am nächsten Freitagabend trafen sich die Burschen wieder an der Parkbank, machten Randale, warfen die leeren Bierflaschen auf die Straße, dass die Glassplitter überall herum flogen, warfen ihren Müll in die kleine Grünanlage, in der die alte Parkbank seit ewiger Zeit stand.
Mit jeder Flasche Bier führten die sich verrückter auf, grölten unflätig, zertraten die Pflanzen und dann waren sehr plötzlich sechs, sieben Männer aus der Nachbarschaft da und sagten den jungen Burschen, dass es jetzt genug sei, sie sollten verschwinden und die Anwohner in Ruhe lassen.
Statt Ruhe zu geben, wurden die rotzfrech und gaben erst klein bei, als die Männer etwas bedrohlich auf sie zu gingen. Alle glaubten, dass damit die Geschichte gegessen war, leider war es aber nicht so.
Am nächsten Freitagabend waren sie wieder da, noch lauter und frecher und mit ein paar Mann Verstärkung. Unauffällig verständigten sich die Anwohner der krummen Straße und dann kam eine Gruppe Männer von der Friederikenstraße und eine zweite Gruppe Männer von der Hauptstraße auf die Rowdys zu. Diese wurden dann sehr schnell sehr kleinlaut, zwei, drei von den älteren Jungs riskierten noch eine freche Lippe und dann setzte es heftige Prügel. Keiner sah jemals etwas von der Gruppe wieder.