Читать книгу Ömmes auf der krummen Straße - Klaus Blochwitz - Страница 8
Kapitel 6
ОглавлениеSeske machte ihren Hochschul Abschluss und kehrte freudestrahlend zu ihren Eltern zurück, sie interessierte sich für den Holzschlag, steckte ihre hübsche Nase in die Fischzucht und machte sich ihre Gedanken.
Eines Abends, als die drei nach dem Abendessen gemütlich beisammen saßen, erzählte Seske ihren Eltern, was sie sich in den letzten Wochen ausgedacht hatte.
‚Der Holzschlag läuft gut und ist mit Erik als Leiter gut besetzt‘, ihre Eltern nickten dazu, ‚selbst deine Fischzucht ist schon rentabel‘, schaute sie ihren Vater an.
Der lächelte ein wenig stolz zurück: ‚Jetzt komm aber endlich auf den Punkt‘,sagte er dann zu seiner hübschen Tochter und Seske begann:‚Unser schönes, großes Haus ist für uns drei viel zu groß. Ich habe mich erkundigt, es gibt ein großes Interesse von Touristen an Campingplätzen und wir haben viel Platz für Stellflächen.Wir können die ungenutzten Zimmer zur Übernachtung anbieten; die Küche ist groß genug, um auch Essen für unsere Gäste anbieten zu können.‘
Ihre Eltern schauten irritiert,erstaunt und dann interessiert. Seskes Mutter stimmte als erste zu und Seskes Vater nickte zustimmend, schaute seineTochter an: ‚Dann mach mal!‘
Überglücklich fiel Seske ihren Eltern um den Hals und packte dann voller Energie ihr Projekt an.
Als ich durch Zufall bei Seske den Campingplatz fand, war ihr Campinghotel gerade zwei Jahre alt. Den Rest kennt ihr ja“,endete Rudi, „erst kam viel Post und dann kam endlich Seske.“
„Ach ist das schön“, seufzte Beate. Franz war da praktischer veranlagt und fragte Rudi direkt, wie es mit ihnen beiden weiter gehen würde.
„Wir wollen jetzt erstmal eine Weile zusammen leben und uns richtig kennen lernen und dann sehen wir weiter.“
Der Abend war schon fortgeschritten und die Runde löste sich langsam auf.
Beate, Hans, Hermann,Wilhelm und Franz blieben auf der Straßenseite, während Jürgen mit Herbert und Rudi die andere Seite wechselten. Ein letzter Gute-Nacht-Gruß, und die Straße war leer.
Rudi wurde von Seske begrüßt und sie schaute ihn fragend an:„Alles gut gegangen?“
Rudi nickte zustimmend mit dem Kopfund nahm sie in seine Arme.
Beate rannte am Heiligabend wieder von Haus zu Haus,wünschte schöne Feiertage, verteilte ihre kleinen Geschenke,für Rudi und Seske war es etwas größer.
Hans fuhr wieder zu seinen Eltern, um ihn machte sich die ganze krumme Straße immer noch Sorgen. Hans kam einfach nicht auf die Reihe, es war bloß gut, dass er beruflich voll beansprucht wurde, sonst hätte es sicher noch schlimmer ausgesehen.
Hans erschrak sehr, als er seine Eltern sah, sein Vater erkannte ihn gar nicht mehr und seine Mutter war völlig erschöpft, die Frau war richtig fertig.
Nach Weihnachten organisierte Hans die längst nötige Pflegehilfe und beschaffte für seine Mutter eine Haushaltshilfe aus der Nachbarschaft.
Der Hausarzt informierte Hans über den Gesundheits Zustand seines Vaters und Hans war danach endgültig fertig, obwohl er es schon geahnt hatte.
Er gab dem Arzt seine Telefonnummer, bevor er wieder abreisen musste.
Das neue Jahr fing ruhig an, mit den großen und kleinen Problemen, die eben jede Familie mehr oder weniger hat. Der erste Treff im neuen Jahr bei Ömmes verlief ebenso ruhig, die Feiertage klangen noch nach.
Ab diesem Jahr war das junge Volk mit achtzehn Jahren volljährig.
Die beiden Familien zwischen Beate und Hans lebten weiterhin unauffällig in der Straße,bis die Frau aus dem Haus direkt neben Beate in Tränen aufgelöst durch die Nachbarschaft lief und jammerte, dass ihr Mann im Sterben liege.
Man wusste, dass der Mann schon ein recht hohes Alter hatte, aber er machte immer einen gesunden und munteren Eindruck.
Brigitte und Hildegard nahmen die Frau in ihre Mitte und gingen zum Haus der Frau zurück. Der Arzt schüttelte den Kopf und der Pfarrer sprach tröstende Worte.
Die krumme Straße organisierte die Beerdigung.
Den Kaffee gab es bei Ömmes im Saal.
Ömmes hatte ein Händchen dafür, er hatte den Saal sparsam und diskret hergerichtet,die Tische standen in U-Form, mit weißen Tischtüchern und dezentem Blumenschmuck, weißes Porzellan rundete das Bild ab.
Nach einem Gebet wurden Kaffee und Kuchen serviert,die Gäste griffen zu und die frische Witwe erzählte mit ihrer unmittelbaren Tischnachbarin. Langsam wurden die Gespräche an den Tischen leiser und verstummten schließlich ganz,alle hörten gespannt der Frau zu.
Sie erzählte von Ostpreußen, von ihrer harten, aber trotzdem fröhlichen Kinderzeit, wie sie schon als kleines Mädchen beim Bauern hart arbeiten musste. Schule war für sie schon nach dem vierten Schuljahr vorbei, von da ab ging sie jeden Tag,sieben Tage die Woche, zusammen mit ihrer Mutter in der Küche des Bauern arbeiten.
Meistens musste sie putzen, abwaschen und waschen, aber auch Kartoffeln schälen, Bergevon Kartoffeln. Die Tiere musste sie füttern, Schweine, Gänse,Enten und Hühner, und obwohl sie immer eine höllische Angst vor den großen Tieren hatte, musste sie die Kühe melken
.Im Laufe der Zeit wurde sie aber eine gute Küchenhilfe und als sie ungefähr vierzehn Jahre alt war, wurde sie als Hilfsköchin beschäftigt, dafür bekam sie sogar ein paar Münzen im Monat.
Jahre später übernahm sie als Köchin das Regiment in der großen Küche und damit ging es ihr für die damaligen Verhältnisse recht gut. Auf dem Bauernhof lernte sie auch ihren späteren Mann kennen, er war als Großknecht beschäftigt.
Auf dem letzten Erntedankfest vor dem Krieg kamen sie zusammen. Ihr Mann war ein großer, stattlicher Kerl, vor dem alle Respekt hatten. Zwei Jahre später heirateten sie und konnten ein kleines Haus beziehen.
„Es war alles gut und dann kam der Krieg auch zu uns. Wir bekamen unerwartet den Hass der polnischen Bevölkerung zu spüren, plötzlich ware nwir nicht mehr die jahrelangen Nachbarn, sondern nur noch die fürchterlichen Nazis.“
Die Frau holte tief Luft und fuhr fort: „Die Front kam immer näher und die Polen zwangen uns, das Land zu verlassen. Wir durften ein Pferdegespann mitnehmen, packten ein paar Sachen auf den Wagen und unter wütenden Blicken und wüsten Beschimpfungen der Polen fuhren wir los.
Es zog ein endloser Treck in Richtung Westen und es wurden immer mehr. Aus allen Städten und Dörfern stießen die Menschen zu uns, viele, viel zu viele nur zu Fuß, Frauen mit ihren Kleinkindern, alte Leute, die kaum noch laufen konnten, und wir marschierten in den Winter!“
Die Frau schluchzte auf: „Die Menschen erfroren einfach, sie fielen am Straßengraben um und blieben einfach liegen, der Schnee deckte sie in kurzer Zeit zu. Ein riesiges weißes Leichentuch…“
Nach dem Todesfall wurde der Kontakt mit den beiden Familien in der Nachbarschaft doch enger, die Frau war völlig hilflos,sie hatte von nichts eine Ahnung und war heilfroh, dass sie so selbstverständlich Hilfe bekam. Ihre beiden Kinder waren schon lange aus dem Haus und kamen nur noch selten zu Besuch.
Ein paar Tage nach der Beerdigung saßen Hermann, Jürgen und Herbert bei Ömmes an der Theke und erzählten dies und das und irgendwann erzählte Jürgen von früher, aus ihrer gemeinsamen Kinder- und Jugendzeit.
Es war Anfang der fünfziger Jahre, als sich eine Gruppe Jungs mit zum Teil abenteuerlichen Fahrrädern bei Jürgen traf. Einige hatten blaue Hemden mit blau-gelb-gestreiften Halstüchern angezogen, der größte Teil der Gruppe war jedoch kunterbunt angezogen.
Alle hatten ein Päckchen, mal größer, mal weniger groß, auf dem Gepäckträger. Herbert war dabei, Hermann und Wilhelm, und Franz kam mit einem schicken, funkelnden Fahrrad dazu.
Ein älterer und größerer Junge traf hinzu, zählte nach der Begrüßung die Gruppe durch und zeigte dann an:„Los geht’s.“ Die Jungen bildeten eine Zweierreihe und fuhren mit Hallo und lautem Klingeln dem großen Jungen nach.
Sie waren auf dem Weg zu einer Jugendherberge im Münsterland,einem kleinen Ort, ein paar Kilometer westlich von Münster. In der Jugendherberge angekommen, wurden die Jungs auf die Schlafräume verteilt und der Herbergsvater sammelte die Lebensmittelmarken von allen ein. Für den Nachmittag war eine Tour nach Kompass und Karte geplant und für Sonntagvormittag die Besichtigung einer Wasserburg.
Auf der Rückfahrt wurde von den Fünfen aus der krummen Straße für das kommende Wochenende das Fußballspiel besprochen.Jürgen lachte still in sich hinein und die beiden anderen Männernickten zustimmend.
„Mann, was waren das für Zeiten,kein Vergleich zu der heutigen Jugend!“
„Ne“, lachte Hermann,„die haben ja auch mit dem Krieg Gott sei Dank nichts mehr am Hut.“
„Richtig“, stimmten die beiden zu.
Ömmes stellte Getränke auf die Theke und ging wieder.
„Wenn wir unsere Kinder zum Bauern aufs Feld zum Arbeiten schicken würden, würden die uns für verrückt erklären“, nahm Wilhelm den Faden wieder auf.
„Wir kamen gar nicht schnell genug zum Bauern, Schulschluss, Schularbeiten gemacht und dann aber los. Ob Runkeln verziehen oder Heu- und Getreideernte,Kartoffeln stoppeln oder Rüben ziehen. Wir waren schon richtige kleine Fachleute: wir wussten genau, wann was fällig war, welcher Bauer einen Groschen mehr bezahlte oder bei wem die Vesper-Brote besser waren. Bei einigen Bauern konnten wir auch Tierpflege machen, Pferde striegeln und die Kühe mit dem Schlauch abspritzen und wir sammelten die Hühnereier ein, die die Hühner überall legten. Von dem einen oder anderen Bauern bekamen wir auch schon mal eine zusätzliche Stulle für unterwegs.“
„Einmal, wisst ihr noch,hatten wir richtig Pech“, gab Hermann seinen Teil dazu, „ein Bauer hatte eine riesige, ehemalige Wasserburg als Hof und dieser Bauer kam direkt zu unserer Schule und holte sich die Kinder dort und das mit sagenhaften Versprechen. Da konnte natürlich kein Kind nein sagen und alle sausten nach der Schule zu diesem Bauern. Dort angekommen, wurden wir auf Leiterwagen verteilt und fuhren auf die Felder. Nach vierzehnTagen war die Arbeit getan und zum späten Nachmittag versammelten sich die vielen Kinder auf dem Innenhof und wollten ihren Lohn haben.“
„Wir wurden von dem Bauern vertröstet,wir sollten übermorgen wieder kommen, dann sollten wir unser Geld bekommen“, machte Jürgen weiter.
„Und was war, nichts, kein Geld, wir sollten noch mal wieder kommen.Wir kamen alle wieder und da jagte uns der Mistkerl von Bauer mit Hunden vom Hof.“ Hermann und Wilhelm schüttelten ihre Köpfe: „Das war schon ein Mistkerl.“
Ömmes stand wie immer abseits in seiner Ecke und bewegte bestätigend seinen Kopf, als wolle er sagen: das kenne ich auch. Ömmes mischte sich selten in die Gespräche seiner Gäste ein, es sei denn, er wurde direkt angesprochen und mit einbezogen. Das machte ihn so angenehm.
„Ja“, sprach Jürgen weiter, „wir waren aber auch nicht dumm. Wisst ihr noch, als der Kerl Kinder in denHerbstferien haben wollte und keiner ist hingegangen? Da stand der Saukerl aber voll im Regen. Zwei Tage später war der wieder da und gab jedem Kind ein paar Groschen und meinte, dass wir am Nachmittag auf seinen Hof kommen sollten. Wir steckten die paar Groschen ein und keiner ging hin!
Bei unserem herum stromern haben wir dann festgestellt,dass der Bauer jeden Sonntagmorgen mit seinen Leuten zur Kirche fuhr, nur ein alter Knecht blieb zurück. Der war in Ordnung und er fand es auch nicht gut, was der Bauer mit den Kindern gemacht hatte. Wir konnten uns ungehindert auf dem Hof bewegen und dann entdeckte ich etwas, was mir absolut die Sprache verschlug.
Ich suchte ganz aufgeregt meine Kumpels und zeigte die Entdeckung. Eine Räucherkammer war es, voll bis unter die Decke mit Würsten, Schinken,Speckseiten und anderen Dingen, die wir gar nicht kannten.
Jeder steckte sich eine kleine Wurst ein und wir machten uns davon. Wir sahen nicht mehr, wie der alte Knecht vor sich hinschmunzelte. Wir drei wussten, dass wir dieses Ding nicht alleine schaffen konnten.
Ich sagte: ‚Ihr müsst eure Väter einweihen,meinen können wir dafür vergessen.‘ Sie nickten.“Die Väter von Hermann und Wilhelm ließen sich am folgenden Sonntag von den Jungs die Sache aus sicherer Entfernung zeigen. Die vier lagen am Grabenrand im hohen Gras und die Jungs wurden von ihren Vätern ausgefragt, wo das Fenster der Räucherkammer sein könnte und ob es noch einen zweiten Zugang gäbe. Die zwei Jungen sahen sich unsicher an, grinstenund sagten: „Kleinen Moment, haben wir gleich.“
Sie rannten am Graben entlang zum Haupteingang durch den Torbogen auf den Hof und grüßten den alten Knecht, der fragte schmunzelnd: „Wollt ihr euch mal wieder umsehen?“
Hermann und Wilhelm nickten bejahend und legten den Zeigefinge rauf ihren Mund, der Alte kicherte nur. Und sie verschwanden schnell im Pferdestall.
Sie stiegen die Treppe hoch zum ersten Geschoss, liefen ein Stück nach rechts zu einer schmalen Stiege und standen kurz darauf vor der Tür zur Räucherkammer.Sie liefen durch die Kammer zum Fenster,öffneten es und sahen ihre Väter am Rand des Grabens stehen.
Sie winkten sich zu, der Hermanns Vater zeigte an, dass sie zurück kommen sollten. Die beiden Jungs steckten sich noch zwei von den kleinen Würstchen ein und machten sich auf den Rückweg.
Als sie bei ihren Vätern an kamen, zeigten sie, bis über beide Ohren breit grinsend, die mitgenommenen Würstchen. Die Väter grinsten genau so zurück und auf dem Heimweg wurde über die verschiedenen Möglichkeiten gesprochen,wie man am sichersten und vor allem am unauffälligsten an die Speckseiten kommen könnte.
Hermann und Wilhelm informierten Jürgen über den Stand der Dinge und er rieb sich hocherfreut und erwartungsvoll die Hände. Die drei schafften in der Woche kaum die Schule, sie mussten immer wieder an das denken, was sie da entdeckt hatten.
Endlich war Wochenende und ungeduldig warteten sie darauf, dass sich ihre Väter melden würden. Es dauerte bis nach dem Abendessen.Hermanns Vater winkte sie zu sich und sagte: „Wir gehen zu Wilhelms Vater.“
Hermann hüpfte auf dem Stück Weg zu Wilhelm aufgeregt um seinen Vater herum, der beschwichtigte ihn: „Immer mit der Ruhe, mein Junge. Wir holen uns schon die Wurst.“
Jetzt wurde Hermann noch aufgeregter.
Er liefWilhelm entgegen, der vor der Haustür stand, und sagte ganz rappelig: „Es geht los, es geht los.“
Wilhelms Vater deutete auf den Schuppen und zustimmend folgten sie ihm. Sie hockten sich in dem dämmerigen Schuppen hin und Hermanns Vater begann die einzelnen Möglichkeiten auf zu zählen. Sie hörten gespannt zu, aber irgendwie war nicht das Richtige dabei, bis sich Jürgen leise und schüchtern meldete und vorschlug, er könne erst einen Faden mit der Fletsche aus dem Fenster rüber schießen und daran dann ein dickeres Seil rüber ziehen.
Wilhelms Vater begriff als erster diesen Vorschlag von Jürgen,er klopfte ihm anerkennend auf die dünne und knochigeSchulter. „… und an dem Seil lassen wir die Würste runtersausen!“
Jürgen war puterrot im Gesicht und wagte noch einzuwenden:„Man kann ja eventuell auch einen Korb nehmen oder ein größeres Tuch zusammen knoten.“
Wilhelms Vater sah Jürgen wieder überrascht an: „Gut, sehr gut. Den Korb hängen wir an einen Haken und mit einem zweiten Faden bremsen wir den Korb, sonst würde er zu schnell werden.“
Die zwei Erwachsenen und die drei Jungs grinsten sich hocherfreut an und Wilhelms Vater sagte: „Nächsten Sonntag gehtes los.“
Vor lauter Aufregung konnte Hermann nicht schlafen und war am Morgen hundemüde. Nach dem Frühstück waren seine Kumpels schon da und die fünf zogen los in Richtung Fußballplatz … Jupp und Karl waren schon da und während sich die Jungs umzogen, kamen die anderen dazu, die Mannschaft war damit komplett.
Es fand wieder mal eine Olympiade statt, diesmal in Finnland und es waren sogar deutsche Sportler dabei!
Ein argentinischer Rennfahrer fuhr mit einem deutschen Rennauto von Sieg zu Sieg.
Die drei Jungs wussten gar nicht, wie sie die Woche herum kriegen sollten, alles war für sie unwichtig, selbst Wilhelm hatte Probleme, in der Schule einigermaßen mit zu machen. In den Pausen wurde nur von dem kommenden Wochenende gesprochen, bis Hermann auf einmal besorgt sagte: „Wir müssen aufpassen und den Mund halten. Wir fallen schon auf, die großen Jungs beobachten uns dauernd.“
In den folgendenPausen blieben sie aus einander und beteiligten sich an den Spielen auf dem Schulhof. Endlich war es Wochenende und Sonntagmorgen fuhren die zwei Erwachsenen mit den Jungs auf Fahrrädern zum Bauernhof.
Franz, Herbert, Jupp und Karl guckten etwas erstaunt hinterher, denn das war ungewöhnlich, dass die drei etwas ohne sie unternahmen und dann auch noch mit zwei Vätern.
Vor dem Mittagessen waren sie zurück und die Jungs wurden losgeschickt, um allen Bescheid zu geben, dass alle nach dem Mittagessen zum Haus von Hermanns Vater kommen sollten. Gegen vierzehn Uhr waren alle da und Hermanns Vater erklärte, was los war.
Da war natürlich das wundern riesengroß und alle schrieen und redeten wild durcheinander. Dann ging es ans verteilen der Würste und Speckseiten.
Hermanns Vater sagte: „Solange es gut geht und machbar ist,werden wir die Sachen so weiter verteilen.“ Alle nickten dankbar und waren natürlich einverstanden. Das war jetzt schon das zweite Mal, dass die krumme Straße durch die Kinder ordentlich was zu futtern bekam.
Nach dem vierten oder fünften Besuch der Räucherkammer meinten die beiden Väter,man müsste sich mal bei dem alten Knecht bedanken, der wisse genau Bescheid und gucke immer grinsend weg.
Beim nächsten Mal fragte Hermanns Vater den Alten und der sagte etwas verlegen, er würde gerne mal wieder einen Sonntag in einer Familie verbringen.
„Das kriegen wir hin!“ Gesagt, getan,vierzehn Tage später saß der alte Knecht mächtig aufgekratzt bei Hermanns Familie am Mittagstisch und hatte Spaß satt. Der Mann war wirklich alt und er war immer Knecht gewesen. Von der Sprache her konnte man erkennen, dass er aus dem Osten stammen musste.
Seine Geschichte erinnerte stark an die Geschichte der Nachbarin, die sie während des Kaffees nach der Beerdigung erzählt hatte.Trotz seines echt sau harten Lebens war der Alte erstaunlich fidel, keine Spur von Verbitterung, im Gegenteil, er war eine richtige Ulknudel. Das einzige, was er bedauerte, war, dass er durch den Krieg alles verloren hatte, sein Zuhause, seine Familie,seine Arbeit, eben alles. Aber vorbei sei vorbei, meinte er und trank mit Freude den Selbstgebrannten, den ein Nachbar herein gereicht hatte. Als zum Kaffee, na ja, was man eben so Kaffee nannte, auch noch ein selbstgebackener Kuchen auf den Tisch kam, war der Alte selig.
Die Männer brachten den Alten nach dem Abendessen zurück. Die Leute auf dem Bauernhof guckten etwas erstaunt, sagten aber nichts.
Alle paar Wochen wurde der alte Knecht sonntags in eine Familie geholt und alle hatten eine Menge Spaß dabei.
Ömmes fragte nach, ob noch jemand ein Bier haben wolle,aber alle drei schüttelten den Kopf, bezahlten ihre Deckel und verließen die Kneipe. Sie blieben noch einen Moment an der Ecke stehen und schauten die krumme Straße hoch.„Mensch“, staunte Wilhelm immer wieder, „es hat sich eine Menge in den Jahren getan.“
Die Bäume an den Straßenrändern waren mächtig gewachsen, die Straßenlaternen hatten Mühe, ihr Licht durch die dichten Blätter zu bringen, die Häuser mit ihren gepflegten Vorgärten sahen prima aus und das schönste war, dass sich hier alle wohl fühlten.
Wilhelm schaute nach Ömmes, auch dort ging jetzt das Licht aus. Zuhause merkte sich Wilhelm vor, dass er beim nächsten Mal den Stammtisch über die versprochene Feier für Herbert und Jürgen informieren musste.Diese Feier wurde mit einem riesen Elan und großer Begeisterungin Angriff genommen.
Als Franz dann noch bekannt gab, dass er und seine Selma ihren bereits vergangenen, nichtgefeierten Hochzeitstag mit feiern möchten, kannte die Begeisterung keine Grenzen mehr.
Auch Hermann und Brigitte fragten vorsichtig an, ob sie ihren Hochzeitstag mitfeiern dürften,weil sie wegen der Arbeiten am Haus keine extra Feier machen können – die krumme Straße schnappte fast über.
Vier Wochen später war es dann so weit, die ganze Straße war geschmückt, die vier Hochzeitspaare trafen sich vor Herberts Haus und gingen dann geschlossen mit allen Nachbarn in einem schönen Zug zu Ömmes.
Sogar ein Lokalreporter war gekommen.
Ömmes hatte selbst von außen sein Haus festlich geschmückt, die Fahnen wehten im leichten Wind, der große Saal war von Ömmes wie immer mit viel Phantasie und Geschicktoll geschmückt worden und wurde mit vielen Ah’s undOh’s bewundert.
Als alle Platz genommen hatten, stand Rudi auf und bat mit erhobener Hand um Ruhe, erstaunt sahen alle auf Rudi, der lächelte leicht und sagte, wenn es recht wäre,möchte er ein paar Worte zu diesem Tag an die Hochzeitspaare richten und überhaupt mal so was sagen.
Die ganze Hochzeitsgesellschaft klatschte begeistert Beifall.
Rudi sprach vonden Anfängen der krummen Straße nach dem Krieg, wie sich alle irgendwie durch gewurschtelt haben; wie sich die Nachbarschaft einander geholfen hat; wie selbst die Kinder mit ihrem Steine-Picken, mit ihrem Geschick, Essen aufzutreiben, ihrer Arbeit beim Bauern mitgeholfen haben, über die Runden zukommen; wie sich bei den jungen Leuten die neue Zeit zeigte mit Schule, Lehre, Bundeswehr, Beruf und dann von den Mädchen, den Hochzeiten und dem Nachwuchs. Rudi schloss mit dem Hinweis, dass das Kriegsende jetzt schon über dreißigJahre hinter ihnen liege, dass die Zukunft viel schöner sei und er allen alles Gute wünsche und die Hochzeitspaare hoch leben lasse. Heimlich wurde ob der Rede hier und da manche Träne getrocknet und manches Paar schaute sich lange an.
Dann kam der Beifall und Rudi wurde fast verlegen.
Es wareine schöne, keine so laute Feier wie die vergangener Tage. Es war das erste Mal, dass Ömmes und seine Mitarbeiterinnen Erschöpfung zeigten, aber tapfer hielten sie bis zum letzten Gast durch.
Wilhelm sagte beim hinaus gehen, er komme morgen zum Abrechnen.
Ömmes winkte nur ab: „Keine Eile damit.“
Spät wurde Wilhelm am Sonntagmorgen wach, nicht ganz fit,hörte er auf dem Weg ins Badezimmer seine Frau unten in der Küche schon herumhantieren.
Bloß kein Frühstück, dachte er mit Schaudern. Nach der Dusche ging es ihm dann schon etwas besser und er ging die Treppe runter in die Küche und wünschte seiner Frau einen guten Morgen.
Hildegard schauteihren Mann prüfend an und goss ihm ein Glas gut gewürztenTomatensaft ein, eiskalt.
Wilhelm trank, schüttelte sich undd ann ging es ihm viel besser.
Er bedankte sich bei seiner Frau,holte Papier, Schreiber und Unterlagen von seinem Schreibtisch,setzte sich an den Küchentisch und begann die Kosten für die gestrige Feier auf zu schlüsseln.
Hildegard guckte ihren Wilhelm etwas irritiert an und fragte ihn, ob etwas mit seinemSchreibtisch nicht in Ordnung sei. „Doch, doch, alles bestens in Ordnung.“
Nachdem er die Kosten auf alle Nachbarn verteilthatte, reduzierte er die einzelnen Beträge der Familien um den Anteil aus der Nachbarschaftskasse, nahm das Telefon und rief Ömmes an, um zu fragen, wie viel er für die Feier bekam.
Ömmes nannte den Betrag und Wilhelm meinte zu Hildegard: „Über den Betrag kann man nicht meckern.“ Wilhelm machte sich auf den Weg zu Ömmes, winkte im VorbeigehenS elma zu, die auch in der Küche herum hantierte.
Selma öffnete das Fenster und rief Wilhelm zu, er möchte doch bitte für einen Moment auf Franz warten, Wilhelm blieb stehen und Franz kam schon an die Tür und deutete Wilhelman, er möchte ins Haus kommen.
Etwas fragend schaute Wilhelm Franz an und dieser sagte: „Selma und ich hatten so eine schöne Feier mit euch allen, deswegen möchten wir uns etwas mehr an den Kosten beteiligen.“
Wilhelm schüttelte den Kopf: „Das geht nicht.“
„Doch“, sagte Franz, „der Betrag geht einfach als Spende in die Nachbarschaftskasse!“
„Das könnte man so machen“, antwortete Wilhelm dann und Selmag ab Wilhelm einen verschlossenen Briefumschlag.
„Und vielen Dank noch mal“, sagten Franz und Selma.
Bei Ömmes bezahlte Wilhelm die Rechnung, trank noch einen starken Kaffee und machte sich auf den Heimweg, es war schon Zeit für das Mittagessen geworden. Wilhelm wollte sich nach dem Mittagessen noch etwas aufs Ohr legen, bevor Hildegards Schwester mit Familie zu Besuch kam.
Während des Mittagessens erzählte Wilhelm seiner Frau den „Vorfall“ mit Franzund Selma, Hildegard nickte verständnisvoll und sagte zu Wilhelm:„Ähnliches habe ich fast erwartet. Die beiden waren so glücklich, dass sie bei der Feier ihren verpassten Hochzeitstag nach feiern konnten. Mittlerweile geht es Franz und Selma ja auch einigermaßen, das Autohaus haben sie in Schwung gebracht,die Werkstatt hat einen guten Ruf und läuft dem entsprechend gut.“
„Ja, ich weiß das auch alles, ich find es trotzdem toll.“
Hildegard stimmte zu und Wilhelm trollte sichauf die Couch.
Gegen fünfzehn Uhr schellte es bei ihnen und Wilhelm stand auf, um den Besuch zu begrüßen. Er freutes ich über die Gäste, er mochte seine Schwägerin und seinen Schwager, es waren beide ruhige, angenehme Leute und die beiden Kinder waren verrückt nach Onkel Wilhelm. So wurde es ein angenehmer Nachmittag,
Hildegard erzählte, auf Anfrage ihrer Schwester, von der gestrigen Feier und die konnte garnicht genug davon hören. Sie sagte dann mit Bedauern in der Stimme: „Schade, dass es so eine Nachbarschaft nicht bei uns gibt.“
Wilhelm sagte dazu nachdenklich: „Viel mehr dürfte die krumme Straße an Anwohnern auch nicht haben. Ich glaube,das klappt hier nur so gut, weil es nur wenige Familien sind,die sich alle schon ewig kennen und durch die Kriegs- und Nachkriegszeit und die folgende Aufbauzeit zusammen geschweißt wurden.“
Mit dieser Ausführung waren alle einverstanden und die Frauen verschwanden in der Küche,um das Abendessen vorzubereiten. Es konnte nicht sehr spät werden, so wie früher, die Kinder waren bereits in der Schule und mussten entsprechend früh ins Bett.
Nach dem Essen mussten entsprechend früh ins Bett. Nach dem Abendessen verabschiedete sich der Besuch mit einem herzlichen Danke schönund hoffte auf einen baldigen Gegenbesuch.
Seske war nach ihrer Saison bedingten Rückkehr nach Schweden Anfang Oktober von Rudi wieder abgeholt worden. Die beiden richteten sich für die nächsten gemeinsamen Wochen ein. Rudi war auffallend ruhig und ausgeglichen, beruflich hatte er viel Erfolg, privat war es herrlich mit seiner Seske.
In der Stammtischrunde bettelte Beate Rudi regelrecht an, er solle doch Seske mal mitbringen.
Rudi schaute sich in den so vertrauten Gesichtern um und sah in jedem Gesicht Zustimmung zu Beates Vorschlag. „Gut, ich werde Seske fragen.“
Hermann sagte dann in seiner ruhigen Art: „Leute, war das ein Jahr, so viel Trubel hatten wir, glaube ich, noch nie.“ Die Runde stimmte dem uneingeschränkt zu.
„Wir hatten mordsmäßig schöne Feiern.“
Der Bundeskanzler war bei Mao, Juan Carlos ist endlich König vonSpanien, Sacharow erhält den Friedensnobelpreis …… und das Jahr in der krummen Straße neigte sich dem Ende zu.
Weihnachten machte sich in der krummen Straße breit,Beate verschwand wieder und Hans fuhr zu seinen Eltern. Still leuchtete der große Weihnachtsbaum im Garten von Rudi und Seske.
Es sprach sich langsam herum, dass bei Ömmes eine tolle Silvesterparty steigen sollte. Wilhelm und Hildegard fragten an,
Hermann und Brigitte wollten auch mit,
Jürgenund Inge waren interessiert,
Jupp und Karl wollten es sich überlegen.
Am Silvesterabend traf sich dann fast die ganze krumme Straße bei Ömmes und machte ein Riesenfass auf.Die kleineren Kinder waren alle bei Hermann und Brigitte im Wintergarten zusammen gekommen und feierten dort unterAufsicht der Tochter der Witwe, die neben Hans wohnte. Dasj unge Mädchen war zu einer bildhübschen Frau geworden,etwas ruhig vielleicht, aber nett, höflich und hilfsbereit. Von einem Freund war nichts bekannt.