Читать книгу Heilung als schöpferischer Prozess - Klaus-Dieter Platsch - Страница 28
Kollektive Energiekreise
ОглавлениеNICHT NUR DIE PERSÖNLICHEN ERFAHRUNGEN und Themen verlaufen in Energiekreisen, sondern auch nicht-persönliche, kollektive. Wir werden in kollektive Energiefelder hineingeboren und wir kommen mit allem, was in diesen Feldern ungelöst ist, in Berührung. Wir tragen es sozusagen wie einen Mantel mit uns. Nicht zu Ende gekommene Energiekreise des familiären, kulturellen, ethnischen oder nationalen Hintergrunds sind entsprechend im Energiefeld unseres genetischen Codes gespeichert.
Als ein Beispiel: Im abendländischen Raum besteht eine gesellschaftliche Konditionierung, die sich mit einem Energieverständnis schwertut. Das hat aller Wahrscheinlichkeit nach seine Ursache in einer kulturellen Verletzung: Im Mittelalter galt der Umgang mit Energie als Hexenwerk, für das man auf dem Scheiterhaufen landen konnte. Das verhindert meiner Ansicht nach noch heute einen normalen Umgang mit dem Thema Energie als einem feinstofflichen Lebensprinzip.
Ein anderes Beispiel für einen geschlossenen Energiekreis ist der Umgang mit Spiritualität in Deutschland. Die Menschen vieler anderer Länder haben einen ganz entspannten Umgang mit Spiritualität. Auf der westlichen Hemisphäre denke ich da vor allem an die angloamerikanischen Länder, in denen Spiritualität viel mehr zum Leben gehören darf und sogar auf eine andere, mehr akzeptierende Haltung in der Medizin trifft als bei uns. Einer der tieferen Gründe, die im kollektiven Energiefeld des genetischen Codes deutscher Menschen hier wohl wirkt, ist der Missbrauch von Spiritualität durch die Nazi-Ideologie. Das ist unbewusst zu einem No-Go geworden, weil dieser Aspekt nicht ausreichend bearbeitet worden ist.
Energiekreise, die in der Vergangenheit eines Kollektivs nicht zu Ende gehen konnten, können ihre Auswirkungen auch im persönlichen Leben haben. Uns dessen bewusst zu werden und die gebundene kollektive Energie auf der persönlichen Ebene zu erlösen, ist ein ganz individueller Beitrag, ein solches Thema für die Gemeinschaft zu lösen.
Ich habe das sehr konkret am eigenen Leib erfahren, als ich an einem internationalen Seminar in Israel teilnahm. Dort trafen Menschen aus Deutschland mit jüdischen Israelis und US-Amerikanern zusammen. Bald begann es unter der Oberfläche zu brodeln, und es dauerte keine zwei Tage, bis das Holocaust-Trauma mit Vehemenz aufbrach. Ich als Deutscher hatte mich zwar bereits viele Jahre mit dem Holocaust auf verschiedenste Weise und so tief es mir möglich war auseinandergesetzt, und doch war es in gewisser Weise auch theoretisch geblieben. Hier nun – in Gegenwart der vielen jüdischen Menschen, direkten Nachfahren der Überlebenden – wurde das Trauma für mich existenziell erfahrbar. Mit aller Deutlichkeit nahm ich in mir wahr, wie es jenseits der Fragen von Schuld und Verantwortung tief in mir wurzelte. Ich spürte das kollektive Trauma wortwörtlich in meinen Knochen, in jeder meiner Körperzellen; mein ganzes Energiefeld war davon durchdrungen. Unmittelbar wusste ich, dass mir das zwar in diesem Augenblick gerade bewusst wurde, es aber unbewusst schon immer in mir existiert – und sich auch ausgewirkt hatte. Ich selbst trage die unerlöste Energie des Nazi-Traumas und des Holocaust in mir. Seit meiner Geburt steckt mir dieses kollektive Trauma in den Genen – transgenerational. Der bodenlose Schmerz, den deutsche Menschen ihren jüdischen Mitbürgern und Mitbürgerinnen angetan hatten, die Angst, die Verzweiflung, der Hass waren in mir zu spüren – dies konnte ich durch meine Anwesenheit in Israel mit jüdischen Menschen der zweiten und dritten Generation nun deutlich wahrnehmen. Es war ein Schmerz, der mir auch körperlich tief im Becken Schmerzen verursachte.
Das ganze Ausmaß des Traumas trat in diesem Seminar voll zum Vorschein. Es konnte gesehen werden, niemand konnte oder musste sich davon abwenden. Der Schmerz und der Schrecken bekamen einen Raum des Erlebens und Teilens. Wir konnten versuchen, es in Worte und Gesten – oder auch in gemeinsamem Schweigen – zu fassen. Es waren Tage eines tiefen Durchgehens durch einen Heilungsprozess – nicht des gesamten Holocausts –, aber doch spürten alle, dass es ein Beitrag dazu war.