Читать книгу BIERKÄMPFE, BAROCKENGEL UND ANDERE BAVARESKEN - Klaus Hübner - Страница 13
Wer liest Steub? Eine Ausstellung in Aichach
Оглавление»Das Almenleben hat so viel eingeborne Poesie, dass selbst die Tausende von Schnaderhüpfeln und die schönsten Lieder vom Berge, sowie die süßinnigsten Zithermelodien diesen tiefen und wahren Zauberbrunnen nicht ganz ausschöpfen. Wenn einer einmal einen dreibändigen Walter Scottschen Roman darüber schreiben wollte, der würde sehen was ihm da alles entgegenkömmt – die Almerin selbst mit ihren achtzehn Jahren und ihrem unbewachten Almenherzen, die Jägersburschen mit ihrem Stolz, die Wildschützen mit ihrem Hass …«.
Halt! Um Gottes willen! Geht’s noch? Wer liest denn so was? Ja, es stimmt schon – so was liest praktisch niemand mehr, und wer nicht im Aichacher Stadtmuseum war, der traut sich vielleicht gar nicht, zu solcher Lektüre zu ermuntern. Geschrieben hat diesen Text, in Erinnerung an seine Wanderung auf die Audorfer Almen, der am 20. Februar 1812 in Aichach geborene und am 16. März 1888 in München gestorbene Ludwig Steub, und zwischen zwei Buchdeckeln veröffentlicht hat er ihn in seiner 1860 erschienenen Prosasammlung Das bayerische Hochland. Ein nach wie vor anregendes Werk, trotz düsterem Hochwald und seelentröstendem Mondenschein auf einsamen Triften, und ein ebenbürtiges Gegenstück zu dem 1846 erschienenen und bis zur Jahrhundertwende immer wieder neu aufgelegten Sammelwerk, das Steub bekannt gemacht hat: Drei Sommer in Tirol. Aber dieser »Entdecker Tirols« und Schilderer der bayerischen Alpenregion war nicht nur Reiseschriftsteller – auch Komödien, Novellen, einen Roman und sogar sprachwissenschaftliche Abhandlungen hat er verfasst. Die Rose der Sewi (1879) zählt gewiss zu den gelungensten Dorfnovellen des 19. Jahrhunderts. Doch wer um alles in der Welt kennt heute noch diese schalkhafte Geschichte vom Gasthaus Sebi bei Niederndorf in Tirol? Einer, der zu Steubs Zeiten mit seinen Schwarzwälder Dorfgeschichten weltberühmt wurde, der heute trotz mancher Bemühungen ebenfalls kaum gelesene Berthold Auerbach, hat einmal bedauernd gefragt: »Ist es nicht ein wunderliches oder geradezu gesagt trauriges Geschick, dass man vielen gebildeten Deutschen erst sagen muss, wer Ludwig Steub ist?« Trauriges Geschick? Allerdings!
Gerade noch im Jahr seines zweihundertsten Geburtstags wurde im Aichacher Stadtmuseum die Ausstellung »Ludwig Steub – Sohn der Stadt. Eine Spurensuche« eröffnet, und ein Besuch des selbst dem Münchner wenig bekannten Wittelsbacher Landes lohnt nicht nur zur Spargelzeit. Einen Ausstellungskatalog oder ein Begleitheft gibt es nicht, wohl aber kann und sollte man die Broschüre erwerben, die die Stadt Aichach vor fünfundzwanzig Jahren zum hundertsten Todestag des Dichters herausgegeben hat. Denn da steht viel Interessantes drin, nicht nur zu Steubs Leben, das nur in seinen ersten zehn Jahren mit Aichach zu tun hat. Der »Pionier der modernen Reiseschriftstellerei« wird da gewürdigt, der »literarische Pfadfinder Tirols«, und vor allem wird ein Gedenkblatt von Ludwig Schrott aus dem Jahr 1962 mit dem treffenden Titel Meister der Wanderbilder und Novellen wiederabgedruckt, das einen prägnanten Überblick über das umfangreiche Werk dieses fast vergessenen bayerischen Dichters gibt.
In der übersichtlichen, einleuchtend strukturierten und nicht nur der Hörproben wegen angenehm besucherfreundlichen Ausstellung wird man natürlich erst einmal mit Steubs Geburtsstadt bekannt gemacht, »einem freundlichen Städtchen in der Nähe des Stammschlosses Wittelsbach, mit vielen Brauereien und wenigstens einer Schule«, wie er in seiner 1883 entstandenen Autobiografie schreibt. Ludwig Steubs Vater Andreas amtete dort als Königlich Bayerischer Distriktsstiftungsadministrator, eine Stelle, die mit Verkündigung der neuen Verfassung (1818) überflüssig wurde – 1822 wird er nach Augsburg versetzt, ein Jahr danach nach München. An seine nicht gerade unter rosigen Umständen verbrachte Aichacher Kindheit hat der spätere Schriftsteller fast nur positive Erinnerungen, die ins erste Kapitel seines einzigen Romans Deutsche Träume (1858) hineinverwoben sind – ein Buch, das wie nahezu alles von Steub nur noch antiquarisch aufzutreiben ist. Während seiner Schulzeit am »Alten Gymnasium« in München entwickelt Ludwig Steub eine Vorliebe für Sprachen, und er unternimmt seine ersten größeren Reisen und Wanderungen. Er studiert zunächst Klassische Philologie, später dann das ungeliebte, aber eine Anstellung versprechende Fach Jura. Sein Lehrer Friedrich Thiersch hatte seine Begeisterung für alles Griechische geweckt. 1834 geht Steub als Regentschaftssekretär des Grafen Armansperg ins bayerisch regierte Griechenland – und kehrt zwei Jahre später ernüchtert zurück. Über diese kurze, aber nicht unwichtige Episode seines Lebens, die sein erstes Buch Bilder aus Griechenland (1841) entscheidend inspiriert hat, erfährt der Ausstellungsbesucher alles Wissenswerte. Ludwig Steub, der – auch eine Kunst – sein Engagement für den ungeliebten Brotberuf zeitlebens auf das gerade noch tolerierbare Minimum beschränken konnte, war mit seinen Zeitungsartikeln wesentlich erfolgreicher als mit seinen Büchern. Sogar seine erste Novelle Der Staatsdienstaspirant (1841) erschien zuerst im Stuttgarter Morgenblatt. Den Sammelband Novellen und Schilderungen (1853), der auch die bis ins spätere 20. Jahrhundert immer mal wieder publizierte Novelle Trompete in Es (1848) enthält, mag fast niemand kaufen. Es ist nicht nur erstaunlich, wie viele seiner im Handel schon lange nicht mehr erhältlichen Bücher die Aichacher zusammengetragen haben – noch erstaunlicher ist, dass der Ausstellungsbesucher, wenn er das mag, sie alle in die Hand nehmen und stundenlang in ihnen schmökern kann. Ein Dichter zum Anfassen, wie es heute so schön heißt – gut so!
Auf seiner ersten Tirolreise im Sommer 1842 kommt der Reiseschriftsteller und Kulturanthropologe Ludwig Steub ans Licht, und bald geht es steil aufwärts mit seiner Beliebtheit beim lesenden Publikum. Hinaus aus der Stadt, hinein in die Alpen – jahrelang war das sein Motto, und auf diesem zentralen Teil seines Lebens und Wirkens liegt auch der Schwerpunkt der Aichacher Schau, die dazu überraschend viel Material präsentiert. Die Stadt Brixlegg im Tiroler Inntal, über der 1898 ein in die Felswand gemeißeltes riesiges Reliefbild des Dichters enthüllt wurde, ist bis heute eine der Partnerstädte Aichachs, und im berühmten Berggasthof »Tatzlwurm« zwischen Bayrischzell und Brannenburg am Inn erinnert man immer noch an Ludwig Steub. Dass er keineswegs ein früher Tourist und Gipfelstürmer war, sondern immer die Menschen im Mittelpunkt seines lebhaften Interesses standen, ihre Dörfer und Städte und ganz besonders ihre Wirtshäuser, betont Gerald Deckart in der erwähnten Broschüre: »Die Landschaft war ihm nur wichtig als schöne, liebliche, heitere Umgebung der Wohnplätze der Menschen, als Szenerie, in der sich das menschliche Leben abspielt.« Und ein früher Kritiker des für heutige Verhältnisse äußerst zaghaft beginnenden Alpintourismus war der liberale, manchmal heftig antiklerikale und sogar antidynastische Dichter auch. »Es sind schon genug herinnen«, sagt Steub in der Rolle eines Brixlegger Sommerfrischlers. »Es wäre wirklich jammerschade, wenn auch dieser stille Winkel durch übergroßen Zulauf, Vornehmheit, Equipagen, Lakaien, Toilettenpracht und andere Widerlichkeiten beliebter Sommerfrischörter wieder unzugänglich würde.«
Ludwig Steub, der poetische Wanderer zwischen München und dem Gardasee, bleibt natürlich ein Mann des 19. Jahrhunderts, und deshalb empfindet man heute einiges in seinen Werken als veraltet – die allzu gemütvoll schwärmerische Umständlichkeit seiner Schilderungen und die Beifall heischende Blumigkeit seines Stils können durchaus auch mal nerven. Ist das bei Stifter völlig anders? Sind Hebbels Erzählungen noch guten Gewissens zu empfehlen? Ludwig Schrott meinte vor fünfzig Jahren, dass Ludwig Steubs poetische Reiseschriften, meist lange vor Theodor Fontanes berühmten Wanderungen durch die Mark Brandenburg entstanden, locker deren Niveau erreichten. Darüber kann man streiten. Nicht streiten kann man über die Forderung an die (bayerischen?) Verleger, endlich eine leserfreundliche Werkausgabe in Angriff zu nehmen. Und ebenso wenig kann man darüber streiten, dass ein Besuch des Stadtmuseums Aichach und seiner aktuellen Sonderausstellung ein herzerwärmender Gewinn ist. Auch ohne das unbewachte Almenherz der Almerin.
Ludwig Steub – Sohn der Stadt. Eine Spurensuche. Ausstellung 2012/13 im Stadtmuseum Aichach.