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Statt einer Literaturgeschichte. Eine durchwachsene Aufsatzsammlung zur Literatur in Bayern

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Im Jahr 1987 erschien Albrecht Webers Handbuch der Literatur in Bayern. Dass deren literaturwissenschaftliche Erforschung auch danach nicht zum Erliegen gekommen ist, belegt ein Ende 2015 erschienener umfangreicher Sammelband. Sein Herausgeber Waldemar Fromm, der die »Arbeitsstelle für Literatur in München / Bayern« an der Universität München leitet, hat darin fünfzehn einschlägige Arbeiten zusammengestellt, die zwischen 1984 und 2005 zum ersten Mal publiziert wurden, also, wie er in seiner Einleitung schreibt, »nach dem Boom der Regionalforschung in den 1980er-Jahren«. Damit soll ein Forschungsüberblick gegeben werden, weshalb wohl auch der Untertitel des Bandes auf die berühmte Buchreihe Wege der Forschung Bezug nimmt, mit der die in Darmstadt ansässige Wissenschaftliche Buchgesellschaft Generationen von Studenten beglückt hat. Dass und wie sich die Literaturwissenschaft – und mit ihr natürlich auch die Herangehensweise an Regionalliteratur – in den drei zurückliegenden Jahrzehnten verändert hat, das versucht der Herausgeber in seinen sehr knapp geratenen einleitenden Bemerkungen zumindest ansatzweise zu skizzieren.

An einer wissenschaftlich fundierten, umfangreichen und aktuellen Geschichte der Literatur in Bayern wird intensiv gearbeitet. Dieses Buch ist kaum mehr als eine Vorarbeit dazu – der Titel ist hier Programm, und die für eine Darstellung der Literatur in Bayern unangemessene Dominanz der Landeshauptstadt ist auch nicht zu übersehen. Die Zeit vor dem 18. Jahrhundert wird durch einen instruktiven und anregenden Aufsatz von Ernst Hellgardt über den Beitrag Niederbayerns zur deutschen Literatur im frühen Mittelalter, durch einen Essay von Freimut Löser über die geistliche Literatur des Mittelalters am Beispiel von Würzburg und Melk und durch zwei eher akribisch ins Detail als in die Breite gehende Arbeiten von Dieter Breuer über das literarische Leben in München vor 1648 sowie über die oberdeutsche Erzählliteratur des 17. Jahrhunderts abgedeckt. Guillaume van Gemert analysiert die Dichtungslehre des Parnassus Boicus (1725/26), Manfred Knedlik untersucht die Schuldramen des Prüfeninger Abtes Rupert Kornmann (1757–1817), und Michael Schaich beschäftigt sich mit dem Thema »Staat und Öffentlichkeit im Kurfürstentum Bayern der Spätaufklärung«. In einem der besten Beiträge des Bandes skizziert Wilhelm Haefs, auf dessen ungemein aufschlussreiches und überdies extrem spannendes Buch über Leben, Werk und Wirkung von Lorenz Westenrieder nicht oft genug hingewiesen werden kann (Aufklärung in Altbayern, 1998), mit aufmerksamem Blick auf Georg Alois Dietl (1752–1809) die überraschend heterogene Literatur der Spätaufklärung in Bayern. Der älteste Beitrag in diesem Sammelband war schon 1984 nicht ganz unumstritten und hält jedenfalls nicht, was sein Titel verspricht: In »Die Münchner Romantik« umkreist Hans Graßl allerlei Philosophenkram, ohne dass diese wichtige Literaturbewegung insgesamt scharfe Konturen oder gar ein Gesicht erhält. Auch heute noch bestens lesbar hingegen ist die Darstellung von Literatur und literarischem Leben in München um 1855, die Walter Hettche und Johannes John beisteuern. Die Überlegungen von Gabriele Whetten-Indra zum literarischen Leben in der Isarmetropole zwischen 1918 und 1933 wird man ebenso mit Gewinn und Genuss zur Kenntnis nehmen wie die – wie immer ungeheuer materialreichen – Aufsätze von Altmeister Wolfgang Frühwald über die Literatur in der Prinzregentenzeit sowie über die kaum auf einen Nenner zu bringende Literatur in Bayern zwischen 1919 und 1960. Ein fast mustergültiges Beispiel dafür, wie ein literaturwissenschaftlicher Essay aussehen kann, liefert Reinhard Wittmann mit seinen brillanten Beobachtungen zur Münchner Literaturszene unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg. Dass man es für nötig erachtet hat, die komplett veralteten Bemerkungen von Helmut Kaffenberger und Waldemar Fromm über die Literatur in Bayern nach 1960 auch noch aufzunehmen, ist allerdings in keiner Weise nachzuvollziehen. Sie bilden einen im Jahr 2016 fast schon peinlichen Schlussakkord zu dieser oft anregenden, insgesamt eher durchwachsenen Sammlung von zuvor verstreut publizierten Bausteinen zu einer zeitgemäßen Geschichte der Literatur in Bayern. Hoffen wir, dass wir nicht zu lange auf eine solche Gesamtdarstellung warten müssen – man vermisst sie nach wie vor schmerzlich.

Waldemar Fromm (Hrsg.): Statt einer Literaturgeschichte. Wege der Forschung. Literatur in Bayern (= Bavaria. Münchner Schriften zur Buch- und Literaturgeschichte. Kleine Reihe 1). München 2015: Allitera Verlag, 432 S.

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